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E-Book

Das große Siegel

Von der grenzenlosen Einsicht in die Natur des Geistes

AutorLama Ole Nydahl
VerlagVerlagsgruppe Droemer Knaur
Erscheinungsjahr2012
Seitenanzahl304 Seiten
ISBN9783426415009
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis8,99 EUR
Entdecken Sie den Weg zur Erleuchtung mit Lama Ole Nydahls tiefgründiger Erläuterung des 'Großen Siegels' - der Essenz des Diamantweg-Buddhismus. In diesem Buch erläutert der renommierte buddhistische Lehrer Lama Ole Nydahl den uralten tibetischen Weisheitstext, der unter der Bezeichnung »Das Große Siegel« bekannt ist. Dieser Text beschreibt den Weg und das Ziel des Diamantwegs, eines buddhistischen Erleuchtungspfades, der tiefgreifende Einsichten in die Natur des Geistes schenkt. Lama Ole Nydahl veranschaulicht die zeitlosen Weisheiten dieses Dokuments anhand vieler anschaulicher Beispiele aus der heutigen Zeit. Er führt den Leser Schritt für Schritt zu einem erleuchteten Handeln im Hier und Jetzt, jenseits von Erwartungen oder Befürchtungen. Durch das Loslassen von Anhaftungen gelangt man zu innerer Reife und letztendlich zur Erleuchtung. Dieses Buch ist ein wertvoller Begleiter für alle, die sich für Buddhismus, fernöstliche Weisheit und spirituelle Praxis interessieren. Lama Ole Nydahls einfühlsame und klare Erläuterungen machen die tiefgründigen Lehren des 'Großen Siegels' für jeden zugänglich und anwendbar.

Lama Ole Nydahl ist einer der bekanntesten Buddhisten des Westens und wurde 1972 vom Karmapa, dem Oberhaupt der tibetischen Karma-Kagyü-Schule, als buddhistischer Lehrer nach Europa geschickt. Nur wenige Jahre später wurde er zum Lama ernannt. Seitdem bereist er die Welt, um Vorträge zu halten, Meditationskurse zu leiten und Zentren zu gründen - mittlerweile über 600 in Europa, Amerika und Australien; davon über 150 allein im deutschsprachigen Raum.

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Leseprobe

Einleitung


Jede Beobachtung der äußeren wie der inneren Welt wirft einen auf den Geist (jedes im Glossar erklärte Wort wird beim ersten Vorkommen im Buchtext kursiv gesetzt) zurück. Nur er ist ständig und wirklich vorhanden, jedoch nicht als irgendetwas Dingliches. Das, was wahrnimmt, ist seinem Wesen nach unveränderlich und zeitlos wie der Raum, während das Wahrgenommene – die inneren Zustände wie auch der äußere Rahmen – in ständigem Wandel begriffen ist. Nur der Erleber allen Geschehens – der Geist selbst – ist immer und überall.

Das Große Siegel (tibet.: Chag Chen, sanskr.: Mahamudra) wurde von Buddha gelehrt, um den Geist voll zu erwecken und seine Erleuchtung zu besiegeln. Wer die Strahlkraft des Spiegels hinter den Bildern fortwährend erkennt und die Unerschütterlichkeit des tiefen Meeres jenseits seiner Wellen erlebt, ist am Ziel.

Der buddhistische Weg ist eine ständig anwachsende Erfahrung von innerem Reichtum und Freude, die mit der Erleuchtung dauerhaft wird. Die Wonne zeigt in den Augenblicken ihren Reiz, in denen keine Gewohnheiten oder Erwartungen einen ablenken. Einige erahnen die Kraft dieses Zustandes beim freien Fall, bevor sich der Fallschirm öffnet, oder in der Schräglage auf dem Motorrad, andere während der Verschmelzung in der Liebe. Er zeigt sich blitzschnell beim Niesen, als das freudige »Aha« bei einer neuen Einsicht oder während man das Glück anderer nachempfindet. Wer einen der unterschiedlichen Wege des tibetischen Buddhismus mit seinen bis heute lebendigen Übertragungen geht, kann innerhalb eines Lebens solche Augenblicke zu einem Dauerzustand ausdehnen. Schon nach einer kurzen Begegnung mit einem Lehrer des Großen Siegels, und vor allem durch die freundschaftliche Verbindung mit ihm und die Mitarbeit in seinen Gruppen, fängt ein umfassendes geistiges Wachstum an. Sowohl in der Meditation als auch im restlichen Leben wird man immer beständiger ein freudiges Einssein mit allem erleben, bis man sich schließlich wundert, dass man jemals Leid und Enge erlebte.

