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E-Book

Das sichere Krankenhaus

Leitfaden für das klinische Risikomanagement

AutorAlexandra Jorzig, Bruno Brühwiler, Heike-Anette Kahla-Witzsch
VerlagKohlhammer Verlag
Erscheinungsjahr2019
Seitenanzahl187 Seiten
ISBN9783170364660
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis34,99 EUR
Die zunehmende Komplexität der Medizin mit einer Vielzahl am Behandlungsprozess beteiligter Professionen birgt viele Risiken. Ein systematisches Risikomanagement bietet, gemeinsam mit dem Qualitätsmanagement, die Möglichkeit, in der Organisation eine Risiko- und Sicherheitskultur zu entwickeln, die einen präventiven Umgang mit Risiken und eine Kultur des Lernens aus Fehlern ermöglicht und Behandlungsprozesse für Patienten und Mitarbeiter sicherer gestaltet. Dieser Leitfaden beschreibt den Aufbau und die Methoden des klinischen Risikomanagements für Einrichtungen des Gesundheitswesens aus führungsbezogener, juristischer und medizinisch-pflegerischer Sicht.

Dr. med. Heike A. Kahla-Witzsch, MBA, Fachärztin für Urologie, Qualitäts- und Risikomanagerin, Bad Soden. Prof. Dr. jur. Alexandra Jorzig, Professorin für Gesundheitsrecht IB Hochschule Berlin, Rechtsanwältin und Fachanwältin für Medizinrecht, JORZIG Rechtsanwälte, Düsseldorf. Prof. Dr. Bruno Brühwiler, Geschäftsführer der Euro Risk Ltd. Zürich.

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Leseprobe

Vorwort


 

 

 

Es mag heute erstaunen: In der Medizin stand die Patientensicherheit schon im Altertum an vorderster Stelle. Hippokrates, der Begründer der wissenschaftlich orientierten Medizin formulierte das von römischen Ärzten erweiterte Prinzip: »Primum nihil nocere, secundum cavere, tertium sanare« (erstens nicht schaden, zweitens sich vorsehen, drittens heilen). Im Wort »schaden« verbirgt sich auch die Tatsache, dass Heilmittel und Eingriffe oft mit Nebenwirkungen verbunden sind, wobei es dann abzuwägen gilt, diese dem Patienten zuzumuten und ihn darüber aufzuklären. Demgegenüber steht die Möglichkeit, den Patienten seiner Krankheit und seinem Leiden zu überlassen.

In der modernen westlichen Pflege, die im frühen 19. Jahrhundert durch Florence Nightingale begründet wurde, spielte die Patientensicherheit von Anbeginn an mit, vor allem im Zusammenhang mit der Hygieneprävention: »It may seem a strange principle to enunciate as the very first requriement in a hospital is that it should do the sick no harm« (Nightingale, Notes to hospitals, 1863, S. ii).

Trotz dieser frühen historischen Zeugnisse haben sich die moderne Medizin und Pflege erst seit kurzem mit dem Problem der Patientensicherheit erneut und vertieft wissenschaftlich auseinandergesetzt: Die initialisierenden Untersuchungen stammen aus den USA. Große Bekanntheit erhielt das Werk aus dem Institute of Medicine: »To Err Is Human, Building a Safer Health System« von 1999 (Kohn et al. 1999, S. 1). Es zeigt den immer noch großen Handlungsbedarf für die Patientensicherheit in Krankenhäusern auf.

Die Untersuchung geht von 44.000 bis zu 98.000 vermeidbaren Todesfällen pro Jahr infolge von Fehlern in der medizinischen Behandlung aus. Behandlungsfehler gehören damit zu den häufigsten Todesursachen, knapp vor Autounfällen, Brustkrebs oder AIDS. Die volkswirtschaftlichen Kosten belaufen sich gemäß dieser Studie auf Beträge zwischen 17 und 29 Mrd. US$ (Kohn et al. 1999, S. 6).

Erst einige Jahre später hat auch die Europäische Union diesbezügliche Zahlen veröffentlicht: Schätzungsweise 8–12 % der in der EU in ein Krankenhaus eingewiesenen Patienten werden während ihrer Behandlung Problemen konfrontiert wie therapieassoziierte Infektionen (ungefähr 25 % der Zwischenfälle), Fehlverschreibungen von Arzneimitteln, chirurgische Fehler, Störungen medizinischer Geräte Fehldiagnosen und fehlende Berücksichtigung von Testergebnissen. Seit der Erstpublikation dieser Feststellungen sind jedoch erhebliche Fortschritte erzielt worden (Health-EU OJ).

Die Schweizerische Stiftung für Patientensicherheit stellt das Problem wie folgt dar:

»Mangelnde Patientensicherheit ist ein unterschätztes Problem. Hochrechnungen zufolge sterben in der Schweiz jährlich rund 700 bis 1.700 Menschen wegen Fehlern in der stationären Gesundheitsversorgung. Noch mehr Patientinnen und Patienten werden durch vermeidbare Behandlungsfehler kurzfristig oder bleibend geschädigt, die menschliches Leid bei Betroffenen wie Fachleuten verursachen und Kosten verursachen« (Patientensicherheit Schweiz).

Auch wenn die Datenlage in Bezug auf Gesundheitsschäden und Todesfälle infolge von fehlerhaften Behandlungen nur ausschnittsweise und oft summarisch dargestellt wird, ist davon auszugehen, dass uns bislang immerhin die Spitze des Eisberges ziemlich gut bekannt ist.

