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E-Book

Was unsere Kinder glücklich macht

Lebenswelten von Kindern verstehen

AutorSabine Andresen
VerlagKreuz
Erscheinungsjahr2012
Seitenanzahl200 Seiten
ISBN9783451339301
FormatePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis14,99 EUR
Die einen fordern mehr Disziplin, die anderen halten sie gar für Tyrannen. Sabine Andresen hingegen fragt bei den Kindern selbst nach. Ihre Einsichten basieren auf der ersten World Vision-Kinderstudie, die sie gemeinsam mit Klaus Hurrelmann durchgeführt hat. Wir erfahren, was die Sechs- bis Zwölfjährigen in ihrem Alltag bekümmert und was sie glücklich macht. Ein so überraschender wie hinreißender Blick in die Seelen der Kinder.

Sabine Andresen, geb. 1966, Professorin an der Universität Frankfurt, Jurymitglied des Deutschen Kinderpreises. Zusammen mit Klaus Hurrelmann führte sie die erste World Vision-Kinderstudie durch.

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Leseprobe

Einleitung


Auf die Bitte, fünf Dinge zu nennen, die jedes Kind, egal wo es aufwächst, für ein gutes Leben braucht, zählt die sechsjährige Cora eine Banane, eine S-Bahn, ein Bett, ein Haus mit vielen Fenstern und eine Lampe auf. Denn, so erklärt uns Cora, wenn Kinder nachts aufstehen müssen, weil sie nicht schlafen können oder Angst haben, oder aber wenn sie ihr Kuscheltier suchen, »dann brauchen die auch Licht«. Der sechsjährige Ben zeichnet das für ein glückliches Kinderleben Unverzichtbare: Zunächst sehen wir eine Münze, denn »ein bisschen Geld braucht man, sonst kann man sich nix kaufen«, danach malt Ben ein Haus, »damit man irgendeine Wohnung hat, und es nicht irgendwo reinregnet«, wir sehen einen Teller auf dem Papier entstehen, und zwar mit Milchreis, Zimt und Zucker und ein Auto, »damit man nicht die ganze Strecke irgendwohin laufen muss«. Schließlich schreibt Ben seinen Namen auf, denn jedes Kind muss einen eigenen Namen haben: »Damit wir nicht alle heißen ›Namenloser‹. Wenn man ›Namenloser‹ sagt, dann denkt der Andere er ist’s, und dabei ist es ein anderer.« (World Vision 2010, S. 250 f.)

Was Kinder glücklich macht und was sie sich für ein gutes Leben wünschen, das sollten wir auf jeden Fall die Kinder selbst fragen. Cora und Ben haben für Sechsjährige schon recht klare Vorstellungen davon, was gut für sie persönlich und für andere Kinder in der Nachbarschaft oder in anderen Teilen der Welt ist. Wir haben in unseren Befragungen die Erfahrung gemacht, dass Kinder sehr auskunftsfreudig sind und uns gerne von ihren Eindrücken berichten, ihre Werte erklären und uns an ihren praktischen ebenso wie an den zuweilen philosophischen Überlegungen teilhaben lassen.

Die Frage nach dem Glück ist besonders spannend und sie liegt Kindern auch am Herzen: Kinder wissen meist, dass die Grundbedürfnisse erfüllt sein müssen, aber es macht sie auch glücklich, wenn es nicht nur genug Mahlzeiten am Tag gibt, sondern das Essen auch noch gut schmeckt. Und selbstverständlich müssen Kinder immer etwas trinken können, wenn sie durstig sind, allerdings sollte das in ihren Augen nicht immer nur Wasser sein, eine Cola kann manchmal auch Glück bedeuten. Zu den Grundbedürfnissen zählen Kinder ebenfalls Kleidung und eine trockene und warme Unterkunft, ja, jedes Kind braucht ein »Dach über dem Kopf« und natürlich Spielzeug, damit einem nicht so langweilig ist. Unter dem »Dach über dem Kopf« wollen die Kinder mit Menschen leben, die sich um sie kümmern, sie lieben, mit ihnen lachen und die sie trösten. Das verdient in den Augen der Kinder die Bezeichnung »Zuhause« und ein solches Zuhause zu haben, das halten alle von uns befragten Kinder für unverzichtbar.

