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E-Book

Die wichtigsten Naturwissenschaftler im Porträt

AutorFritz Krafft
VerlagEdition Erdmann in der marixverlag GmbH
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl256 Seiten
ISBN9783843802208
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis7,99 EUR
Als 'Zwerge auf den Schultern von Riesen' charakterisierte sich erstmals das 12. Jahrhundert, als es das immense Wissen der Antike neuerschloss. Während des Entstehens neuzeitlicher Naturwissenschaft wird das Bild ebenso wieder aufgenommen wie im 20. Jahrhundert. In seinem Sinne werden hier weniger Naturwissenschaftler, die ihre Ergebnisse aus der Sicht solcher Zwerge (der sog. 'normalen' Wissenschaft) erbrachten, als jene in Porträts aus ihrer Zeit heraus vorgestellt, die diese erweiterte Sicht durch neuartiges Sehen aufgrund inhaltlicher Erweiterung der Tradition oder deren neues, revolutionäres Überdenken ermöglichten.Vorstellung der bedeutendsten Naturwissenschaftler und Beleuchtung ihrer revolutionären Ansichten

Fritz Krafft ist international anerkannter emeritierter Professor für Wissenschaftsgeschichte. Er begann nach einem geistes- und naturwissenschaftlichen Studium in Hamburg dort auch seine akademische Laufbahn, die ihn über Mainz schließlich nach Marburg führte, wo er bis 2000 das in Deutschland einzigartige Institut für Geschichte der Pharmazie leitete. Er ist Autor von über 50 Büchern und zahlreichen Beiträgen.

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Leseprobe

Milesische Naturphilosophen

Thales

(* um 650 v Chr. Milet, † um 560)

Anaximandros

(*um 610 v. Chr. Milet, † 546)

Anaximenes

(*um 580 v. Chr. Milet, † um 520)

Über Einzelheiten des Lebens der drei großen milesischen Na­turphilosophen unter den sogenannten vorsokratischen Den­kern, denen wir die Grundlegung naturwissenschaftlichen Denkens verdanken, ist sehr wenig bekannt. Was sie vereint, ist die Herkunft aus Milet, einer der griechischen Kolonien an der klein­asiatischen Westküste, in denen durch den regen Handel mit den östlichen Anrainern fremdes und teilweise widersprüchliches Wissen der verschiedenen vorderasiatischen Hochkulturen einströmte und regelrecht nach Erklärungen auf der Grundlage des abweichenden griechischen (religiösen) Denkens verlangte. Ihre Schriften sind nur noch aus wenigen Zitaten und Berichten späterer Autoren bekannt; sie stammen aus der Frühphase griechischer ›Literatur‹, als die Verbreitung von nicht gebundenen Prosaschriften noch regional begrenzt blieb, so dass eine für das Entstehen und Verbreiten wissenschaftlicher Ideen und Erkenntnisse erforderliche Gemeinschaft noch von einer kleinen lokalen geistigen Elite gebildet wurde und noch nicht auf eine schriftliche Kommunikation als Diskussions- und Verbreitungsinstrument einer ›Wissenschaftlergemeinschaft‹ zurückgreifen konnte.

Während die Schrift des Anaximandros mit dem vermutlichen Titel ›Über die Natur‹ bis ins 2. vorchristliche Jahrhundert bekannt blieb, lag eine Schrift von Thales schon Aristoteles nicht mehr vor. Bekannt waren daraus nur einzelne markante Sätze, die darauf hindeuten, dass es sich um einen sogenannten ›Periplous‹ handelte, eine Reisebeschreibung längs des Küstenverlaufs des Mittelmeeres mit Schwergewicht auf den Häfen und gelegentlichen Hinweisen auf Besonderheiten im Hinterland, bei Thales vor allem in Ägypten, das er als Händler bereiste. Ägypten, in dem seit dem 8. Jahrhundert in Naukratis eine griechische Handelsniederlassung bestand, hat die Griechen stets besonders interessiert, so dass die Erklärung von Besonderheiten, die von ihnen bekannten Begebenheiten abwichen, auch früh gesammelt und von den Doxographen immer wieder ergänzt wurden – dazu gehörten die Pyramiden als eines der Weltwunder (Thales berichtete von der geome­trischen Höhenmessung der Ägypter), aber vor allem die Nilschwelle mitten im Sommer, wenn die Flüsse in Griechenland völlig ausgetrocknet waren (Thales versuchte sie erstmals rational als einen durch die in Griechenland zeitgleich aus Norden wehenden Etesien verursachten Rückstau des Nil-Wassers zu erklären).

