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Grenzen von Netzwerken

VerlagVS Verlag für Sozialwissenschaften (GWV)
Erscheinungsjahr2009
Seitenanzahl224 Seiten
ISBN9783531918563
FormatPDF
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis36,99 EUR
Während Systeme aufgrund ihrer Selbstreferenzialität über klare Grenzen verfügen, wird in der Netzwerkforschung noch kontrovers über den Status von Netzwerkgrenzen diskutiert. Als dynamische, mit Zentren und Peripherien ausgestattete, heterogene Gebilde können sich Netzwerke nicht über ihre Grenzen definieren, sondern durch das, was in ihren Aktivitätszentren passiert. Der Sammelband stellt die aktuelle Debatte vor und präsentiert die dabei bezogenen Standpunkte, wonach Netzwerke gar keine oder zumindest unscharfe Grenzen besitzen, diese zunächst narrativ durch die Akteure erzeugt werden und lediglich forschungspraktische Artefakte bilden, so dass Netzwerke selbst als Grenzen aufzufassen sind. Diese Debatte schärft das Selbstverständnis der Netzwerkforschung erheblich und unterstreicht gleichzeitig die Eigenständigkeit netzwerkforscherischer Ansätze für das Verständnis aktueller gesellschaftlicher Entwicklungen (z.B. 'next society'). Der Sammelband enthält sowohl theoretische als auch empirische Zugänge zu dem Thema.

Dr. Roger Häußling ist Professor für Soziologie mit dem Schwerpunkt Technik- und Organisationssoziologie an der RWTH Aachen.

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Leseprobe
Praktikable vs. tatsächliche Grenzen von sozialen Netzwerken. Eine Diskussion zur Validität von Schulklassen als komplette Netzwerke (S. 15)

Thomas N. Friemel und Andrea Knecht

1 Einleitung

Für die Konzeptionalisierung sozialer Netzwerke muss stets eine erhebliche Komplexitätsreduktion erfolgen, denn nur so wird die Realität erfass- und analysierbar. Basierend auf der Definition von sozialen Netzwerken1 kann die Reduktion der Komplexität zum einen anhand der Beschränkung auf bestimmte Akteure und zum anderen durch die Fokussierung auf spezifische Verbindungen erfolgen.

In aller Regel bedarf es einer Reduktion bezüglich beider Aspekte, indem eine klar umrissene Gruppe von Akteurstypen und einige wenige Beziehungsdimensionen betrachtet werden. Dies findet auch seinen Niederschlag im Grundvokabular der Netzwerkanalyse, indem bei der Anzahl Akteurstypen zwischen One- und two-mode Netzwerken und bei der Anzahl Beziehungstypen zwischen uni- und multiplexen Netzwerken unterschieden wird (Wasserman/Faust 1994).

Wenig akkurat erscheinen hingegen in vielen Fällen die Begriffe „Gesamtnetzwerke“ oder „komplette Netzwerke“. Diese Begriffe suggerieren die Berücksichtigung aller relevanten Akteure und Beziehungen, was faktisch in den wenigsten Fällen möglich ist. Empirische Studien, welche die sozialen Netzwerke von Kindern und Jugendlichen untersuchen, betrachten vielfach Schulklassen als komplette Netzwerke.

Dies lässt sich zum einen inhaltlich begründen, da Schüler einen großen Teil des Tages in der Schule und somit im Klassenverband verbringen. Auf der anderen Seite kann aber vermutet werden, dass nicht zuletzt forschungspraktische Gründe ausschlaggebend sind für die Wahl eines solchen Untersuchungssettings.

Eines der wesentlichsten (forschungspraktischen) Argumente für die Wahl von Schulklassen dürfte wohl die klare Abgrenzbarkeit sein. Es liegt deshalb die Vermutung nahe, dass Grenzen von untersuchten sozialen Netzwerken vielfach durch die Grenzen der Praktikabilität gezogen werden und nicht tatsächliche Grenzen widerspiegeln. Die Auswahl und Anzahl betrachteter Akteurstypen und Beziehungsdimensionen werden dabei durch Faktoren wie Zugänglichkeit, Ressourcen und Analysemethoden eingeschränkt.

