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E-Book

Die Elbe

Europas Geschichte im Fluss

AutorUwe Rada
VerlagSiedler
Erscheinungsjahr2013
Seitenanzahl320 Seiten
ISBN9783641092375
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis15,99 EUR
Europäische Kulturgeschichte an der Elbe entlang erzählt
Die Elbe ist nicht nur ein großartiger Naturraum, sie ist auch eine europäische Lebensader und lebendige Geschichte im Fluss. Uwe Rada nutzt diesen Strom wie eine Perlenkette, auf die er kleine Geschichten und große Geschichte über außergewöhnliche Orte, besondere Menschen, über Handel und Umwelt, Häfen und Literatur aufzieht.

Als deutsch-deutscher Fluss und als tschechisch-deutscher Fluss verbindet die Elbe verschiedene Erinnerungsorte zwischen West und Ost. Vor allem aber rückt sie als Naturraum und zunehmend beliebtes Ziel des Kulturtourismus immer stärker in den Blick. Im Einzugsgebiet der Elbe mit seinen Städten Prag, Dresden, Magdeburg und Hamburg konstituiert sich ein Stück Mitteleuropa neu. Indem Uwe Rada dem Lauf des Flusses und seiner Geschichte folgt, gelingt ihm ein außergewöhnlich persönliches Buch über diesen Strom und seine Vergangenheit. Er beschreibt wie das Ahoj nach Tschechien kam und der Moldauhafen nach Hamburg, und er schildert eine spektakuläre Fluchtgeschichte aus seiner eigenen Familie mitten im Kalten Krieg.

Uwe Rada, geboren 1963, ist Redakteur der »taz« und Buchautor. Er lebt in Berlin. Für seine publizistische Arbeit hat er verschiedene Stipendien und Preise erhalten, unter anderem von der Robert-Bosch-Stiftung und dem Goethe-Institut. Er hat mehrere Bücher zur Geschichte Osteuropas veröffentlicht, zuletzt »Die Memel« (Siedler 2010).

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Leseprobe

DER 9. APRIL 1948

Als Ladislav Karel Feierabend mit seiner Familie in der Nacht vom 8. auf den 9. April 1948 in Děčín an der Elbe eintrifft, ist der Kalte Krieg in vollem Gange. Drei Wochen zuvor hat die Sowjetunion aus Protest gegen das Londoner Sechsmächteabkommen den Alliierten Kontrollrat verlassen. Der – ohnehin dünne – Gesprächsfaden zwischen den Siegermächten war gerissen. Zwei Monate später sollten die Westalliierten die Freiheit West-Berlins verteidigen und auf die sowjetische Blockade mit der Luftbrücke antworten.

In Prag hatte die Kommunistische Partei von Klement Gottwald am 25. Februar die Macht an sich gerissen. Nach diesem Putsch war neben Polen und Ungarn nun auch die Tschechoslowakische Republik kommunistisch. Noch am selben Tag war die Geheimpolizei auf der Vořechovka aufgetaucht, einem Villenviertel im Westen von Prag, um Feierabend zu verhaften. Doch den Politiker der konservativen Agrarierpartei, der in der Londoner Exilregierung unter Edvard Beneš noch Finanzminister gewesen und nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs zur Unperson geworden war, trafen sie nicht an. Um einem Schauprozess und einem möglichen Todesurteil zu entgehen, hatte Feierabend längst beschlossen, in den Untergrund zu gehen und schließlich mit seiner Familie in den Westen zu fliehen.

An jenem Apriltag des Jahres 1948 ist es soweit. Ein Mittelsmann namens Tonda hatte Kontakt zu Josef Novák aufgenommen, einem Elbschiffer, der die nötigen Papiere hatte, um mit seiner Frau Štěpánka von Prag über die Moldau und die Elbe bis Hamburg zu fahren. In Děčín, auf Deutsch Tetschen, sollten die Nováks Ladislav Feierabend, seine Frau Hana, die gleichnamige Tochter und Sohn Ivo an Bord ihres Elbkahns mit dem Kennzeichen ČSPL 346 holen. Die Spannung war mit Händen zu greifen, wie sich Ladislav Feierabend in seinen Memoiren erinnert: »In der einen Stunde, die wir nach Tetschen fuhren – für mich bedeutete sie eine Ewigkeit –, war ich mit meinen Nerven am Ende. Es überkam uns jedoch ein Gefühl der Befreiung, als wir um vier Uhr in der Früh in den Tetschener Hafen fuhren und Tonda erklärte, er sehe Nováks Schiff. Es war Freitag, der 9. April 1948, wieder ein glücklicher Freitag in meinem Leben.«

