Auszug aus der Homepage von Austria Tabak[12] (2003):
"Für Austria Tabak ist unbestritten, dass das Rauchen von Tabakwaren mit Gesundheitsrisiken verbunden ist. Es ist nicht unsere Intention, die Bevölkerung zum Rauchen zu animieren. Vielmehr besteht unsere Zielsetzung darin, hochqualitative Produkte unseren Konsumenten, die sich zum Rauchgenuss entschieden haben, zur Verfügung zu stellen. Als Tabakwarenhersteller sprechen wir ausschließlich Erwachsene an, die sich der Gesundheitsrisiken im Zusammenhang mit dem Rauchen in vollem Umfang bewusst sind. Wir wollen nicht, dass Jugendliche oder sogar Kinder rauchen bzw. sich von unseren Marketingaktivitäten – weder direkt noch indirekt – angesprochen fühlen, oder zum Rauchen animiert werden. Kampagnen zur Aufklärung Jugendlicher über die Gesundheitsrisiken des Rauchens werden von Austria Tabak mit entsprechenden Finanzmitteln unterstützt.“
Warum rauchen dennoch so viele jugendliche Mädchen und Burschen, wie werden sie angesprochen und zum Rauchen animiert?
Es gibt heute viele verschiedene Theorien, warum Jugendliche rauchen und zu rauchen beginnen. In Dür/Aichholzer/Friedhuber (2003) fassten wir die verschiedenen Erklärungsmodelle für das Rauchen von Jugendlichen zusammen, die sich mehr oder weniger dominant im Denken von Eltern, LehrerInnen, ÄrztInnen und ExpertInnen der Gesundheitsförderung und der Suchtvorbeugung in den Köpfen festgesetzt haben. Diese Modelle bestimmen bisher das Problem und gelten als Grundlage zur Bekämpfung. Die sechs wichtigsten (bisherigen) Erklärungsansätze waren:
1. Mangelnde Selbstsicherheit
Im Zusammenhang mit der pubertären Identitätsentwicklung wird der Mangel an Selbstbewusstsein und Selbstsicherheit als Kausalfaktor oder zumindest als wesentliche psychische Rahmenbedingung gesehen. Es wird dem Rauchen unterstellt, dass es ein Gefühl der Erwachsenheit und Sicherheit vermittelt, was den Jugendlichen gerade in der Phase der Pubertät fehlt.
2. Mediale Verführung, Werbung
Bei diesem Erklärungsansatz spielt die mediale Vermarktung von Zigaretten die Hauptrolle. Jugendliche sind demnach den vielfältigen Verführungen der Werbung psychologisch nicht gewachsen und erliegen den präsentierten Bildern. Diese Bilder vermitteln den Zusammenhang zwischen Rauchen und dem guten, angenehmen Leben. Die Inszenierung des Rauchens als cool, gutaussehend, begehrlich, weltmännisch, erfolgreich, entspannt usw. macht die Zigarette zu einem Instrument der Selbstinszenierung.
3. Vorbildwirkung Erwachsene
Wie schon im vorigen Modell wird auch hier den Jugendlichen unterstellt, dass sie Verhaltensmodelle kopieren, die ihnen zusagen. So ist es nicht verwunderlich, warum in einer Gesellschaft, in der 30 % der Erwachsenen rauchen, auch 30 % der Jugendlichen rauchen. Genauso wenig verwunderlich ist es, dass der Großteil der Jugendlichen in Österreich einen Führerschein macht, zu bestimmten Gelegenheiten Alkohol trinkt und das Ziel hat, eine Familie zu gründen.
4. Gruppendruck
Dieses Erklärungsmodell ist wohl das weitverbreiteste und etablierteste. Rauchen wird hierbei als Teil einer Gruppenkultur interpretiert und dient gemeinsam mit anderen Merkmalen wie gleiche Kleidung, eigene Sprache, spezielle Handzeichen, Begrüßungen o.ä. dazu, die Identität der Gruppe und ihrer Unterschiedlichkeit von anderen herzustellen. Wer dazugehören will, muss diese Identifikationsmerkmale mitmachen und, wenn gefordert, auch rauchen.
In den interviewten Fokusgruppen wird das Theorem des Gruppendrucks sehr gerne als Rechtfertigungsgrund herangezogen. Nicht immer zu Recht, wie verschiedenste ExpertInnen herausgefunden haben (Lyness 2001, Denscombe-Martyn 2001, Levental-Amy 1998, Newman 1984, Eiser&Van-der-Pilgt 1985, Dür et al. 2003) Auch in der hier vorliegenden Forschung zeigt sich, dass dieser Erklärungsansatz zumeist ungerechtfertigt ist (siehe Kapitel "Peers“).
5. Problembewältigung
Nikotin ist eine psychoaktive Substanz die beruhigend, entspannend und stimmungsaufhellend, anregend wirkt. Gerade aufgrund dieser psychopharmakologischen Wirkung wird die Zigarette bei Jugendlichen – sowie auch bei Erwachsenen – bei Problemen und in schwierigen, stressigen Situationen zur Problembewältigung eingesetzt.
