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Lexikon der schönen Wörter

Von anschmiegen bis zeitvergessen

AutorRoland Kaehlbrandt
VerlagPiper Verlag
Erscheinungsjahr2011
Seitenanzahl304 Seiten
ISBN9783492954174
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis13,99 EUR
Die deutsche Sprache birgt viele funkelnde Edelsteine. Erst durch sie bekommen unsere Gefühle und Gedanken den richtigen Schliff: Wörter wie »feinsinnig« und »filigran«, »schlemmen« und »schlummern « zählen genauso zu diesem Schatz wie die »Anmut«, das »Augenmerk« und der »Ausbund«. Walter Krämer und Roland Kaehlbrandt haben die schönsten und kostbarsten Wörter unserer Sprache in einem Lexikon versammelt. Eine wunderbare Fundgrube für alle, die sich mit grauem Spracheinerlei nicht zufriedengeben wollen.

Roland Kaehlbrandt, geb. 1953, ist Sachbuchautor, Sprachwissenschaftler und Experte für sprachliche Bildung. Er ist Honorarprofessor für Sprache und Gesellschaft an der Alanus-Hochschule für Kunst und Gesellschaft in Alfter bei Bonn. Als Sachbuchautor und Sprachwissenschaftler veröffentlicht er Ende September 2022 »Deutsch - eine Liebeserklärung. Die zehn großen Vorzüge unserer erstaunlichen Sprache.« Als sprachbegeisterter Stiftungsexperte hat er große Bildungsprojekte wie den Bundeswettbewerb »Jugend debattiert« und den Rechtschreibwettbewerb »Deutschland schreibt!« wie auch den »Deutschsommer« auf den Weg gebracht. Er ist Mitglied des Kuratoriums der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung.

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Leseprobe

Abbild

Die Forscher fanden dort außerdem eine Maske von Marcus Antonius und 22 Münzen mit einem Abbild Kleopatras.

»Süddeutsche Zeitung«

Ein Abbild wünschen wir von einem Menschen, den wir schätzen oder lieben, es ist sein Sendbote, sein Stellvertreter: »Also wandelst du, Geliebte, / Still und sicher, und es zittert / Nur dein Abbild mir im Herzen, / Weil mein eignes Herz erschüttert« (Heinrich Heine, »Wie des Mondes Abbild zittert«). Würde man auch dann von einem Abbild sprechen, wäre auf der Münze, von der die »Süddeutsche Zeitung« berichtet, Nero statt Kleopatra zu sehen?

Abbitte, abbitten

Er soll dir abbitten, fuhr Frau von G... fort.

Heinrich von Kleist: »Die Marquise von O…«

Die Abbitte zeigt, wie die deutsche Sprache durch das Anfügen kleinster Bausteine feinste Nuancen hervorbringen kann. Mag der so erzeugte Abstand zur Bitte auch nicht allzu groß sein, so ist er doch wesentlich, weil die Abbitte eine besondere Bitte ist, die ein Anerkenntnis von Schuld einschließt; bis ins 19. Jahrhundert zählte sie zu den sogenannten Ehrenstrafen. Es war eine feierliche, in Gegenwart von Zeugen abzustattende Entschuldigung. Und noch heute findet man abbitten in ebendiesem Sinn: »Uli Hoeneß erwartet gar eine Abbitte der Medien, weil sie Sosa, der im Sommer 2007 für zehn Millionen Euro nach München kam, in der Vergangenheit so verkannt hätten« (»Die Welt«).

Abendstille

Gewaltig bist du dunkler Mund
Im Innern, aus Herbstgewölk
Geformte Gestalt,
Goldner Abendstille.

Georg Trakl: »Die Schwermut«

Die Abendstille erinnert an die Zeiten vor der sogenannten Erlebnisgesellschaft. Eine schöne Erinnerung, die man heute nur mit Mühe wiederbeleben kann – aber sollte. Das Wort lädt uns dazu ein.

abgelten

Also hatte König Hulderich mit seinen Allobrogern ihren Tod für ein Glücke zu halten; nicht nur / weil von ihnen diß / was sie dem Vaterlande und der Natur schuldig waren / abgegolten / sondern auch weder der Untergang ihres Reiches / noch die Schmach der Dienstbarkeit erlebet ward.

