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Noch ein Martini und ich lieg unterm Gastgeber

Dorothy Parker Eine Biografie

AutorMichaela Karl
VerlagResidenz Verlag
Erscheinungsjahr2011
Seitenanzahl288 Seiten
ISBN9783701742578
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis10,99 EUR
In den Roaring Twenties war sie die Königin von New York. Ihre scharfe Zunge und ihr beißender Witz wurden Legende. Sie stritt mit Ernest Hemingway, schlief mit F. Scott Fitzgerald und soff mit Truman Capote. Dorothy Parker schrieb für 'Vogue', 'Vanity Fair' und den 'New Yorker' und gehörte zur legendären Tafelrunde des Hotels Algonquin, wo sich die kulturelle Szene der Stadt traf. Ihre sarkastischen Verse und pointierten Kurzgeschichten erzählen von zerplatzten Träumen und dem Warten auf das Klingeln des Telefons. Sie machte als Drehbuchautorin in Hollywood Karriere und landete wegen ihres Engagements gegen Rassismus und Faschismus auf der Schwarzen Liste von Senator McCarthy. Michaela Karl legt nun die erste deutschsprachige Biografie vor. Sie porträtiert das unkonventionelle Leben der Dorothy Parker, und entdeckt hinter der zynischen Fassade eine sensible Frau auf der Suche nach dem großen Glück.

Michaela Karl geboren 1971, promovierte 2001 mit einer Arbeit über Rudi Dutschke. Sie ist Lehrbeauftragte an der Hochschule für Politik in München und Mitglied der Münchner Turmschreiber. Zuletzt erschienen: 'Bayerische Amazonen' (2004), 'Die Münchner Räterepublik. Porträts einer Revolution' (2008), 'Wir fordern die Hälfte der Welt!' Der Kampf der englischen Suffragetten um das Frauenstimmrecht' (2009). 'Ihr Buch ist unverzichtbar für eine Beschäftigung mit der Ikone der Achtundsechziger Generation.' Süddeutsche Zeitung (über 'Rudi Dutschke') 'Glänzend recherchiert und geschrieben.' Passauer Neue Presse (über 'Bayerische Amazonen') 'Spannend zu lesen!' Deutschlandradio Kultur (über 'Die Münchener Räterepublik') 'Ein kluges Buch, das einmal mehr beweist, wie wenig gut die gute alte Zeit wirklich war.' Bayerischer Rundfunk (über 'Sozialrebellen in Bayern')

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Leseprobe

They say of me, and so they should,
It’s doubtful if I come to good
.10

I.


New Yorkerin und Bastard


oder Mrs. Parkers Kampf mit der Haushälterin

»Es war einmal vor langer Zeit, da war die Welt strahlend und vielversprechend und Dorothy Parker war einer der strahlendsten und vielversprechendsten Menschen darin. Sie war eine Elfe, die zwei Zauber in sich vereinte. Der erste Zauber bestand darin, dass niemand ihr gegenüber gleichgültig sein konnte, und der andere, dass niemand es vermochte, sie wirklich einzuschätzen«,11 schrieb der Schriftsteller John Keats über seine große Kollegin und drückt damit aus, was alle, die Dorothy Parker begegneten, bestätigen können: Sie war und ist schwer zu fassen. So viele Meinungen, so viele Anekdoten, so viele sich widersprechende Tatsachen, die sie selbst mit allergrößtem Vergnügen unter die Leute brachte. Allerdings gibt es eine Sache, die unumstößlich ist, und sie selbst ließ niemals auch nur den geringsten Zweifel daran: Dorothy Parker war New Yorkerin – mit Leib und Seele, mit Herz und Verstand.

New York City und Dorothy Parker waren eine heiße Kombination: »Ich nehme New York persönlich. Ja, ich bin auf eine schon fast lästige Art und Weise zärtlich damit. Eine silberne Kordel bindet mich an meine Stadt«, schrieb sie über die schillernde Metropole am Hudson.12 Sie liebte diese Stadt, die für sie über Manhattan niemals hinausreichte, und diese Stadt gibt ihr diese Liebe bis heute tausendfach zurück. Sie mehrten einander Ruhm und Glanz, und auch wenn es in Dorothy Parkers Leben andere Stationen gab, andere Städte, andere Länder, am Ende kehrte sie immer wieder nach Manhattan zurück: »Andere Orte mögen einem ein angenehmes und beruhigendes Gefühl vermitteln, in New York hingegen hat man immer das Gefühl: ‹Gleich passiert was.› Da ist keine Ruhe. Aber man gewöhnt sich so schnell an die Ruhe. Doch man gewöhnt sich niemals an New York.«13 Als Kind konnte sie sich nicht vorstellen, dass es Menschen gab, die außerhalb New Yorks lebten. Neue Freunde pflegte sie zu fragen, in welcher Straße sie wohnten, niemals, in welcher Stadt.

