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'Der elende Koran' - 'diabolischer Hochmut' und 'Bewunderung der Kulturhöhe'

Zu Jacob Burckhardts Islambildern in den 'Weltgeschichtlichen Betrachtungen' mit einem Seitenblick auf die 'Kultur der Renaissance in Italien'

AutorHolger Reiner Stunz
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2009
Seitenanzahl48 Seiten
ISBN9783640241972
FormatPDF/ePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis4,99 EUR
Studienarbeit aus dem Jahr 2001 im Fachbereich Philosophie - Philosophie des 19. Jahrhunderts, Note: 1,3, Johannes Gutenberg-Universität Mainz (Philosophisches Seminar), Veranstaltung: Geschichtsphilosophie, 0 Quellen im Literaturverzeichnis, Sprache: Deutsch, Abstract: Diese Monographie untersucht das Verhältnis des Basler Philosophen Carl Burckhardt zum Islam. Religion gilt in seinem Werk als ein zentrales Movens menschlichen Handelns. Blickt man genau hin, so schwankt Burckhardt zum einen zwischen Ablehnung und Unverständnis des Islam, findet andererseits aber auch Worte der Bewunderung. Anhand von zwei Schlüsseltexten von Burckhardts Werk wird der Frage nach Herkunft, Horizont und Funktion des Islambilds bei Burckhardt nachgegangen.

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Leseprobe

I. Burckhardts Beschäftigung mit dem Islam und deren Bedingtheit


 

Der ‚Orbis Pictus’ von Comenius vermittelte über Jahrhunderte bis in die Kindheit Jacob Burckhardts ein Bild vom Islam als „novam religionem mixtam“; der Glaubensgründer Mohammed wird als von epilepsia gezeichneter falscher Prophet beschrieben, dessen Anhänger „Polygami“ gewesen seien und die sich beim Kirchenbau verschiedener nicht zusammen passender Stile bedienen. Diese Kurzenzyklopädie ist nur ein Beispiel eines wirkmächtigen Textes, der ein problematisches Islambild entwirft – wenngleich er heute als historisches Zeugnis betrachtet wird. Kann man trotz aller heutiger Sensibilität Comenius dafür auf die Anklagebank setzen?

 

Die sich in unseren Tagen verstärkende Beachtung des Klassikers Jacob Burckhardt unter dem Zeichen der Kulturgeschichte[2], aber auch die virulent gewordenen Fragen nach dem Bild der westlichen Kulturen vom Islam und den Folgen von solchen Geschichts- und Kulturvorstellungen rechtfertigen einen Blick auf die Islambilder des Baseler Kulturhistorikers Burckhardt, auf seine Vorstellungen vom Fremden und vom Eigenen. Hier sollen aber Diskussionen um Burckhard im Verdacht des Antisemitismus nicht aus einer anderen Perspektive erneuert werden, denn das 19. Jahrhundert mit unseren Maßstäben zu messen und aus zeitbedingten Motiven zu betrachten, ist problematisch[3].

 

In Burckhardts Schriften zur historischen Morphologie in all ihren Aspekten kommt dem Islam an vielfältigen Stellen Bedeutung zu – meist kontrastive. Vor allem in der unveröffentlichten späten Version der ‚Kultur des Mittelalters’ sowie in den darauf basierenden rekonstruierten Historischen Fragmenten gibt es ausführliche Passagen, die den Islam, den Religionsstifter Mohammed sowie die islamischen Staatswesen charakterisieren, be- und verurteilen[4]. Neben diesen „Schattenseiten“ sind auch andere Ansichten zu finden wie W. Kaegi betont, der sich am Beispiel der Vorlesung zur ‚Kultur des Mittelalters’ zum Verhältnis vom Burckhardt und dem Islam äußert und sich zur Stellungnahme gezwungen sieht: „Lichtseiten gegenüber blieben in Burckhardts Bild des Islam schwere Schattenseiten bestehen [...] Es sind nicht nur Schatten gewesen, die bestehen blieben, sondern auch dunkle Räume der Unkenntnis und der fehlenden Eindrücke. Es wäre viel zu sagen über die Gründe, die Jacob Burckhardt gehindert haben, ein Enthusiast des Orient zu werden. Begnügen wir uns mit der Feststellung, daß er einen achtenswerten Versuch gemacht hat, etwas von dieser Welt, die den meisten im Dunkeln lag, in den Umrissen zu begreifen[5].