Eine glückliche Kindheit hängt maßgeblich von guten Beziehungen zu verantwortungsvollen, fürsorglichen, respektvollen, warmherzigen, humorvollen und aufrichtig an Kindern interessierten Erwachsenen ab. Der Kindheitsforscher Urie Bronfenbrenner hat dafür eine sehr plakative Formel gefunden: jedes Kind benötige mindestens einen Erwachsenen, der verrückt nach ihm sei. Alle Kinder würden dies vermutlich bestätigen, denn nichts ist für sie so zentral, wie uneingeschränkt wohlwollende Erwachsene, zuhause, aber auch im Kindergarten, in der Schule oder im Verein.

Doch zu den fünf unverzichtbaren Dingen eines guten Kinderlebens gehören für unsere Kinder auch ihre Freundinnen und Freunde. Kinder denken sofort an ihre beste Freundin, mit der sie fast jedes Geheimnis teilen, oder an den guten Freund, der immer zu einem Fußballspiel bereit ist. Wer darum bemüht ist, Kinder glücklich zu machen, sollte ihnen viele und gute Gelegenheiten geben, mit anderen Kindern zusammen zu treffen und Freundschaften zu schließen. Um Freundschaften zu pflegen, benötigen Kinder wie Erwachsene jedoch Zeit, und in unserer heutigen Welt scheint Zeit, zumal selbstbestimmte Zeit, ein knappes Gut zu sein. Die Bedeutung von Beziehungen zeigt sich übrigens auch in den Befunden der Kinderglücksstudie, die vom ZDF in Auftrag gegeben wurde (Bucher 2009).

Manche Kinder sind auch der Meinung, dass ein Handy unverzichtbar für ein glückliches Leben sei, es ermögliche ihnen schließlich Kommunikation. Mit einem eigenen Handy können sie sich selbstständig verabreden oder schnell nach der Lösung für die Mathehausaufgaben fragen. Eltern haben in diesem Punkt durchaus andere Vorstellungen, im Übrigen auch, was den Medienkonsum ihrer Kinder angeht: Kinder wünschen sich meist gerne etwas mehr Zeit am Fernseher und Computer und möchten sich dabei nicht kontrollieren lassen. Dies ist ein ganz normales Beispiel aus dem Alltag vieler Familien und es führt uns vor Augen, dass sich die Vorstellungen unserer Kinder nicht in jedem Punkt mit denen ihrer Mütter und Väter decken können. Eltern müssen in der Erziehung oftmals andere Meinungen vertreten und auch durchsetzen. Aber etwas mit guten Gründen zu verbieten oder zu kontrollieren ist nur ein Teil der Erziehung, ein anderer Aspekt hingegen ist, die guten Gründe auch zu kommunizieren und den Kindern zu erklären. Manchmal hilft es vielleicht, sich daran zu erinnern, dass wir Erwachsenen uns in diesem Punkt kaum von Kindern unterscheiden: Auch wir möchten wissen, warum uns etwas versagt wird, auch wir wollen die Gründe kennen, auf deren Basis andere in unseren Alltag eingreifen. Nicht anders ergeht es den Kindern. Sie sind empfänglich für die Begründung unserer Handlungen, unserer Regeln und Einstellungen. Vermutlich werden sie sich dennoch ab und zu darüber ärgern, wenn ihr Medienkonsum kontrolliert wird, aber das gehört zum Zusammenleben.

 

Dieses Buch widmet sich der Frage, was unsere Kinder glücklich macht, und es erkundet die Lebenswelten von heutigen Kindern. Dabei geht es auch auf die Suche nach den Einflüssen, die gerade soziale Unterschiede in den Lebenswelten auf das Glück von Kindern haben. Damit verbunden soll dargelegt werden, was wir eigentlich über gute Rahmenbedingungen eines heutigen Kinderlebens wissen. Jedes Kind ist anders, und jedes Kind will als einzigartig anerkannt werden. Ben hat diese Tatsache ja sehr deutlich benannt, indem er fordert, dass jedes Kind einen eigenen Namen braucht. Eltern werden dies mühelos bestätigen können: Jedes Kind ist etwas Besonderes.