Die Diskrepanz zwischen praktisch möglichen und tatsächlich bestehenden bzw. theoretisch sinnvollen Grenzen lässt sich aufgrund dieser Hindernisse in der Forschungspraxis kaum vollständig überwinden. Basierend auf der Einsicht, dass sich das geschilderte Problem nicht lösen, sondern höchstens minimieren lässt, wird hier vorgeschlagen, dass zumindest ein möglichst bewusster und kritischer Umgang damit erfolgen soll.

Das Bestreben muss demnach darin bestehen, die Validität von Grenzziehungen zu hinterfragen, Diskrepanzen transparent zu machen und mögliche Auswirkungen davon zu berücksichtigen (beispielsweise eine eingeschränkte Generalisierbarkeit der Ergebnisse). Im nachfolgenden Abschnitt (2) werden zunächst die bestehenden Vorarbeiten zur Grenzziehung bei sozialen Netzwerken aufgearbeitet.

Abschnitt 3 stellt sodann ein Validierungskonzept für empirische Studien vor, das aus zwei Stufen besteht, wobei die erste Stufe zwei unterschiedliche Methoden umfasst. In einem ersten Schritt wird die Relevanz des erhobenen Primärnetzwerks mit der potentiellen Bedeutung eines umfassenderen Sekundärnetzwerks verglichen. Der Begriff des Primärnetzwerks bringt zum Ausdruck, dass es sich hierbei um dasjenige Netzwerk handelt, auf dem das Hauptaugenmerk der Untersuchung liegt.

Das Sekundärnetzwerk umfasst demgegenüber zusätzliche Akteure oder Verbindungstypen, welche von untergeordnetem Interesse sind, bzw. vor allem für die Abschätzung der Validität der Grenzziehung erhoben werden. Eine Möglichkeit, die Diskrepanz zwischen Primär- und Sekundärnetzwerk zu erheben, besteht darin, dass die betroffenen Akteure durch Selbsteinschätzung die Relevanz ihrer eigenen Beziehungen innerhalb des untersuchten Netwerks ins Verhältnis zu ihren Beziehungen in anderen Kontexten bringen. Eine zweite Möglichkeit, die Validität der Netzwerkgrenzen zu überprüfen, besteht in der Kombination mehrerer Erhebungsinstrumente wie z.B. einer Listenabfrage mit einer offenen Abfrage.
Inhaltsverzeichnis
Inhalt6
Einleitung7
Praktikable vs. tatsächliche Grenzen von sozialen Netzwerken. Eine Diskussion zur Validität von Schulklassen als komplette Netzwerke15
Die räumlichen Grenzen persönlicher Netzwerke33
Lässt sich die Netzwerkforschung besser mit der Feldtheorie oder der Systemtheorie verknüpfen?54
Zur Bedeutung von Emotionen für soziale Beziehungen. Möglichkeiten und Grenzen der Netzwerkforschung80
Entkopplung und Kopplung Wie die Netzwerktheorie zur Bestimmung sozialer Grenzen beitragen kann103
Grenzen der Erfassung = Grenzen von Netzwerken? Schnittmengeninduzierte Bestimmung von Positionen130
Aus den Augen, aus dem Sinn? Zum Verhältnis von Clustertheorie und Clusterpraxis152
Selektivitäten des Netzwerkes im Kontext hybrider Strukturen und systemischer Effekte – illustriert am Beispielen regionaler Kooperation180
Netzwerkforschung auf einem Auge blind? Ein Beitrag zur Rolle von Netzwerken bei Stellenbesetzungsprozessen206
Verzeichnis der Autorinnen und Autoren222

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