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E-Book

Zwischen Geistern und Gigabytes - Abenteuer Alltag in Taiwan

Reiseberichte aus Taiwan

AutorIlka Schneider
VerlagDryas Verlag
Erscheinungsjahr2010
Seitenanzahl262 Seiten
ISBN9783941408210
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis7,99 EUR
'Made in Taiwan' - den Ausdruck kennt jeder. Aber was für Land steckt hinter dem Hersteller von Billigklamotten und immerhin 80% aller Notebooks weltweit? Und wie lebt es sich dort, wo Highspeed-Internetverbindungen genauso selbstverständlich sind wie die Gefahren durch hungrige Geister? Je nach Standpunkt ist Taiwan eine subtropische Insel im Pazifik mit spektakulärem Gebirge, ein Hort traditioneller chinesischer Kultur, die erste chinesische Demokratie, eine ehemalige japanische Kolonie, ein Flugzeugträger der USA oder eine abtrünnige Provinz der Volksrepublik China. Um mit diesem Wirrwarr fertig zu werden gibt es nur eins: den konsequent subjektiven und neugierigen Blick. Und damit erzählt die Autorin Geschichten über Chaos und Ordnung im Alltag, das gute Benehmen gegenüber der hiesigen und jenseitigen Welt und von der komischen Figur, die sie als Okzidentalin in all dem abgibt. Mythen zu Bräuchen und Festen werden verwoben mit Eindrücken vom gegenwärtigen Leben, und auch Geschichte und Politik werden auf humorvolle Weise kommentiert. Das Buch ist ein kurzweiliger Beitrag, um von der unvermeidbaren Brille westlicher Sozialisation, durch die wir China und Taiwan betrachten, zumindest die Scheuklappen zu entfernen.

Ilka Schneider, 1968 in Oberbayern geboren, 1987 Umzug nach Berlin. Seit frühester Kindheit treibt sie eine Faszination an der chinesischen Kultur um, die sie erstmals 1987 und seitdem immer wieder zu Reisen nach China verführte. Seit 2002 Studium der Sinologie, 2005/2006 einjähriger Aufenthalt in Taiwan. Arbeitet als Rechtsanwältin (Strafverteidigung), Karatetrainerin, Porzellanbemalerin und freischaffende Künstlerin (chinesische Tuschmalerei) in Berlin.