Einundsechzig Jahre später treffen mein Bruder und ich in Prag Feierabends Sohn Ivo, der bei der Flucht auf der Elbe einundzwanzig Jahre alt war. Über der Moldau kämpft sich eine schwache Oktobersonne durch den Dunst. Wir gehen mit Ivo am Ufer entlang, sein Blick sucht die Prager Burg. »Am Tag des Putsches«, erzählt er, »habe ich hier mit einer Gruppe Studenten protestiert. Es war eine gespenstische Szenerie. Auf der einen Seite die Demonstranten, auf der anderen die kommunistische Miliz.« Wir kehren ein in das legendäre, inzwischen renovierte »Café Slavia« gegenüber dem Prager Nationaltheater. Der Oberkellner hat nichts gegen einen Filmdreh an einem der Kaffeehaustische einzuwenden. Ivo Feierabend wird der Hauptdarsteller unseres Dokumentarfilms über die Flucht der Familie in den Westen sein. Der emeritierte Professor der Politikwissenschaften an der San Diego State University in Kalifornien erinnert sich nicht nur an die Tage des Februarputsches in Prag, sondern auch an die Nováks, die die Flucht seiner Familie in den Westen ermöglichten: »Wenn ich mir das Foto von Josef Novák anschaue, scheint es, als würde er hier mitten im Café sitzen. Ich würde ihn sofort erkennen. Er war wie seine Frau ein fröhlicher Mensch. Natürlich hatten wir Angst. Noch heute bewundere ich ihre Fähigkeit, völlig ruhig und normal mit der Situation umzugehen. Sie hätten ja wegen uns auffliegen können.«

ELBSCHIFFER AUS LIEBE

Die Flucht auf der Elbe ist eine bislang unbekannte Geschichte aus dem Europa des Kalten Krieges. Sie führte zwei Männer zusammen, die unterschiedlicher nicht sein konnten. Josef Novák wurde am 3. April 1912 in Dittersbach, auf Tschechisch Jetřichov, als Sohn eines Tschechen und einer Deutschen geboren. Damals gehörten die Sudeten noch zur Habsburgermonarchie. Novák hatte vier Geschwister: Agnes, Maria, Hilde und Ladislav. Seinen Vater Josef verschlug es nach der unehrenhaften Entlassung aus dem Militär ins deutschsprachige Starkstadt/Starkov, wo er eine Anstellung als Herrschaftskutscher der Familie von Kaiserstein fand. Dort lernte er seine spätere Frau, Maria Saukel, kennen.

Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs kam die Familie auf der Suche nach Arbeit zunächst nach Pilnikau/Pilníkov, später nach Trautenau/Trutnov. Am Fuße des Riesengebirges fand sie eine neue Heimat. Dort herrschte ein gutes nachbarschaftliches Einvernehmen, weiß Nováks Nichte Hana Slávišová: »Damals gab es keine Probleme, wenn Tschechen und Deutsche in einem Haus gewohnt haben. Sie haben sich gut vertragen. Sicher gab es auch Ausnahmen, aber die meisten Leute, die gewöhnlichen Leute, machten keinen Unterschied, ob jemand ein Deutscher oder ein Tscheche ist.«

Dieses Einvernehmen endete auch nicht, als sich Tschechen und Deutsche nach dem Ersten Weltkrieg und dem Zusammenbruch des Habsburgerreichs in der neuen Tschechoslowakischen Republik wiederfanden. In Trautenau an der Aupa, einem linken Nebenfluss der Elbe, ging der junge Josef Novák bei einem Textilwarenhändler in die Lehre. 1936 kam er zum tschechischen Militär und verpflichtete sich als Berufssoldat. Zwei Jahre später lernte er Štěpánka kennen. Die beiden wollten heiraten. Weil Novák vom Verteidigungsministerium keine Heiratsgenehmigung erhielt, quittierte er den Dienst. Mit seiner jungen Frau heuerte er in Prag bei der tschechischen Binnenreederei Československá Plavba Labská (ČSPL) an.