Auf vorwiegend rationaler Grundlage, wie sie vor ihm schon von Thales erarbeitet worden war, indem er aus zeitgleichen Phänomenen eine ursächliche Abhängigkeit erschloss, ohne jedoch bereits Einzelerklärungen zu einem einheitlichen System zusammenzufassen, stellt die Schrift des Anaximan­dros eine alle Bereiche der Natur umfassende Synthese griechischen Ordnungsdenkens, wie es auf kosmogonischer Ebene die ›Theogonie‹ des Hesiodos repräsentiert (die als epische Dichtung überall in Griechenland von Rhapsoden vorgetragen wurde), und vorderasiatisch-ägyptischem kosmogonischen und naturkundlichen Wissens dar und sollte damit Wesen und Zielsetzungen wissenschaftlicher Naturbetrachtung der Griechen bestimmen. Die theo­gonische Kosmogonie des Hesiodos, der, um seine Ideen dem Zuhörer verständlich zu machen, noch des mythologischen Gewandes agierender Göttergestalten (als Naturhypostasen) bedurfte, wird dabei weitgehend entgöttert, wenn auch die Göttlichkeit des Gesamt-Kosmos erhalten bleibt. Er führte damit einen Ansatz bei Thales weiter, der noch davon ausgegangen war, dass »alles voller Götter sei«, diese sich aber nicht mehr als Personen, sondern als Bewegung und Leben (Veränderung) verursachendes Prinzip dachte, so dass er auch einerseits die Seelen als göttlich und andererseits den (Eisen bewegenden) Magneten als beseelt bezeichnen konnte.

Im Anschluss an das göttliche ›Chaos‹, das bei Hesiodos als erstes da war und in dem die folgenden, in schrittweiser Vervollkommnung die Fülle der materiellen und immateriellen Erscheinungen dieser Welt bis hin zur schließlich obsiegenden Generation von Zeus, der meist des Versmaßes wegen mit »Geist des Zeus« (Δις νόος) umschrieben wurde, also eine rationale Ordnung der Welt garantieren sollte, verkörpernden Göttergenerationen entstehen, nimmt Anaximandros als Urstoff und Urprinzip alles Seienden ein quantitativ und qualitativ noch nicht Bestimmtes, das ›Apeiron‹ an, dem auch dieselben Attribute wie den Göttern bei Hesiodos zuerkannt werden. Es ist kein eigentlich physikalisches Prinzip, sondern wiederum wie bei Hesiodos ein eher biologisches: Es soll aufgrund eines ewig bewegenden Zeugungsprinzips aus sich die Gegensätze des Warmen und Kalten, des Trockenen und Feuchten ›gebären‹. Diese qualitativ bestimmten gegensätzlichen Ausscheidungen hätten sich als Wasser und Feuer in Schichten um die wohl wie bei Hesiodos spontan nach und in dem Apeiron entstandene, jetzt jedoch frei schwebende feste Erdscheibe gelegt – Wasser innen, Feuer außen. Die Gegensätze sollten dann aufeinander einzuwirken: Das Feuer verdunste das die Erde bedeckende Wasser allmählich – die Erde erhalte trockene Stellen, die Meere würden immer kleiner und salziger –, und dieses lege sich als feuchter, undurchdringlicher Nebel unter das Feuer und »wie die Rinde um einen Baum« um dieses herum, so dass sich große mit Feuer gefüllte Nebelschläuche ergäben, die sich wie Räder um die Erde drehten. Sonne und Mond bestünden aus je einem solchen radförmigen Schlauch von der Dicke eines Erdradius, und was uns als Sonne und Mond erscheine, sei das aus einem kreisförmigen Loch in den Schläuchen »wie von einem Blasebalg« zur Erde hin geblasene innere Feuer. Der innere Durchmesser der Schläuche betrage für die Sonne 3×9, also 27, und für den Mond 2×9, somit 18 Erddurchmesser. Innerhalb von ihnen befinde sich die vermutlich wie bei Anaximenes ›eisartig‹ (kri­stallen) gedachte Himmelshohlkugel mit einem Durchmesser von 1x9 Erddurchmessern, durch die das äußere Feuer als Fixsterne durchschimmere – die Planeten werden nicht berücksichtigt und waren Anaximandros wohl noch nicht bekannt. Die Erdscheibe, deren Höhe einem Drittel ihres Durchmessers entspreche, schwebe frei in der Mitte, weil ein hinreichender Grund fehle, warum sie sich eher zu der einen als zu einer anderen Seite bewegen sollte.