 

Obwohl die Burckhardt-Forschung in ihrer Verästelung und ihrem thematischen und methodischen Pluralismus Bibliotheken füllende Dimensionen erreicht hat, fehlt eine eingehende Diskussion der Islambilder bei Burckhardt. Nur wenige Wissenschaftler gehen auf diesen Aspekt ein[6], der nicht nur aus heutiger Sicht ein erhellender für die Analyse von Burckhardts Technik von Geschichtsschreibung sein kann. Vielmehr drängt sich der Eindruck auf, dass die Islambilder Burckhardts geflissentlichst unbeachtet blieben, denn wer ein solches Thema anschneidet, setzt sich dem zweifelhaften Ruf aus, einen Klassiker diffamieren zu wollen. Ob bei genauerer Betrachtung aber Erkenntnisse auf Burckhardts Konstruktionsmechanismen in den ‚Weltgeschichtlichen Betrachtungen’ und der ‚Kultur der Renaissance’ gewonnen werden können, soll hier untersucht werden. Sie soll ins Zentrum Burckhardtschen Geschichtsverständnisses führen und zeigen, wie er seine Argumentation narrativ und figurativ organisierte – sie führt, da es um die Perspektive der kulturellen Leistungs- und Integrationsfähigkeit des Islam geht, auch ins Zentrum von Jacob Burckhardts Glauben an das Kulturelle und Plurale[7].

 

Die Publikationsgeschichte und die palimpsestartigen Umarbeitungen von Burckhardts Vorlesungen, die aus separaten über die Jahre gesammelten Blättern bestehen, stellen die Forschung vor Probleme[8]. Eine Zuordnung von Teilen der Vorlesungen ist nur schwerlich möglich: Die kumulative Arbeitsweise Burckhardts, der mit ständig aktualisierten Loseblattsammlungen arbeitete, sowie die Vielzahl der verschiedenen Ausgaben stellen den Leser vor Datierungsfragen. Zu welcher Zeit schrieb Burckhardt welche Textpassage? Was ist ureigene Einstellung und wo schöpft er aus Exzerpten oder eigener Lektüre? Dass Burckhardt seine Gedanken für seine Vorlesungen, also einen kleinen Zuhörerkreis formulierte – die ‚Kultur der Renaissance’ war  hingegen eine Publikation zu Lebzeiten – ist ein Hinweis auf die Vorläufigkeit und Familiarität dieser Argumentation. Eine moralisierende Fragestellung würde auch verkennen, dass Jacob Burckhardt viele der Vorlesungsschriften nach seinem Tod vernichtet sehen wollte. Das macht vom Ergebnis her für den Philologen keinen Unterschied, ist aber in der Frage der Beurteilung entscheidend. Die Vorlesungskonvolute sind nicht Ausdruck politischer Meinung, sondern wissenschaftlicher Argumentation und Konstruktion. Bevor wir uns fragen, welche Bilder vom Islam Burckhardt entwirft, ist zu bedenken, was er über die andere Kultur wissen konnte – welche Basis also seine Werturteile haben. Dieser Aspekt wird als Schlüssel für das Islamverständnis bei Burckhardt betrachtet, nicht nur bei Kaegi.