»Raum ist Freude«, »Jedes Geschehnis ist das freie Spiel des Geistes«, »In allen Wesen den möglichen Buddha sehen und bewusst Körper und Rede einsetzen, um ihre innewohnende Kraft hervorzubringen« – derartige Aussagen zeigen seit Buddhas Zeiten den grenzenlosen Reichtum der Verwirklicher, sie beschreiben das Ziel und den Weg des Großen Siegels. Seine geschickten Mittel ermöglichen selbstständigen Menschen, auch anderen zu helfen. Das Große Siegel erklärt ohne übertriebene Wissenschaftlichkeit oder Gefühlsduselei sowohl das Letztendliche (das Ziel) als auch das Bedingte (den Weg) als an sich freudvoll. Angesichts der heute oft geschmacksarmen geistigen Fertigmenüs haben diese Belehrungen für viele Menschen eine wachsende Anziehungskraft.

 

Erleuchtung ist die volle Entfaltung aller Eigenschaften und Fähigkeiten der Wesen, einschließlich der unentbehrlichen Vernunft. Deshalb kann auch der Weg dahin nichts enthalten, was abgehoben oder unverständlich wäre. Karmapa weiß das. Und obwohl er diesen Text so ausdrucksstark und kunstvoll verfasste, genügt ein bloßes Mitschwingen mit den Versen nicht. Erst durch kritisches Mitdenken können seine Worte ganz entschlüsselt werden. Daher meine auf die heutige Welt zielenden Erläuterungen.

Ohne kritisches Nachdenken werden mehrere Bedeutungsebenen zu spät oder nicht erkannt. Deswegen wähle ich mitunter Erläuterungen aus der jetzigen Zeit, die einem die Augen öffnen für die Welt. So wird das Verständnis für den Text geschärft und man bekommt einen reifen Überblick über die Geschehnisse. Gleichzeitig entwickelt man dadurch die Fähigkeit, die Bedingungen des täglichen Lebens zu meistern.

Jede buddhistische Entwicklung setzt mit einer Untersuchung der Ausgangssituation an. Zu Beginn jeder Übung begreift man zunächst, dass die im eigenen Leben gerade vorhandenen Bedingungen eine höchst kostbare und erstaunlich seltene Möglichkeit bieten: Man kann tatsächlich bewusst sein Leben in Richtung Befreiung und Erleuchtung steuern. Nur sehr wenige haben die Gelegenheit, gebildet, frei und fähig Buddhas Lehre in ihrer ganzen Fülle zu begegnen, und noch viel weniger nutzen ihr Glück.

Die zweite Überlegung betrifft die Vergänglichkeit aller Dinge. Jeder kann jeden Augenblick sterben. Äußeres wie Inneres ändern sich ständig. Nur das leuchtende Gewahrsein des Geistes ist unvergänglich und überall. Das ist es, was den Geist so wichtig macht. Man versteht, dass man die Zeit jetzt nutzen sollte, denn niemand weiß, wie lange er noch leben wird.

Die dritte Überlegung gilt dem Gesetz von Ursache und Wirkung (sanskr.: Karma, tibet.: Lä). In jedem Augenblick bestimmen die Gedanken, Worte und Taten eines jeden seine Zukunft. Man legt ständig selbst die Samen für das eigene Erleben, und es lohnt sich, sehr bewusst zu sein. Werden schädliche Eindrücke nicht entfernt, reifen auch sie als Erfahrungen heran, die denselben Gefühlsgehalt tragen wie ihre Ursachen.

Schließlich begreift man, warum es sinnvoll ist, sich zu entwickeln. Man sieht, wie jedes Wesen mit bedingten und deswegen kurzfristigen Mitteln nach dauerhaftem Glück strebt und zugleich Leid vermeiden will, was offensichtlich unmöglich ist. Erleuchtung bedeutet, einen Glückszustand zu verwirklichen, der weder vergehen noch sich auflösen kann, und diese reiche Möglichkeit des Geistes aus Faulheit auszublenden, wäre schade. Wer glaubt, der Körper zu sein und die Dinge zu besitzen, findet bei Krankheit, Alter, Tod und Verlust keinen Halt. Man hat dadurch weniger Kraft und vermisst häufig den nötigen Weitblick, um anderen langfristig helfen zu können.

Diese vier Überlegungen führen zur Suche nach Werten, denen man wirklich vertrauen kann. Hat man sie gefunden, lockt ihre Verwirklichung. Die Öffnung von Körper, Rede und Geist unveränderlichen Zuständen gegenüber wird im Buddhismus Zuflucht genannt.

