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Die 'angeborenen Ideen' bei Platon und Leibniz

AutorBenedikt Bärwolf
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2012
Seitenanzahl67 Seiten
ISBN9783656296409
FormatePUB/PDF
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis19,99 EUR
Examensarbeit aus dem Jahr 2010 im Fachbereich Philosophie - Epochenübergreifende Abhandlungen, Note: 1,7, Friedrich-Schiller-Universität Jena (Philosophisches Institut), Veranstaltung: Staatsexamen, Sprache: Deutsch, Abstract: Die Philosophie hat sich seit ihrer Entstehung mit zentralen Fragen des Menschen auseinandergesetzt. Eine dieser elementaren Auseinandersetzungen beschäftigt sich mit dem Ursprung der menschlichen Erkenntnis. Auf der Suche nach der Quelle der menschlichen Erkenntnis entstand unter den Philosophen eine heftige Kontroverse darüber, ob die Vernunft oder die Erfahrung die Herkunft der Erkenntnisse im Menschen darstellt. Bei der Akzentuierung dieser beiden Quellen unterscheidet man daher die Positionen des Rationalismus und die des Empirismus voneinander. Der Rationalismus geht davon aus, dass die Vernunft die primäre und die Erfahrung die sekundäre Quelle der menschlichen Erkenntnis ist. Der Empirismus hingegen räumt der Erfahrung eine Vorrangstellung vor der Vernunft ein. Dabei ist die Zustimmung beziehungsweise Ablehnung des Daseins der angeborenen Ideen der bestimmende Gegensatz dieser beiden Positionen. Unter der Bezeichnung angeborene Ideen muss man sich hier jene Kenntnisse vorstellen, die der Mensch seit seiner Geburt in sich trägt und die somit nicht aus der Erfahrung stammen. Was man unter diesen angeborenen Ideen zu verstehen hat und wie man sie begründen kann, stellt das Zentrum dieser wissenschaftlichen Arbeit dar. Der Titel 'Die angeborenen Ideen bei Platon und Leibniz' macht bereits deutlich, dass hier zwei Philosophen im Fokus der Betrachtungen stehen sollen. Einerseits soll der antike Philosoph Platon und anderseits der neuzeitliche Philosoph Gottfried Wilhelm Leibniz im Bezug auf die Lehre der angeborenen Ideen betrachtet werden. Die Erkenntnistheorie als Disziplin der Philosophie, die sich mit den Bedingungen, Möglichkeiten und Grenzen der menschlichen Erkenntnis beschäftigt, ist erst um 1830 entstanden. Der Gegensatz zwischen Empirismus und Rationalismus existiert erst in der Neuzeit. Aber trotz dieser Tatsachen hat sich bereits Platon in der Antike mit dem Wissen im Menschen beschäftigt und die Lehre der angeborenen Ideen gegenüber seinem Schüler Aristoteles vertreten. Die Vorstellung von den angeborenen Ideen kann man deshalb auf Platon als seinen Urheber zurückführen. Der Rationalist Leibniz hingegen hat die Lehre der angeborenen Ideen, die man auch Apriorismustheorie nennt, von Platon übernommen und sie auf eine neue wissenschaftliche Grundlage gestellt. [...]

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Leseprobe

2. Begriffliche Einführung in die Lehre der angeborenen Ideen


 

Am Anfang einer jeden wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit einem philosophischen Problem sollte eine Analyse der Begrifflichkeit stehen, wenn sich die Bedeutung des Terminus nicht mit dem allgemeinen Verständnis des Begriffes deckt. In diesem zweiten Kapitel soll eine Erörterung der Begrifflichkeit angeborene Ideen, zuerst bei Platon und dann bei Leibniz, erfolgen. Bevor jedoch eine genaue Analyse stattfindet, soll der Begriff Idee und dann der Zusatz angeboren unabhängig voneinander analysiert und definiert werden, damit der Zugang zu der platonischen und leibnizschen Vorstellung von den angeborenen Ideen ermöglicht werden kann. Die Erläuterung der Begrifflichkeit soll dabei nicht nur einen hinreichenden Zugang zur Gedankenwelt von Platon und Leibniz schaffen, sondern auch an die Problematik des Verständnisses der angeborenen Ideen hinführen. Ohne eine genaue Definition der Begriffe kann man keinen effektiven und lohnenswerten Vergleich zwischen den beiden Philosophen entwickeln, wie er in den nächsten zwei Kapiteln erfolgen soll. Diese analytische Herangehensweise an die Begrifflichkeit hat zum Ziel, die konträren Vorstellungen, die beide Philosophen über die angeborenen Ideen haben, aufzuzeigen. Durch diese Bestimmung der Begrifflichkeit soll ein erster Unterschied zwischen beiden Philosophen aufgezeigt werden. Im nächsten Kapitel wird dann ausgehend von dieser Begriffsdefinition die Begründung der gegensätzlichen Ideenkonzepte entwickelt und gegenübergestellt. Wobei die Begründung der angeborenen Ideen auf der Begriffsanalyse aufbaut und deshalb hier vorangestellt werden muss.