Daniel Casper von Lohenstein: »Großmütiger Feldherr Arminius«

Abgelten hat etwas Feierlich-Endgültiges an sich: »Zwanzig Jahre nach der Wende behauptet die Kanzlerin, die Milliarden-Kosten für die Wiedervereinigung seien abgegolten« (»Die Welt«). Abgelten duldet kein Nachkarten, keine versteckten Vorwürfe, keine Missgunst, keine Schuldgefühle.

Abglanz

Berühmte Männer, welche ihren Ruhm nötig haben, wie zum Beispiel alle Politiker, wählen ihre Verbündeten und Freunde nie mehr ohne Hintergedanken: von diesem wollen sie ein Stück Glanz und Abglanz seiner Tugend, von jenem das Furchteinflößende gewisser bedenklicher Eigenschaften, die jedermann an ihm kennt, einem andern stehlen sie den Ruf seines Müßigganges, seines In-der-Sonne-liegens, weil es ihren eignen Zwecken frommt, zeitweilig für unachtsam und träge zu gelten.

Friedrich Nietzsche: »Die fröhliche Wissenschaft«

Das sprachliche Kunstwerk zeigt sich hier in der feinen Abtönung des Glanzes durch die Zugabe der Silbe »ab«. Der Abglanz ist der Widerschein oder der abnehmende oder auch vergangene Glanz. »Ich genieße recht glückliche Stunden in dem Abglanz Ihrer Werke« (Johann Wolfgang von Goethe an Carl Friedrich Zelter, 1810). »Das byzantinische Bauwerk der Aussegnungshalle gegenüber lag schweigend im Abglanz des scheidenden Tages« (Thomas Mann: »Der Tod in Venedig«).

Abgott

Inzwischen zur Theaterwissenschaft übergewechselt, las er zum ersten Mal das Büchner-Werk – während er mit der Straßenbahn zu seinem frisch entdeckten literarischen Abgott Heiner Müller fuhr.

»Die Welt« über den Theaterregisseur Dimiter Gotscheff

Ein Abgott ist heute ein besonders einflussreiches Vorbild, auch eine aus anderen Gründen verehrte oder zu verehrende Person: »Sechs Fuß hoch aufgeschossen / Ein Kriegsgott anzuschaun / Der Liebling der Genossen / Der Abgott schöner Fraun« (Theodor Fontane: »Prinz Louis Ferdinand«). Der ursprüngliche Abgott dagegen war ein zu Unrecht als Gott verehrtes Wesen und wie der Abgott Moloch in der Bibel eher abzulehnen.

Abgrund

O Schelm Judas, was thust? fürchtest dann nicht, daß der Erdboden dich lebendig verschlucke? sorgst dann nit, dast dich tausend Donnerkeul in den Abgrund erschlagen?

Abraham a Sancta Clara: »Judas der Erzschelm«

Der Abgrund als ein »rhetorischer Grundbestandteil beschwörend warnender Rede« (»Frankfurter Allgemeine Zeitung«) löst Furcht aus. Er lässt uns zittern, aber auch innehalten. Im übertragenen Sinne bietet er uns eine letzte Möglichkeit, die Folgen unseres geplanten Tuns zu überdenken. Wie viele andere Hochwertwörter ist auch der Abgrund durch inflationären Gebrauch entwertet. »Die Eigentümer und die Geschäftsleitung haben mit ihrer Hochrisikostrategie das bislang kerngesunde Unternehmen an den Abgrund manövriert« (»Süddeutsche Zeitung«).

Abhilfe, abhelfen

Das Mittel, worauf wir gefallen waren, fing bald an, noch gefährlicher zu werden als das Übel, dem es abhelfen sollte.

Friedrich Schiller: »Der Geisterseher«

Die Abhilfe ist eine Hilfe, aber sie ist auch mehr als das: nämlich die Hilfe, die wirkt – was man nicht von jeder Hilfe sagen kann. Die Abhilfe beseitigt das Übel zwar nicht vollends, aber sie dämmt es ein. Sie verschafft für einen Augenblick Luft, sodass nach weiteren Lösungen gesucht werden kann. Wer Abhilfe schafft, hilft wirkungsvoll.

abseits

Abseits der roten Teppiche ermöglichen seine Bilder einen Blick auf die Charaktere.

