Im folgenden Kapitel wird der Ritus Hochze it vorgestellt. Ergänzend werden Erklärungsansätze fürdiegesellschaftliche n Veränderungenaussoziologisch er Sichtaufgeführt. Hintergrund dazu ist, die Relevanz des Hochzeitsp laners zu begründen und eine Argum entations- und Orientierungsgrundlagefür die Zielgruppenbestimmung abzuleiten.
Jedes Individuum durchläuft im Rahmen des gesellschaftlichen Daseins verschiedene Lebensphasen,[2] die zeremoniell und rituell begleitet werden. Ziel ist es, die Individuen aus einer Situation in die Nächste genau definierte zu überführen (vgl. Nave-Herz 1994, S.5). Ein Ritus ist das vorgegebene Handeln nach einer festgelegten Ordnung mit zeremoniellem Charakter und definierten Handlungen (vgl. Duden 2008, S.875).
In allen Kulturen ist die Hochzeit ein institutionelles Medium zur Neu-Definition der Paarbeziehung mit rituellen Formen (vgl. Nave-Herz 2004, S.10, 27). Eine Hochzeit kann als Übergangsritus[3] (mit Trauung und Fest) mit dem Ziel angesehen werden, das Paar in eine neue Lebenssituation zu begleiten (vgl. Nave-Herz 1994, S.12, 14, 16). Die Schließung der Ehe symbolisiert zudem im Rahmen sozialer Kommunikation, dass neue gesellschaftliche Rechte und Pflichten bestehen (vgl. Nave-Herz 2004, S.26, Remberg 1995, S.21).
Die Ehe ist eine durch das Gesetz öffentlich anerkannte Partnerschaft, welche auf Dauer mit dem Ziel der gegenseitigen dauerhaften Verpflichtung ausgerichtet ist (vgl. Nave-Herz 1994, S.9, 2004, S.24f.). Die zivile Ehe (nach Rechtsvorschriften) wird durch die persönliche Bekundung der Eheschließungsabsicht vor einem Standesbeamten und Zeugen geschlossen (vgl. BGB 2010, §1303ff.). Im Rahmen der christlichen Eheschließung wird diese durch einen Pfarrer im Namen Gottes, vor Zeugen und eine Vielzahl von begleitenden Bräuchen[4] vorgenommen (vgl. Remberg 1995, S.11, 182f.).
Historisch gesehen stellte die Eheschließung lange Zeit eine ökonomische Notwendigkeit und moralische Pflicht zur Befriedigung elementarer Bedürfnisse dar. Sie hatte instrumentellen Charakter zum Erhalt von Vermögen, Namens- und Versorgungsrechten (vgl. Nave-Herz 1994, S.7f.). Die Kirchen spielten in Bezug auf die Eheschließung in der Vergangenheit eine grundlegende Rolle. Der Trauritus war im 16. Jahrhundert vollständig im Verantwortungsbereich der Kirche[5] und galt nur so als anerkannte Ehe (vgl. Nave-Herz 2004, S. 25).
Im 19. Jahrhundert wurde die zivile Trauung durch den Staat wieder eingeführt, wobei diese heute als Voraussetzung für eine kirchliche Trauung gilt (vgl. Nave-Herz 2004, S.26). Im Rahmen der Eheschließung nimmt die Bedeutung der Kirche immer mehr ab, da ein Rückgang kirchlicher Trauungen (vgl. Kapitel A1, Abb.1) zu verzeichnen ist (vgl. Nave-Herz 1994, S.12f., Remberg 1995, S.150, 210, 215). Zudem setzte sich im 19. Jahrhundert parallel die Form der freien Trauung ohne Standesbeamten und Kirche[6] durch, wobei die rituellen Formen[7] der Eheschließung größtenteils übernommen wurden (vgl. Nave-Herz 2004, S.26).
In der vorindustriellen Zeit war das Leben der Menschen durch eine Vielzahl von Sitten und traditioneller Bindungen geprägt (vgl. Nave-Herz 1994, S.14, Peuckert 2008, S.326). Alle Einzelheiten, von z.B. der Schließung der Ehe bis zum Alltag mit Rollenverteilung, waren vorgegeben (vgl. Peuckert 2008, S.32). Im Rahmen der Industrialisierung, begleitet durch einen langwierigen Modernisierungsprozess, haben sich die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen durch verschiedene Faktoren differenziert und modifiziert. Durch z.B. die Durchsetzung der bürgerlichen Grundrechte, die Zunahme des Wohlstandsniveaus, die Ausweitung der Bildungschancen, die Freisetzung aus Glaubenssystemen, die Veränderung der Rolle der Frau und die Liberalisierung der Sexualmoral etc. haben sich Lebensformen und deren Anforderungen verändert (vgl. Peuckert 2008, S.45, 326, 339, Remberg 1995, S.94). Die Ehe konnte sich von ökonomischen Hintergründen lösen und dient heute vordergründig der Befriedigung emotionalerBedürfnisse, wobei die romantische Liebe als Ehe-Ideal gilt (vgl. Nave- Herz 1994, S.7f.). Zudem entwickelte sich ein sozialer Wertewandel in Richtung Postmaterialismus mit dem Bedürfnis der Selbstentfaltung (vgl. Peuckert 2008, S.329).
