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E-Book

Männer weinen nicht

Depression bei Männern Anzeichen erkennen - Symptome behandeln - Betroffene unterstützen

AutorBeate Wagner, Constanze Löffler, Manfred Wolfersdorf
VerlagGoldmann
Erscheinungsjahr2012
Seitenanzahl304 Seiten
ISBN9783641084240
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis7,99 EUR
Das erste umfassende Sachbuch zum Tabu-Thema Männerdepression
Immer mehr Männer leiden unter Depressionen. Doch die Krankheit wird häufig verdrängt oder von Ärzten nicht erkannt. Denn Männer leiden anders: Sie stürzen sich in die Arbeit, flüchten in den Alkohol oder sind ständig gereizt. Im ersten umfassenden Sachbuch zum Tabu-Thema Männerdepression klären Constanze Löffler und Beate Wagner, welche Anzeichen auf die Krankheit hindeuten, was die beste Therapie ist und wie man Betroffene unterstützt. Mit konkreten Fallbeispielen und zahlreichen Expertentipps zeigen die Autorinnen, dass es einen Weg aus der Depression gibt.

Beate Wagner und Constanze Löffler sind Wissenschaftsjournalistinnen mit abgeschlossenem Medizinstudium. Seit Jahren setzen sie sich mit medizinischen, psychologischen und sozialen Themen auseinander. Je komplexer die Materie, um so besser. Die Ergebnisse einer umfangreichen Recherche für den Leser bildhaft, lebendig und klar aufzuschreiben liegt beiden Autorinnen besonders am Herzen. Sie veröffentlichen ihre Texte in führenden deutschen Magazinen und Tageszeitungen.

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Leseprobe

»Warum immer ich?« I


Der Mut Teresa Enkes habe ihm das Leben gerettet, wird Andreas Biermann, Profifußballer des 1. FC St. Pauli, später sagen. Die Witwe des Hannoveraner Torhüters Robert Enke sprach am 11. November 2009, nur einen Tag nach dessen Suizid, über die jahrelangen Depressionen ihres Mannes. Über die Verzweiflung, über die Momente der Hoffnung, über sein Versteckspiel und die Therapie bei seinem Kölner Psychiater. Sie habe geglaubt, dass sie es gemeinsam schaffen könnten, aber die Liebe allein reiche wohl doch nicht, gestand Teresa Enke damals im Fernsehen. Schließlich stand ihnen mit der Depression des Torwarts mehr als eine Laune im Weg.

Als Fußball-Kollege Andreas Biermann diese Bilder sah und Teresa Enkes Worte hörte, wurde ihm offenbar einiges klar. Er begriff, dass auch er in einer Krise steckte. Und dass seine Gefühle, seine Verzweiflung und sein schwindender Lebensmut kein Einzelschicksal waren. Biermann entschied sich, gegen den »schwarzen Wirbel in seinem Kopf« zu kämpfen: Am 12. November 2009, zwei Tage nach Enkes Selbstmord, ließ sich Biermann auf die Depressionsstation des Klinikums Nord in Hamburg-Ochsenzoll einweisen, fast zwei Monate verbrachte er dort. Der Ausgang war ungewiss: was ihn erwarten, wie lang der Weg der Genesung dauern und ob er jemals wieder auf dem Fußballplatz stehen würde.

Nur so viel war klar: Er wollte etwas ändern. Etwas tun gegen die Verzweiflung, die ihm wenige Wochen zuvor schon einmal komplett den Lebensmut geraubt hatte. Damals hatte Biermann auf einem Parkplatz die Abgase seines Autos eingeatmet. Man fand ihn, bevor es zu spät war. Zu einem zweiten Suizidversuch sollte es auf keinen Fall kommen, seiner Frau, seinen Kindern zuliebe.

In Ochsenzoll kommt Biermann ins Gespräch mit den Therapeuten – und kann es zulassen, die Spuren seines Lebens zurückzuverfolgen. Zurück in seine Kindheit, in der er wegen seines schmächtigen Körpers gehänselt wurde und man ihn wegen seiner roten Haare Pumuckl rief. Zurück zu seinem einzigen Ausweg, der Flucht in den Fußball. »Für Biermann war der Fußball die einzige Möglichkeit, um die Demütigungen, denen er ausgesetzt war, auszuhalten«, schreibt Rainer Schäfer in dem Buch Rote Karte Depression über Andreas Biermann.

