Fürchtet euch nicht! –
Vorbemerkungen
Ich fange mit einer Anekdote an: 2011, also im Jahr 22 nach dem Fall der Mauer, lud mich die Frauenarbeit im tiefsten Süden Deutschlands zu einem Vortrag ein – über Frauen in der Kirche. Vorgestellt wurde ich dem geneigten Publikum als »Frau mit einer Außenperspektive«. Wohlgemerkt: Ich habe einen deutschen Pass, spreche fließend Deutsch und habe mein bisheriges Berufsleben in deutscher Theologie und Kirche verbracht. Einige Zuhörerinnen schauten entsprechend fragend, bis sich herausstellte, dass die Veranstalterin mein Aufwachsen in der DDR als eine Art Migrationshintergrund einstufte.
Das Publikum war in Teilen empört, ich war erst überrascht und dann nachhaltig amüsiert. Die Veranstalterin hatte natürlich recht: Wenn es um feministische Generationenkonflikte, um Rabenmütter und gut gepflegten weiblichen Selbstzweifel geht, bin ich in der Tat eine Ausländerin – mit dem Unterschied, dass das frühere Ausland DDR heute genauso Inland ist wie der tiefste Süden der Bundesrepublik. So viel zu meinem Ausgangspunkt, von dem aus ich mich meinem Thema nähere: Frauen machen Kirche.
Machen sie das wirklich? Es gibt Fakten, die dagegen zu sprechen scheinen:
Die große Zielvorgabe der EKD-Synode von 1989 – 40 Prozent Frauen in allen Gremien und Führungspositionen: gescheitert. Derzeit freuen wir uns zwar wieder über drei Bischöfinnen, aber was ist das unter 22? Die erste Frau in der höchsten Position der evangelischen Kirche, die große Leuchtturmfrau Margot Käßmann – 2010 gescheitert. Der Anteil der Frauen an den Führungsämtern in der evangelischen Kirche geht eher zurück, und für Frauenfragen will niemand mehr zuständig sein, höchstens noch für Gleichstellung oder Gender. Machen Frauen Kirche?
Da sind natürlich noch die Pfarrerinnen. Im zweiten Jahrtausend nach dem berühmten biblischen Satz: »Hier ist weder Mann noch Frau …« besetzen in den evangelischen Kirchen in Deutschland Frauen ein Drittel der Pfarrstellen. Das ist natürlich ein Erfolg. Aber noch kein Grund zur Euphorie. Auch wenn manche – erinnert sich noch jemand an die Thesen des Münchner Theologieprofessors Friedrich Wilhelm Graf vom vergangenen Frühjahr? – wegen der vielen Pfarrerinnen eine »Feminisierung der Kirche« fürchten und besorgt einen Trend zur »Kuscheltheologie« auszumachen meinen. Graf hatte sich bei einer Tagung von FAZ und Herrhausen-Gesellschaft dazu hinreißen lassen, alle Theologiestudentinnen als »Muttitypen« zu diffamieren. Es sei ihm, so im Nachhinein die rhetorischen Entgleisungen rechtfertigend, nur darum gegangen, einmal die Frage zu stellen, wie sich denn die Kirche verändern würde, wenn Frauen mehrheitlich das Sagen hätten. Ja, wie würde sie sich wohl verändern?
Eine Schelmin, die nicht an die Unschuld dieser Frage glaubt. Von Zeit zu Zeit muss Kirche offenbar gegen den Verdacht von zu viel Weiblichkeit verteidigt werden. Das ist übrigens nichts wirklich Neues. Ein kurzer Blick in die Geschichte der evangelischen Kirche im 20. Jahrhundert genügt: Im November 1939 erschien im Berlin-Steglitzer Sonntagsbrief ein Artikel, der der antichristlichen Stimmung entgegentreten wollte. Gegen den Vorwurf, das Christentum sei eine »Religion der Unmännlichkeit und der Weichlichkeit«, führte das Blättchen triumphal die hohe Zahl von Theologiestudenten unter den Gefallenen des Ersten Weltkriegs ins Feld: »Es gibt keine andere Erklärung als die, dass diese jungen Menschen sich an Jesus Christus gebunden gewusst haben, dass dieser Jesus Christus dem Tode die Macht genommen hat und dass darum die, die an ihn glauben, dem Tod mit Freudigkeit ins Auge sehen.« (Archiv Berlin 1) Nein, so wollte der Autor sagen, das Christentum ist nicht unmännlich oder gar weiblich, und er benutzte ein einfaches Rezept: Er reduzierte die Theologiestudenten auf ihre Geschlechtlichkeit und deutete ihren Tod fürs Vaterland als Frucht ihres christlichen Glaubens. Das Christentum, so wollte er sagen, gehöre auf die Seite der Vaterlandstreue und der Männlichkeit.
