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E-Book

Demokratisch - gerecht - nachhaltig

Die Perspektive der Sozial-Ökologie

AutorEloi Laurent
VerlagRotpunktverlag
Erscheinungsjahr2012
Seitenanzahl232 Seiten
ISBN9783858695024
FormatePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis20,99 EUR
'Die Sozial-Ökologie bringt eine großartige Hoffnungsbotschaft mit sich: Unsere Gesellschaften werden gerechter sein, wenn sie nachhaltiger sind, und nachhaltiger, wenn sie gerechter sind.' Ökologische Fragen, meint der französische Wirtschaftswissenschaftler Éloi Laurent, seien immer auch soziale Fragen, und deshalb könnten Umweltprobleme in Zukunft nur noch mittels einschneidender gesellschaftlicher Veränderungen gelöst werden. Die Gesellschaften der einzelnen Länder, Europas und der ganzen Welt sind längst im Zerreißen begriffen und die sich weiter öffnende Reichtumsschere spielt in den ökologischen Krisen der Gegenwart eine immer gewichtigere Rolle. Deshalb hält Laurent die Aufwertung demokratischer Rechte für das wichtigste Mittel, um gegen ökologische Katastrophen anzukämpfen. Kenntnis- und faktenreich setzt sich Laurent mit den aktuellen wirtschaftlichen Entwicklungen und den jüngsten 'Umweltkatastrophen' auseinander: die Erdbeben in Sichuan und Haiti, Hurrikan Katrina. Und er zeigt anhand von Beispielen aus der Vergangenheit und Gegenwart auf - UdSSR, USA, China -, wie eng Demokratisierung und Nachhaltigkeit aufeinander wirken (könnten).

Eloi Laurent ist Ökonom und Wissenschaftlicher Rat am OFCE (Observatoire français des conjonctures économiques) der Hochschule Sciences Po in Paris. Er unterrichtet außerdem an der Stanford University und am Collège des hautes études européennes der Sorbonne. Er ist Autor (mit Jean-Paul Fitoussi) von La Nouvelle écologie politique (2008).

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Leseprobe

Einleitung


Für eine Steuerung1 der zweiten Natur


Je mehr sich die großen Umweltkrisen der Gegenwart – Klimawandel, Zerstörung der biologischen Vielfalt, Verfall der Ökosysteme, Wasserverknappung und -verschmutzung – zuspitzen, umso fruchtloser wird jeder Versuch, uns Menschen als etwas vom Naturzusammenhang Gesondertes zu betrachten. Auf die Natur sind wir angewiesen, wenn wir unser Überleben und unser Wohlergehen sichern wollen. Bei einer Erderwärmung von mehr als zwei Grad Celsius wird uns das Leben schwer werden; bei mehr als sechs Grad Erwärmung wird der Planet Erde unbewohnbar sein. Trotz all unserer Intelligenz wird es uns nicht gelingen, für die freiwilligen Dienste von Ökosystemen, deren großzügige Gaben zur Neige gehen, künstlichen Ersatz zu schaffen, um unsere elementaren Bedürfnisse – atmen, trinken, essen, anschauen – befriedigen zu können. Ohne die reiche Vielfalt an Lebensformen, die nicht nur Quelle materiellen Wohlstands, sondern auch Wissensspeicher ist, werden wir biologisch verarmen und geistig verkümmern. Unsere Abhängigkeit von der Natur ist daher ganz real, und wenn wir das nicht begreifen, schaden wir uns mit der üblen Behandlung der Letzteren im Grunde nur selbst. Den allgemeinen Rahmen dieses Buches bildet also nicht das Verhältnis zwischen Mensch und Natur; es geht vielmehr um die Beziehung des Menschen zur restlichen Natur.