Folglich kann eine soziale Differenzierung, eine Individualisierung der Gesellschaft und eine Pluralisierung der Lebensformen[8] festgestellt werden. Vermehrt entwickelte sich eine starke Berufsorientierung von Mann und Frau (vgl. Peuckert 2008, S.329). Die Individualisierung der Gesellschaft äußert sich in der Unabhängigkeit des individuellen Lebenslaufs, der zuvor in Bezug auf Lebensübergänge, wie z.B. der Hochzeit, von Instanzen gesteuert wurde (vgl. Peuckert 2008, S.327). Dies führte dazu, dass als Ausdruck einer säkularen und antiautoritären Einstellung junger und gebildeter Altersgruppen, mit Bedürfnissen der Selbstverwirklichung, familiäre Subsysteme[9] entstanden (vgl. Peuckert 2008, S.336ff.).
Zu den heute existieren Lebensformen zählen u.a. die nicht-eheliche Lebensgemeinschaft und die formale Ehe (vgl. Nave-Herz 1994, S.12, Peuckert 2008, S.339). Im Jahr 2003 wurde festgestellt, dass die nicht-eheliche Lebensgemeinschaft von vielen Paaren als Vorstufe zur Ehe (38%), als Probeehe (33%) oder als Alternative zur Ehe (28%) gesehen wird und bei den jüngeren Generationen ein fester Bestandteil der frühen Erwachsenenphase geworden ist (vgl. Peuckert 2008, S.67, 77). Es kann in Bezug auf den 'rite de passage' (vgl. Kapitel B1) verstärkt vom 'rite de confirmation', als Übergang von der informellen zur formellen Partnerschaft, gesprochen werden (vgl. Nave-Herz 1994, S.25).
Es ist zudem ein Anstieg des Heiratsalters (2004) bei Männern von 25,9 (1960) auf 31,0 Jahre und bei Frauen von 23,7 (1960) auf 28,4 Jahre mit steigender Tendenz zu beobachten. Dies ist zum einen auf die Verlängerung der Phase bis zur beruflichen Etablierung und zum anderen auf den Aufschub der Eheschließung aufgrund des Selbstverwirklichungsbedürfnisses im Rahmen der Karriere zurückzuführen (vgl. Peuckert 2008, S.36, 48). Auch trägt die gesellschaftliche Akzeptanz der nicht-ehelichen Lebensgemeinschaft dazu bei, dass sich die voreheliche Zeit innerhalb dieser Lebensform verlängert (vgl. Remberg 1995, S.9, 92).
Durch die gesellschaftlichen Veränderungen und die Abschwächung der ökonomischen Hintergründe zur Eheschließung haben sich neue Werte, Einstellungen und Motive gebildet. Die Sinnzuschreibung einer Ehe ist pluraler geworden. Neben dem Festhalten an sozialnormativen Argumentationen sind Ehen immer individueller zu begründen und Sinn- und Handlungszusammenhänge komplexer geworden (vgl. Nave-Herz 1994, S.13). Remberg (1995) geht davon aus, dass die Entscheidung zur Heirat bewusster geschlossen wird und nicht mehr als selbstverständlich angesehen wird (vgl. Remberg 1995, S.61, 213f.).
Abbildung 5 Heiratsmotive
(Quelle: in Anlehnung an Schneider,
Rüdiger 2007 S.143)
In Bezug auf Motive zur Eheschließung unterscheiden Schneider undRüger (2007) in nutzenorientierte (33,2%), wertorientierte (31,4%) und spontan-emotionale (35,4%) Heiratsmotive, welche aus Abbildung 5 zu entnehmen sind (vgl. Schneider, Rüdiger 2007, S.143). Es ist festzuhalten, dass die Eheschließung heute eine Vielzahl ver schiedener Motive aufweist und persönliche Entwicklung, Offenheit und Kommunikation im Mittelpunkt stehen, jedoch kein dominierendes Motiv zu benennen ist (vgl. Peuckert 2008, S44, Remberg 1995, S.55).
Da die Ehe mit den Charakteristika Sicherheit, gegenseitige Unterstützung und Familie verbunden ist, ist diese Lebensform bei jüngeren Generationen seltener festzustellen, da die Zeit der Ausbildung in Bezug auf z.B. ein finanzielles Fundament unsicher ist (vgl. Peuckert 2008, S.77). Gründe, die gegen eine Eheschließung sprechen, sind nach Dorbritz (2004) z.B. die Arbeitssituation (74%), das zu niedrige Einkommen (58%), die sinkende Wertschätzung der Ehe (57%), die Akzeptanz der nicht-ehelichen Lebensgemeinschaft (62%), der Wunsch nach Unabhängigkeit und Selbstständigkeit (76%) und der Aufschub der Heirat mit der späteren Geburt der Kinder (48%) (vgl. Peuckert 2008, S.46 und Dorbritz 2004, S.355).
Im Rahmen des Modernisierungsprozesses ist der Ritus Hochzeit stark individualisiert und weniger (aber auch noch) an sozial normative Abläufe geknüpft. Das Hochzeitsfest weist somit Variabilität in Bezug auf rituelle Formen, Dauer, Abläufe und Detailbreite auf (vgl. Nave- Herz 1994, S.12f., 139). Rituale stellen für Paare keine Rechtsverbindlichkeit, sondern eine emotionale und so ziale Funktion dar. Gefühle (z.B. Vertrauen, Sicherheit) sollen manifestiert und die Hochzeit intensiviert werden (vgl. Remberg 1995, S.218ff., Nave-Herz 1994, S.17, 22). Somit werden die Riten transformiert[10], wobei eine Novationsbereitschaft der Paare deutlich zu erkennen ist (vgl. Isemeyer 1998, S.7ff., Remberg 1995, S.212ff., 129). Rituale wurden...