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E-Book

Kinderseelen verstehen

Verhaltensauffälligkeiten und ihre Hintergründe

AutorArmin Krenz
VerlagKösel
Erscheinungsjahr2012
Seitenanzahl176 Seiten
ISBN9783641068707
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis12,99 EUR
Kindliche Verhaltensformen wie Nägelkauen, Haareausreißen oder auffälliges Essverhalten sind fast immer Hilferufe an die Erwachsenen. Armin Krenz zeigt mit vielen Fallbeispielen, wie Eltern, ErzieherInnen und LehrerInnen die Botschaft hinter solchen Ausdrucksformen verstehen und ihren Kindern hilfreich zur Seite stehen können.
  • Hilferufe von Kindern
  • Kindliche Verhaltensauffälligkeiten verstehen
  • Mit vielen Fallbeispielen


Armin Krenz, Jg. 1952, derzeit Honorarprofessor für Entwicklungspsychologie und Elementarpädagogik et. Prof. h.c. Dr. h.c. (Landesuniversität Moskau), hat zunächst in einer Erziehungs- und Lebensberatungsstelle, dann als Fachbereichsleiter in einem Fort- und Weiterbildungsinstitut für ErzieherInnen und anschließend fast 30 Jahre als Wissenschaftsdozent am außeruniversitären Institut für angewandte Psychologie und Pädagogik in Kiel gearbeitet.

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Leseprobe

Einleitung

Drei Dinge sind uns aus dem Paradies geblieben: die Sterne der Nacht, die Blumen des Tages und die Augen der Kinder.

Dante Alighieri

Kinder sind in ihren Ausdrucksweisen und Möglichkeiten, persönliche Empfindungen und gedankliche Einschätzungen preiszugeben, nicht anders als Erwachsene. So gibt es liebenswürdige Kinder, die man gerne um sich hat – mit denen man gerne spielt, deren Erzählungen reichhaltig mit Wundern und Fantastereien angereichert sind, die voller Lebensfreude ihren Tagesablauf selbstständig gestalten, die durch ihre fröhliche Art andere Menschen um sich herum mit ihrem Optimismus regelrecht anstecken, die Hilfsbereitschaft an den Tag legen und für andere wahre Freunde sind oder mit ihren vielfältigen Aktivitäten deutlich machen, dass sie große Weltentdecker sind. Ihnen schließt man sich gerne als Begleiter auf dem Weg durch die weite Lebenswelt an.

Dann gibt es Kinder, die es einem nicht ganz so leicht machen, sie zu mögen, anzunehmen und zu akzeptieren, wie sie sind. Sie zeigen Verhaltensweisen, die uns Erwachsene manches Mal auf die Palme bringen, in Unruhe versetzen, sprachlos machen, in ihre tiefe Trauer mit hineinziehen oder uns einfach nur resigniert den Kopf schütteln lassen. Dabei fragt man sich selbst: »Was ist hier eigentlich los und warum verhält sich das Kind so ungewöhnlich?« Beispielsweise, wenn ein Kind behauptet, ein Gespenst sei in seinem Zimmer und würde nachts unter dem Bett hervorkommen. Auch wenn Erwachsene erklären, dass jedermann weiß, dass es Gespenster und Geister nicht gibt, kann am folgenden Abend dasselbe Szenario von vorne beginnen und das Kind sich erneut weigern, ins Bett zu gehen. Oder es fleht voller Inbrunst die Eltern an, sie mögen das Licht anlassen und die Tür nicht schließen.

Wie ist es möglich, dass Kinder Verhaltensweisen an den Tag legen, die einem persönlich fremd sind und die vielleicht in keiner Weise erklärbar scheinen?

Was trägt dazu bei bzw. was oder wer ist dafür verantwortlich, dass Kinder, die eigentlich Hunger haben müssten, kaum etwas essen und sich zu einem dünnen Hänfling oder Suppenkasper entwickeln, andere Kinder hingegen ständig Appetit zeigen und weit über ihr Essbedürfnis Nahrung zu sich nehmen?

Wie ist es möglich, dass manche Kinder mit dem wenigen Spielzeug, das sie haben, hoch zufrieden sind und andere Kinder immer wieder neue Spielsachen fordern, obgleich ihr Kinderzimmer schon einem gut gefüllten Warenhaus gleicht?

