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Ach, du dickes Ei
Vielleicht zwitscherte das kleine Singvogelweibchen ein erstauntes »Ach, du dickes Ei!«, als es inmitten seines Geleges das große, gesprenkelte Ei des Kuckucks entdeckte. Der Kuckuck ist ein Brutschmarotzer, er raubt die Eier der Singvögel, um sie zu fressen, und weil er offenbar keine Lust hatte, seinem Nachwuchs ein eigenes Nest zu bauen, kam er irgendwann bei seinen Raubzügen möglicherweise auf den Trick, seine Eier ins fremde Nest zu legen. Das seltsame Verhalten des Kuckucks erstaunte die Menschen, und im Lauf der Zeit galt der Ausruf »Ach, du dickes Ei!« für jedes ungewöhnliche Ereignis.
Die rätselhaften Wege der Natur zeigen sich auch in den Eiern selbst. Unter seiner zerbrechlichen Hülle aus Kalk verbirgt das Ei zahlreiche Geheimnisse. Seine Zusammensetzung ist eigentlich entschlüsselt, es enthält die Vitamine A, B, D und E, tierisches Eiweiß, Mineralstoffe, gesättigte und ungesättigte Fette. In England gehört das Ei zum Frühstück wie die Butter zum Brot, während bei uns die darin enthaltenen etwa 200 Milligramm Cholesterin manchen den Genuss verdorben haben. Rätselhaft und ungeklärt ist allerdings noch, warum sich die Luftkammer im Ei immer am stumpfen Ende befindet. Ebenfalls nicht ganz geklärt ist nach wie vor die Frage, was kommt zuerst raus, das dicke oder das spitze Ende. Mittels Röntgenaufnahmen sah ein englischer Forscher das stumpfe Ende vorne, sein deutscher Kollege dagegen war sicher, das spitze Ende zuerst entdeckt zu haben. Das Gelbe vom Ei sind beide Ergebnisse nicht, und die Untersuchungen und Spekulationen werden wohl weitergehen.
Der Glibber im Inneren des Eis gilt als der Ursprung allen Lebens und faszinierte die Menschen zu allen Zeiten. Bereits in der Antike wurde die Frage diskutiert, was zuerst da war, das Ei oder die Henne. Vor allem im Frühling, wenn das Leben nach langem Winterschlaf erwachte, huldigte man dem Ei als Fruchtbarkeitssymbol, und mächtige Eierkronen oder auch die bunten Eier zur Osterzeit erinnern in manchen Gegenden noch heute an alte heidnische Bräuche.
Das Ei war aber nicht nur ein Symbol für Leben und Fruchtbarkeit, sondern in erster Linie ein wichtiges Nahrungsmittel. Als Fastenspeise war es gar unverzichtbar.
In der Natur gibt es eine große Vielfalt an Eiern, doch das menschliche Begehren konzentrierte sich fast ausschließlich auf das Hühnerei. An zweiter Stelle stehen Enteneier, die vor allem in Holland und Belgien gern in die Pfanne geschlagen werden und auch in Asien zum alltäglichen Speisezettel gehören. Beim »hundert-« oder »tausendjährigen« Ei der Chinesen handelt es sich ebenfalls um ein Entenei. Der Name ist allerdings etwas irreführend, der Herstellungsprozess dauert etwa neunzig Tage, und danach ist das Ei nur noch einige Monate haltbar. Es hat eine graugrüne Farbe, ist butterweich und schmeckt angeblich besser, als es riecht. Die vielleicht berühmtesten, mit Sicherheit aber die kostbarsten Ostereier schuf der russische Hofjuwelier Peter Carl Fabergé, seine Prunkeier sind mit Edelsteinen geschmückte Kunstwerke.
Auch bei dem praktischen Beweis einer überraschend einfachen Lösung eines schwierigen Problems stand ein Ei im Mittelpunkt. Der italienische Historiker Benzoni berichtet im Jahr 1565 über ein Gespräch an der Tafel des Kardinals Mendoza, bei dem die Gäste herablassend bemerken, dass die Entdeckung der Neuen Welt durch Christoph Kolumbus gar nicht so außerordentlich sei, schließlich hätte jeder andere der Tafelrunde auch auf die Idee kommen können. Kolumbus platzte fast die Halskrause, und er forderte die Wichtigtuer auf, ein Ei aufrecht auf den Tisch zu stellen. Als es keinem von ihnen gelang, erhob sich der Seefahrer, nahm das Ei, schlug es auf der stumpfen Seite platt und stellte es mit der Spitze nach oben auf den Tisch. Bis heute gilt bei der Entdeckung einer simplen Lösung für ein schwieriges Problem die Redewendung: »Das ist das Ei des Kolumbus«, besonders wenn sich die Situation zuvor als ungewöhnlich und noch nie dagewesen, im Sinne von »Ach, du dickes Ei«, dargestellt hatte.