Nun mag die Herstellung einer Verbindung zwischen dem Jahr 1939 und Friedrich Wilhelm Graf heute etwas krass erscheinen. Bei näherem Hinsehen ist sie es nicht. Das Argument der Marginalisierung des Christlichen durch seine Verweiblichung hat das militärische Gewand zwar abgelegt. Die Kirche muss heute nicht mehr gegen den Vorwurf verteidigt werden, sie sei nicht soldatisch genug. Heute muss sie offenbar gegen den Vorwurf verteidigt werden, sie sei intellektuell nicht satisfaktionsfähig. Ein und dasselbe Argument kommt nur im anderen Gewand daher. Bereiche, die von Frauen geführt werden, so der gemeinsame Grundtenor, verlören wahlweise ihr wissenschaftliches, politisches oder gesellschaftliches Ansehen. Friedrich Wilhelm Graf gegenüber der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung: »Wir erleben nun eine Art Infantilisierung der Kommunikation.« (27. 3. 2011)
Machen Frauen Kirche? Wo Spitzenpositionen zu vergeben sind, eher weniger, und mehr da, wo es um die klassische Kümmerarbeit geht. Rechtlich gibt es zwar keine Unterschiede zwischen Männern und Frauen, weder im Pfarramt noch in anderen Ämtern, aber in den Leitungsfunktionen sind Unterschiede nicht zu übersehen. Nur Wenige schaffen es nach ganz oben. Die gut bezahlten Jobs in Kirche und Diakonie sind bis heute Männerdomänen. Frauen wuchten demente Alte in ihre Betten, begleiten Kinder auf den Spielplatz, arbeiten Schicht im Krankenhaus – und gehen mit der kleinen Lohntüte nach Hause, als Zuverdienerinnen. Vor allem dort machen Frauen Kirche.
Mir genügt das nicht. Mich macht das unruhig. Es macht mich unruhig, wie Margot Käßmann in den Medien als eine Verkörperung des »unverkrampften Feminismus« (Reinhard Bingener, FAZ, 28. 10. 2009) gefeiert wird, weil sie – wie Ursula von der Leyen in der Politik – Muttersein und Karriere lebt, als wäre es ganz selbstverständlich. Ihre Botschaft, glauben die Medien, lautet: Es geht doch! Mädels, nehmt euch einfach zusammen. Das F-Wort braucht kein Mensch.
Margot Käßmann selber stellt fest: »Frauen sind auch unabhängiger geworden im Blick auf die eigene Berufstätigkeit; damit ist eine Unabhängigkeit erreicht, wie sie keine Generation vor uns gekannt hat.« (Käßmann, 2009, 99)
Und das stimmt natürlich. Wir sind unabhängiger. Es ist schon viel erreicht. Trotzdem werde ich unruhig, wenn ich diesen Satz höre. Er soll ruhigstellen. Mich erinnert er fatal an das Thema Ökumene. Da ist auch schon viel erreicht, heißt es, aber zur Eucharistie kann ich als evangelische Pfarrerin doch nicht gehen.
Also doch zurück auf Start? Brauchen wir ihn doch, den Feminismus der steilen Thesen, damit sich etwas ändert? Ich habe auch hier meine Zweifel und blicke besorgt auf die Kirchenfrauen, die es sich in den feministischen Nischen gemütlich gemacht haben und von dort die Amtskirche mit wirkungsloser Kritik überziehen, sich aber dem langen »Marsch durch die Institution« verweigern. Nein, Revolutionsgetöse ist genauso unangebracht wie beschwichtigendes »Es ist schon viel erreicht«.
Was dann? Wie oft, hilft der Blick über den Tellerrand. Lernen von den Kirchenfernen: »Unsere Gesellschaft braucht keine 95 brandneuen Thesen, die eine Lutherine mit wuchtigem Hammer ans Kirchenportal zu schlagen hätte. Es genügt, wenn sie ihren Hammer dazu benutzt, die kleinen und manchmal auch etwas größeren Hebel in den Köpfen der Männer und Frauen zu lösen, die bislang dafür sorgen, dass die Gleichberechtigung in unserer Gesellschaft eher eine abstrakt-formale denn eine alltäglich gelebte ist«, rät die Publizistin Thea Dorn in ihrem Buch »Die neue F-Klasse«. (Dorn, 2006, 35)
Dorn gehört zu der neuen Generation der Feministinnen, die seit einigen Jahren in unserem Land für erfrischende Debatten sorgen. Stichwort: Mädchenmannschaft. In der Kirche ist diese Spezies nicht oder selten anzutreffen. Und das ist sehr schade!
Wir brauchen diese selbstbewussten, klugen Frauen, die es selbstverständlich finden, dass sie Gesellschaft, dass sie Kirche gestalten. Dass sie natürlich ein Recht auf Familie und erfüllenden Beruf haben. Die sich hörbar einbringen und den Friedrich Wilhelm Grafs dieser Welt mit Spott und Brillanz begegnen. Auch das macht mich unruhig, dass ihre Stimmen in der Kirche so wenig zu hören sind.
Sicher, die Kirche ist kein Frauenladen und keine Mädchenmannschaft, aber wenn in der Feminismus-Debatte der Gesellschaft schon Meilensteine aus der Kirchengeschichte des Protestantismus herangezogen werden (Stichwort: Lutherine), dann könnten wir Kirchenfrauen umgekehrt überlegen, welche verrosteten Hebel in unserem Gefüge zu lösen sind, die niemand außer uns lösen kann. Frauen machen Kirche.
An dieser Stelle komme ich auf meinen Ausgangspunkt zurück. Denn wer ist wir? Wer sind wir Frauen in der Kirche? Wir sind keine homogene Gruppe, sondern sehr verschieden. Falsche Solidarität ist keine gute Basis. Was unterscheidet mich beispielsweise von Altersgenossinnen, die im Westen aufgewachsen sind? Ein kurzer Blick zurück auf meine Zeit im »Ausland DDR«: Mein Überlebenskampf galt nicht dem Patriarchat, sondern der Ideologie und ihrer Macht in einem Staat, der Bildung als Hebel für Wohlverhalten benutzte. Dass ich nicht studieren durfte, was ich wollte, hatte nichts damit zu tun, dass ich ein Mädchen war, sondern mit meinem Bekenntnis zur christlichen Gemeinde. Dass die Kirche so sehr mein Zuhause war, hatte nichts damit...