Wie kommt es, dass einige Kinder über viele Stunden ganz allein – und mit hoher Zufriedenheit – in ihrem Zimmer spielen und andere Kinder ständig die Erwachsenen fragen, ob sie nicht mit ihnen zusammen etwas spielen könnten?

Warum sind manche Kinder besonders hilfsbereit und können es beispielsweise ertragen, wenn sie von anderen Kindern gefragt werden, ob sie sich Teile der Spielsachen ausleihen können, und andere Kinder dagegen sofort protestieren, sich schützend vor ihr Spielzeug stellen und die fragenden Kinder mit den Worten bedrohen, sie sollen es bloß nicht wagen, das eigene Spielzeug anzufassen?

Wie ist es möglich, dass einige Kinder besonders gerne Süßigkeiten – und wenn möglich, ziemlich viel von diesem »süßen Kram« – essen und diese mit Heißhunger in sich hineinstopfen, andere Kinder hingegen zwar ab und zu eine Süßigkeit essen, aber insgesamt keinen großen Wert auf »Naschis« legen?

Warum scheint es einigen Kindern einfach nicht zu gelingen, Erwachsene aussprechen zu lassen, ohne sie zu unterbrechen, während es andere Kinder problemlos schaffen, erst dann zu reden, wenn Erwachsene zu Ende gesprochen haben?

Warum suchen einige Kinder ständig Anerkennung und Lob, wenn sie etwas gemalt oder hergestellt haben, und stellen dabei wiederholt die Frage: »Und wie findest du das?«, während andere Kinder mit ihrer Leistung selbst zufrieden sind und ihre erlebten Erfolge mit sich allein genießen?

Warum wählen manche Kinder, wenn sie Fragen stellen oder etwas erzählen wollen, eine besonders laute Sprache, sodass man sich als ZuhörerIn fast die Ohren zuhalten muss, um nicht mit einem geplatzten Trommelfell zum Ohrenarzt zu gehen, während andere Kinder hingegen so leise sprechen, dass man sie kaum verstehen kann?

Warum sind manche Kinder von offenem Feuer ganz fasziniert und geraten nahezu in Ekstase, wenn sie flackernde Kerzen oder brennende Holzscheite sehen, andere Kinder hingegen an offenen Feuerstellen eher desinteressiert vorbeigehen oder vielleicht eher die Sorge äußern, daraus könne ein großes Feuer entstehen?

Warum spielen manche Kinder den »Gruppenclown« und machen sich durch bestimmte Verhaltensweisen zum Gespött anderer Kinder, während andere Kinder nie auf die Idee kämen, sich einer öffentlichen Lächerlichkeit preiszugeben.

Diese und viele weiteren Fragen tauchen im Leben der Eltern im Laufe der Erziehung ihrer Kinder mal mehr oder mal weniger auf und lassen sie nicht zur Ruhe kommen, wollen doch die meisten Eltern nur das Beste für ihr Kind. Und dazu gehört nun einmal auch, ein Kind in seinen besonderen Ausdrucksweisen zu verstehen.

Eine Annäherung an die Welt des Kindes erfordert Empathie, die Wertschätzung der Wahrnehmung und Gefühle der Kinder und ein Interesse daran, die Sicht der Kinder auf ihre Welt zu verstehen.

Friederike Heinzel

In diesem Buch geht es darum, ganz bestimmte Ausdrucksweisen von Kindern zu verstehen – was sich gewissermaßen hinter den besonderen Ausdrucksformen der Kinder verbirgt. Auf der einen Seite können wir sagen, dass die gesamte Wahrnehmung des Menschen lediglich auf das ausgerichtet ist, was wir sehen, fühlen, riechen, schmecken oder hören können. Auf der anderen Seite hat der Mensch eine Psyche – ein Seelenleben –, die nicht ohne Weiteres erkennbar ist. Und genau hier setzt dieses Buch an. Die Ausführungen sind dabei auf die Symbolik, einen sogenannten Bedeutungswert kindeigener Ausdrucksformen ausgerichtet. Carl Gustav Jung, einer der bekanntesten Psychoanalytiker, sagte einmal: »Ein Wort oder ein Bild ist symbolisch, wenn es mehr enthält, als man auf den ersten Blick erkennen kann.« (Jung 1968)