Die »Süddeutsche Zeitung« über den Hollywood-Fotografen Frank Worth

Abseits, jenseits, diesseits – diese Verhältniswörter (Präpositionen) verlangen den Genitiv und sind allein schon deshalb etwas Besonderes. Hinter dem Haus, aber abseits der Straße. So werden sie ohne eigenes Zutun zu seltenen schönen Wörtern, denn wie mühsam kommt heute der Genitiv so manchem Sprecher deutscher Zunge über ebendiese.

allenthalben

Allenthalben beklagen die Vertreter bayerischer Kommunen, sie hätten keine Handhabe gegen die boomenden Raucherclubs.

»Süddeutsche Zeitung«

Allenthalben gehört gewiss zu den Wörtern deutscher Sprache, die man als Ausländer als Letztes lernt. Und auch Inländern kommt das Wort kaum jemals über die Lippen. Man kann es auch mit »immer und überall« übersetzen, aber warum eigentlich, wo es doch beide Bedeutungen in einem Wort enthält?

allerlei

Um Kasimir öfters als alle vierzehn Tage nur einmal zu sehen, musste Therese zu allerlei Ausreden ihre Zuflucht nehmen.

Arthur Schnitzler: »Therese«

Ein »allerlei« verleiht Texten Flügel. Wie bleiern hätten sich Thereses »alle möglichen Ausreden« dagegen ausgenommen. Und auch Zustimmung schwingt mit: Recht hat sie, scheint Schnitzler hier zu sagen, wo die Liebe hinfällt, hat die Konvention zu schweigen.

allesamt

In einem Glossar zur Krise werden wir von heute an Wörter aus dem Strom des Geredes fischen, die allesamt mehr und deshalb etwas anderes bedeuten, als ihnen zugetraut wird.

»Frankfurter Allgemeine Zeitung« (zur Krisenrhetorik 2009)

So wie »allenthalben« ist auch »allesamt« eine Perle, die man vor allem in der geschriebenen und weniger in der gesprochenen Sprache findet und die eigentlich ein kleiner Luxus ist. Denn auch ohne »allesamt« würde sich an der Aussage des Zitats kaum etwas ändern. »Allesamt« unterstreicht zusätzlich die Gesamtheit der bezeichneten Menge, eine Gesamtheit, der nichts entgeht, die alles vollständig umfasst. »Samt und sonders« sagen wir auch dazu. Es sind eher rhetorische Wendungen, die an der tatsächlichen Bedeutung kaum etwas ändern, aber diese eben hervorheben und sie damit stärker in unser Bewusstsein rücken.

Almosen

Wenn du aber Almosen gibst / So las deine lincke hand nicht wissen / was die rechte thut / Auff das dein Almosen verborgen sey / vnd dein Vater / der in das verborgen sihet / wird dirs vergelten öffentlich.

Matthäus 6, 3 – 4 in der Übersetzung von Martin Luther

Almosen werden heute eher abwertend gebraucht: »Sollen doch die Arbeitgeber ihre Almosen behalten.« Dabei standen sie lange Zeit für wahres Christentum, für das Teilen mit dem Nächsten, für Nächstenliebe überhaupt.

Alpenglühen

Die Sehnsucht der Maid im Alpenglühen.

Titelzeile in der »Rheinischen Post«

Das Alpenglühen entsteht durch das Streulicht des Sonnenunter- und Sonnenaufgangs, dann nämlich, wenn die Felsen das Licht rot widerspiegeln und der Vordergrund im Dunkeln liegt. Eine herrliche Naturerscheinung – aber auch ein Wort, das genauso schön ist wie die Erscheinung, die es beschreibt.

alsbald

Als es am Nachmittag schon dämmerte, hielt eine Droschke vor dem Hause, und Mutter und Töchter sahen alsbald vom Fenster aus, wie Friederike nach vergnüglicher Begrüßung mit Leo den kleinen Offizierskoffer vom Kutscherbock nahm und an Agnes Nebelung vorbei – die, weil sie den Leutnant gern sehen wollte, dicht neben dem Trottoir Aufstellung genommen – auf die Haustür zuschritt.

Theodor Fontane: »Die...

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