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Leseprobe

31. Orakelchinesisch am Sonnemondsee


Kurz vor Weihnachten besuchten wir den Sonnemondsee. Der liegt auf etwa 750m üNN und ist nicht nur das größte Süßwasserreservoir Taiwans, sondern auch DER Ferienort. 90% der Taiwaner sollen hier vor allem ihre Flitterwochen verbringen. Unter der Woche ist es dort jedoch angenehm ruhig. An einem Tag umradelten wir den See, hügelten und buckelten uns rauf und wieder runter. Am Wenwutempel, der daoistische, volksreligiöse und konfuzianische Elemente beherbergt, gibt es außer unendlichen, goldglitzernden Votivgehängen und schöner Aussicht auch noch kleine Orakelkästen: Eine traditionell gekleidete Puppe dreht sich nach Einwurf von 10 NT$ zu Tempelmusik um, betritt ihren Tempel und kommt mit einem Orakelröllchen wieder heraus und wirft es in den Ausgabeschacht. Mitten im Takt bricht dann auch die Musik ab. Orakelchinesisch ist logischerweise nicht leicht zu verstehen. Nachdem man das Papierchen mühsam aus seiner Plastikhülse hat fischen können, schaut man auf einen rätselhaften Text. Zunächst steht da: Tang Ming Huang wandelt im Mondpalast umher. Tang Ming Huang könnte man mit „der leuchtende Kaiser aus der Tangdynastie“ übersetzen. Es soll sich dabei um den Tangkaiser Xuanzong handeln (reg. 712-56). Dieser Kaiser galt als groß und kunstsinnig, aber er hatte eine besondere Schwäche für seine Schwiegertochter und ordinierte Daoistin Yang Guifei. Er machte sie zu seiner Konkubine und damit erst zur Guifei, denn das ist ein Konkubinentitel. Man kann nun die legendäre Liebe zwischen den beiden betonen und romantisch seufzen, sie beide seien wie zwei ineinander verflochtene Äste. Oder man stellt heraus, dass der Kaiser das Interesse an der Politik verlor und beide einen ausschweifenden und rücksichtslosen Lebensstil praktizierten, während das Volk darbte. Eine Art Lola-Montez-Problem. Wie dem auch sei. 755 kam es zur An-Shi-Revolte, die nach ihren beiden Anführern An Lushan und Shi Siming benannt ist. Nüchternere Geschichtswerke begründen diese Militärrevolte mit dem Wunsch nach Stärkung der Streitkräfte zu Lasten der Zivilregierung und der Rivalität um das Kanzleramt zwischen Yang Guozhong und An Lushan. Jedenfalls musste der Kaiser von Chang´an nach Chengdu fliehen und das Land stand vor großem Chaos. Mit Hilfe der Tibeter und Uiguren wurden die Hauptstädte Luoyang und Chang´an zurückerobert. (Betrachtet man die heute herrschende Repression gerade gegen diese Volksgruppen in der VR China, kommt man nicht umhin festzustellen, dass diese für die damalige Hilfe nicht mehr viel Dank erhalten.) Je nach Betrachtungsweise könnte man sagen, es ging gerade noch mal gut. Im Verlaufe dieser ganzen Unruhen wurde aber der Kaiser Xuanzong gezwungen, Yang Guifei töten zu lassen. Natürlich war er untröstlich. Aber ein Schamane soll ihm geholfen haben, sich nachts in den Träumen mit Yang Guifei auf dem Mond zu treffen. Impliziert man all das, wird der Orakelspruch: „Kaiser Ming wandert im Mondpalast umher“ verständlicher. Auf dem Zettel folgt dann eine Jahresangabe, damit man auch weiß, für wann die Weissagung gilt. Diese Jahresangaben werden definiert durch die so genannten 12 Himmelsstämme und die zehn Erdzweige. Durch eine rotierende Kombination dieser Stämme und Zweige kann ein Zyklus von 60 Jahren bestimmt werden. 2006 war zum Beispiel das Jahr (bingwu). Genau wie 1946. Anschließend wird das Motto noch um ein paar Verse ergänzt. So steht da, dass die Hindernisse und Widrigkeiten zahlreich sind und nur allmählich besser werden. Und dann wird alles äußerst positiv: „Es wird geschehen, dass sich Jadehase und Goldfasan treffen. Selbst ein verdorrter Baum wird im Frühling von selbst zu blühen beginnen.“ Da der Jadehase der Hase ist, der auf dem Mond wohnt, könnte damit auf das Treffen zwischen Kaiser Xuanzong und Yang Guifei angespielt werden. Aber Orakelsprüche muss ja jeder mit sich selbst ausmachen. Jedenfalls passt er mit seinen romantischen Implikationen gut zum Sonnemondsee.

Plangemäß erreichten wir zum beginnenden Sonnenuntergang die Pagode, die Jiang Kaishek seiner Mutter zum Andenken errichten ließ. Tolle Sicht, dunstiger Sonnenuntergang, roter Weihnachtsstern vor lila Abendhimmel, sehr schön. Leider war das erst die Hälfte der Strecke und wie zu erwarten war, wurde es dunkel. Und die Räder hatten wie immer kein Licht. Erst war so eine wunderbare Dämmerungsstimmung mit schwindendem Licht, noch mal aufglühenden Farben, langsamer Angleichung und Krötenspaziergängen auf der Straße. Aber als wir die Hauptstraße erreichten, war es wirklich zappenduster und rechts ein Abwassergraben und jedes Auto von hinten eine Angst im Nacken, aber auch eine kurzfristige Beleuchtung der Straße. Das anschließende Abendessen war reichlich und glich von der Stimmung her einer umgekehrten Henkersmahlzeit. Aber wie sagte das Orakel: Die Hindernisse sind zahlreich und es wird erst allmählich besser. Und das stimmte.

