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E-Book

Kratylos

Vollständige Ausgabe

AutorPlaton
VerlagJazzybee Verlag
Erscheinungsjahr2012
Seitenanzahl72 Seiten
ISBN9783849617868
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis0,99 EUR
Kratylos ist ein sprachphilosophische Themen behandelnder Dialog Platons, der nach 399 v. Chr. entstanden ist. Er gehört zusammen mit den Dialogen Theaitetos, Sophistes und dem Politikos zur zweiten Tetralogie der platonischen Werke. In ihm setzt sich Platon mit der Frage auseinander, wie die Bedeutung eines sprachlichen Ausdrucks zustande kommt. (aus wikipedia.de)

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Leseprobe

Kratylos


 

 

Kratylos · Hermogenes · Sokrates


I.


 

Hermogenes: Sollen wir auch dem Sokrates da die Sache mitteilen;

 

Kratylos: Wenn dir's beliebt.

 

Hermogenes: Dieser Kratylos behauptet, o Sokrates, es gebe von Natur einen richtigen Namen für jedes Ding, und nicht das sei ein Name, den einige nach Übereinkunft einem Dinge beilegten – dabei ließen sie nur ein Teilchen von ihrer Stimme über es laut werden –, sondern es gebe eine Richtigkeit der Namen von Natur, und zwar für Hellenen und Barbaren, für alle ein und dieselbe. Ich frage ihn nun, ob ihm in Wahrheit der Name Kratylos gebühre oder nicht? – Er bejahte es. – »Welcher Name aber gebührt dem Sokrates?« sagte ich. – »Sokrates«, sagt er. – »Gehört denn nicht auch jedem unter allen übrigen Menschen der Name, den wir ihm beilegen?« – Da sagt er: »Dir gewiß nicht der Name Hermogenes, auch wenn dich alle Menschen so nennen.« Wie ich nun weiter frage und wissen will, was er eigentlich meint, gibt er mir durchaus keine deutliche Antwort, sondern verstellt sich gegen mich und tut, als überlege er bei sich und wüßte etwas über die Sache, und wenn er es nur sagen wollte, könnte er auch mich zum Zugeständnis bringen und für seine eigene Meinung gewinnen. Wenn du nun etwa das Rätsel des Kratylos lösen kannst, so würde ich es gerne hören; noch lieber aber würde ich deine eigene Meinung über die Richtigkeit der Namen (Wörter) erfahren, wenn es dir genehm ist, sie mitzuteilen.

 

Sokrates: O Sohn des Hipponikos, Hermogenes, es gibt ein altes Sprichwort. Schwer ist das Verständnis des Schönen, und das Verständnis der Namen ist keine geringe Aufgabe. Wenn ich schon beim Prodikos den Vortrag für fünfzig Drachmen gehört hätte, durch den man, wie jener sagt, hierüber aufgeklärt wird, so könntest du leicht sofort die Wahrheit über die Richtigkeit der Namen erfahren. Nun aber habe ich ihn nicht gehört, sondern nur den Vortrag für eine Drachme: Daher kenne ich den wahren Sachverhalt in diesen Dingen nicht. Doch bin ich bereit, ihn mit dir und Kratylos gemeinsam zu untersuchen. Wenn er aber sagt, dir gebühre in Wahrheit nicht der Name Hermogenes, so spottet er, wie ich vermute. Denn er meint wohl, in all deinem Streben nach Geldbesitz hättest du doch jedesmal Unglück. Doch, wie gesagt, die Erkenntnis solcher Dinge ist schwer, aber man muß sie gemeinsam vornehmen und prüfen, ob du recht hast oder Kratylos.

 

Hermogenes: Ich habe zwar, o Sokrates, gar oft mit diesem hier und mit vielen anderen gesprochen, kann mich aber nicht überzeugen, daß es einen anderen Grund für die Richtigkeit eines Namens gebe als Verabredung und Übereinkunft. Denn mir scheint jeder Name, den man einem Dinge beilegt, der rechte zu sein, und wenn man ihn wieder mit einem anderen vertauscht und jenen nicht mehr gebraucht, so müsse man diesen späteren für nicht minder richtig halten als den früheren: wie z.B. wenn man den Sklaven andere Namen gibt, so sei der neue nicht minder richtig als der, den sie ursprünglich führten. Denn nicht von Natur komme jedem Dinge ein Name zu, nicht einem einzigen, sondern durch Gesetz und Gewohnheit, je nach der wechselnden Wahl der Benennung. Wenn sich aber die Sache anders verhält, so bin ich gern bereit zu lernen und zu hören, nicht bloß von Kratylos, sondern auch von jedem anderen sonst.