Die Hauptstadt der Neuen Welt und Dorothy Parker waren eine kongeniale Verbindung. Hier wuchs sie auf, hier begann ihr Ruhm, hier erlebte sie Höhen und Tiefen eines Künstlerinnen- und Frauenlebens, hier starb sie. New York war ihr Heimat und Inspiration zugleich, und sie trug wie kaum jemand sonst dazu bei, die Legende der Stadt, die niemals schläft, weiterzutragen. Nahezu all ihre Kurzgeschichten spielen in New York. Dabei beschrieb sie niemals einen Schauplatz, erwähnte nie eine Straße oder ein Gebäude. New York war für sie nicht einfach eine Stadt, es war eine Welt, die zu beschreiben ihr völlig überflüssig schien.14

Die Stadt formte ihren Charakter und spiegelte sich in ihrer Seele wider. Dorothy Parker verkörperte alles, was man gemeinhin mit New York in Verbindung bringt: Rastlosigkeit und Moderne, Esprit und Erfolg, aber auch Härte, Grausamkeit und Einsamkeit. Dorothy Parker ist die New Yorker Schriftstellerin schlechthin.

Eine Ironie des Schicksals wollte es allerdings, dass Dorothy nicht in New York, sondern während eines Ferienaufenthaltes ihrer Familie in West End/New Jersey geboren wird. Eine Tatsache, an der sie zu knabbern hat: »Ich wurde um die Ehre gebracht, eine gebürtige New Yorkerin zu sein, weil ich zur Welt kommen musste, während die Familie den Sommer in New Jersey verbrachte. Aber, ganz ehrlich, wir kehrten unmittelbar nach dem Labor Day in die Stadt zurück, sodass ich den Anforderungen, eine echte New Yorkerin zu sein, fast gerecht werde.«15 Ohnehin merkt sie bald: »Nüchtern betrachtet ist die Seltenheit von gebürtigen New Yorkern eine der Mythen unserer Insel. Ich kenne mindestens vier davon persönlich, und habe gute Chancen, wenn alles glatt läuft, noch zwei weitere zu treffen.«16

West End, ein kleines Örtchen, das zum berühmten Seebad Long Branch gehört, liegt 60 Meilen außerhalb von New York und ist im 19. Jahrhundert bevorzugter Ferienort reicher New Yorker. Long Branch ist das Hollywood der Vereinigten Staaten, noch ehe die Filmindustrie nach Kalifornien umzieht. Schauspieler und andere Berühmtheiten flanieren auf den Straßen, ganze sieben US-Präsidenten von Chester A. Arthur bis Woodrow Wilson beehren die Stadt mit ihrer Anwesenheit. Vor allem reiche New Yorker Juden verbringen hier den Sommer, während es die WASPs – die reichen »White-Anglosaxon Protestants« – eher nach Rhode Island, Newport oder Long Island zieht. Dorothys Eltern Eliza und Henry Rothschild, weder verwandt noch verschwägert mit den berühmten Namensvettern (»Großer Gott, nein! Wir haben niemals auch nur von diesen Rothschilds gehört!«17), haben in West End ein Sommerhaus, in unmittelbarer Nachbarschaft zu den Guggenheims. Denn auch diesen Rothschilds geht es nicht schlecht. Die viktorianischen Häuser an der Ocean Avenue, von denen sie eines bewohnen, bieten einen wunderbaren Blick aufs Meer und garantieren angenehme Sommermonate.