32. Sicherheit zum Zeitvertreib


Beim Besuch der Korallenklippe Katzennasestein im Süden Taiwans war der Weg zu den Aussichtspunkten gepflastert mit Schildern, dass man bitte auch beim Bewundern der Landschaft auf seine Schritte achten solle. Ich machte mich innerlich ein bisschen darüber lustig, da mich diese Überbesorgtheit und Überregulierung in Taiwan etwas irritierte. In der U-Bahn in Taibei gibt es zum Beispiel Einsteigezonen, an denen man sich britisch aufreiht. Genau dort halten dann die Zugtüren, allerdings nicht ohne dass vor der Einfahrt rote, in den Boden eingelassene Lampen blinken, eine Person mit Sonderrechten mit einem hohlen Gummiknüppel die Leute hinter die Wartemarkierung zurückschwenkt und der Zug hupt. Ist der Zug glücklich da, wird erst mal eine Runde abgewartet, bis sich die Türen quälend langsam öffnen. Bis dahin ist alles schön, die Leute stehen aufgereiht, direkt vor der Tür und lassen in der Mitte Platz für die Aussteigenden. Allerdings nur, bis die Türen tatsächlich offen sind, denn dann ist es abrupt vorbei mit Ordnung und Contenance und Durchlassen. Ich meine, es ist überhaupt kein Vergleich, mit den Schlägereien, die man sich in der VR China zuweilen liefern muss, bis man in irgendein Gefährt hineinkommt und es ist auch viel mehr Platz, aber da wird auch vorher nicht so ordentlich getan. Ordnungswidriges Rauchen oder Essen in der U-Bahn kostet etwa 38 €. Dies wird einem egal, wo man im Zug hinblickt, mitgeteilt und per Durchsage vermittelt. Auch außerhalb des Zuges sieht man sich vielen gut gemeinten Anweisungen ausgesetzt. Auf der Rolltreppe muss man sich ordentlich festhalten, darf nicht rennen oder klettern, sondern muss mit beiden Beinen fest auf dem Boden stehen. Überhaupt darf man sie NUR benutzen, wenn man kein Gepäck und keinen Kinderwagen hat und jung ist. Sonst wird man auf den Lift verwiesen. Und noch mehr Schilder dieser Art. Einmal standen sogar eigens Leute unten an der Rolltreppe und hielten mit starker Hand ein Schild mit der Aufschrift: „Hold the handrail.“26 Auch auf Chinesisch natürlich. Es wird wirklich viel getan für die Sicherheit, was zu der doch im Allgemeinen eigenwilligen Regelauslegung im Straßenverkehr in einem gewissen Widerspruch steht. Gefreut hat mich auch der Hinweis in einem öffentlichen Klo – bei denen sich unsinnigerweise immer mehr die westlichen Kloschüsseln ausbreiten, auf die sich ja dann doch niemand setzt – , dass das Stehen auf der Klobrille untersagt ist. Trotzdem sah ich hin und wieder Fußabdrücke auf der Brille. Auch sonst herrscht häufig Besorgnis vor. Z.B. war ich nach der Reise einen Kaffee trinken und weil der Patissier meinte, mich lange nicht gesehen zu haben, erklärte ich, Ferien gehabt zu haben und herumgereist zu sein. Offenbar hatte ich aber die Vollendungsaspektpartikel nicht richtig gebraucht und er dachte, ich würde jetzt erst losfahren. Er wurde ganz betrübt und riet mir dringend zu einem taiwanischen Reisebegleiter, denn wie sollte ich mich sonst zurechtfinden? Lange verstand ich nicht, was er meinte, aber nachdem ich ausgetrunken hatte, war mir dann doch klar, dass wir eines der recht häufigen Zeitmissverständnisse hatten und konnte ihn dahingehend beruhigen, dass ich diese gefährliche Odyssee bereits hinter mir hatte. Er war sehr erleichtert und voller Bewunderung. Ich weiß nicht, ob es daran liegt, dass Taiwan so klein ist und damit familiär bis hin zu provinziell und daher kontrollierbar erscheint, oder daran, dass es wegen der Erdbeben und Taifune eben so sehr unbeherrschbar ist, dass man wenigstens im Bereich Rolltreppe Klarheit und Sicherheit möchte, oder ob das eine Reaktion auf die übermächtige, waffenstrotzende, feindselige Schwester VR China ist, die eine immerwährende, unterschwellige Angst auslöst? Jedenfalls sinnierte und kicherte ich am Katzennasenstein so vor mich hin und stolperte und fiel prompt hin, und zwar mit dem Knie auf so einen scharfkantigen Lavastein. Hose und Knie wurden glatt aufgeschnitten und mit meinem Vierjährigenknie und nur noch einer heilen langen Hose fragte ich mich: Hätte ich ohne Schilder besser aufgepasst? Der Höhepunkt Besorgnis erweckender Schilder war aber das das nahe gelegene (etwa 5 km) Atomkraftwerk betreffend. Im Falle eines Alarms solle man sich in ein Haus begeben und warten bis Zivilhelfer kommen und einem eben helfen. Das erinnerte mich dann doch sehr an „duck and cover“ aus diesem Film über angemessene Reaktionen auf eine Atombombenexplosion, in dem einem empfohlen wurde, die eigene Aktentasche gegen den Atomblitz zu erheben. Nun gut. Das würde man vermutlich schon reflexhaft tun. Aber diesmal wieder Glück gehabt: Kein Alarm!

33. Westlicher Jahreswechsel


Weihnachten in Taiwan. Man wird von Weihnachtsbäumen, singenden Weihnachtsmännern und sonstiger Dekoration förmlich erschlagen, überall ertönen die...

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