In der sogenannten anthropologischen Forschung wird davon ausgegangen, dass im Zuge der Entwicklung des Menschen vieles, wenn nicht gar alles, als Sinnbild verstanden werden kann. Sinnbilder haben sich über Jahrhunderte, selbst über Jahrtausende erhalten und dabei an ihrer universellen Bedeutung nicht verloren. Kinder zeichnen auf ihren Bildern der Sonne ein Gesicht oder lassen ihrem »magischen Denken« freien Lauf. Etwa, wenn sie noch an den Weihnachtsmann bzw. den Osterhasen glauben, wenn sie ihre Puppen füttern oder ihre Spielzeugautos in die Garage bringen, damit diese nicht frieren. Sie nehmen ihren Teddy mit ins Bett, damit er im Dunkeln keine Angst hat, oder sie erzählen ihrem Haustier ihre Sorgen, so als ob die Tiere sie verstehen könnten.

Symbole begegnen uns überall. Sucht man nach der ursprünglichen Bedeutung des Wortes »Symbol«, lässt sich dieses aus dem griechischen »symballein« ableiten, was seinem ursprünglichen Wortsinn nach »zusammenfügen, an einen sinnvollen Ort zusammenbringen« heißt. So besaß das Symbol in der Antike – ganz der Wortbedeutung des Zusammenfügens entsprechend – einen sowohl besonders bedeutsamen wie praktischen Wert. Ein in zwei Teile durchbrochener Gegenstand, etwa ein Siegelabdruck, ein kleines Bild, ein Ring oder eine Scheibe aus Holz, Metall oder Ton, konnte durch Zusammenfügen wieder zu einem Ganzen werden. Geschäftsfreunde, Schuldner und Gläubiger haben beispielsweise beim Abschied oder nach einer Vereinbarung einen bestimmten Gegenstand zerbrochen, und wenn sie erneut miteinander in Kontakt traten, wurden diese Teile als Erkennungszeichen aneinandergefügt. Passten die Bruchränder passgenau zusammen, so war dies ein sicheres Erkennungszeichen für die korrekte Identität der Personen. Man könnte dieses Vorgehen mit der heutigen PIN im Zahlungsverkehr oder einer bestimmten Parole gleichsetzen.

Im übertragenen Sinn kann es heißen, das vernunftmäßig Erklärbare und einen dahinter liegenden Sinn zu verbinden, das menschlich Sichtbare und Unsichtbare in eine Verbindung zu bringen, das Offensichtliche mit dem Geheimnis zu verknüpfen oder das tatsächlich Beobachtbare mit einem nicht erkennbaren Sinn zu vernetzen. Anders ausgedrückt: Wir leben nicht nur in einer Welt, umgeben mit Symbolen, sondern eine große Welt von Symbolen lebt auch in uns Menschen. Wir träumen in Symbolen, reichern unsere Sprache und unser Denken mit Symbolen an und gestalten unsere alltäglichen Handlungsweisen mithilfe von Symbolen (Kleidungswahl, körpersprachliche Ausdrucksweisen, besondere Vorlieben in der Freizeitgestaltung, Wahl der Hobbys). Darüber hinaus kommen vor allem in den Fachrichtungen der Theologie, der Medizin (Krankheitssymptome als Erkennungsmerkmale für Krankheit auslösende Ursachen), der Poetik, der Soziologie, der Anthropologie, der Philosophie, der Kunst und Ästhetik sowie der psychoanalytisch orientierten Psychologie Symbole und Symbol(be)deutungen zum Tragen.

In diesem Buch geht es um Symbole und Symbol(be)deutungen im Verhalten der Kinder – hauptsächlich ausgerichtet nach den Fachdisziplinen der psychoanalytisch orientierten Psychologie (Carl Gustav Jung) und der Anthropologie (Mary Douglas, Raymond Firth, Dan Sperber, Victor Turner und Roy Wagner). Doch statt ausführlicher Symboltheorien finden hier ausgewählte, praktische Beispiele aus einer über 30-jährigen therapeutischen Arbeit mit Kindern und ihren Familien Platz. Ebenso Beispiele,...

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