Alles in Butter
Es war die Sensation im Jahr 1295, als der seit über zwanzig Jahren vermisste Marco Polo aus dem fernen China in seine Vaterstadt Venedig zurückkehrte. Sensationell waren auch seine Berichte über riesige Städte, die er gesehen hatte, über unermessliche Schätze, Kohle, Schießpulver, Papier und exotische Gewürze. Tatsächlich hatte Marco Polo einen neuen Markt entdeckt, und schon bald brachten die venezianischen Handelsreisenden von ihren Fahrten in den Orient kostbare Waren mit. Vor allem brachten sie auch die Geheimrezeptur für ein neues Material, das im 13. Jahrhundert auf der kleinen Insel Murano vor Venedig ein hochgeschätztes Handwerk begründete. Es war reinstes Kristallglas, das die venezianischen Glasbläser aus einer Mischung von feinem Quarzsand und Pottasche erzeugten, und schon bald waren die Reichen in ganz Europa geradezu verrückt nach Gläsern aus Murano. Und damit dieses Geschäft nicht in konkurrierende Hände fiel, wachten die Venezianer argwöhnisch über die Geheimhaltung ihrer Glasrezepturen.
Das Ansehen der Glasmacher war hoch, und nicht selten wurden sie in den Adelsstand erhoben – allerdings nicht ohne die permanente Drohung, dass die Weitergabe der geheimen Rezeptur mit der Todesstrafe geahndet würde. Man wollte sicherstellen, dass die begehrten Pokale mit Hohlstielen und die Fußschalen mit den Reliefs des Markuslöwen ausschließlich in Murano gefertigt werden konnten. Es waren der einzigartige Glanz und die absolute Transparenz, die alle Gläser aus Murano auszeichneten, weswegen sie an den Fürstenhöfen nördlich der Alpen zum begehrten Luxusartikel wurden.
Als die barocke Sinnlichkeit alles üppig und glänzend haben wollte, gehörte das zerbrechliche Glas aus Murano zu jeder fürstlichen Ausstattung. Es entwickelten sich die unterschiedlichsten Formen für die verschiedenen Getränke, Stielgläser, Kelche und Pokale und auch das Römerglas. Übrigens stammt der Name nicht von einem römischen Trinkgefäß, sondern von dem niederländischen Wort roemen, was so viel wie »jemanden hochleben lassen« heißt. Welche Bedeutung Trinkgläser damals hatten, kann man erahnen, wenn man zeitgenössische Bilder niederländischer Maler betrachtet. Nicht nur auf Stillleben werden häufig Gläser dargestellt, auch Porträtierte präsentieren gerne einen der wertvollen, fragilen Kelche, wie beispielsweise der berühmte Rembrandt auf einem frühen Selbstbildnis mit seiner Frau Saskia.
Zwar glühten die Schmelzöfen der Glasbläser Tag und Nacht und die Produktion lief auf Hochtouren, dennoch konnte der Bedarf bald kaum noch gedeckt werden, denn der Transport war überaus problematisch. Ein großer Teil der filigranen Statussymbole aus Venedig ging während ihrer Reise auf Eselskarren über die engen, holprigen Alpenpässe zu Bruch. Obwohl man die Gläser sorgfältig in Leinentücher wickelte und sie in Kisten packte, die mit Heu ausgepolstert wurden, kam die Ware häufig nur noch in Scherben am Zielort an.
Nach Holland, im hohen Norden Europas, mussten die Waren aus Venedig auf eine besonders lange Reise gehen, und es ist anzunehmen, dass gerade dorthin oft nur unbrauchbare Glassplitter geliefert wurden. Es musste also eine stoßfeste Verpackung gefunden werden. Wer letztlich die zündende Idee hatte, ist nicht überliefert. Vielleicht waren es die Holländer mit ihrer Milchwirtschaft, vielleicht waren es aber auch findige venezianische Exporteure, jedenfalls entschloss man sich irgendwann, die zerbrechliche Ware in Fässer zu schichten und mit warmer, flüssiger Butter zu umhüllen. Die Butter kühlte ab und verfestigte sich, sodass die kostbaren Gläser rundherum geschützt waren. Ein so gefülltes Fass durfte auch mal vom Wagen purzeln.
Am Zielort angekommen, galt es, die spannende Frage zu klären: Ist noch alles in Butter? Also erhitzte man die Fässer, goss das Fett ab und entnahm die Gläser. Tatsächlich erfüllte das Fett alle Anforderungen, und rundum eingebettet kamen von nun an die wertvollen Gläser aus Murano unversehrt auch im hohen Norden Europas bei den Kunden an.
Inzwischen werden zerbrechliche Waren durch Styropor und alle möglichen Arten von Luftpolsterfolien geschützt. »Alles in Butter«, sagen wir aber auch heute noch, um auszudrücken, dass es keine Probleme gibt und alles in bester Ordnung ist.
Am Hungertuch nagen
Hunger ist ein sehr unangenehmes Gefühl, das uns nahezu nötigt, irgendwelche Nahrung aufzunehmen, und sei es am Hungertuch zu nagen, wie es in einer Redensart heißt. Diese blumig klingende Beschreibung einer möglichen Sättigungsart wird heute meistens nur noch scherzhaft gebraucht.
Das Hungertuch war ursprünglich ein schmuckloser schwarzer oder blauer Leinenvorhang, mit dem in der Zeit von Aschermittwoch bis Ostern in den Kirchen der Altar verhängt wurde, um ihn für die Gläubigen unsichtbar zu machen. Dem gleichen Zweck dienten auch die prächtigen Flügelaltäre, die während der Fastenzeit geschlossen wurden und nur profane Szenen in matten Tönen zeigen. Damit sollten der Ausschluss aus dem Paradies versinnbildlicht und die Fastenzeit angezeigt werden. Die Idee geht zurück auf den jüdischen Tempelvorhang, der im Neuen Testament im Zusammenhang mit dem Kreuzestod Jesu erwähnt wird.
Velum quadragesimale heißt das Tuch...