2. Kapitel
Kalifornien, 2011
Nicht, dass es groß was zu bedeuten hätte, aber ich habe vor Kurzem mit dem Rauchen und Trinken aufgehört.
Seit ich achtzehn war, war ich nicht mehr so bodenständig wie jetzt. Stellt sich nun allerdings die große Frage, ob ich so überhaupt noch Songs schreiben kann. Bisher habe ich keine neuen geschrieben, obwohl es einen großen Teil meines Lebens ausmacht. Natürlich bin ich jetzt fünfundsechzig, das Schreiben geht mir vielleicht nicht mehr ganz so leicht von der Hand wie früher, aber andererseits schreibe ich ja dieses Buch. Wir nehmen das später noch einmal genauer unter die Lupe. Mal sehen, wie es so läuft.
Mein Arzt meinte, ich solle lieber kein Gras mehr rauchen, weil er in meinem Gehirn erste Anzeichen irgendeiner Veränderung sieht, und ich höre auf ihn. Mein Dad war ein toller Schriftsteller und wurde mit fünfundsiebzig wegen Demenz unzurechnungsfähig, deshalb bin ich auf der Hut. Als ich mit dem Grasrauchen aufhörte, ließ ich auch gleich das Trinken sein, denn ich hatte noch nie auf beides gleichzeitig verzichtet und dachte mir, es wäre sicher nett, mich mal wieder selbst kennenzulernen. Als meine Tochter vor ein paar Jahren mit dem Trinken aufhörte, gab sie unserer Familie ein eindrucksvolles Beispiel. Ich genieße das Leben mit meiner Frau Pegi und den Kindern, und ich will noch so viel wie möglich davon haben, aber ohne jemandem zur Last zu fallen.
Auch wenn ich schon eine Weile keine Songs mehr geschrieben habe, zähle ich hier einige auf, die mir viel bedeuten und mein Songwriting vielleicht geprägt haben: »Crazy Mama« von J.J. Cale, eine wunderbare Aufnahme. Der Song ist schlicht, wahr und direkt, und J.J. trägt ihn sehr natürlich vor. Er hat mich unheimlich beeinflusst mit seiner Art zu spielen. Sein Anschlag ist unbeschreiblich. Er macht mich sprachlos. »Like a Rolling Stone« von Bob Dylan ist noch genauso taufrisch wie an dem Tag, als ich es zum ersten Mal hörte – an jenen Nachmittag in Toronto erinnere ich mich wie gestern. Dieser Song hat mein Leben verändert. Die Poesie, die Haltung und die Stimmung sind in mich eingegangen. Ich habe sie absorbiert. »Be My Baby« von den Ronettes, diesen Klang werde ich immer lieben. Er wohnt in meiner Seele. Ronnie singt es so wunderbar. Der Groove, die wunderbar vollen Background-Vocals, das Stück selbst: alles aus einem Guss. Phil Spector ist genial. Jack Nitzsche ist genial. »Evergreen« von Roy Orbison, eine der schönsten Stimmungen, die je aufgenommen wurden. Ich habe immer noch Roys Stimme im Ohr und spüre die Liebe meiner Freundin. »Four Strong Winds« von Ian & Sylvia berührt mich jedes Mal. Ich trage es in meinem Herzen. Es enthält ein besonderes Gefühl. Ich liebe die Prärien, Kanada, mein Leben als Kanadier. Und natürlich liebe ich das Songschreiben, deshalb weiß ich, ich werde es eines Tages wieder tun.
Auch über Crazy Horse habe ich nachgedacht. Diese Band führt mich in kosmische Bereiche, zu denen ich mit anderen keinen Zugang habe. »Was willst du eigentlich bei Crazy Horse?«, wurde ich immer mal wieder gefragt. »Die können doch gar nicht spielen.« Die Antwort kennt nur der Wind. Sie bringen mich an andere Orte. Pegi hat gerade »I Don’t Want to Talk About It« von Danny Whitten eingespielt, dem ursprünglichen Crazy-Horse-Gitarristen und -Sänger, der auf »Early Daze« zu hören ist, ein Album mit Songs aus den Anfängen von Crazy Horse, die ich seit einiger Zeit zusammentrage. Danny stand mir künstlerisch in nichts nach, aber er starb Anfang der Siebziger an einer Überdosis Heroin. Immer wenn Pegi dieses Lied singt, werde ich wahnsinnig traurig. Sie singt es so wunderschön, mit einer Phrasierung, die mir das Herz bricht. Sie wird dem Song gerecht. Ihr seht, ich habe noch eine Rechnung mit Danny offen.
Ich arbeite seit ein paar Monaten an Crazy Horse: The Early Daze und sammle unveröffentlichte Aufnahmen, die eine Bandgeschichte erzählen, wie sie niemand sonst erzählen kann. Crazy Horse, Anfang 1969 von Danny Whitten, Ralph Molina, Billy Talbot und mir gegründet, spielt heute, im Jahr 2011, immer noch zusammen. Die Arbeit an dieser Early-Daze-Platte ist wunderbar. Ich fühle mich gut dabei. Ich habe Ralphie davon vorgeschwärmt, unserem Drummer, und auch er erinnerte sich an viele Aufnahmen, die nie jemand zu hören bekommen hatte. Das wird sich bald ändern. Er war sehr aufgeregt. Ich muss es einfach vollenden. Oder zumindest auf den Weg bringen. Ich werde es in die Hand nehmen.