Mittlerweile gilt nämlich, und das ist das grundsätzlich Neue an unserer Epoche, das Abhängigkeitsverhältnis auch umgekehrt: Die restliche Natur – so, wie sie uns heute, nach Milliarden von Evolutionsjahren, umgibt – ist abhängig von uns Menschen. Genau dies bedeutet der Eintritt ins Anthropozän, in jenes neue Erdzeitalter, in dem der Mensch zur wichtigsten geologischen Kraft unseres Planeten wird, zum König der Elemente. Ohne das geringste Bewusstsein von der eigenen Macht bringt der blutjunge Herr über die Biosphäre die etwa eineinhalb Millionen Arten von Lebewesen an den Rand des sechsten großen Aussterbens2 – in der Nachfolge jenes anderen, dem vor 65 Millionen Jahren die Dinosaurier zum Opfer fielen und von dem wir mit fast hundertprozentiger Sicherheit wissen, dass es durch den Einschlag eines Meteoriten ausgelöst wurde. Unsere heutige Macht ist diesem verheerenden Asteroiden durchaus vergleichbar: Hunderte Millionen von sogenannten wilden Arten werden uns entweder ihr Überleben oder ihr Verschwinden zu »verdanken« haben.

Kurz gesagt, »erste Natur« im Sinne des alten Cicero gibt es nicht mehr. Die frühe, vormenschliche Welt der Natur, die selbstverständlich ihre eigene Evolution durchlaufen hat, ist – so weit das Auge reicht – ein für alle Mal verändert und verwandelt, ganz so, wie es Serge Moscovici, einer der Pioniere der politischen Ökologie in Frankreich, vor vierzig Jahren vorausgesehen hat. Was wir »Umwelt« nennen, ist heute ununterscheidbar eins mit der »zweiten Natur«3, die der Mensch wenn schon nicht nach seinem Bilde, so doch wenigstens für seine Zwecke geformt hat. Nach neueren Berechnungen haben die Menschen bis zum Jahr 1700 nur 5 Prozent des Bodens in der Biosphäre für ihr eingreifendes Tun beansprucht (Landwirtschaft, Städte); 45 Prozent blieben damals noch in einem halb natürlichen Zustand und 50 Prozent ganz und gar unberührt. Im Jahr 2000 dagegen beansprucht der Mensch für sein Eingreifen 55 Prozent des Bodens, während 20 Prozent im halb natürlichen Zustand und 25 Prozent unberührt bleiben.4 »Der Mensch ist gleichermaßen Geschöpf und Schöpfer seiner Umwelt«, mahnte schon 1972 die Konferenz von Stockholm in ihrer Schlussdeklaration. Um zum Kern unserer Sache vorzustoßen, wollen wir noch einen Schritt weiterdenken: Wenn es stimmt, dass heute die gesamte Natur abhängig von uns Menschen ist, dann wird für die Entwicklung der Ökosysteme und der in ihnen beheimateten Arten entscheidend sein, wie wir unsere Gesellschaften organisieren. Mit anderen Worten, aus den ökologischen sind soziale Probleme geworden.

Wie lässt sich ein Begriff von den komplizierten Beziehungen zwischen Sozial- und Ökosystemen gewinnen? Die Letzteren bilden den oftmals unsichtbaren Hintergrund der menschlichen Gesellschaften. Außerdem hat man sie hier und da als Metapher, ja als Modell für Gesellschaftssysteme verwendet, nicht selten allerdings im Dienst gefährlicher5 oder dubioser6 Ideologien und fast immer zum Zweck einer Naturalisierung gesellschaftlicher Probleme7. Aber da wir vermehrt in umgekehrter Richtung denken müssen, gilt es zu begreifen, wie sich die Evolution der Gesellschaftssysteme auf die Dynamik der Ökosysteme auswirkt. Dass uns diese Frage unter den Nägeln brennt, steht außer Zweifel: Wir müssen uns, ob wir wollen oder nicht, mit einer Reihe ernsthafter Probleme befassen, die wir ebenso sehr geschaffen haben, wie wir von ihnen heimgesucht werden, und die daher in keiner Weise »natürlich« sind, weder was ihre Ursachen noch was ihre Folgen angeht.

