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Fritz Mauthner und die Moderne

Zur historischen Dimension der Sprachphilosophie Fritz Mauthners

AutorChristopher Ebner
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2011
Seitenanzahl116 Seiten
ISBN9783640878437
FormatPDF/ePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis20,99 EUR
Diplomarbeit aus dem Jahr 2004 im Fachbereich Philosophie - Philosophie des 20. Jahrhunderts, Note: 1, Karl-Franzens-Universität Graz (Geschichte), Sprache: Deutsch, Abstract: Diese Arbeit stellt das Denken und die Person Fritz Mauthners in einen historischen Kontext. Zum einen gibt es seit den 70er Jahren des 19. Jahrhunderts in der gesamten westlichen Welt ein Phänomen, das als Sprachkrise beschrieben werden kann. Intellektuelle, Schriftsteller und Philosophen entdecken die Kluft zwischen der Welt und dem Wort, es entsteht der Eindruck, als würde die Sprache die Wirklichkeit nicht mehr erfassen. Zum anderen lässt sich im zentraleuropäischen Raum, in dem Gebiet der ehemaligen Habsburgermonarchie, seit den Jahrzehnten um die Jahrhundertwende ein vermehrtes und verstärktes Interesse an der Sprache feststellen. Dieses Interesse an der Sprache, ihrem Wesen und ihren Funktionen, lässt sich in den Werken Robert Musils, Fritz Mauthners, Franz Kafkas, Hugo von Hofmannsthals, Ludwig Wittgensteins, Moriz Schlicks und Karl Kraus' - um nur einige zu nennen - vermehrt und sehr früh feststellen. Daher kann man annehmen, die Artikulation und die Aufmerksamkeit der Intellektuellen in der Habsburgermonarchie ist durch ein bestimmtes, sprachskeptisches Klima im vielsprachigen, pluralistischen und kulturell heterogenen Zentraleuropa begünstigt worden. Dieses Klima ist vor allem in den urbanen Ballungszentren wie Wien oder Prag besonders dicht. Fritz Mauthner, in Böhmen geboren und in Prag aufgewachsen, eignet besonders gut, um das sprachskeptische Klima der Monarchie sowie die Sprachkrise allgemein darzustellen. Die ersten drei Teile der Arbeit verorten Mauthner zunächst in der philosophischen Tradition der abendländischen Sprachkritik und dann im soziokulturellen Kontext der Monarchie. Der vierte Teil der Arbeit zeichnet dann in drei Schritten die Genese des sprachkritischen Klimas in der Monarchie um die Jahrhundertwende nach. Dabei hat auch die Reformation und in weiterer Folge die Gegenreformation als 'rhetorische Veranstaltung' großen Einfluss auf die Mentalität der Menschen in Zentraleuropa. Eine weitere Komponente in der Genese des sprachskeptischen Klimas ist in der Zeit der josephinischen Reformen zu verorten, veranschaulicht an Joseph von Sonnenfels' Werk Über den Geschäftsstil. Der dritte Meilenstein auf dem Weg in die sprachkritische Atmosphäre bildet die Ideologisierung der Sprachen durch den Nationalismus im 19. Jahrhundert.

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Leseprobe

Einleitung


 

„Alle Philosophie ist ,Sprachkritik’. (Allerdings nicht im Sinne Mauthners.)“[1] heißt es in der 1919 erschienenen Logisch-Philosophischen-Abhandlung Ludwig Wittgensteins, der damit der Philosophie des böhmischen Schriftstellers, Journalisten und Philosophen Fritz Mauthner ein trauriges Denkmal setzte.

 

Diese Arbeit stellt nun die Sprachskepsis Mauthners - jene erste umfassende Artikulation des Umstandes, dass die Sprache die Welt nicht mehr angemessen erfasst - in einen historischen Kontext, zunächst in einen weiteren geistesgeschichtlichen und dann in den konkreten der zentraleuropäischen Region um die Jahrhundertwende. Dabei folge ich im Wesentlichen einer nicht ganz neuen These - der zufolge die intensive Auseinandersetzung der österreichischen Intellektuellen, Schriftsteller und Philosophen mit der Sprache, auch mit der Vielsprachigkeit und der kulturellen Pluralität und Heterogenität des zentraleuropäischen Raumes in Zusammenhang steht.[2] Diese Behauptung möchte ich verifizieren.

 

Die Ausführungen ranken sich hauptsächlich um die Person und das Werk[3] Fritz Mauthners, in dessen Leben und Denken sich viele Bezüge auf das geistige und politische Leben um die Jahrhundertwende ausmachen lassen.