Später lockt die Profikarriere und mit ihr die große weite Welt: Biermanns außergewöhnliches Talent erlaubt es ihm 1997, als gerade mal 17-Jähriger unter den besten Vereinen Europas wählen zu können. FC Barcelona, Real Madrid – alle Großen hatten Angebote gemacht. Biermann schlägt sie aus, bleibt in Berlin, geht zu Hertha BSC.

Doch dann machen ihm Verletzungen zu schaffen: eine ausgerenkte Schulter, Komplikationen nach einer Kniespiegelung mit einer sportlichen Zwangspause. Der Sportler Biermann fällt in ein schwarzes Loch. Er kann doch nur Fußball, schafft es nicht, die freie Zeit anderweitig zu nutzen. Es folgt das Urteil des Arztes: Nie wieder Fußball. Für Biermann ein unerträglicher Schiedsspruch. Zeitgleich bemerkt er, dass ihn seine Freundin betrügt. Sein Lebensmut schwindet, der aufs Abstellgleis geschobene Sportler fühlt sich völlig allein gelassen, hilflos, hat sich schon Schlaftabletten zurechtgelegt und geht dann doch für zwei Tage in die Psychiatrie. Nach der Entlassung wird nie mehr von dem Zusammenbruch gesprochen; behandelt werden das Knie, die Schulter, die Wade – nicht seine Psyche. Biermann ist zwar in einem liebevollen Elternhaus groß geworden, doch über Gefühle zu reden, hat er nie gelernt.

Das Versteckspiel beginnt. Keiner soll merken, dass Biermann kaum schläft, dass ihn Selbstzweifel quälen, er traurig ist und Ängste hat. »Warum ich? Warum immer ich?«, fragt er sich in seiner Autobiografie, wenn er sich erneut verletzt, ein Vertrag nicht zustande kommt, die Fans ihn auspfeifen. Biermann vertraut sich einigen wenigen Menschen an, doch auch die merken nicht, wie zerrissen er ist und dass er ernsthaft leidet. Kein Wunder, er ist ein guter Schauspieler. Denn genau wie Robert Enke hat Biermann panische Angst davor, dass jemand aus der Fußballwelt ahnen könnte, wie es wirklich um ihn steht. Dringen seine psychischen Probleme an die Öffentlichkeit, würde dies das Ende seiner Karriere bedeuten.

Und dann wirft sich sein Kollege Robert Enke am 10. November 2009 vor den Zug. Seine Frau Teresa wählt am 11. November die Worte, die Biermann eine riesige Last von den Schultern nehmen und ihn mutig machen: Über seinen Club St. Pauli lässt er schon einen Tag später mitteilen: »Ich, Andreas Biermann, 29 Jahre alt, verheiratet und Vater von zwei Kindern, … leide seit mehreren Jahren an Depressionen.«

Das sind die Fakten


Pokerspiel und Alkohol, schnelle Autos oder Motorräder und riskante Sportarten: Für viele klingen solche gefährlichen Hobbys nach einer männlichen Midlifecrisis. Ja, das mag sein. Doch gleichzeitig kann ein halsbrecherisches Leben auch Anzeichen sein für eine der häufigsten und tödlichsten Krankheiten des starken Geschlechts: die Männerdepression. Der Profifußballer Andreas Biermann ist einer von drei bis vier Millionen Männern, die im Lauf ihres Lebens an einer Depression erkranken – und einer von geschätzt 100000 jährlich, die versuchen, sich wegen ihrer psychischen Probleme das Leben zu nehmen.

So dramatisch diese Zahlen klingen mögen, so sehr werden sie auch weiter steigen: Innerhalb der nächsten zehn, zwanzig Jahre, da sind sich Wissenschaftler und die Weltgesundheitsorganisation WHO einig, wird die Depression zur gesundheitlichen Bedrohung Nummer eins werden – noch vor Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes und Krebs. Auch bei Männern. Weil wir Depressionen bei Männern besser erkennen werden. Weil die abnehmende Stigmatisierung psychischer Probleme es den Kerlen leichter macht, ihre Probleme zuzugeben und sich Hilfe zu suchen. Aber auch, weil sie durch die veränderten Lebensumstände zunehmend häufiger erkranken werden: Familien zerfallen, die Informationsflut macht es immer schwieriger, Wichtiges von Unwichtigem zu unterscheiden, totale Erreichbarkeit und Jobunsicherheit lassen Privat- und Berufsleben verschmelzen. Die Depression ist die Stresskrankheit des 21. Jahrhunderts. Und wird es bei der aktuellen gesellschaftlichen Entwicklung auch weiterhin bleiben.