 

2.1 Die Termini „idea“ und „innatus“


 

Der deutsche Begriff Idee kommt von dem griechischen Wort ίδέα. Die Idee findet weiterhin in vielen Sprachen seine Entsprechung: Im Lateinischen, Italienischen, Englischen heißt er idea und im Französischen ideé.[28] Die Bedeutung dieses Begriffes ist dabei vielschichtig und mehrdeutig, weswegen der Begriff nach einer genaueren Betrachtung verlangt. Im Wörterbuch der philosophischen Begriffe von Rudolf Eisler werden vier unterschiedliche Definitionen des Begriffes Idee vorgestellt.[29] Die erste hier aufgeführte Bedeutung versteht unter Idee etwas, das ursprünglich eine Gestalt (Aussehen) oder Form besessen hat.[30] Weiterhin kann es auch Bild, Anblick, Art oder Gattung heißen.[31] In der zweiten Definition hingegen spricht man von einem „Urbild, Musterbild, Typus, als reale Wesenheit“[32]. Die deutsche Übersetzung des lateinischen Begriffes spricht von einem Idealbild, welches die Idee als ein wesenhaftes und geistiges Sein charakterisiert. Ein gestalterischer Gedanke, ein Begriff, ein bloßer Gedanke oder eine begriffliche Einheit, sogar ein Leitmotiv oder Endpunkt eines kausalen Denkens wird unter der dritten Bedeutung verstanden.[33] Die vierte Definition versteht hingegen unter einer Idee eine Vorstellung, einen Bewusstseinsinhalt, ein Erinnerungsbild, sogar ein Phantasiegebilde oder gar einen Einfall.[34] Von diesen vier Bedeutungen ist für die weitere Analyse nur die erste, zweite (für Platon) und die vierte (für Leibniz) wie noch zu zeigen ist von Relevanz. Die dritte Definition, die eine Idee als einen bloßen Gedanken auffasst, kann dabei vernachlässigt werden, da sie weder bei Platon noch bei Leibniz eine Verwendung findet.[35]

 

Ein weiteres Problem, neben der Definition an sich, stellt der Ideenbegriff in den platonischen Quellen dar. Eine philologische Prüfung der Platon-Texte führte daher zu dem Resultat, dass Platon noch keinen ausgearbeiteten Terminus von der Idee an sich kannte.[36] In den platonischen Werken begegnet uns daher der Ideenbegriff auf eine vielfältige Art und Weise. Platon verwendet neben der griechischen Bezeichnung ίδέα, noch die Begriffe γένος und είδος[37]. Wahrscheinlich geht die endgültige Terminologisierung des Wortes Idee und seine Zuordnung auf Platon als deren Urheber auf Cicero (106-43 v. Chr.) zurück.[38] Die frühe Interpretation der platonischen Texte durch Cicero und seine Fixierung auf diesen einen Terminus impliziert die Frage, ob man hier überhaupt von den Ideen bei Platon sprechen kann. Da jedoch dieses Problem hier zu weit führen würde, soll ungeachtet dieser Schwierigkeit die Bezeichnung Ideen für Platon übernommen werden.

 