In dieses gutbürgerliche Ambiente wird Dorothy am 22. August 1893 hineingeboren. Sie ist der charakteristische Mix aus den Emigranten der Neuen Welt – die typische Amerikanerin. Die Großeltern väterlicherseits sind deutsche Juden, die nach der gescheiterten Revolution 1848 Deutschland verlassen haben und nach Amerika emigriert sind. Die protestantischen Eltern der Mutter kamen 1830 aus Schottland in die USA. »Ich bin ein Bastard: Mein Vater war ein Rothschild; meine Mutter war eine Goia [Nicht-Jüdin], und ich besuchte die katholische Schule an der Ecke«, ist Dorothys knappe Aussage zu ihrer Herkunft.18 Henry Rothschild hat sich mit viel Fleiß seinen amerikanischen Traum erfüllt. Vom Sohn mittelloser Einwanderer hat er es zum Besitzer einer Fabrik für Herrenbekleidung mit über 200 Arbeitern geschafft. Er gilt als einer der erfolgreichsten seiner Zunft. Ein großes Apartment an der Upper West Side in Manhattan sowie das Ferienhaus in West End zeugen vom ansehnlichen Wohlstand eines geachteten Mitglieds der gehobenen Mittelschicht. Die Ehe mit Eliza hat er sich gegen die Widerstände der Familie, die der Verbindung aufgrund des religiösen Hintergrundes ablehnend gegenüberstand, hart erkämpft. Erst nach vielen Jahren, in denen Eliza als Lehrerin gearbeitet hatte, hatte ihr Vater die Erlaubnis zur Vermählung gegeben. Sie sind eine glückliche Familie mit drei Kindern, als Eliza mit 42 Jahren noch einmal schwanger wird. Da sie gesundheitliche Schwierigkeiten hat, zieht sie mit den Kindern den Sommer über nach West End, um die frische Seeluft zu genießen, während Henry in New York bleibt, um in der Fabrik nach dem Rechten zu sehen. Dorothys Geburt in einer Regennacht im August bringt die Pläne der Familie völlig durcheinander. Eliza ist erst im siebten Monat und hatte zur Geburt nach New York zurückkehren wollen. Dorothy selbst wird über ihren abrupten Eintritt ins Erdendasein später schmunzelnd sagen, dass dies das letzte Mal gewesen sei, dass sie zu irgendetwas zu früh gekommen ist – und das auch noch in New Jersey. Erst drei Wochen später, als Mutter und Kind stabil genug sind, um zu reisen, kommt sie zum ersten Mal in ihre Stadt: New York City.

Die Familie bewohnt eine schicke Wohnung in der 72. Straße an der Upper West Side. Die Gegend zählt seit Kurzem zu den exklusivsten Wohngegenden Manhattans. Ein paar Jahre zuvor wäre kein reicher New Yorker auf die Idee gekommen, hierher zu ziehen. Doch die Rothschilds gehören zu jener zweiten Generation von Immigranten, die sich hier im Norden der Stadt niedergelassen haben. Bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts lebten die meisten Einwohner Manhattans unterhalb der 14. Straße, im Süden der Insel. Erst mit der neuen Einwanderungswelle ab 1850 und dem damit verbundenen Bevölkerungswachstum stieg das Ansehen der nördlichen Gebiete, und viele zogen in die neu errichteten Backsteingebäude in die Nähe des Central Parks. Hier pflegen sie den neuen Lebensstil reicher New Yorker. Man baut nicht länger ein eigenes Haus, sondern bezieht ein Apartment in einem Gebäude, das mehrere Luxuswohnungen in sich vereinigt. Weltberühmte Apartmenthäuser entstehen in dieser Zeit, die bis heute die Umgebung des Central Parks prägen. Darunter das in unmittelbarer Nähe zu den Rothschilds befindliche Dakota-Gebäude, zu dessen Bewohnern einmal Lauren Bacall, Leonard Bernstein und Judy Garland gehören werden. Einer seiner berühmten Bewohner wird vor dem Dakota erschossen und sorgt bis heute für Besucherströme: John Lennon. Die Wohnungen im Dakota sind seit 1884 mit Elektrizität, Bädern und Toiletten, Speisenaufzügen, Personenliften sowie mit Zentralheizung ausgestattet. Den Bewohnern steht ein Tennis- sowie ein Crocketplatz zur Verfügung.

Ganz so nobel geht es im Hause Rothschild nicht zu, denn es gibt weder Telefon noch Elektrizität, Personal jedoch ist reichlich vorhanden,...

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