BÜRGERLICHER POLITIKER

Als Josef Novák Binnenschiffer wurde, war Ladislav Karel Feierabend bereits Justizminister der Tschechoslowakischen Republik. Feierabend wurde am 14. Juni 1891 in Kostelec nad Orličí/Adlerkosteletz geboren. In Königgrätz an der Elbe studierte er Jura und Wirtschaft. Ihm und seiner Frau Hana wurden 1927 der Sohn Ivo, zwei Jahre später die Tochter Hana geboren. Die Feierabends pendelten zwischen ihrem Familiensitz auf Gut Miröschau und Prag. Doch dann kamen das Münchner Abkommen 1938, der Anschluss des Sudetenlandes an Hitler-Deutschland und im Frühjahr 1939 der Einmarsch der Deutschen in die so genannte Rest-Tschechei.

Für Ladislav Feierabend begannen dramatische Jahre, erinnert sich Sohn Ivo: »Mein Vater musste nicht nur 1948 aus Prag fliehen, sondern schon einmal vorher, das war 1940. Nach dem Einmarsch der Deutschen war er Mitglied der Protektoratsregierung geworden. Gleichzeitig baute er Kontakte zum tschechischen Widerstand auf. Als das aufflog, musste er das Land verlassen – und ging zu Edvard Beneš nach London.«

Anders als Josef Novák stammte Feierabend nicht aus dem tschechisch-deutschen Milieu, sondern aus einer bürgerlichen tschechischen Familie. Die Gründung der Tschechoslowakischen Republik bot ihm daher ungeahnte Aufstiegschancen. Der promovierte Jurist wurde 1930 Generaldirektor der »Einheitszentrale der Wirtschaftsgenossenschaften« und Vorsitzender der »Prager Produkten-Börse«. Mit der Ernennung zum Präsidenten des tschechoslowakischen Landwirtschaftsverbandes im Jahr 1934 war der Weg in die Politik eingeschlagen. Am 5. Oktober 1938 wurde er zum Justizminister berufen.

Eine Woche zuvor war das Münchner Abkommen unterzeichnet worden, dem der »Erlass des Führers und Reichskanzlers über die Verwaltung der sudetendeutschen Gebiete« folgte. Das Sudetenland wurde von den Deutschen besetzt. Als Feierabend als Justizminister der Regierung Beran wenig später vereidigt wurde, hatte die Tschechoslowakei ein Drittel ihres Staatsgebiets verloren. Feierabend habe versucht, das Beste daraus zu machen, erklärt der tschechische Publizist Jaroslav Šonka: »Ladislav Feierabend war jemand, der nach dem Münchner Abkommen nach Auswegen suchte.«

Auch als die Nazis am 15. März 1939 in Prag einmarschierten, zeigte sich Feierabend kompromissbereit – zumindest nach außen. Unter den Ministerpräsidenten Rudolf Beran und Alois Eliáš blieb er Minister in der von den Deutschen eingesetzten Protektoratsregierung. In seinen Memoiren verteidigte er diesen Schritt unter anderem damit, dass das Protektorat das einzige Land unter nazistischem Einfluss gewesen sei, das keine antijüdischen Gesetze erlassen habe. Doch insgeheim baute er Kontakte zum tschechischen Widerstand auf. Das Doppelleben flog auf. Im Februar 1940 musste Feierabend über Ungarn, Jugoslawien und Frankreich nach Großbritannien fliehen. Dort wurde er in der Exilregierung unter Beneš Finanzminister. Er vertrat sein Land unter anderem bei der Gründung des Internationalen Währungsfonds IWF in Bretton Woods.

Nach dem Attentat des tschechischen Widerstands auf den stellvertretenden Reichsprotektor Böhmen und Mähren, Reinhard Heydrich, wurden Feierabends Vater sowie seine Frau und der Bruder mit seiner Familie am 1. Juli 1942 verhaftet und ins Konzentrationslager Theresienstadt deportiert. Hana Feierabend überlebte den Krieg im KZ Ravensbrück, sein Vater starb kurz nach der Befreiung im KZ Dachau.

DER ELBKAHN MIT DER NUMMER ČSPL 346

Auch Hana Slávišová, die Nichte von Josef Novák, wird in unserem Film eine Rolle spielen. In ihrer Wohnung am Rande von Trutnov serviert sie Kaffee und süßes Gebäck. Aleš, ihr Mann, hat in einem Schuhkarton die Schifffahrtserlaubnis der Nováks gefunden. Stolz hält er das Patent in der Hand. »Die Eintrittskarte in den Westen«, sagt er, »und natürlich der Rückfahrschein.«

Die Geschichte des Elbkahns ČSPL 346 ist ebenfalls eine Geschichte aus dem Kalten Krieg.

Bei den Beratungen über die Nachkriegsordnung in Europa auf der...

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