Das Erschöpfungssyndrom der Moderne: Burnout
Warum ist das Ausgebranntsein in unserer Gesellschaft so verbreitet? Was sind die Gründe, wer die Betroffenen? Ein Erklärungsversuch.
»Das erschöpfte Ich«, »Ausgebrannt«, »Sehnsucht nach Ruhe« titeln führende Nachrichten- und Psychomagazine und berichten von der Modekrankheit »Burnout«. Prominente wie der ehemalige Skispringer Sven Hannawald, der Fußballprofi Sebastian Deisler oder die Kommunikationswissenschaftlerin Miriam Meckel waren die Ersten, die öffentlich zu ihrem Ausgebranntsein standen und das Thema salonfähig machten – neben Politikern, Sängern oder Moderatoren. Denn nur wer einmal Leidenschaft bewiesen und für etwas gebrannt hat, kann ausbrennen. Das besagt das hippe Wort »Burnout«, hinter dem immer eine tückische Form der Depression steckt – die Belastungsdepression. Deshalb:
Burnout ist ein Prozess, in dessen Verlauf Euphorie, Schaffenskraft, Lebensmut und positive Energie schwinden und durch Leere, Lebensunmut, Antriebsarmut und Pessimismus ersetzt werden.
Folglich bekennt Miriam Meckel in ihrem Buch »Brief an mein Leben«, dass sie sich müde fühlte, grundlos traurig, immer unkonzentrierter und emotional instabiler wurde. »Ich bin sehr depressiv geworden«, sagt Sebastian Deisler im Zeitungs-Interview, während Sven Hannawald von einer inneren Unruhe erzählt, von Schlafstörungen und Erschöpfungszuständen. Auch die Patienten, die in meine Praxis kommen, sprechen von ebensolchen Symptomen. Manchmal allerdings versteckt sich die Krankheit auch hinter einer Vielzahl körperlicher Beschwerden. Darum ist es anfangs gar nicht so einfach, das diagnostische Chamäleon »Burnout« zu entlarven. Es können Verdauungsstörungen mit Magenkrämpfen sein, Durchfall oder Verstopfung, Kopf- und Gliederschmerzen, Verspannungen und Schlafstörungen. Der Arzt behandelt dann den Körper. Dabei ist es die Seele, die um Hilfe schreit! Drei exemplarische Fälle werden Sie im Laufe des Buches genauer kennenlernen und anhand der Lebensgeschichte dieser Menschen ihre Burnout- und Genesungs-Karriere.
Grundsätzlich sind die Hauptsymptome dieser Form der Depression: Müdigkeit, emotionale Erschöpfung, Gereiztheit, Verlust der Empathie, Leistungsabfall und Selbstentfremdung. Man wird zur Marionette, die zwar noch lange funktioniert, aber schon lange nicht mehr glücklich ist. Alles andere ist wichtiger, und man selbst kommt zuletzt. Und so entfremden wir uns Tag für Tag immer ein bisschen mehr von uns selbst, unserem Wesen, unseren Wünschen und unseren Bedürfnissen. Oft stelle ich meinen Patienten die einfache Frage: »Sind Sie glücklich mit Ihrem Leben, so wie es ist?« Häufig bricht dann die emotional geschundene Seele auf. Tränen fließen, und vielen wird bewusst: »Nein, so habe ich mir mein Leben nicht vorgestellt!« Bei manchen kommt noch Alkohol- und Medikamentenmissbrauch hinzu.
Betroffen sind die Erfolgreichen und Tüchtigen, die Verantwortungsbewussten und scheinbar Unersetzlichen. Zunächst wurde Burnout in helfenden Berufen festgestellt, etwa bei Ärzten, Pflegern und Lehrern. Heute trifft er auch Manager, Freiberufler, Vertriebsleute ebenso wie Hausfrauen und Mütter.
Es sind Menschen, die sich ganz besonders engagieren. Die sich auch im Krankheitsfall keine Ruhe gönnen, sondern weiterarbeiten. Aus Sorge um die anderen, dass diese möglicherweise mehr arbeiten müssen bzw. Einschränkungen durch ihr »Ausfallen« unterworfen sind. Oder aus Angst um ihren Arbeitsplatz, ihren Ruf. Dass die anderen denken, sie sind nicht belastbar und würden ihre Arbeit nicht schaffen.
Die Burnout-Persönlichkeit
Der Hamburger Burnout-Forscher Matthias Burisch sieht vor allem zwei Typen von Menschen als besonders Burnout-gefährdet an:
1. Der »aktive Typ« (Selbstverbrenner). Er setzt sich voll für eine Sache ein, kann keine Aufgabe abgeben und hat viel zu viele Termine auf seiner Agenda. Wie ein Getriebener muss er auch privat überall dabei sein.
2. Der »passive Typ« (Verschlissener). Er weist geringes Selbstvertrauen auf, kann nicht Nein sagen und sich auch keine klaren Ziele setzen. Und verzettelt sich auf diese Weise.
Folgende Persönlichkeitsstrukturen können ein Ausbrennen fördern:
# Überengagement mit großem Verantwortungsbewusstsein verbunden mit dem inneren Antreiber: »Mach’s allen recht!«.
# 150-prozentiges Perfekt-sein-Wollen. Bei Stress reagieren diese Selbstverbrenner meist mit noch mehr Kontrolle auf Projektschritte und andere Mitarbeiter.
# Leistungsfanatismus. Um die immer größer werdenden Herausforderungen zu schultern, geben diese Menschen noch mehr. Oft werden sie von der inneren Peitsche »Mach schnell!« angetrieben.