Depressionen machen vor keiner Schicht und vor keinem Alter Halt: Jungs sind ebenso betroffen wie Familienväter und Rentner. Dicke und Dünne, chronisch Kranke und Kerngesunde, Architekten, Müllmänner und Arbeitslose. Ärzte und Psychiater, Prominente und Menschen wie du und ich, Künstler oder Leistungssportler wie Biermann.

Das Schicksal von Andreas Biermann ist typisch: erste psychische Verletzungen und Zurückweisungen in der Jugend, ein hoher Anspruch an sich selbst, Selbstzweifel, Schuld- und Schamgefühle und Ängste. Wie viele Depressive hat Biermann über Jahre versucht, die glatte Fassade aufrechtzuerhalten, was ihn ungeheure Kraft kostete. In seinem Buch Rote Karte Depression beschreibt er, wie er auf Vereinsfeiern gefeiert, gesungen und getanzt hat. Und das, obwohl es in ihm nur Leere, Kälte und Gefühllosigkeit gab. Mitgemacht habe er nur, um nicht aufzufallen, um nicht entdeckt zu werden. Diese Angst kennen viele Depressive, egal, ob sie bei St. Pauli, beim Autohersteller oder im Getränkegroßmarkt arbeiten.

Immer weiter rutschte Biermann in die Spirale der Depression hinein: Er lag nächtelang grübelnd wach, war erschöpft, flüchtete sich ins Glücksspiel. »Zeitweilig habe ich versucht, im Pokerspiel jenes Glück zu finden, das mir im Profisport aufgrund meines großen Verletzungspechs immer wieder versagt geblieben ist. Dieses Ventil hätte mich fast in eine Spielabhängigkeit getrieben«, lässt er über seinen Verein St. Pauli im November 2009 mitteilen. Flucht in süchtiges Verhalten, das ist typisch für Männer, sagen die Experten. Bis heute können sich viele Männer ihre psychischen Probleme nicht eingestehen. Hilflosigkeit und Überforderung sind ein Tabu unter echten Kerlen. Sie quälen sich lieber, statt Hilfe zu suchen.

Doch so hoffnungslos ist die Situation gar nicht. Was offenbar nur wenige Männer wissen: Die Depression ist in den meisten Fällen heilbar, zumindest aber lassen sich ihre Symptome lindern. Als besonders wirksam gelten je nach Art der Depression Psychotherapie und Medikamente, sogenannte Antidepressiva.

Wenn alles zusammenkommt

Experten zufolge entsteht eine Depression, wenn mehrere Faktoren zusammenkommen. Zunächst bringt jeder Mensch eine gewisse genetische Veranlagung (siehe auch Kapitel 5 »Bis zum bitteren Ende«) für die Erkrankung mit. Des Weiteren prägt der Erziehungsstil in der Familie. Welche Normen gelten hier: Werden Jungs nach besonders strengen Regeln erzogen, müssen sie stark und hart sein und dürfen keine Tränen wie Mädchen vergießen? Werden sie nur geschätzt, wenn sie Leistungen erbringen? Gleiches gilt für gesellschaftliche Ideale: Müssen Männer stark sein, oder dürfen sie auch Schwäche zeigen? Kann man sich nur über Leistung Anerkennung verschaffen, bestimmt also Leistung das Selbstwertgefühl? Das alles ist noch nicht »krank«, führt aber zu depressiv-gehemmten Stilen der Lebensbewältigung.

Die depressiven Symptome treten schließlich auf, weil das Gleichgewicht bestimmter Botenstoffe im Gehirn gestört ist. Normalerweise kommunizieren die Nervenzellen über diese Botenstoffe oder Neurotransmitter, die Signale und Informationen zwischen den Nervenzellen vermitteln. Bei Gesunden stehen diese chemischen Substanzen in einem bestimmten Gleichgewicht; bei Depressiven ist das...

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