 

Hat Burckhardt den Koran gelesen, was kannte er von der islamischen Literatur? In einem Brief aus dem Jahr 1840 berichtet er von der Lektüre einer Sure und eines Märchens aus 1001 Nacht – Exzerpte davon sind nicht nachweisbar[9]. Burckhardts Hebräisch-Lehrer Staehlin, der ihn zu Studien der arabischen Literatur und Sprache motiviert haben soll, stand in engem Kontakt zu Gustav Weil, einem der führenden Orientforscher seiner Zeit. Durch Staehlins Vermittlung lernte Burckhardt die im Jahr 1843 erschienene Biographie ‚Mohammed als Prophet – sein Leben und seine Lehre’ kennen. Ende der 1850er Jahre exzerpierte Burckhardt Joseph von Hammer-Purgstalls ‚Geschichte des osmanischen Reiches’ und vor allem dessen ‚Die Literaturgeschichte der Araber’. Auch am Paedagogicum band Burckhardt den Orient, vor allem Mohammed und die ersten Kalifen, in seinen Unterricht mit ein und thematisiert Bilderverbote im Islam sowie den byzantinischen Bilderstreit[10]. Im Jahr 1866 hielt er einen Vortrag über ‚Die Heldenlieder der Serben’ und geht auf den Ansturm des Orients und die Wirkung des Islam auf die Stadttyrannis ein[11]. Im selben Jahr als er auch über die ‚Einführungen in das Studium der Geschichte’ las, hielt Burckhardt einen Vortrag über ‚Die Reisen der Araber’ vor dem Verein Junger Kaufleute in Basel, der allerdings nicht mehr erhalten ist. In den 1870er Jahren ist eine Auseinandersetzung mit der ‚Geschichte des Quoran’, der ‚Geschichte der Perser und Araber zur Zeit der Sassaniden’, die eine Adaption der Weltgeschichte des Historikers Tabari darstellt, nachweisbar[12]. Ob die Veröffentlichung der ‚Arabischen Grammatik’ von Burckhardts Kollegen Socin im Jahre 1885 den Impuls für seine erneute Beschäftigung mit dem Islam führte, sei dahingestellt[13].

 

In jedem Fall hat sich Jacob Burckhardt während seines gesamten Lebens mit dem Islam beschäftigt und seine Überlegungen in sehr viele seiner Texte einfließen lassen – die Passage von der ‚Kultur des Mittelalters’ von 1885, in der Kaegi die ausführlichste Thematisierung erblickt, ist eine späte Zusammenfassung schon längst angewandter Argumente, ein summarisches Dossier ex post und stellt keine Initialzündung dar – so meine These. In den Konvoluten 207/130 und 131 des Jacob Burckhardt-Archivs in Basel befinden sich Memorierblätter, Exzerpte und Notizen, die allerdings nur zum Teil in die 1880er Jahre einzuordnen sind. Unten wird nachzuweisen sein, dass die meisten dieser Werke schon über zehn Jahre früher die Ausführungen zur ‚Kultur der Renaissance’ und zu den ‚Weltgeschichtlichen Betrachtungen’ geprägt haben[14] – dass Formulierungen identisch sind, während andere Argumentationen  essenziell abweichen.

 

 Es lassen sich folglich mehrere Phasen in Burckhardts Leben ausmachen, in denen er sich intensiver mit dem Islam beschäftigte – eine Unkenntnis der zeitgenössisch einschlägigen Forschungsliteratur kann man ihm nicht zum Vorwurf machen, im Gegenteil. Der Baseler Gelehrte hat hingegen die islamische Kultur des Orients, oder auch Spaniens nie mit eigenen Augen gesehen, weder auf Reisen noch in Museen – sein Zugang zum Thema ist nicht durch Anschauung, sondern durch Lektüre und den gelehrten Austausch geprägt.

 

Was aber, wenn Burckhardt diese Kulturzeugnisse gekannt hätte? Würde es für die Lektüre der Texte einen Unterschied machen? Entscheidend ist, dass Burckhardt Bilder dieser Kultur, dieser Religion erzeugt hat, die eigenwertig sind und in spezifischen Kontexten stehen. Da selbst Kaegi anerkennt, wie stark literarisch überformt , „dramatisiert“ Burckhardts Ausführungen sind, sollte man überlegen, inwiefern die biographische Dimension überhaupt einen Erklärungsansatz bietet, oder ob nicht poetologische Konstruktionsprinzipien einen Schlüssel zur Textanalyse bieten.

 

Nicht nur die...

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