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E-Book

Philosophie des Unbewußten

Vollständige Ausgabe

AutorEduard von Hartmann
VerlagJazzybee Verlag
Erscheinungsjahr2012
Seitenanzahl694 Seiten
ISBN9783849627133
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis0,99 EUR
Nachdem Hartmann mit 22 Jahren den 'Gedanken als seinen Beruf' erkannt hatte, begann er gegen Ende 1864 'ohne Plan' ein Werk niederzuschreiben, welches heute als das philosophische Hauptwerk Hartmanns gilt. In dieser rasch Aufsehen erregenden Philosophie des Unbewußten versuchte er eine Synthese aus Aspekten der Philosophien Arthur Schopenhauers, Leibniz', Schellings und Hegels. Hartmann bezeichnet darin seinen Standpunkt als die Extreme der logischen Idee (bei Hegel) und des blinden Willens (Schopenhauer) in der Einheit des 'Unbewussten' - das 'Wille und Vorstellung' sei - aufhebenden Monismus. Das 'Unbewusste' ist für sein System etwa dasselbe, was für Spinoza die Substanz, für Fichte das absolute Ich, für Hegel die Idee ist.

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Leseprobe

II. Wie kommen wir zur Annahme von Zwecken in der Natur?


 


Eine der wichtigsten und bekanntesten Aeusserungsformen des Unbewussten ist der Instinct, und dieser ruht auf dem Zweckbegriff; deshalb ist eine Untersuchung des letzteren für unsere Aufgabe nicht zu vermeiden, und da dieselbe sich in den Abschnitt A nicht wohl einfügt, so habe ich sie hier in die Einleitung verwiesen. Zwar wird die hier folgende Behandlung des Gegenstandes leicht den Vorwarf der Trockenheit erfahren, und wer es scheut, sich durch Wahrscheinlichkeitsuntersuchungen durchzuwinden, der möge, wenn er ohnedies schon von der Berechtigung einer Annahme von Zwecken in der Natur überzeugt ist, dieses Capitel immerhin ungelesen lassen. Doch muss ich hinzufügen, dass die Art, in welcher die so wichtige Frage hier zur hypothetischen Entscheidung wenigstens nach ihrer formalen Seite gebracht wird, meines Wissens sowohl neu, als auch die einzig mögliche ist.

 

Bei vielen grossen Denkern hat der Zweckbegriff eine höchst wichtige Rolle gespielt, und die Grundlage eines grossen Theils des Systems ausgemacht, z.B. bei Aristoteles, Leibniz; Kant musste ihm natürlich die Realität ausserhalb des bewussten Denkens absprechen, da er sie für die Zeit nicht zugestand (vgl. Trendelenburg: logische Untersuchungen Cap. VIII. 5); der moderne Materialismus leugnet dieselbe ebenfalls, weil er den Geist ausserhalb des thierischen Hirns leugnet; bei der modernen Naturwissenschaft ist der Zweckbegriff durch Baco mit Recht in Misscredit gekommen, weil er so oft als bequemes Mittel der faulen Vernunft gedient hat, sich das Suchen nach den wirkenden Ursachen zu ersparen, und weil in dem blos mit der Materie beschäftigten Theil der Naturwissenschaft allerdings der Zweck, als eine geistige Ursache, ausgeschlossen bleiben muss; Spinoza verblendete sich vollständig gegen die Thatsache der Naturzwecke, weil er die Finalität im Widerspruch mit der logischen Nothwendigkeit glaubte, – während sie doch mit ihr identisch ist (Cap. C. XV, 3), – und der Darwinismus leugnet die Naturzweckmässigkeit zwar nicht als Thatsache, aber als Princip, und glaubte die Thatsache als Resultat geistloser Causalität begreifen zu können, – als ob die Causalität selbst etwas anderes wäre als eine uns nur thatsächlich (nicht principiell von innen heraus) erkennbare logische Nothwendigkeit, und als ob die Zweckmässigkeit, die actuell erst nach längerer Vermittelung als Resultat zu Tage tritt, nicht schon von Anfang an das Prius dieser Vermittelungen als Anlage oder Princip hätte sein müssen! Wenn aber einerseits ein so grosser und so ehrlicher Geist wie Spinoza den Thatsachen in's Angesicht den Zweck zu leugnen im Stande ist, wenn dagegen bei anderen der Zweck eine so grosse Rolle spielt, und selbst der Freigeist Voltaire die Zwecke aus der Natur nicht wegzuleugnen wagt, wie unbequem und unvereinbar mit seiner sonstigen Ueberzeugung sie ihm auch seien, so muss es doch ein eigenes Ding damit sein.