Kann man angesichts dessen dann überhaupt zu allgemeinen Aussagen über das Glück unserer Kinder kommen, und lassen sich allgemeine Rahmenbedingungen identifizieren? Ich denke ja, wir können eine ganze Reihe allgemeiner und übergreifender Befunde nennen, die beleuchten, unter welchen Bedingungen Kinder die Möglichkeit haben, all ihre Begabungen zu entfalten. Wichtig sind die sozialen Bedingungen, unter denen Erwachsene mit Kindern den Alltag gestalten. Dazu gehört zuerst die Gestaltung unserer Gesellschaft als familien- und kinderfreundliche Kultur, und da haben wir sicherlich Nachholbedarf. Für Mütter und Väter wünscht man sich die Möglichkeit, berufliche Pausen einlegen und darauf vertrauen zu können, durch die Betreuung ihrer Kinder keinen Karrierebruch zu erleiden und wieder in den Beruf einsteigen zu können. Eine Balance zwischen Familien- und Erwerbsleben ist auch aus der Sicht von Kindern zentral, und damit darf man Familien nicht allein lassen. Eine solche Balance bedarf familienfreundlicher Arbeitszeiten, guter Wiedereinstiegsmöglichkeiten in den Beruf besonders für die Mütter, es bedarf einer ausreichenden Entlohnung und eines ausreichenden und qualitativ hochwertigen Betreuungsangebots. Hier sind demnach Politik und Wirtschaft in der Verantwortung und sie müssen sich fragen lassen, ob sie genug und das Richtige für Familien tun. Kinder glücklich machen zu wollen, ist sicherlich das Herzensanliegen ihrer Eltern, aber es ist keine Aufgabe, die allein im Privaten zu bewältigen ist. Alle Bereiche des öffentlichen Lebens sollten sich angesprochen fühlen.

Solche Befunde, Einschätzungen und Überlegungen zu den Bedingungen des Aufwachsens unserer Kinder sind Gegenstand dieses Buches.

Glücklich zu sein verstehe ich als eine Möglichkeit des Kindes, seine Fähigkeiten und Begabungen ausbilden und sich verwirklichen zu können. Glücklich kann ein Kind sein, wenn es ein Umfeld hat, in dem Freiheiten und Fürsorge sich in einer guten Balance befinden. Kinder wollen zwischen echten Optionen wählen, sie wollen in Entscheidungen eingebunden sein, sie wollen aktiv handeln können, womit nicht gemeint ist, ihnen zu viel Verantwortung aufzubürden.

Aber keine noch so gute Erziehung, keine noch so gelungene Teilhabe kann garantieren, dass Kinder glücklich werden und es als Erwachsene auch bleiben. Auch trifft das Sprichwort »jeder ist seines Glückes Schmied« auf Kinder nicht zu, weil sie prinzipiell von Menschen und Bedingungen abhängig sind. Dennoch müssen wir davon ausgehen, dass Glück und Glücksempfinden stets sehr subjektiv erlebt werden. Das Buch wird folglich keine Rezepte enthalten, wie Mütter und Väter, Großeltern, Erzieherinnen oder Lehrer, Politiker oder Finanzexperten, Filmemacher oder Literaten Kinder glücklich machen können. Aber in den einzelnen Abschnitten wird herausgearbeitet, worin wir das Potenzial für ein glückliches Aufwachsen sehen können und wer welchen Anteil an einem glücklichen Aufwachsen hat.

Um Glücksempfindungen in der Kindheit zu erkennen und einschätzen zu können, wird immer wieder auf die Aussagen und Meinungen von Kindern selbst zurückgegriffen. Das Spannende gerade an ihren Sichtweisen ist ihre Verschränkung von ganz konkreten Ideen mit abstrakten Idealen: So verbinden sich dann bei der Frage nach dem Glück in den Köpfen unserer Kinder der Teller voll Milchreis, Zucker und Zimt mit der Bedeutung des Rufnamens,...

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