Danny ist auf diesen frühen Stücken dauernd zu hören. Er fehlt mir immer noch. Er wäre einer der ganz Großen geworden, mit ihm hätten wir wirklich Geschichte geschrieben. Ich hätte es ihm sehr gewünscht, aber diese Platte wird einiges wiedergutmachen. Nach Dannys Tod war ich am Boden zerstört, aber ich wurde für eine laufende Tour gebucht, die 1973er »Time Fades Away«-Tournee mit Jack Nitzsche, Kenny Buttrey, Tim Drummond und Ben Keith. Sie ging weiter, jetzt mit mir. Eigentlich hatte Danny die Tour zu Ende spielen sollen. Jetzt sind nur noch Tim und ich übrig.
Zurück zu Crazy Horse. 1974, nach Dannys Tod, stellte mir unser Bassist Billy Talbot Poncho Sampedro vor, und mit Poncho an der Gitarre waren Crazy Horse wieder komplett. Es war eine andere Band, auf neue Weise großartig. Man muss es Poncho wirklich zugutehalten, dass er nie versucht hat, irgendjemanden zu kopieren. Er war einfach Poncho. Das war eine echt gute Einstellung, durch die wir uns selbst treu bleiben konnten, neue Stücke aufgreifen und uns weiterentwickeln. Genau das taten wir, mit Zuma, American Stars ’n Bars und Rust Never Sleeps. Wir sind eine hervorragende Live-Band, und Crazy Horse bedeutet mir den Himmel. Wenn ich doch nur ein paar neue Songs hätte … irgendetwas Neues, um wieder dorthin zu kommen.
Alte Songs wieder aufzuwärmen, funktioniert nicht besonders gut. Frisches Blut, das brauchen die Horse. Deshalb habe ich einen Plan: Crazy Horse im White House. Wir treffen uns auf meiner Ranch in den Wäldern von Corte Madera Creek im großen White House, einem ausgedehnten Bungalow im Ranch-Stil aus weiß gestrichenem Redwood. Seit ich diesen Teil des Grundstücks 1972 gekauft habe, fand dort so ziemlich alles statt, was mit Musik zu tun hat. (Nicht zu verwechseln mit dem kleinen White House, einer Behausung für die Arbeiter damals auf der alten Ranch, in dem ich heute Besucher unterbringe, die an Musikprojekten oder anderen Sachen arbeiten.) Der Plan: Wir richten uns dort ein und nehmen auf, halten das Equipment etwa ein Jahr lang startbereit, bis wir eine tolle Platte zusammenhaben. Wir spielen und spielen einfach nur, bis die Muse in unseren Kreis zurückkehrt. Ganz sachte. Ohne Suchen. Ohne Arbeit. Ohne Experimente. Wir öffnen uns einfach für den spirit, aber ohne Gier. Dann wird sich ja zeigen, wie weit es mit meiner Bodenständigkeit her ist.
Ich will mit unserer alten Aufnahmekonsole arbeiten, auch bekannt als »Green Board« (meiner Ansicht nach das beste Mischpult aller Zeiten), und achtspurig auf 2-Zoll-Tonband aufnehmen, um den fettesten analogen Klang zu bekommen, den man kriegen kann. Das Green Board steckt voller Geschichte. Pet Sounds und Heroes and Villains von den Beach Boys, Disraeli Gears von Cream, das Monterey Pop Festival und Wilson Pickett, all das wurde mit dem Green Board aufgezeichnet. Nebenher lassen wir Pro Tools laufen, einfach um moderne Technik zu haben, mit der wir Fehler ausbügeln können, aber ich will diesen alten Röhren-Sound. Ich bin verrückt nach den Röhren, nach ihren elektrochemischen Reaktionen, die den Klang erzeugen. Ich glaube, das wird Spaß machen und funktionieren, am besten, ich bringe die Sache heute noch in die Gänge. Ich halte euch auf dem Laufenden.
Diese Crazy-Horse-Aufnahme soll das erste PureTone-Release werden. Das wäre wirklich genial. Man erlebt Musik heute ja ganz anders als früher. Sie hat nicht mehr denselben Stellenwert innerhalb der Kultur. Ich glaube, das hat eine Menge mit der Klangqualität zu tun, deshalb will ich das mit PureTone angehen. Die Musik ist nicht das Problem, sondern der Klang.
Vor Jahren legten wir immer Azetatplatten auf (Referenzplatten, die nur wenige Male abgespielt werden konnten), um uns anzuhören, was wir im Studio fabriziert hatten. Unser Gehör war darauf ausgelegt. Das Gefühl war sofort da, und ab ging’s in die spirituelle Welt – hören, fühlen, die Klangwellen aufnehmen. Das war eine Wahnsinnszeit. Sie ist vorbei, aber wenn Klangqualität wieder unter die Haut geht, könnten wir sie zurückholen.
Musik wird heute als ein Unterhaltungsmedium präsentiert, wie ein Spiel, aber ohne die volle Audioqualität. Sie ist eher eine Art lässiger Zeitvertreib oder ein Spielzeug, keine Botschaft an die Seele. So ändern sich die Zeiten.
Ich werde also wieder Musik machen. Das ist der Plan. Wieder ran an die Musik. Also los. Sie war immer gut zu mir. Ich will sie einfach fühlen. Sie in meinem Körper spüren und Texte singen, zu denen ich mir in langen Instrumentalpassagen, in die mich nur Horse hineintragen kann, die Seele aus dem Leib spielen will. Ich brauche das einfach. Einmal, als wir im Studio gerade etwas aufnahmen, traf ich Ralphs Blick. Für einen Moment war er in purer Ekstase; wir hatten Blickkontakt, und ich habe dieses Gefühl nie vergessen. Es war, als würden wir mit einem Schlag die ganze Kraft von Horse spüren! Jetzt sagt Ralph immer: »Guck mich nicht an, wenn ich spiele.« Ich weiß warum. Er will nicht darüber nachdenken, wie er aussieht. Er will einfach spielen. Wir reiten also zusammen, aber wir reiten auch allein. Crazy Horse ist ein...