Obwohl dieses Modell nicht ausschließlich auf Jugendliche anwendbar ist, hat es in diesem Bereich jedoch besondere Relevanz. Im Zuge der Pubertät tauchen nämlich unendlich viele Probleme auf, die für Stresssituationen und Herausforderung sorgen und bewältigt werden müssen.
6. Schönheitsideal Schlankheit
Dieser Erklärungsansatz befasst sich mit dem Rauchen von jungen Mädchen und deren Wunsch, einem gängigen Schönheitsbild entsprechen zu wollen. Die Zigarette dient als hungerbetäubender Essensersatz, was dazu führen soll, dass die Mädchen weniger essen, das Gewicht somit halten oder sogar reduzieren.
Weitere Funktionen der Zigarette bzw. des Rauchens sind laut den Drogeninfos Entspannung, Konzentration, Gewohnheit, Verlegenheit oder Unsicherheit, Stressbewältigung, "Halt“, Sucht, guter Geschmack. Diese Erklärungen können jedoch nicht im Speziellen auf Jugendliche übertragen werden, sie sind allgemeiner Tenor von RaucherInnen jeden Alters. Teilweise gelten die angeführten Meinungen zu Recht, teilweise nicht. So versetzt sich der Raucher in einen Zustand der Entspannung, dass jedoch die Konzentration erhöht wird, ist nur ein kurzfristiger Effekt. Nach einem kurzen Hoch, kommt der umso stärkere Abfall. Kettenraucher brauchen diesen Kick dauernd und zünden sich somit eine nach der anderen an.
In der dieser Arbeit vorangehenden GAT-Studie[13] konnten wir keine Anhaltspunkte für die Richtigkeit der Modelle des Gruppendrucks und des Schlankheitsideals finden. Während das Thema Rauchen als Essensersatz von den Mädchen – auch bei Nachfragen – nicht erwähnt und somit nicht in Zusammenhang gebracht wird, findet das Theorem des Gruppendrucks große Resonanz. Bei genauerer Betrachtung wird jedoch offensichtlich, dass diese etablierte und mittlerweile allerorts übliche Erklärung als Rechtfertigung, als nachträgliche Legitimation oder als Entschuldigung der Raucher herangezogen wird. Sie begründen ihr Verhalten und schieben die eigene Schuld auf Gruppenzwänge, denen sie erlegen seien und für die sie nicht verantwortlich gemacht werden könnten. Das Rauchen führt bei ihnen zu einem schlechten Gewissen. Weiters ist RaucherInnen durchaus bewusst, dass Tabakkonsum sozial unerwünscht und gesundheitsschädlich ist. Genauere Einblicke in die Bedeutung von Peers und Gruppendruck werden im Kapitel der Peers (Kapitel 3.3) gegeben.
Die "Mediale Verführung“ spielt hingegen eine bedeutende Rolle. Weniger durch direkte Werbung als vielmehr durch gezieltes, geschicktes Product Placement in TV-Filmen und Serien. Explizit genannt wurde von den Mädchen die Serie "Sex and the city“, in der das Rauchen gerade in Problemsituationen und bei der Bewältigung dieser, große Bedeutung zukommt. Weiters sind nach wie vor Images von Schauspielern mit Zigarette (genannt wurde der legendäre James Dean) nicht aus dem Gedächtnis der heutigen Jugendlichen verschwunden. Den Medien als beeinflussender sozialer Kontext ist in dieser Arbeit ein eigenes Kapitel (3.4) gewidmet.
Um das Modell der "Mangelnden Selbstsicherheit“ zu untersuchen war die Art der Datenerhebung und auch das Setting weder geeignet noch gedacht. Will man diesen Erklärungsansatz genauer betrachten, muss man die Herangehensweise, das Setting und die Fragestellung ändern um zu einem aussagekräftigen Ergebnis zu kommen.
In den vorliegenden Interviews kommt als Thema das "Erwachsen sein“ mit Hilfe der Zigarette zum Ausdruck. Man mag es als Hinweis auf mangelnde Selbstsicherheit deuten.
Weiters fällt im Zuge des Themas "Erwachsensein durch die Zigarette“ auf, dass die Jugendlichen mit Hilfe des Rauchens ihre Probleme (besser) bewältigen. In den Interviews liefert das Modell der "Problembewältigung“ den wesentlichsten Beitrag. Es ist in allen Raucherkarrieren das zentrale Erfahrungsmoment, an dem sich zwar nicht das primäre Interesse an der Zigarette, aber die Fähigkeit, ihre psychoaktive Wirkung zu empfinden, entwickelt.
In der GAT-Studie entwickelten wir (Dür/Aichholzer/Friedhuber), basierend auf Howard Becker (1981), ein Karrieremodell. Becker untersuchte schon sehr früh das Verhalten von Marihuana-Rauchern und kam zu dem Schluss, dass es ein mehrstufiges Verfahren, ein Erfahrungslernen...