# Superhoher Anspruch an sich selbst. Immer und überall – und auch an die anderen: Sei stark! Beiß die Zähne zusammen, auch wenn du denkst, du bräuchtest jetzt eine Pause, lautet ihre Devise.
# Geringe Selbstsicherheit. Treten Probleme auf, geben sich Selbstunsichere schnell selbst die Schuld oder sagen sich: »Ich schaffe das nicht!«, »Ich werde dem Ganzen nicht Herr!«.
# Sich nicht abgrenzen können. Nicht Nein zu sich und anderen sagen können. Aber auch die Unkenntnis, welche Bedürfnisse wichtig sind und was einem guttut, ist hier das Problem.
# Kein Ziel vor Augen. Was will ich überhaupt? Diese Frage können sich passive Typen meist nicht klar beantworten und mäandern durch Job und Leben.
Zusätzlich zu diesen inneren Faktoren und dem selbst gemachten Druck hat die Belastung am Arbeitsplatz in den letzten Jahren deutlich zugenommen. Kein Wunder, dass sich durch den eigenen, inneren Druck und den Druck von außen weite Teile der Bevölkerung gestresst fühlen. Inzwischen gibt jeder dritte Deutsche an, häufig oder ständig gestresst zu sein. Eine Entwicklung, die ich seit drei bis vier Jahren an einer zunehmenden Zahl von Burnout-Patienten in meiner Praxis beobachte. Dieser zusätzliche Stress hat sechs Gründe, die sich wie folgt beschreiben lassen.
Sechs Gründe, die das Ausbrennen begünstigen
1. Existenzängste
Die Sorge um den eigenen Arbeitsplatz und dass die Krise immer noch nicht ausgestanden ist, treibt viele um. Vor allem wird es wohl nie mehr wie früher. Sichere Arbeitsplätze gehören der Vergangenheit an. Solche, wofür einst große Konzerne wie Allianz, Bayer, Mercedes, Siemens oder Telekom bürgten. Einmal dort, waren sie Garant für Arbeit bis zur Rente. Diese Zeiten sind vorbei, und das verunsichert. Insbesondere diejenigen, die sich gerade von Kurzarbeit oder einer Kündigung erholen. Doch eigentlich mussten wir alle in den letzten Jahren Federn lassen. Wir erlebten, wie dünn nicht nur die Jobsicherheit, sondern auch die finanzielle Grundlage ist. Die New-Economy- und Bankenkrise zeigte dieses Dilemma ebenso wie das jüngste Euro- und Finanzdebakel. Diese Angst im Nacken sorgt für alles andere als für Entspannung. Sie schürt permanenten Alarmzustand und lässt viele Arbeitnehmer an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit gehen. Aus Furcht, nicht noch ihre Einkommensquelle und vielfach die ihrer Familie zu verlieren.
Zusätzlich hat in den Unternehmen der Arbeitsstress zugenommen. Durch Umstrukturierungsmaßnahmen wurden Mitarbeiter eingespart und es lasten immer mehr Aufgaben auf den Schultern der Zurückgebliebenen: Vorgaben wie »Zehn Prozent mehr zum Vorjahresziel« erhöhen den Druck. Globalisierung und Kommunikation 2.0 fordern das Ihre: nämlich 24-Stunden-Erreichbarkeit und das sieben Tage die Woche (24-7 wie die neue Formel der Arbeitswelt dank entsprechender Technik heißt). Dadurch schalten wir kaum noch ab. Auch in den eigentlichen Regenerationsphasen nach Feierabend und am Wochenende kreisen die Gedanken weiter um den Arbeitsalltag. Das zieht weitere Energie ab – gerade in den Zeiten, in denen wir eigentlich unsere Akkus aufladen sollten.
Auch Selbstständige sind nicht vor Burnout gefeit. Existenzängste haben selbst gestandene Unternehmer. Es genügen zwei bis drei Fehlentscheidungen oder eine Veränderung der Marktlage, und die florierende Firma ist bankrott. Unternehmer sind ständig im Einsatz und tragen Verantwortung nicht nur für sich, sondern auch für ihre Mitarbeiter. Was viele nicht wissen: Selbstausbeutung ist effektiver als Fremdausbeutung.
2. Immer zu Diensten
Smartphones, Videokonferenzen, E-Mails und SMS – all diese technischen Errungenschaften und Kommunikationstools machen die tägliche Arbeit zwar schneller, aber nicht effektiver. Sie beschleunigen die Taktung des Hamsterrädchens, in dem wir uns irgendwie alle befinden. Und führen zum »Standby-Modus«, wie der Psychologe Stephan Grünewald meint, Mitbegründer des Rheingold-Instituts für Marktforschung in Köln. Ob am Bahnsteig, in der Flughafen-Lounge, beim Arzt – kaum einer nutzt freie Wartezeiten zum Entspannen und zur Reflexion. Sondern telefoniert, checkt E-Mails oder schreibt eine SMS. Das Standby-Sein weicht die Grenze zwischen Job und Privatleben immer weiter auf: 88 Prozent der Berufstätigen sind auch außerhalb ihrer regulären Arbeitszeit für Kunden, Kollegen oder den Vorgesetzten ansprechbar. Das ergab eine Umfrage im Auftrag des Branchenverbandes Bitkom.
Vor zwei Jahren wurde stärker abgeschaltet: Nur 73 Prozent (falls man bei dieser Prozentzahl von »nur« sprechen kann)...