Einleitung und Dank
Seit über 100 Millionen Jahren bevölkern Bienen unsere Erde, und mehr als 20 000 Arten wurden bisher beschrieben. Der großen Zahl an Arten entspricht eine faszinierende Vielfalt in Gestalt, Aussehen und Lebensweise. Dennoch wird die landläufige Vorstellung von Bienen nach wie vor von einer einzigen Art beherrscht, der Westlichen Honigbiene (Apis mellifera). Eigentlich ist dies nicht verwunderlich, schließlich verdanken wir diesem Insekt so beliebte Naturprodukte wie Honig und Wachs. Auch in Presse, Rundfunk und Fernsehen werden nach wie vor „Biene“ und „Honigbiene“ meist gleichbedeutend verwendet, auch wenn dies aus zoologischer Sicht falsch ist. Zweifellos haben die seit Jahrtausenden praktizierte Nutzung dieser Bienenart und der traditionelle Sprachgebrauch der Imker („Bienenzüchter“) dazu geführt, dass viele Menschen überrascht sind zu erfahren, dass es neben der Honigbiene noch viele weitere Bienenarten gibt: in Europa knapp 2000, in Deutschland immerhin mehr als 566. Diese anderen Bienen produzieren keinen Honig, repräsentieren aber in ihrer Mehrzahl die typische Lebensweise dieser Blütenbesucher sogar viel besser als die Honigbiene, die in wesentlichen Aspekten eine große Ausnahme darstellt. Warum dies so ist, erläutert dieses Buch. In deutschsprachigen Schriften der Insektenkunde wurde schon früh zwischen der Honigbiene als einer domestizierten Bienenart und wildlebenden Bienenarten unterschieden. Ein treffendes Beispiel hierfür ist der Pfarrer und Insektenkundler Johann Ludwig Christ, der 1791 in seinem großen Werk „Naturgeschichte, Klassification und Nomenclatur der Insekten vom Bienen-, Wespen- und Ameisengeschlecht“ erstmals den Begriff „wilde Bienen“ gebraucht hat. Damit waren aber nicht Honigbienen gemeint, die sich nach dem Schwärmen „wild“ in einem hohlen Baum niedergelassen haben. Vielmehr bezog sich der Insektenforscher auf ihre vielen Verwandten, die er ebenfalls zum „Bienengeschlecht“ zählte, weil sie mit der Honigbiene in Körperbau und Lebensweise in vieler Hinsicht übereinstimmen. Da es sich bei diesen anderen Bienen um wildlebende Insekten handelt, werden sie zur Unterscheidung von den gezüchteten Rassen der Hausbiene des Imkers schon lange als „Wildbienen“ bezeichnet.
Trotz vieler Gemeinsamkeiten gibt es große Unterschiede zwischen den Wildbienen. Ihre Vielfalt wird allein schon an den deutschen Namen verschiedener Gruppen deutlich. So handelt dieses Buch u. a. von Masken- und Seidenbienen, von Sand- und Furchenbienen, von Woll- und Harzbienen, von Mauer- und Blattschneiderbienen und nicht zuletzt auch von Hummeln. Letztere werden auch von Laien an ihrer Größe und ihrem dichten Haarkleid erkannt und allgemein als friedfertig eingeschätzt. Vielleicht sind Hummeln deshalb die einzige Bienengruppe mit einem volkstümlichen Namen. Trotz ihres eigenen Namens gehören die Hummeln als wildlebende Arten zu den (Wild-) Bienen und sind sogar mit der Honigbiene nah verwandt.
Mit den Bienen Deutschlands haben sich schon seit dem 18. Jahrhundert namhafte Autoren befasst und mit ihren Schriften den Grundstock für die Kenntnis der heimischen Fauna gelegt. Allerdings stimmen die Bezugsräume früherer Abhandlungen vielfach nicht mit Deutschland in seinen heutigen Grenzen überein. Zahlreiche Publikationen der vergangenen 100 Jahre beschäftigen sich auch mit der Lebensweise der heimischen Bienen. 1923 hat Friese mit seinem Werk „Die europäischen Bienen (Apidae). Das Leben und Wirken unserer Blumenwespen“ das bis dahin bekannte Wissen einem größeren Leserkreis auf verständliche Weise präsentiert und mit 33 wunderschönen Farbtafeln illustriert. Auch wenn manches darin heute als überholt gilt, so ist es doch schon allein aus Vergleichsgründen wert, gelesen zu werden. Erst über 60 Jahre später wurde es mir ermöglicht, in den Jahren 1983 bis 1989 für das Werk „Die Wildbienen Baden-Württembergs“ alles zusammenzutragen, was man zu dieser Zeit über die Bienen der Bundesrepublik Deutschland wusste. Die Arten der DDR konnten nicht berücksichtigt werden. Durch die Wiedervereinigung Deutschlands im Jahre 1990 ist nicht nur der Bezugsraum des hier vorliegenden Werks im Vergleich zu dem früheren größer geworden. Auch die Bienenfauna hat durch den politischen Wandel, aber auch durch Neubeschreibungen Veränderungen erfahren. Sie enthält mindestens 566 unterscheidbare Arten. Hinzu kommen einige Formen, deren taxonomischer Status (eigene Art bzw. Abgrenzung von einer nahverwandten Form) aber noch nicht endgültig geklärt oder unter den Autoren umstritten ist. Da sich darunter mit Sicherheit auch selbständige Arten befinden, dürfte die Klärung dieser Formen das Artenspektrum in Zukunft noch erweitern, so dass wir letztlich von weit mehr als 570 Arten ausgehen können, die seit Beginn der Bienenforschung in Deutschland nachgewiesen wurden.
