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Psychodynamik und Geschlecht

Die weibliche Pädagogin und der männliche Klient - Ein Fallbeispiel Szenischen Verstehens im Arbeitsfeld JVA

AutorVanessa Jilg
VerlagFleet Street Press
Erscheinungsjahr2013
Seitenanzahl80 Seiten
ISBN9783944479996
FormatePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis14,99 EUR
In Psychodynamik und Geschlecht analysiert Vanessa Jilg geschlechtsspezifische Interaktionen in der Sozialen Arbeit. Hierfür nutzt sie die Methode des Szenischen Verstehens nach Alfred Lorenzer. Mit diesem u.a. aus der psychoanalytischen Pädagogik bekannten Ansatz greift Vanessa Jilg auf einen Fall ihrer theaterpädagogischen Praxis mit einer Gruppe junger Männer in Haft zurück. Im Vordergrund der Untersuchung stehen Arrangements von Beziehungsgestaltung, welche sie vor dem Hintergrund sozialer Konstruktionen von Geschlecht im Sozialraum JVA überprüft. Die Arbeit wurde im November 2012 mit dem 'Henriette-Fürth-Preis für die beste Abschlussarbeit eines Jahrgangs im Bereich Frauen- und Geschlechterforschung' ausgezeichnet.

Vanessa Jilg, geboren 1983 in Saarbrücken, ist Theater- und Sozialpädagogin. Sie blickt auf eine langjährige Schauspiel- und Regietätigkeit am Kinder- und Jugendtheater zurück. Neben ihrer Arbeit als Theaterpädagogin, Trainerin für Multiplikator_innen und der Bildungs- und Jugendarbeit in Deutschland und London widmet sie sich in den vergangenen Jahren verstärkt der sozialwissenschaftlichen Forschung. Derzeit hat sie einen Lehrauftrag für das Wahlfach 'Theaterpädagogik' an der Hochschule RheinMain. Psychodynamik und Geschlecht wurde im November 2012 vom Gender- und Frauenforschungszentrum (gFFZ) der Hessischen Hochschulen mit dem Henriette-Fürst-Preis ausgezeichnet.

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Leseprobe
2.1 Die Konstruktion der Zweigeschlechtlichkeit
Die sozialwissenschaftliche Geschlechterforschung hat sich innerhalb der vergangenen Jahrzehnte prägend mit sozialisationsbedingten Aspekten von Geschlechtskonstruktionen in unserem Kulturkreis beschäftigt. Ein bedeutender Schritt war und ist die in den Hintergrund tretende Annahme einer rein biologisch bedingten Geschlechtsdifferenz, die seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts eine Aufwertung der Differenz weiblicher und männlicher Wesensmerkmale etablierte (Vgl. BRANDES 2002, 47), hin zu einer Verschiebung des Denkens in Richtung einer sozialen und kulturellen und somit veränderbaren Interpretation von Geschlecht innerhalb menschlicher Gemeinschaften.
Einen wesentlichen Beitrag zur kritischen Betrachtungsweise eines gesellschaftlichen Konsens dessen, was Männlichkeit und Weiblichkeit sei und was es nicht sei, liefert unter anderem CAROL HAGEMANN-WHITE, die uns 1988 eine Kultur der Zweigeschlechtlichkeit diagnostiziert, in welcher die Kategorie Geschlecht alltagstheoretischen Attribuierungen von Eindeutigkeit, Naturhaftigkeit und Unveränderbarkeit unterworfen sei (Vgl. HAGEMANN-WHITE 1988, 228). Auch HANNELORE FAULSTICH-WIELAND (2008) zeigt auf, dass die Zugehörigkeit zu einem der beiden kulturell affirmierten Geschlechter eine omnipräsente Komponente unserer Gesellschaftsstruktur sei (Vgl. FAULSTICH-WIELAND 2008, 240).
Mit dem Hinweis auf gleichwohl existierende Abweichungen in der Auffassung von Geschlecht, Geschlechtszugehörigkeit, Zweigeschlechtlichkeit und sozialer Etikettierung von Geschlecht im Alltagsverständnis anderer Kulturen macht HAGEMANN-WHITE (1988) deutlich, dass Zweigeschlechtlichkeit "zuallererst eine soziale Realität" (HAGEMANN-WHITE 1988, 229) sei. Sie äußert sich kritisch gegenüber einer konsensuellen Tatsachenkonstruktion, die sich in Formulierungen wie ,es gibt nun 'mal Männer und Frauen' spiegele und somit einen biologistischen Unterschied konstituiere und bewahre. Den in ihrem Verständnis lohnenderen Weg gehe eine Wissenschaft, die sich der ,Null-Hypothese' zuwende, also radikal mit jeglicher Annahme naturgegebener Zweigeschlechtlichkeit breche (Vgl. HAGEMANN-WHITE 1988, 229f.). Anhand dieser Hinweise verdeutlichte HAGEMANN-WHITE (1988) die Notwendigkeit sozialwissenschaftlicher Sprachspezifizierungen mit Hilfe der Wortdifferenzierung von "sex" (als biologischem Geschlecht) und "gender" (als sozialem oder psychologischem Geschlecht) und den darin enthaltenen Zuschreibungen, Begrenzungen sowie Auflösungen von Geschlechtszugehörigkeit (Vgl. HAGEMANN-WHITE 1988, 227-230).
Ein für die Geschlechterforschung aufschlussreiches Gegenmodell zu dem Axiom biologistisch determinierter Zweigeschlechtlichkeit liefern zudem alternative Entwürfe geschlechtlicher Identität wie der Transsexualität, Transgender oder Intersexualität. Der in westlichen Kulturen präsente soziale Druck, Menschen mit nicht eindeutiger Geschlechtsidentität einem der beiden sozial akzeptierten Geschlechter zuweisen zu müssen, äußert sich beispielsweise in der bis heute gängigen Prozedur der operativen Genitalangleichungen im Säuglings- oder Kleinkindalter bei Intersexualität (zur Terminologie und Klassifikation von Transsexualität und Intersexualität: Vgl. z.B. SCHWEIZER 2010, 22ff.).
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