3 Konflikte – Austragungen und Chancen (S. 95-96)
Die Frankfurter jüdische Geschichte des 17. Jahrhunderts ist markiert durch vier einschneidende Geschehnisse: die Judenversammlung des Jahres 1603, die Ausweisung der Juden 1614–1616 und die beiden innergemeindlichen Auseinandersetzungen der 1620er und der 1670er/80er Jahre. Sämtliche Ereignisse standen in Zusammenhang, eine isolierte Betrachtung ist also kaum sinnvoll. Die gemeindlichen Konflikte und entwickelten Lösungsansätze hingen mit der Frankfurter Versammlung von 1603 zusammen, ebenso den Ereignissen im Umfeld der sogenannten Fettmilchunruhen von 1612/13, der anschließenden Ausweisung der Juden sowie Geschehnissen im räumlichen Umfeld Frankfurts, etwa Diskussionen um das Bleiberecht der Juden in der Grafschaft Hanau oder der Bischofsstadt Worms.
Von besonderem Interesse ist, in welcher Weise die unterschiedlichen Konflikte – zwischen jüdischer und nichtjüdischer Bevölkerung sowie innerhalb der jüdischen Gemeinde – erstens das politische und soziale Gefüge innerhalb der Judenschaft jenseits ihrer formalen Organisation erhellen und zweitens der Rolle verschiedener Exponenten der Gemeinde Kontur verleihen. Die Betrachtung sowohl der politischen als auch strukturellen, sozialen und mentalen Prozesse innerhalb der Gemeinde legt die Sicht frei auf die tatsächlichen Machtverteilungen innerhalb der Gemeinde, die handlungsleitenden Motive der wesentlichen Exponenten der frühneuzeitlichen jüdischen Gemeinde Frankfurts, schließlich die Konsequenzen der Bestimmungsmacht. All dies kann Erklärungsmodelle liefern für die konstant dominante Position der Frankfurter Judenschaft während der gesamten Frühneuzeit.
3.1 Auseinandersetzungen zwischen Juden
Informationen über Streitigkeiten oder tiefergreifende Auseinandersetzungen zwischen Juden gelangten nur selten an die nichtjüdische Öffentlichkeit. Allenfalls, wenn innerhalb der Gemeinde keine Regelungen gefunden werden konnten oder weltliche Instanzen aus unterschiedlichen Gründen ein Interesse daran hatten, in Auseinandersetzungen einzugreifen bzw. sie in ihrem Sinne zu regeln. So provozierten beispielsweise zwischenmenschliche Beziehungsstörungen oder -konflikte zwischen Juden bei der städtischen Obrigkeit sozialdisziplinarische und ordnungspolitische Interessen, sofern die Konflikte grundsätzlicher Natur waren, innerhalb der jüdischen Gemeinde keine Lösungen zustande kamen oder sich die streitenden Parteien selbst an die weltliche Obrigkeit wandten, abzulesen an einem Beispiel aus dem Jahre 1580.
Während der Zeit, als sie in Frankfurt „gedient“ und in Armut und „Dürftigkeit“ gelebt habe, sei sie von Abraham, dem Sohn des Salomon zur Leuchte, geschwängert worden, so die Klage der Jüdin Frommet von Heuchlingen. Der Beklagte habe ihre Situation ausgenutzt und sie mit „großen Zusagen und mancherlei Worten zu seinem Willen und Fall gebracht“. Kaum aber, dass er von der Schwangerschaft erfahren habe, habe Abraham seinen Vater Salomon davon unterrichtet. Dieser wiederum habe seinem Sohn geraten, alles abzustreiten und sie, Frommet, sogar mehrfach vor die Rechenherren der Stadt zitieren lassen. Die Klägerin bat, mit Abraham „konfrontiert“ zu werden, und zwar ohne Zuziehung des Vaters. Andernfalls nämlich werde Abraham die Beziehung bestreiten. Salomon zur Leuchte, mit dem sie nichts zu tun habe, verhalte sich überaus unangemessen, indem er sich als „ein so reicher Mann gegen mir arme Bettlerin nur allein mich abzustrecken Rechts erbieten tut“.
Das Frankfurter Gericht reagierte rasch und Frommet gegenüber ablehnend; sie musste die Stadt für immer verlassen. Die Jüdin aber zeigte sich widerspenstig; mit dem Ziel, sie möglichst umgehend aus der Stadt zu entfernen, wurde sie gefangengesetzt. Außerdem sollten jene Juden zur Rechenschaft gezogen werden, die mit Frommet „Unzucht getrieben“ hätten. Diese Entscheidung war für Salomon zur Leuchte nicht akzeptabel; er forderte am 17. März 1580, seinem Sohn die verhängte Strafe zu erlassen, was so einfach nicht war, denn zwischenzeitlich hatte sich das Mainzer Geistliche Gericht eingeschaltet und Salomons Sohn Abraham dorthin zitiert. Wiederum reagierten die Frankfurter Behörden prompt. Nachdem Salomon zur Leuchte sie von der Zitation in Kenntnis gesetzt hatte, erklärten sie ihr äußerstes Befremden über Frommets Behauptung, Abraham habe ihr ein Eheversprechen gegeben; so sei dessen mögliche Zusage, „ihre Kinder auszusteuern und sie nimmer zu verlassen, sonder sie zu unterhalten“, nicht zu verstehen. Die Persönlichkeit der Jüdin habe Salomon ja hinreichend beschrieben. Ferner aber dürfe laut kaiserlicher Privilegien niemand die Juden vor ein fremdes Gericht ziehen, weder vor ein geistliches noch ein weltliches. Die Rechtsprechung über Frankfurter Juden obliege allein den Frankfurter Schultheißen und Schöffen. Abraham werde demnach nicht in Mainz erscheinen, Frommet habe sich nach Frankfurt zu begeben.