Dieses Buch geht davon aus, dass die exogenen Gesundheitsrisiken der Patienten in vielen Einrichtungen des Gesundheitswesens, auch in mitteleuropäischen Ländern, immer noch zu hoch bzw. deutlich verbesserungsfähig sind. Diese Meinung teilen nicht nur breite Kreise der medizinischen Wissenschaft und Praxis mit uns Autoren. Auch das Rechtssystem ist darauf eingerichtet, dass die Instrumente des Haftpflicht- und Strafrechts dazu beitragen sollen, um die Patienten vor Schaden zu schützen und die Verursacher der Fehler zu bestrafen. Die Versicherungswirtschaft kommt schließlich zum gleichen Schluss: Sie verweigert in vielen Fällen die Versicherungsdeckung für Einrichtungen des Gesundheitswesens oder sie verlangt zumindest sehr hohe Prämien für ihre Leistungen. Dadurch soll ebenfalls die Patientensicherheit gefördert werden.

Neben diesen passiven, abwehrenden Haltungen stellt sich für die Akteure im Gesundheitswesen die Frage, wie denn proaktiv an der Verbesserung der Patientensicherheit gearbeitet werden könnte. Viele Beobachtungen der vergangenen Jahre sind augenfällig:

Seit dem Erscheinen der Luxemburger Deklaration über Patientensicherheit im Jahr 2005 (European Commission, Luxembourg Declaration, 2005) sind besonders in Bezug auf die Einführung von Fehlermeldesystemen, organisationsintern oder auch einrichtungsübergreifend viele Schritte unternommen worden, um die Fehler- und Risikokultur zu verbessern und mit konkreten Maßnahmen und Aktionen die Patientensicherheit zu fördern. In der Zwischenzeit sind viele Fehlermeldesysteme eingerichtet und öffentlich zugänglich gemacht worden. Sie stellen oft hervorragende Fehleranalysen zur Verfügung und geben vertiefende Einblicke in die Probleme der Patientensicherheit im Krankenhaus.

Besonders auffallend sind auch neu entstandene Einrichtungen bzw. Institutionen. Dazu gehört die bereits erwähnte Schweizerische Stiftung für Patientensicherheit. Sie bündelt die Interessen von vielen an der Patientensicherheit beteiligten Kreise und legt Schwerpunkte in der Förderung der Patientensicherheit fest. In Deutschland nimmt sich das Aktionsbündnis Patientensicherheit (APS) im Rahmen der qualitätsorientierten Gesundheitsversorgung der Sicherheit der Patienten verstärkt an. Das Aktionsbündnis setzt sich für Strategien zur Vermeidung unerwünschter Ereignisse, insbesondere durch gemeinsames Lernen aus Fehlern ein (Aktionsbündnis Patientensicherheit 2017c, Plattform Patientensicherheit OJ).

Neben diesen institutionellen Faktoren können wir heute in Deutschland eine besonders interessante Entwicklung feststellen: Der Gesetzgeber verlangt die Umsetzung von Mindestanforderungen für das Risikomanagement bzw. für die Patientensicherheit im Krankenhaus. Was bei Banken und Versicherungen schon lange der Fall ist, wird nun auch im Gesundheitswesen eingeführt. Es werden folgende Anforderungen spezifiziert:

•  Die Weiterentwicklung der Patientensicherheit ist Führungsaufgabe;

•  für das Risikomanagement im Krankenhaus müssen Verantwortliche benannt werden, wobei Doppelstrukturen von Risiko- und Qualitätsmanagement möglichst zu vermeiden sind;

•  anonyme, freiwillige und sanktionsfreie Fehlermeldesysteme sind einzurichten und niederschwellig zu betreiben;

•  eingegangene Fehlermeldungen müssen zeitnah mit präventiven Maßnahmen bearbeitet und an die Betroffenen zurückgespiegelt werden;

•  die Dokumentation und Nachvollziehbarkeit sowie die Bewertung des Risikomanagement-Systems müssen gesichert und nach dem P-D-C-A-Zyklus ausgerichtet werden;

•  über die Umsetzung von Risikomanagement und Fehlermeldesystemen ist in den Qualitätsberichten zu informieren;

•  das patientenorientierte Beschwerdemanagement ist in das Risiko- und Qualitätsmanagement einzubinden1.

Damit stellt sich eine interessante Frage: Wie weit können einerseits von Gesundheitsorganisationen losgelöste, externe Institutionen dazu beitragen, die Patientensicherheit zu fördern. Ein wertvoller Beitrag ist gewiss, aber die Wirkung und Verbindlichkeit nicht unbedingt gegeben. Demgegenüber sind Mindestanforderungen des Gesetzgebers an jedes einzelne Krankenhaus eine unausweichliche Verpflichtung. Ein Verstoß gegen solche Mindestanforderungen könnte grundsätzlich rechtlich sanktioniert werden, allerdings ist heute noch nicht klar, in welcher Form das erfolgen würde. Wie diese Mindestanforderungen nun wahrgenommen und umgesetzt werden können und sollen, ist Gegenstand dieses Buches. Konkret soll hier dargestellt werden, was die Probleme der Führung, der Einführung und der Umsetzung des Qualitäts- und Risikomanagements sind, um die verbindlichen Anforderungen zu erfüllen. Bei der grundsätzlichen Fragestellung spielt es schließlich keine Rolle, ob eine gesetzliche Verpflichtung besteht oder nicht. Auch bei deren Fehlen müssen die Organisationen des Gesundheitswesens sich die Frage stellen, wie sie das Risikomanagement für die Patientensicherheit wirksam betreiben können und müssen.

Die wirksame Umsetzung eines Risikomanagement-Systems ist aber nicht nur eine Frage des Problemverständnisses und der Anwendung von Analysemethoden. Vielmehr geht es darum, dass die Organisation »Krankenhaus« die vielen Elemente eines Risikomanagement-Systems plant, einführt, wirksam betreibt, periodisch bewertet und kontinuierlich verbessert....

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