KAPITEL 1
Ein neuer Weg eröffnet sich
Roberta war eine neue Klientin in meiner psychotherapeutischen Praxis, die mir bereits 15 Minuten nach unserer ersten Begegnung das Gefühl gab, ihr gegenüber völlig hilflos zu sein. Sie war mit einem sehr speziellen Wunsch zu mir gekommen: Sie wollte sich nicht länger zwanghaft damit beschäftigen, ob ihr Freund sie betrog oder nicht. »Ich lese seine Nachrichten, löchere ihn mit Fragen, und manchmal fahre ich sogar da vorbei, wo er wohnt, um ihm nachzuspionieren. Ich finde nichts, aber ich kann mich nicht zurückhalten.«
Nach meiner Auffassung ließ sich ihr Problem leicht dadurch erklären, dass ihr Vater, als sie noch klein war, die Familie Hals über Kopf verlassen hatte. Selbst jetzt, Mitte zwanzig, hatte sie noch immer panische Angst davor, verlassen zu werden. Aber bevor wir tiefer in das Thema eintauchen konnten, sah sie mir geradewegs in die Augen und erklärte: »Sagen Sie mir bloß, wie ich meine fixe Idee loswerde. Verschwenden Sie nicht meine Zeit und mein Geld, um herauszufinden, warum ich so unsicher bin – das weiß ich schon.«
Wenn Roberta heute zu mir käme, wäre ich begeistert darüber, dass sie genau wüsste, was sie wollte, und ich wüsste genau, wie ich ihr helfen könnte. Aber es ist 25 Jahre her und war zu Beginn meiner Tätigkeit als Psychotherapeut. Ihre Forderung traf mich in ihrer Direktheit wie ein Pfeil, und ich wusste keine Antwort darauf.
Das war nicht meine Schuld. Ich hatte in den letzten beiden Jahren jede neue Theorie zum psychotherapeutischen Prozess verschlungen. Aber je mehr ich las, umso unzufriedener wurde ich. Diese Theorien hatten, so schien es mir, nichts mit den tatsächlichen Erfahrungen der Menschen zu tun, die in Schwierigkeiten steckten und Hilfe brauchten. Ich merkte schnell, dass ich nicht gelernt hatte, wie ich auf das reagieren konnte, was eine Klientin wie Roberta verlangte.
Ich fragte mich, ob sich das überhaupt aus einem Buch erlernen ließ; vielleicht konnte ich das nur im direkten Gespräch mit jemandem erwerben, der im Umgang mit diesen Problemen geübter war als ich. Ich hatte gute Beziehungen zu zwei meiner Supervisoren – sie kannten mich gut und konnten auf jahrzehntelange klinische Erfahrungen zurückblicken. Bestimmt hatten sie Möglichkeiten gefunden, wie ich mit einem solchen Wunsch umgehen könnte.
Ich beschrieb ihnen Robertas Forderung, aber ihre Reaktion bestätigte meine schlimmste Befürchtung. Sie wussten keine Lösung. Und was noch schlimmer war: Was in meinen Ohren wie eine vernünftige Forderung klang, hielten sie für einen Teil des Problems. Sie benutzten eine Menge klinischer Fachausdrücke: Roberta sei »impulsiv«, »im Widerstand« und »suche nach sofortiger Belohnung«. Wenn ich ihren Bedürfnissen sofort nachkäme, so warnten sie mich, würde sie nur noch fordernder werden.
Sie rieten mir einmütig, ihre Kindheit zu erforschen – dort würden wir auf das stoßen, was die Ursache ihrer Zwangsvorstellung sei. Ich erklärte ihnen, sie würde den Grund dafür kennen. Daraufhin meinten sie, dann könne das Verlassenwerden durch den Vater nicht der wahre Grund sein. »Sie müssen noch tiefer in ihrer Kindheit nachgraben.« Ihre ausweichenden Kommentare halfen mir nicht weiter. So was hatte ich schon gehört – jedes Mal, wenn ein Klient direkt um etwas bat, drehten sie den Spieß um und sagten ihm, er müsse »tiefer bohren«. Es war eine Art Versteckspiel, um die Wahrheit zu vertuschen: Wenn ihre unmittelbare Hilfe gefordert war, hatten sie ihren Klienten sehr wenig zu bieten. Ich war nicht nur enttäuscht, mich beschlich auch das bange Gefühl, dass sie für den ganzen Berufsstand sprachen, denn ich hatte tatsächlich nie etwas anderes gehört. Ich wusste nicht, wohin ich mich noch wenden sollte.
Dann hatte ich Glück. Ein Freund erzählte mir, er hätte einen Psychiater kennengelernt, der ebenso unzufrieden mit dem System sei wie ich. »Dieser Typ beantwortet dir deine Fragen – und ich garantiere dir, dass du solche Antworten noch nie gehört hast.« Der Mann hielt gerade eine Reihe von Seminaren ab, und ich beschloss, am nächstmöglichen Termin teilzunehmen. So begegnete ich Dr. Phil Stutz, dem Koautor dieses Buches.
Dieses Seminar veränderte meine psychotherapeutische Arbeit – und mein Leben.