 

Daraus ergeben sich zwei Methoden der Untersuchung: Zum einen stellen biographische Betrachtungen den Zusammenhang zwischen dem Denken Mauthners und seiner unmittelbaren Lebenswirklichkeit her, zum anderen beschreiben geistesgeschichtliche und kulturwissenschaftliche Analysen die Krise der Sprache als Phänomen, das die ganze westliche Welt betraf, und geben zudem Aufschluss über die historische Genese einer sprachkritischen Atmosphäre in Zentraleuropa.

 

Der erste Teil der Arbeit formuliert auf der Basis der Thesen von George Steiner[4], was das „Wesen“ der Sprachkrise der westlichen Welt ist. Als „Zeugen“ der Faktizität der Krise der Sprache fungieren dabei Texte der französischen Symbolisten Charles Baudelaire und Stephane Mallarme sowie ein Aufsatz über den Symbolismus von Hermann Bahr[5]. Daran schließt ein kurzer geistesgeschichtlicher Überblick über die Formen philosophischer Sprachkritik an. Die Diskussion erfolgt an ausgewählten Beispieltexten und ließe sich oftmals stark erweitern. Die Sprachkritik vom Standpunkt der Aufklärung wird anhand Platons Kratylos[6] und John Lockes Versuch über den menschlichen Verstand[7] dargestellt. Die Sprachkritik vom Standpunkt des bildungsbürgerlichen Elitarismus bzw. Konservativismus - die bereits aus der Krise der Sprache entstanden ist - wird an Oswald Spenglers Der Untergang des Abendlandes[8] und Martin Heideggers Sein und Zeit[9] veranschaulicht und die Sprachkritik vom Standpunkt der „Philologie“ wird durch ein Gedicht von Karl Kraus[10] illustriert.

 

Den Abschluss des ersten Teiles bildet die Verortung der Sprachkritik Mauthners im Geflecht der drei Standpunkte.

 

Der zweite Teil der Arbeit stellt zunächst die aufklärerischen Intentionen, die Mauthner mit seiner Sprachkritik verfolgte, dar - Aufschluss darüber geben die Beiträge zu einer Kritik der Sprache[11] und das Wörterbuch der Philosophie[12] -, um sie anschließend einer Kritik zu unterziehen. Basis dieser Kritik ist Horkheimers und Adornos Dialektik der Aufklärung[13].

 

Darüber hinaus gibt der zweite Teil Aufschluss über die Biographie Mauthners - basierend hauptsächlich auf Joachim Kühns Mauthnerstudie Gescheiterte Sprachkritik[14] sowie auf Selbstzeugnissen Mauthners, zu finden in seinen Jugenderinnerungen[15].

 

Des Weiteren versucht der zweite Teil ein soziokulturelles Bild der Monarchie zu zeichnen und den Lebensraum, der Mauthners Denken und Erleben nach eigenen Angaben so stark prägte, darzustellen. Dabei soll die Bedeutung der Krisen der Zeit, also der Krisen der Identität, der Religion, der Sprache, aber auch der Politik, für Mauthner und andere Intellektuelle und Schriftsteller erfasst werden. Das historische Gerüst beziehe ich hauptsächlich aus den Werken von Karl Vocelka[16] und Moritz Csaky[17], die Krise der Kunst analysiere ich anhand einer Passage aus Egon Friedells Kulturgeschichte der Neuzeit[18], die Krise der Politik, deren Unfähigkeit bzw. die Unmöglichkeit, mit dem Nationalitäten- und Sprachenproblem umzugehen, illustriere ich an Palackys Oesterreichs Staatsidee[19] und einer Passage aus Musils Der Mann ohne Eigenschaften[20]. Bei den Krisen der Identität folge ich Janik/Toulmin[21] und Jacques Le Rider[22]. Mauthners persönlichen Weg aus den Krisen seiner Zeit versuche ich an den bereits zitierten Erinnerungen zu zeigen. Die abstrakte Bestimmung der Ursachen der Krisen folgt Lyotard[23].

 

Der dritte Teil der Arbeit beschäftigt sich wieder mit einigen philosophischen Gedanken aus dem Werk Fritz Mauthners. Den Anfang bilden zwei Zeitdiagnosen, zum einen eine Passage aus dem ersten Band der Beiträge, zum anderen ein Text aus Nietzsches zweiter unzeitgemäßer Betrachtung[24] Diese Texte zeichnen ein Bild von den grundlegenden Problemen der Moderne, sie zeigen auf, welche Auswirkungen die Unverbindlichkeit der philosophischen, moralischen und religiösen Ideen auf die Zivilisation hat. Dabei stellt sich heraus, dass Mauthner alle krisenhaften Erscheinungen seiner Zeit in der Krise der Sprache verortet.