Die frühen Denker wurden von den späteren Doxographen nach Lösungen bestimmter Probleme abgefragt, so auch Thales danach, wie er sich denn den ›Halt‹ der Erde vorstelle, und man fand: Die Erde schwimmt auf dem Wasser. Nur war bei ihm die Fragestellung eine andere gewesen, wie schon die Kritik bei Ari­stoteles zeigt, der vermisst, wie Thales dann dem Wasser Halt geben wolle. Für letzteren ging es um Einzelprobleme wie die schwimmenden Inseln in Ägypten und Einzelerklärungen etwa von Erdbeben: Wie ein Schiff im Sturm schwanke und leck schlage, so auch die Erd(scheib)e bei einem Erdbeben, bei dem neue Quellen entstünden; auch tauche sie wie ein solches Schiff beim Entladen der Fracht nach und nach weiter aus dem Wasser hervor, sie ›werde‹, wie Thales sagte. Er erklärte damit sicherlich bestimmte geologische Erscheinungen wie das Auftreten maritimer Fossilien in großen Höhen, das Anaximandros dann umgekehrt auf ein Sinken des Meersspiegels aufgrund der Verdunstung des Wassers zurückführte; erst die spätere Doxographie bei Aristoteles machte aus der älteren Erklärung bei Thales im Sinne der Fragestellung seiner eigenen Zeit das ›Entstehen‹ eines ›Urstoffes‹ Erde aus dem Wasser als dem ›Urstoff‹ für alles.

Der in geometrischen Proportionen geformte Kosmos war für Anaximandros allerdings nur sein gegenwärtiger Zustand; denn ähnlich wie das vom Feuer besiegte Wasser seinerseits das Feuer besiege, entstünden alle Dinge dadurch, dass sie sich durch ein Überschreiten ihrer Grenzen an die Stelle eines anderen setzten und aus diesem entstünden, sich also schuldig machten. Die ihre Schuld wieder ausgleichende Sühne bestehe darin, dass ihnen dasselbe Schicksal widerfahre. So entstünden in ständigem Wechsel die Dinge wie Sommer/Winter, Tag/Nacht, Geburt/Tod usw. Auch das Austrocknen und Überschwemmen der Erde erfolge abwechselnd nach solchen Perioden, so dass es viele ›Welten‹ (im Sinne von ›Kosmos‹ als geordnetem Zustand) nacheinander gebe und die gegenwärtige zu bestehen aufhöre, wenn alle Feuchtigkeit der Erde entzogen sei.

In den Prozess des Verdunstens des Wassers und des Trockenwerdens der Erde bezog Anaximandros konsequent alle atmosphärischen Erscheinungen und Lebensprozesse mit ein: Vormals könne es nur aus dem Urschlamm entstandene Wassertiere gegeben haben, so dass auch der Mensch ursprünglich in einem solchen aufgewachsen sei – noch heute bedürfe er deshalb langer mütterlicher Fürsorge. Auch die maritimen Fossilien und Muschelschalen in gegenwärtig vom Meer...

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