 

Sokrates: Vielleicht freilich hast du recht, Hermogenes; doch laß es uns überlegen: Der Name also gebührt jedem, den man ihm beilegt?

 

Hermogenes: Das ist meine Ansicht.

 

Sokrates: Und zwar gleichviel, ob ein Einzelner den Namen gibt oder der Staat;

 

Hermogenes: So meine ich.

 

Sokrates: Wie denn? Wenn ich irgend ein Ding benenne, z.B. was wir jetzt ›Mensch‹ nennen, wenn ich das ›Pferd‹ nennt, und was man jetzt ›Pferd‹ nennt, ›Mensch‹, wird ihm dann von Staats wegen der Name ›Mensch‹, von meinetwegen der Name ›Pferd‹ gebühren? Und von meinetwegen wieder der Name ›Mensch‹, von Staats wegen ›Pferd‹? Meinst du es so?

 

Hermogenes: Das ist meine Ansicht.

 

Sokrates: Wohlan denn, beantworte mir folgendes: Unterscheidest du ›Wahres reden‹ und ›Falsches reden‹?

 

Hermogenes: Gewiß.

 

Sokrates: Also gibt es doch eine wahre Rede und eine, die falsch ist?

 

Hermogenes: Freilich.

 

Sokrates: Nicht wahr, die, welche sagt, wie das Seiende wirklich ist, ist wahr, die aber sagt, wie es nicht ist, ist falsch?

 

Hermogenes: Jawohl.

 

Sokrates: Also ist es möglich, in der Rede zu sagen, was ist, und es auch nicht zu sagen?

 

Hermogenes: Freilich.

 

Sokrates: Ist aber die wahre Rede ganz wahr, ihre Teile aber nicht wahr?

 

Hermogenes: Nein, auch die Teile sind wahr.

 

Sokrates: Sind nun die großen Teile wahr, die kleinen aber nicht, oder sind alle wahr?

 

Hermogenes: Alle, meine ich.

 

Sokrates: Gibt es noch einen anderen kleineren Teil der Rede als das Wort?

 

Hermogenes: Nein, das ist der kleinste Teil.

 

Sokrates: Das Wort in der wahren Rede wird doch ausgesprochen?

 

Hermogenes: Jawohl.

 

Sokrates: Dann ist es wahr nach deiner Meinung.

 

Hermogenes: Jawohl.

 

Sokrates: Das Teilchen der falschen Rede aber ist falsch?

 

Hermogenes: So meine ich.

 

Sokrates: Demnach ist es möglich, ein Wort als falsches und wahres auszusprechen, wenn anders auch eine wahre und falsche Rede möglich ist?

 

Hermogenes: Warum denn nicht?

 

Sokrates: Der Name gebührt also jedem Dinge, den jeder ihm beilegt?

 

Hermogenes: Jawohl.

 

Sokrates: Gebühren jedem Dinge auch so viele Namen, als man ihm gibt, und dann, wenn man sie ihm gibt?

 

Hermogenes: Ich wenigstens, o Sokrates, kenne keine andere Richtigkeit eines Namens als diese, daß ich das Recht habe, jedes Ding mit einem anderen Namen zu benennen, den ich ihm gegeben habe, und du wieder mit einem anderen, den du ihm geben magst. So sehe ich auch, daß für eben dieselben Dinge in einzelnen Staaten besondere Namen bestehen, und zwar bei Hellenen im Gegensatz zu anderen Hellenen, und bei Hellenen im Gegensatz zu Barbaren.

 

Sokrates: Wohlan denn, laß uns zusehen, Hermogenes, ob es dir auch um die Dinge ebenso zu stehen scheint, daß jedes von ihnen für jeden ein besonderes Wesen habe, wie Protagoras behauptete, wenn er sagt, das Maß aller Dinge sei der Mensch, so daß also die Dinge für mich so sind, wie sie mir zu sein scheinen, und für dich wieder, wie sie dir erscheinen; oder scheinen sie dir in sich eine Wesensbestimmtheit zu besitzen?

 

Hermogenes: Ich war, o Sokrates, darüber schon einmal im Zweifel und fühlte mich zu der Meinung des Protagoras hingezogen. Doch scheint mir die Sache nicht ganz so richtig.

 

Sokrates: Wie? Warst du so weit schon gekommen, daß du nicht recht glauben konntest, es gebe einen schlechten Menschen?

 

Hermogenes: Nein, beim Zeus, sondern gar oft habe ich gerade diese Erfahrung gemacht und mußte gewisse...

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