Das folgende Kapitel beschäftigt sich mit der Phase der Kids und Jugendlichen und ihrem Facettenreichtum. Es werden Fragen geklärt, wer genau mit dem Begriff Kids und Jugendliche gemeint ist, was sie von Kindern unterscheidet, wann man jemanden als jugendlich bezeichnen darf und welche Rolle die Jugend in der Gesellschaft einnahm und heute einnimmt.
Diese allgemein einführenden Informationen sollen helfen, die Phase der Jugend besser zu verstehen, da Heranwachsende dieses Alters in der vorliegenden Untersuchung befragt wurden (siehe Kapitel 5).
Die Jugend, wie wir sie heute kennen, gab es nicht immer. Sie hat sich im Laufe der Zeit verändert und wird es auch weiterhin tun, denn sie passt sich immer den Lebensbedingungen ihrer Zeit an.
Im Mittelalter beispielsweise gab es die Jugend als solche noch nicht, da diese Lebensphase nicht gelebt wurde. Die Kindheit wurde in der Großfamilie verbracht und endete in der Regel mit zwölf Jahren. Dann erlernten die Heranwachsenden einen Beruf und verließen das Elternhaus. Somit gingen die jungen Männer und Frauen laut mehrfacher Definition direkt von der Kindheit ins Erwachsenenleben über.
Erst im 18. Jahrhundert setzte sich die Jugend als weitere Lebensphase durch. Dies lag an mehreren Umständen:
„Die europ. Gesellschaften wurden komplexer und differenzierten immer mehr funktionale Teilsysteme aus. Arbeitsteilige Sektoren wie Wirtschaft, Politik, Wiss. und Verwaltung entstanden und verlangten spezielle Kenntnisse, die nicht mehr informell erworben werden konnten“ (Brockhaus-Verlag (Hrsg.), 2006a, S. 151).
Im Zuge der Industrialisierung, Mitte des 19. Jahrhunderts, änderte sich nicht viel, außer dass die jungen Mensch nun zum Teil das elterliche Haus verlassen mussten, um ihrem Arbeitsplatz näher zu sein.
Ende des 19. Jahrhunderts befasste sich die Jugendforschung ein erstes Mal mit dem Begriff der Jugend. Sie erforschten die Jugend unter „anthropologischen, somatischen, entwicklungspsychologischen, pädagogischen und soziologischen Fragestellungen“ (Dudek, 2010, S. 361) und stellten die Jugend als „Phase des Übergangs vom Kind zum Erwachsenen“ (Dudek, 2010, S. 361) dar.
Allerdings war in diesem Zeitraum die Phase der Jugend ausschließlich eine Phase der Privilegierten. So konnten die Jugend nur Heranwachsende durchleben, deren Familien nicht auf „die Mitarbeit der Kinder angewiesen waren“ (Brockhaus-Verlag (Hrsg.), 2006a, S. 151).
Erst ab dem 20. Jahrhundert setzte sich die Jugendphase für alle Heranwachsenden durch. Mit Beginn der allgemeinen Schulpflicht fanden sich die Jugendlichen mit Gleichaltrigen in der Schule zusammen und waren somit von der Erwerbstätigkeit freigestellt.
Allerdings war die Jugendphase in Deutschland bis 1950/1960 recht kurz, da sie in den meisten Fällen mit dem Ende der Volksschule abschloss.
Die Bildungsreform der 60er und 70er Jahre hat tiefe Spuren hinterlassen, so verlängerte sich die Jugendphase in den folgenden Jahrzehnten fast von Jahrzehnt zu Jahrzehnt und war von sich ständig ändernden Lebensmottos geprägt.
So war die Jugend der 50er Jahre beispielsweise die „Skeptische Generation“, gefolgt von der „Protest-Generation“ oder „68er-Generation“ der 60er Jahre, der „Kritischen Generation“ der 70er Jahre, der „Null-Bock-Generation“ der späten 80er Jahre, der „Spaß-Generation“ der 90er Jahre bis hin zur heutigen „Generation-@“ (vgl. Schmidt, 2008, S.43).
Betrachtet man den historischen Verlauf der Jugend wird deutlich, dass Jugend nicht gleich Jugend ist. Sie passt sich immer den ihr vorgegebenen Lebensbedingungen an und entwickelt sich neu. Dies unterstützt auch BÖHNISCH, der sagt, dass es junge Menschen zu jeder Zeit gab, aber die
„Erscheinung der Jugend gesellschaftlich eingerichteten Lebensphase zum Zwecke des Lernens, der Qualifikation und damit der Reproduktion der arbeitsteiligen Gesellschaft“ (Böhnisch, 2008, S. 149)
ein modernes Phänomen sei, eben ein „Produkt der modernen Industriegesellschaft“ (Böhnisch, 2008, S. 149).
Folglich ist die Frage, wie Jugend heute definiert wird.
Wie bereits erläutert wurde, passt sich die Jugend ihren vorliegenden Lebensbedingungen an. Was vor beispielsweise vor 30 Jahren noch unter dem Begriff Jugend verstanden wurde muss heute nicht mehr gültig sein.