 

Der Begriff des Zweckes bildet sich zunächst aus den Erfahrungen, die man an seiner eigenen bewussten Geistesthätigkeit macht. Ein Zweck ist für mich ein von mir vorgestellter und gewellter zukünftiger Vorgang, dessen Verwirklichung ich nicht direct, sondern nur durch causale Zwischenglieder (Mittel) herbeizuführen im Stande bin. Wenn ich den zukünftigen Vorgang nicht vorstelle, so existirt er für mich jetzt nicht; wenn ich ihn nicht will, bezwecke ich ihn nicht, sondern er ist mir gleichgültig oder zuwider; wenn ich ihn direct verwirklichen kann, so fällt das causale Zwischenglied, das Mittel fort, und damit verschwindet auch der Begriff Zweck, der nur in der Relation zum Begriff Mittel besteht, denn die Handlung folgt dann unmittelbar aus dem Willen. Indem ich einsehe, dass ich nicht im Stande bin, meinen Willen direct zu verwirklichen, und das Mittel als wirkende Ursache des Zweckes erkenne, wird mir das Wollen des Zweckes Motiv, d.i. wirkende Ursache für das Wollen des Mittels; dieses wird wirkende Ursache für die Verwirklichung des Mittels durch meine That, und das verwirklichte Mittel wird wirkende Ursache der Verwirklichung des Zweckes. So haben wir eine dreifache Causalität unter den vier Gliedern: Wollen des Zwecks, Wollen des Mittels, Verwirklichung des Mittels, Verwirklichung des Zwecks. Nur in seltenen Fällen wird alles dies auf rein subjectiv geistigem Gebiete bleiben, z.B. beim Verfassen eines Gedichts im Kopf, der gedanklichen Ausarbeitung einer anderweitigen künstlerischen Conception, oder sonst einer Kopfarbeit; meistentheils dagegen finden wir von den vier verschiedenen Arten der Causalität drei unmittelbar dargestellt, nämlich Causalität zwischen geistigem und geistigem Vorgang (Wollen des Zwecks, Wollen des Mittels), geistigem und materiellem Vorgang (Wollen und Verwirklichung des Mittels), und zwischen materiellem und materiellem Vorgang (Mittel und Zweck). Auch die vierte Art Causalität: zwischen materiellem und geistigem Vorgang kommt öfters hierbei vor, sie liegt dann aber vor dem Beginn unserer Betrachtung in der Motivation des Wollens des Zwecks durch Sinneseindrücke. Man sieht hieraus, dass die Verbindung von gewolltem und verwirklichtem Zweck oder die Finalität, keineswegs etwas neben oder gar trotz der Causalität bestehendes ist, sondern dass sie nur eine bestimmte Verbindung der verschiedenen Arten von Causalität ist, derart, dass Anfangsglied und Endglied dasselbe sind, nur das eine ideal und das andere real, das eine in der gewollten Vorstellung, das andere in der Wirklichkeit. Weit entfernt, die Ausnahmslosigkeit des Causalitätsgesetzes zu vernichten, setzt sie dieselbe vielmehr voraus, und zwar nicht nur für Materie unter einander, sondern auch zwischen Geist und Materie, und Geist und Geist. Daraus geht hervor, dass sie die Freiheit im einzelnen empirischen Geistesacte negirt, und auch ihn unter die Notwendigkeit des Causalitätsgesetzes stellt. Dies möchte das erste Wort zur Verständigung mit den Gegnern der Finalität sein.