 

Am Begriff „Wortaberglauben“ versuche ich zu zeigen, worin Mauthner die Ursachen und Auswirkungen der Krise der Sprache der Wissenschaft sieht. Dabei kann man Bereiche in der Wissenschaft zur Zeit Mauthners entdecken, für die seine Diagnosen zutreffen. Grundlegend dafür ist der Abschnitt „Wortaberglauben“ aus dem ersten Band der Beiträge.

 

Anschließend steht wieder Mauthners persönliche Identitätskrise zur Debatte, wenn er versucht seine deutschnationale Gesinnung philosophisch zu rechtfertigen. Die Grundlage für diese Untersuchung bildet seine 1907 erschienene Monographie Die Sprache[25].

 

Den Abschluss des dritten Teiles bilden zwei literarische Zeugnisse aus dem zentraleuropäischen Raum, die ebenfalls die Krise der Sprache reflektieren und verdeutlichen sollen, dass die Artikulation der Sprachkrise als fundamentales Problem des Weltverlustes aufgrund des sprachskeptischen Klimas in der Monarchie besonders früh und intensiv erfolgte. Die Texte sind zum einen der berühmte Chandos-Brief[26] Hugo von Hofmannsthals und ein Fragment aus dem Nachlass Franz Kafkas, das mit Von den Gleichnissen[27] betitelt ist.

 

Nach diesen ersten drei Teilen der Arbeit, die Mauthner als Person und sein Werk in der philosophischen Tradition und in seiner Zeit wie auch im soziokulturellen Kontext der Habsburgermonarchie verorten sollen, soll im vierten Teil gerade der zentraleuropäische Raum, dem ich aufgrund des sprachskeptischen Klimas einen privilegierten Zugang zur Erfassung der allgemeinen Sprachkrise attestiere, auf die Genese dieser sprachskeptischen Atmosphäre hin untersucht werden.

 

Diese Atmosphäre resultiert zunächst daraus, dass die Vielsprachigkeit der Monarchie im fortschreitenden 19. Jahrhundert Sprachenkrisen als äußeren Ausdruck der ihnen zugrundeliegenden Nationalitätenkämpfe hervorbrachte, die die Sprachen zu einem regelrechten Sprengstoff für die Monarchie machten. Dieser Ideologisierung der Sprachen im Nationalismus des 19. Jahrhunderts gehen einige historische Entwicklungen voran, die die Dispositionen für diese Probleme erst schufen.

 

Der vierte Teil dieser Arbeit gliedert sich darum in drei Unterkapitel, die diese Entwicklung von der frühen Neuzeit bis ins beginnende 20. Jahrhundert nachzeichnen. Die wesentlichen Phasen für diese Entwicklung sind erstens die Gebietserweiterung 1526, die den kleinen Kern um große Randbereiche vergrößerte, sowie die Reformation, Gegenreformation und das Barock. Neben der wachsenden kulturellen, ethnischen und politischen Heterogenität, die der Gebietsgewinn mit sich brachte, ist auch das Verhältnis von Reformation und Gegenreformation zur Sprache beachtenswert. Die Auswirkungen der regionalen Erweiterung beschreibe ich anhand der Überlegungen von Moritz Csaky[28], das Verhältnis der Reformation zur Sprache illustriere ich mit Luthers Sendbrief vom Dolmetschen[29], die internationale, barocke Bildersprache diskutiere ich an einer Passage aus Nietzsches Werk Menschliches, Allzumenschliches[30] und an einigen Überlegungen der Kunsthistoriker Carlo Giulio Argan[31] und Hans Sedlmayr[32]. Die mentalitätsgeschichtlich bedeutende Rolle des Jesuitenordens versuche ich durch

Max Weber[33] , Peter Hartmann[34] und Astrid Jahreiss[35] darzustellen.

 

Die zweite wesentliche Phase für die Genese einer sprachkritischen Atmosphäre sind die josephinischen Reformen im aufgeklärten Absolutismus. Dabei steht natürlich die Sprachenreform von 1784 im Zentrum der Überlegungen sowie Joseph von Sonnenfels und sein Werk Ueber den Geschäftsstil[36]. Zum einen lassen sich durch die Sprachenreform die Sprachenkrisen des 19. Jahrhunderts besser verstehen, zugleich sind aber auch im Geschäftsstil selbst Anleitungen zu einer mehrdeutigen Sprachverwendung erkennbar, deren Auswirkungen und Reflexionen ich unter verschiedenen Gesichtspunkten an Passagen aus Kafkas Der...

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