Das Lexikon definiert den Begriff der heutigen Jugend wie folgt:
„Jugend, bezeichnet im klass. Sinn die Lebensphase zw. Kindheit und Erwachsenenalter, in der Heranwachsende geistig, körperlich und sozial reifen. Allerdings ist die J.-Phase keine anthropolog. Konstante, die in allen Gesellschaften und allen histor. Epochen zu finden ist“ (Brockhaus-Verlag (Hrsg.), 2006a, S. 151).
Des Weiteren wird gesagt, dass es zur Ausbildung des sozialen Phänomens der Jugend bestimmter gesellschaftlicher Voraussetzungen bedarf, wie der zeitweisen Freistellung von Arbeit und anderen Verpflichtungen der eigenverantwortlichen Lebenssicherung sowie der Zusammenführung der Heranwachsenden in Gleichaltrigengruppen (vgl. Brockhaus-Verlag (Hrsg.), 2006a, S. 151).
Diese allgemeine Definition wird in der erziehungswissenschaftlichen beziehungsweise psychologischen Fachliteratur nochmals unterschieden, sie besagt, dass
„die Jugend von der Kindheit durch die Pubertät (Eintritt der Geschlechtsreife) und von dem Erwachsenenalter auch die Ausbildung einer stabilen Identität bzw. der vollständigen Übernahme von Erwachsenenrollen und -verantwortlichkeiten“ (BrockhausVerlag (Hrsg.), 2006a, S. 153) geprägt ist.
Im Allgemeinen bezeichnet die Jugend einen Lebensabschnitt, im Lebenslauf eines Heranwachsenden, in dem er „schrittweise die Rechte und Pflichten eines Erwachsenen erlangt“ (Statistisches Bundesamt (Hrsg.), 2000, S.8).
SCHMIDT stellt im 1. Deutschen Kinder- und Jugendsportbericht 2008 fest, dass der Begriff Jugend sehr vielfältig ist. Jugend kann zum einen als Teilkultur einer Gesellschaft betrachtet werden. Zum anderen kann sie aber auch als spezifische Generation in den Blick genommen werden, als Ausdruck eines bestimmten Lebensgefühls gelten oder als Lebensabschnitt und gesellschaftliches Strukturmuster erscheinen (vgl. Schmidt, 2008, S. 43).
Es ist schwierig genau zu definieren, wann die Jugend anfängt und wo sie endet, da sie von individuellen Faktoren abhängig ist. In der Regel kann aber gesagt werden, dass die Jugend mit dem Beginn der Pubertät ihren Anfang nimmt. Das Alter in dem die Pubertät beginnt, ist jedoch von Kind zu Kind unterschiedlich. Bei Mädchen fängt die Pubertät heute durchschnittlich im Alter von 11,5 Jahren an und bei Jungen im Alter von 12,5 Jahren (vgl. Schmidt, 2008, S. 43).
Aus juristischer Sicht gibt es eine engere Definition der Jugend: Dem §1 des Gesetzes zum Schutze der Jugend zufolge gilt als jugendlich wer 14, aber noch nicht 18 Jahre alt ist (vgl. BMFSFJ, 2009). Dass die Phase der Jugend mit 18 Jahren endet, entspricht zwar der gesetzlichen Definition, in den meisten Fällen aber nicht der Realität.
Dies ist beispielsweise im Jugendstrafrecht zu sehen. Hier kann ein Heranwachsender im Alter zwischen 18 und 20 Jahren, als Erwachsener oder aber noch als jugendlicher Heranwachsender bestraft werden (vgl. Bundesministerium für Justiz, 2010).
Die Heranwachsenden werden auf der einen Seite heutzutage viel früher reif, was nicht bedeutet, dass sie erwachsen werden, denn durch die „Bildungsexpansion und die Veränderung der Arbeitsmarktsituation“ (Schmidt, 2008, S.44) hat sich die Jugendphase nach hinten verschoben. Das bedeutet, dass durch die längere Ausbildungsphase die Heranwachsenden auch länger an das Elternhaus gebunden sind. Ein genaues Ende ist somit nicht allgemein festzumachen.
Jedoch kann gesagt werden, dass das Erwachsenenleben mit dem Einstieg ins Berufsleben und/oder der Gründung einer Familie anfängt und nachdem die vier Entwicklungsaufgaben nach HURRELMANN durchlaufen wurden. Diese Entwicklungsaufgaben verlangen Folgendes von den Jugendlichen.
Es sollte:
1. die Entwicklung einer intellektuellen und sozialen Kompetenz erfolgen, um sich eine Basis für die selbstständige Existenz als Erwachsener sichern zu können.
2. die Entwicklung des inneren Bildes von der Geschlechtszugehörigkeit abgeschlossen sein um die Basis für eine Familiengründung legen zu können.
3. die Entwicklung selbstständiger Handlungsmuster für die Nutzung des Konsumwarenmarktes und der Umgang mit Geld erlernt worden sein.
4. die Entwicklung eines Werte- und Normsystems und eines ethischen und politischen Bewusstseins erfolgt sein (vgl. Hurrelmann, 2005, S. 27-28).
Sind diese vier Entwicklungsaufgaben abgeschlossen,...