Seit die Medien immer öfter von einem weltweiten „Bienensterben“ und in letzter Zeit auch von einem „Insektensterben“ berichten, sind das Interesse an den Bienen und die Sorge um diese Insekten im öffentlichen Bewusstsein gewachsen. Allerdings ist nicht unsere Westliche Honigbiene gefährdet; diese ist heute über die ganze Welt verbreitet und zahlreicher als jemals zuvor, wie Erhebungen der FAO (U. N. Food and Agriculture Organization) belegen. Wildbienen sind hingegen schon lange auch in Deutschland von einem besorgniserregenden Rückgang betroffen: 52 % der Arten sind gefährdet, vom Aussterben bedroht oder extrem selten; 7 % sind verschollen und ihre Bestände sind höchstwahrscheinlich bereits erloschen (Westrich et al. 2012). Obwohl in den Roten Listen seit Jahrzehnten dokumentiert, wurde der alarmierende Rückgang bislang nicht gestoppt, weil die bestandsschädigenden Faktoren immer noch wirken. Schon 1989 hatte ich auf diese Situation aufmerksam gemacht, den dringend erforderlichen Schutz gefordert und verschiedenste Handlungsempfehlungen gegeben, die aber nicht im notwendigen Umfang verwirklicht wurden. Nach wie vor wird in der Agrarlandschaft auf die Erfordernisse der in vielerlei Hinsicht hochspezialisierten Wildbienen keine Rücksicht genommen und dem gravierenden Mangel an Nahrungsquellen und Nistplätzen wird nicht abgeholfen. Durch Nutzungsänderung und Nutzungsaufgabe sowie als Folge der immer intensiveren Landwirtschaft ist die in Jahrhunderten gewachsene Kulturlandschaft sehr verarmt und eintönig geworden. Bunte Wiesen mussten dem Einheitsgrün von Vielschnittwiesen weichen und blumenreiche Feldraine monotonen Grasstreifen; an Stelle mosaikartiger Wald-Offenland-Wechsel grenzen Waldränder heute nahtlos an eintönige Getreideäcker, und das wegen seiner Kleinstrukturen und speziellen Pflanzenwelt für viele Offenlandsarten attraktive „Ödland“ wurde aufgeforstet. All dies waren Lebensräume, die mit ihrer breiten Palette an Wildbienen für unsere Offenlandschaften charakteristisch waren und die ich in meiner Kindheit und Jugend in ihrer Mannigfaltigkeit noch erleben durfte. Damit die Vielfalt der Arten und damit auch der Wildbienen wieder zunimmt, hat das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit 2007 eine „Nationale Strategie zur biologischen Vielfalt“ entwickelt, in der „alle gesellschaftlichen Kräfte zu mobilisieren und zu bündeln“ sind. Wie aber können dabei die Wildbienen berücksichtigt werden? Eines der Ziele des vorliegenden Buchs ist deshalb aufzuzeigen, welche Ansprüche Wildbienen an ihre Umwelt, insbesondere an ihre Lebensräume und deren Ausstattung stellen, welche Strukturen sie benötigen und welche Vielfalt an Pollenquellen notwendig ist, wenn man die Arten, die bis jetzt überlebt haben, erhalten und ihren weiteren Rückgang aufhalten will. Das Werk liefert somit eine fachliche Grundlage für einen nachhaltigen Schutz dieser faszinierenden Blütenbesucher. Fachkenntnisse nützen den Bienen aber nur dann, wenn darauf aufbauend gehandelt wird und der Arten- und Biotopschutz nicht nur in Naturschutzgebieten und Nationalparks stattfindet, sondern auch als dauerhafter Bestandteil in der landwirtschaftlichen Praxis und in der Entwicklung des ländlichen Raums verankert wird. Dies schließt die Duldung bzw. Förderung von natürlichen Prozessen und Störungen (Erosion, Erdbewegungen, flächige Pioniersituationen, offene horizontale und vertikale Bodenstellen) ein. Letztere sorgen für Requisiten, die viele Wildbienenarten für eine Besiedlung und erfolgreiche Vermehrung zwingend benötigen.
Es hat mich immer wieder sehr gefreut zu erfahren, dass „Die Wildbienen Baden-Württembergs“ für viele der Auslöser waren, sich mit dieser Insektengruppe zu beschäftigen und eigene Forschungen anzustellen. So dürften auch manche neueren Erkenntnisse den Impulsen geschuldet sein, die dieses Werk gesetzt hat. Leider war es schon bald nach dem Erscheinen der 2. Auflage vergriffen und in den letzten Jahren nur zu hohen Preisen antiquarisch zu erwerben. Das wachsende Interesse an Wildbienen und nicht zuletzt mein Enthusiasmus haben mich bereits vor einigen Jahren ermutigt, mich der Herausforderung nochmals zu stellen, an das bewährte Konzept anzuknüpfen und ein Folgewerk mit noch mehr Abbildungen, aktualisiertem Kenntnisstand und einer auf ganz Deutschland erweiterten Fauna zu schaffen. Um dieses Ziel zu erreichen, habe ich über einen Zeitraum von zwölf Jahren nicht nur in Südwestdeutschland, sondern auch in anderen Regionen Mittel- und Südeuropas bestimmte, in Deutschland verschollene oder extrem seltene Bienenarten gesucht, sie bei ihrem Nestbau und beim Blütenbesuch beobachtet und neues, digital erstelltes Bildmaterial zusammengetragen. Das Resultat dieser langwierigen, oft mühseligen, viel Geduld und Ausdauer sowie manchmal auch Glück erfordernden Arbeiten im Gelände ist die reiche Bebilderung der jeweiligen...