 

Nehmen wir nun an, es sei M als wirkende Ursache von Z beobachtet worden, und sämmtliche im Moment des Eintretens von M obwaltenden materiellen Umstände als n. n. constatirt worden. Ferner stehe der Satz fest, dass M eine zureichende wirkende Ursache haben müsse. Nun sind 3 Fälle möglich: entweder ist die zureichende Ursache von M in n. n. enthalten, oder sie erhält ihre Vervollständigung durch andere materielle Umstände, welche der Beobachtung entgangen sind, oder endlich die zureichende Ursache von M ist überhaupt nicht auf materiellem Gebiete zu finden, muss mithin auf geistigem gesucht werden. Der zweite Fall widerspricht der Annahme, dass sämmtliche materielle Umstände, die der Entstehung von M unmittelbar vorangehen, in n. n. enthalten seien. Wenn diese Bedingung auch in aller Strenge unerfüllbar ist, da die ganze Lage des Weltsystems darunter begriffen wäre, so ist doch leicht zu sehen, dass die Fälle sehr selten sind, wo ausserhalb eines engen örtlichen Umkreises für den Vorgang wesentliche Bedingungen liegen können, und alle unwesentlichen Umstände brauchen nicht berücksichtigt zu werden. Z.B. die wesentlichen Umstände, warum die Spinne spinnt, wird niemand ausserhalb der Spinne suchen, etwa im Monde. Nehmen wir also die Wahrscheinlichkeit, dass irgend ein für den Vorgang wesentlicher materieller Umstand nicht berücksichtigt, und demnach in n. n. nicht enthalten sei, so gering an, dass sie vernachlässigt werden darf6, so bleiben nur die beiden Fälle, dass die zureichende Ursache in n. n. enthalten ist, oder geistiger Natur ist. Dass der eine oder der andere Fall statthaben muss, ist also nunmehr Gewissheit, d.h. die Summe ihrer Wahrscheinlichkeiten ist = 1 (welche Gewissheit bedeutet). Sei nun die Wahrscheinlichkeit, dass M durch n. n. verursacht ist = 1/x, so ist folglich die Wahrscheinlichkeit, dass es eine geistige Ursache habe = 1-1/x = (x-1)/x; je kleiner 1/x wird, desto grösser wird x, desto mehr nähert sich (x-1)/x der 1, d.h. der Gewissheit. Die Wahrscheinlichkeit 1/x würde = 0 werden, wenn man den directen Beweis in Händen hätte, dass M nicht durch n. n. verursacht ist; wenn man nämlich einen Fall constatiren könnte, wo n. n. vorhanden und M nicht eingetreten ist. Dies ist mit den ganzen n. n. freilich unmöglich, da jede geistige Ursache materielle Angriffspuncte braucht, aber es wird doch häufig gelingen, wenigstens einige oder mehrere der Umstände n. n. zu eliminiren, und je weniger von den Umständen n. n. als solche betrachtet werden müssen, bei deren Vorhandensein der Vorgang M jedesmal eintritt, desto leichter wild die Bestimmung der Wahrscheinlichkeit, dass sie die zureichende Ursache von M nicht enthalten.

 

Betrachten wir zur Verdeutlichung ein Beispiel. Dass das Bebrüten des Ei's die Ursache vom Auskommen des jungen Vogels ist, ist eine beobachtete Thatsache. Die dem Bebrüten (M) unmittelbar vorhergehenden materiellen Umstände (n. n.) sind das Vorhandensein und die Beschaffenheit des Ei's, das Vorhandensein und die Körperconstitution des Vogels, und die Temperatur an dem Ort, wo das Ei hegt; anderweitige wesentliche Umstände sind undenkbar. Die Wahrscheinlichkeit ist höchst gering, dass diese Umstände ausreichen, um den munteren, bewegungsfrohen Vogel zum Verlassen seiner gewohnten und instinctiv gebotenen Lebensweise und zum langweiligen Stillsitzen über den Eiern zu veranlassen; denn wenn auch der vermehrte Blutandrang im Unterleibe ein erhöhtes Wärmegefühl herbeiführen mag, so wird dieses doch durch das Stillsitzen im...

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