Im derzeit üblichen Diskurs verbirgt sich jedoch ein irritierendes Paradox: Je mehr der Menschheit, ganz zu Recht, die Beschleunigung der heutigen Umweltkrisen zur Last gelegt wird, umso pessimistischer wird das Urteil über ihre Fähigkeit, diese Krisen zu lösen. Zutiefst ernüchtert, konstatierten unlängst einige hochrangige Wissenschaftler, zwar habe die menschliche Erkenntnis der Ökosysteme in den vergangenen Jahrzehnten rasante Fortschritte gemacht, aber gleichwohl sei die Lage dieser Systeme schlimmer als je zuvor.8 Es empfiehlt sich also, zwei zentrale Fragen noch einmal neu zu stellen: Wie konnte der Funktionsmechanismus der menschlichen Gesellschaften solche reellen und potenziellen Katastrophen hervorbringen? Und wie kann er ihre fatalen Folgen abschwächen? Für eine offene Auseinandersetzung mit diesen Fragen spielen die Sozialwissenschaften, die ja das Verständnis menschlicher Gesellschaften zum Ziel haben, im Gegensatz zu den strengen (Natur-)Wissenschaften eine alles andere als marginale Rolle. Ganz im Gegenteil, sie rücken wieder ins Zentrum: Mit ihrer Hilfe nämlich können wir uns einen gangbaren Entwicklungspfad durch das – wie es der Harvard-Biologe Edward O. Wilson genannt hat – »Jahrhundert der Umwelt« ausdenken.

Genau dies hatte Darwin schon frühzeitig begriffen, als er in der Einleitung zu seinem Buch Über die Entstehung der Arten (1859) Worte der Anerkennung sowohl für seinen Kollegen und Konkurrenten Alfred Russel Wallace wie auch für Reverend Malthus fand. Für Wallace deshalb, weil dieser – ganz nach dem Prinzip der Mehrfachentdeckung – kurze Zeit nach Darwin und unabhängig von ihm auf das Gesetz der natürlichen Auslese gestoßen war und Darwin gewissermaßen gezwungen hat, die Vaterschaft dafür zu übernehmen und sein zwanzig Jahre zuvor konzipiertes Hauptwerk endlich zu veröffentlichen. Und für Malthus, weil seine Abhandlung über das Bevölkerungsgesetz (1798) Darwin vermutlich auf den Gedanken gebracht hat, dass zwischen den am besten angepassten Einzelwesen ein Kampf stattfindet, der im Verein mit anderen Faktoren zur Evolution der Arten beiträgt.9 Am Beginn der modernen Biologie stünde demnach ein Gesellschafts-»Modell«.

Schon die Entstehung des Begriffs »Ökologie«, die viel weniger weit zurückliegt, als man gemeinhin annimmt, zeugt nicht nur von der Schicksalsgemeinschaft zwischen Menschheit und Natur, sondern auch vom Stellenwert, den die Sozialwissenschaften für das Verständnis dieser Gemeinschaft besitzen. Wie ein Hauswesen, ein autonomes und geschlossenes Ganzes, konzipiert Ernst Haeckel die Welt der Natur, als er in den 1860er-Jahren unter Rückgriff auf den griechischen Wortstamm oikos die Ökologie als Wissenschaft von den Beziehungen der lebenden Organismen zu ihrer organischen und anorganischen Umwelt definiert. Damals wird die Ökologie zur Wissenschaft von der wechselseitigen Abhängigkeit alles Lebendigen. Gebildet ist das Wort in Anlehnung an die Ökonomie, weil die Natur wie eine große Hauswirtschaft erscheint. Auch hier dient also das Verständnis des Gesellschaftlichen als Schlüssel zum Verständnis des Lebendigen. Bevor wir aber der Verschränkung zwischen natürlicher und sozialer Welt im Einzelnen nachgehen, müssen wir uns mit deren Interdependenz befassen.

In dem begrenzten Raum, den – wie die Biologen Paul und Anne Ehrlich von der Stanford University festhalten10 – die Biosphäre darstellt und wo es noch in mehreren Kilometern Tiefe unter der Erdoberfläche und in einer über den Mount Everest hinausreichenden Höhe Leben gibt, partizipieren wir an den Ökosystemen und interagieren mit anderen Formen des Lebens, indem wir sie verzehren (Pflanzen, Samen, Fleisch), von ihnen verzehrt werden (weißer Hai, Mücken, Malariaerreger) oder mit ihnen kooperieren (Bakterien im menschlichen Körper, Jagdhunde, andere Menschen). Jeder Versuch, den Menschen als etwas vom Naturzusammenhang Gesondertes zu betrachten, und das...

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