Das Einzige, was überall und zeitlos vorhanden ist, ist der Raum. Obwohl er häufig als ein Nichts oder etwas Fehlendes verstanden wird, ist er bestimmt kein schwarzes Loch. Viel eher ist er ein Behälter, der alles verbindet, ermöglicht und umfasst. Das Wesen des Raumes ist furchtlose Einsicht. Seine Erfahrung ist spielerische Freude und sein Ausdruck tatkräftige Liebe. Buddha (tibet.: Sangye) verkörpert diese vollkommene Verwirklichung. Deshalb ist sein erleuchteter Bewusstseinszustand die erste Zuflucht.

Der Buddha unserer Zeit, Shakyamuni Gautama, lebte vor 2600 Jahren. Er ist der vierte von tausend Buddhas, die, solange begabtes Leben auf der Erde besteht, erscheinen werden. Da dieselbe Wahrheit – die Buddhanatur – allen Wesen innewohnt, ist es ein großes Geschenk, dazu Zuflucht nehmen zu können. Buddhas Belehrungen erinnern einen ständig daran, dass man genau die gleichen Voraussetzungen hat wie er, um zur Erleuchtung zu gelangen. Man muss sich nur zielgerichtet entwickeln.

Die zweite Zuflucht, die er gab, ist der Weg zur Erleuchtung. Seine Lehre (sanskr.: Dharma, tibet.: Chö) besteht aus 84000 Hilfsmitteln, die in 108 dicken Büchern festgehalten sind. Sie ermöglichen jedem, mit der gewünschten Geschwindigkeit zum Ziel zu kommen.

Die dritte Zuflucht, die Freunde auf dem Weg (sanskr.: Sangha, tibet.: Gendün), sind die so genannten Bodhisattvas, anerkannt oder unbekannt, mit deren Hilfe man sich entwickelt. Ihre Fähigkeit zu helfen zeigt sich durch zwölf Eigenschaften, die sich auf jeder von zehn Ebenen bis zum Buddhazustand verzehnfachen. Auf der ersten Stufe kann man z.B. 100 Menschen von Nutzen sein, auf der zweiten 1000, auf der dritten 10000 usw. Da sie sowohl Äußeres als auch Inneres wie einen Traum erfahren, sind sie unverwundbar und dank ihrer starken Wünsche, anderen zu nutzen, werden auch sie eine echte Zuflucht.

Jede buddhistische Schule nimmt Zuflucht zu diesen so genannten Drei Juwelen: Buddha, seiner Lehre und den Freunden auf dem Weg (Buddha, Dharma, Sangha). Im Diamantweg (tibet.: Dorje Thegpa, sanskr.: Vajrayana) des tibetischen Buddhismus öffnet man sich zusätzlich einer vierten Zuflucht, die die ersten drei zusammenbringt und im Leben verankert. Es ist der verwirklichte Lehrer, der einen als unmittelbares Beispiel auf dem Weg begleitet (sanskr.: Guru, tibet.: Lama).

Er gibt, wie hier der 3. Karmapa, seinen Schülern einen direkten Zugang zu ihrem Geist. Um Gerüchte zu vermeiden, muss man von ihm erwarten können, dass er für jeden ersichtlich als Mönch, Laie oder Verwirklicher lebt. Er muss die Verbindungen zu seinen Lehrern halten, das sichert die Übertragung ab, echte Lebenserfahrung besitzen und Buddhas Körper, Rede, Geist, Eigenschaften und Tatkraft sinnvoll vertreten. Zusätzlich soll er die Drei Wurzeln der Erleuchtung vermitteln: Begeisterung in seinen Schülern durch Segen erwecken, die besonderen Mittel des Diamantweges richtig weitergeben und mit erleuchteten Schützern verbunden sein, deren kraftvolle, von Flammen umgebenen Formen die meisten aus Museen oder Kunstbüchern kennen. So macht der Lehrer jede Erfahrung zu einem Schritt auf dem Weg des Schülers. Jeder, der sich schnell entwickeln will, sollte sich die Mühe machen, mögliche Lehrer möglichst ungeschminkt zu beobachten, bevor man sich auf sie einlässt. Er sollte sie möglichst ohne die Verpackung einer fremden Kultur und ohne exotisches Make-up – also im Alltag – überprüfen und dann selbst entscheiden, ob sie dasselbe tun und sagen und ob man ihr Beispiel...

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