Alles an der Art und Weise, wie Phil lehrte, erschien mir vollkommen neu. Entscheidender aber war, dass ich es im tiefsten Innern für richtig hielt. Mit Phil lernte ich den ersten Psychotherapeuten kennen, der sich auf die Lösung konzentrierte und nicht auf das Problem. Er war absolut zuversichtlich, dass Menschen verborgene Kräfte besitzen, mit deren Hilfe sie ihre Probleme selbst lösen können. Im Grunde war seine Einstellung zu Problemen das genaue Gegenteil von dem, was ich gelernt hatte. Er betrachtete sie nicht als Hindernis für die Klienten, sondern als gute Gelegenheit, in die Welt dieser ungenutzten Kräfte einzudringen.
Zuerst war ich noch etwas skeptisch. Ich hatte schon davon gehört, dass man Probleme in Chancen umwandeln könnte, aber niemand hatte mir je erklären können, wie. Phil erklärte es klar und deutlich. Man müsste sich mit den ungenutzten Kräften durch bestimmte kraftvolle, aber dennoch einfache Techniken verbinden.
Er nannte diese Techniken Tools, Werkzeuge.
Nach dem Seminar war ich so aufgeregt, dass ich meinte, fliegen zu können. Ich war nicht nur begeistert davon, dass es wirklich Tools geben sollte, die den Leuten helfen konnten, sondern auch von Phils Haltung. Er erzählte ganz offen von sich und sprach über seine Theorien und seine Tools. Er verlangte nicht von uns, einfach hinzunehmen, was er sagte, er bestand nur darauf, dass wir seine Tools ausprobierten. Nur so könnten wir uns selbst ein Bild davon machen, was sie bewirkten. Er forderte uns geradezu auf, ihm nachzuweisen, dass er falschlag. Entweder war er sehr mutig, oder er war verrückt – wahrscheinlich beides. Auf jeden Fall war seine Wirkung so inspirierend, dass ich nach den festgefahrenen Dogmen meiner traditionell orientierten Kollegen endlich wieder frei atmen konnte. Ich sah jetzt deutlicher, wie sie sich hinter einer undurchdringlichen Wand aus verworrenen Vorstellungen versteckten und offenbar kein Bedürfnis hatten, diese selbst auszutesten und zu erfahren.
Ich hatte in dem Seminar nur ein Tool kennengelernt, doch ich begann sofort, es regelmäßig zu üben. Ich konnte kaum erwarten, es an Roberta weiterzugeben. Ich war sicher, es würde ihr besser helfen als der Versuch, tiefer in ihrer Vergangenheit nachzugraben. In unserer nächsten Sitzung sagte ich: »Hier ist etwas, das Sie in dem Augenblick machen können, in dem Sie sich zwanghaft verhalten«, und erklärte ihr das Tool. (Ich werde es später beschreiben.) Zu meinem Erstaunen nahm sie es begeistert an und benutzte es sofort. Noch erstaunlicher war, dass es half! Meine Kollegen hatten unrecht. Roberta etwas zu geben, das ihr sofort half, führte keineswegs dazu, dass sie fordernder und unselbstständiger wurde; es regte sie vielmehr dazu an, sich aktiver und engagierter in die Therapie einzubringen.
Mein Gefühl der Frustration hatte sich in kürzester Zeit in die Erfahrung verwandelt, jemandem wirklich helfen zu können. Ich wollte mehr – mehr Informationen, mehr Tools, ein tieferes Verständnis davon, wie sie funktionierten. Handelte es sich nur um eine Wundertüte verschiedener Techniken, oder war es das, was ich erhofft hatte – ein völlig neuer Blick auf den Menschen?
Um mehr zu erfahren, bedrängte ich Phil nach jedem Seminar mit Fragen. Er war immer kooperativ – anscheinend beantwortete er gern Fragen –, aber jede seiner Antworten warf eine neue Frage auf. Ich hatte den Eindruck, auf eine Goldader gestoßen zu sein, und wollte so viel wie möglich davon mit nach Hause nehmen. Ich war unersättlich.
Damit stellte sich eine weitere Frage. Was ich von Phil lernte, war so überzeugend, dass ich es in den Mittelpunkt meiner Arbeit mit meinen Klienten stellen wollte. Es gab jedoch kein Ausbildungsprogramm, keinen akademischen Abschluss, den man hätte machen können. Darin wäre ich gut gewesen, aber Phil hatte anscheinend kein Interesse daran. Es verunsicherte mich. Wie konnte ich mich für ein entsprechendes Training qualifizieren? Würde er mich überhaupt als Kandidaten akzeptieren? Ging ihm meine Fragerei vielleicht auf die Nerven?
Kurz nachdem ich begonnen hatte, Seminare zu geben, tauchte dieser eifrige junge Mann namens Barry auf. Etwas zögernd gab er sich als Therapeut zu erkennen, obwohl ich aus seinen detaillierten Fragen eher geschlossen hätte, dass er Anwalt war. Egal was er war, jedenfalls war er wirklich klug.
Aber nicht deshalb beantwortete ich seine Fragen. Intelligenz oder akademische Würden haben mich noch nie beeindruckt. Was meine Aufmerksamkeit weckte, war seine Begeisterung – die Art, wie er nach Hause ging und die Tools selbst ausprobierte. Ich weiß nicht, ob ich mir das nur einbildete, aber er machte auf mich den Eindruck, als hätte er schon lange nach etwas gesucht und es endlich gefunden.
Dann stellte er mir eine Frage, die mir noch nie einer gestellt hatte.
»Ich frage mich … wer Sie all das gelehrt hat … die Tools...