Die Ideen werden weiterhin noch mit dem Zusatz „Angeborensein“ erweitert. Angeboren, von lateinisch innatus[39], soll in diesem Fall ausdrücken, dass es keine erworbenen oder gemachten Ideen sind, sondern dass diese Ideen bereits ab der Geburt, also a priori[40], in uns vorliegen.[41] Von diesem Angeborensein werden weiterhin zwei Richtungen unterschieden. Die erste Richtung geht davon aus, dass die angeborenen Ideen in uns als etwas Fertiges vorliegen und deshalb keiner Absicherung durch die Erfahrung bedürfen. Bei der zweiten Strömung hingegen wird das Angeborensein eher als eine Potenz, Anlage und Entwicklungstendenz verstanden.[42] Im Folgenden sollen hier unter den angeborenen (eingeborenen[43]) Ideen bestimmte Kenntnisse oder Fähigkeiten verstanden, die man aus sich selbst heraus entwickeln kann, weil sie bereits seit der Geburt in uns eingepflanzt wurden. Die Annahme beziehungsweise Leugnung von solchen apriorischen Erkenntnissen stellt den Gegensatz zwischen dem Rationalismus und dem Empirismus dar. Dabei ist der Streit um die Existenz diese angeborenen Ideen nicht erst in der Neuzeit entstanden, sondern Platon und Aristoteles können bereits als Repräsentanten dieser beiden gegensätzlichen Meinungen angesehen werden. Platon hat mit seiner Ideenlehre die sinnliche Erfahrung abgewertet und kann deshalb dem Rationalismus, oder zumindest dem Apriorismus, zugeordnet werden und Aristoteles durch seine Ideenkritik dem Empirismus.[44] Diese Zuordnung ist jedoch nur eine grobe und keine notwendige Einteilung der antiken Philosophen. Leibniz hingegen ist als ein Rationalist zu verstehen, da er die Lehre der angeborenen Ideen aus innerster Überzeugung heraus vertritt.

 

2.2 Platons Ideenlehre und Ideenbegriff


 

Das Konzept der Ideenlehre ist der populärste und meist rezipierte Teil der platonischen Philosophie.[45] Die Ideenlehre kann aber trotzdem nicht als ein geschlossenes, in sich homogenes philosophisches System interpretiert werden, weil Platon viele gegensätzliche Lehren in seinen Schriften vertreten hat.[46] Von den frühen Dialogen bis hin zu den Spätschriften kann man einen Wandel seines Philosophierens feststellen.[47] Die platonischen Dialoge präsentieren sich demnach vielmehr als eine heterogene Ideenlehre mit vielen gegensätzlichen Theorien und Vorstellungen darüber, welche Begriffe zu den Ideen gezählt werden können und welche nicht. So wird zum Beispiel die Zugehörigkeit der Substantive, wie Mensch und Feuer, im Werk Parmenides angezweifelt (Parm. 130c3f), aber in den Dialogen Timaios (Tim. 51b8) und Philebos (Phlb.15a4) werden sie zu den Ideen gezählt. Im Phaidon (Phaed. 74b6–c6) und im Staat (Rep. Buch V, 478e7–479e9) hingegen werden keine Substantive zu den Ideen gerechnet, sondern hier sind es vielmehr die Adjektive wie fromm, schön, gerecht und gleich.[48] Man sollte demnach, wie es Hermann Schmitz formuliert hat, nicht von einer Ideenlehre Platons sprechen, sondern eher von einem Ideenmotiv.[49] Für die Philosophiegeschichte hat Platons Ideenmotiv trotzdem eine besondere Bedeutung bekommen, da er damit eines der zentralsten Themen bis in die jüngste Gegenwart hinein geliefert hat.[50] Aus diesem Grund soll nun eine detaillierte Untersuchung über die platonische Begrifflichkeit der Idee erfolgen. Damit ein Vergleich mit Leibnizs Ideenkonzept in einem späteren Kapitel ermöglicht werden kann, soll hier auf eine heterogene Interpretationsweise der platonischen Ideenlehre verzichtet werden. Eine heterogene Interpretation würde nicht nur den Rahmen dieser Abhandlung sprengen, sondern sie würde auch eine Gegenüberstellung mit Leibnizs Ideenkonzept erschweren. Aus diesem Grund werden hier nur Werke von Platon verwendet, die auf ein einheitliches Muster der Ideenlehre hindeuten. Das Ideenmotiv muss deshalb aus der klassischen Interpretationsweise der Ideenlehre her betrachtet werden.

 

Um einen Zugang zu den platonischen Ideen zu bekommen, muss man sich erst die Wirklichkeitsauffassung der Welt, welche Platon vertreten hat, vergegenwärtigen. Aus diesem Grund sei hier nur kurz auf die Begründung der angeborenen Ideen verwiesen, da sie detailliert im nächsten Kapitel erfolgen soll. „Wie wir sagen, gibt es zwei Mächte; die eine ist Herrin über Art und Raum des Erkennbaren, die andere über das Sichtbare […].“[51] Platon vertritt mit dieser Ansicht eine Zwei-Welten-Theorie,[52] eine dualistische Wirklichkeitsbetrachtung.[53] Dieses erste...

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