Die deutsche Besiedlung Osteuropas reicht bis ins Spätmittelalter zurück. Nach dem Ende der Kreuzzüge wurde der Deutsche Orden von Herzog Konrad von Masowien im Kampf gegen die heidnischen Pruzzen zu Hilfe gerufen. In der Goldenen Bulle von Rimini 1226 wurde der Ordensstaat durch Kaiser und Papst gesichert. Stadtgründungen, Lehen und Landschenkungen festigten die deutsche Ostkolonisation.
Dieser Vorgang ist keineswegs […] als ein deutscher ‚Raub- und Eroberungs-feldzug’ anzusehen, sondern als eine von nichtdeutschen Landesherren veranlasste friedliche Ostwanderung deutscher Geistlicher, Bürger und Bauern, die fortschrittliche Wirtschafts- und Lebensformen vermitteln. (Neumeyer 1993: 75)
Im Machtbereich des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nationen, des Deutschen Ordensstaates und später der österreichisch-ungarischen Monarchie verbreitete sich das Deutschtum vom Baltikum bis auf den Balkan. (siehe Karte im Anhang Nr. 1) Städte (Königsberg, Breslau und Danzig), Landschaften (Riesengebirge, Rominter Heide und Kurische Nehrung) und Volksstämme (Schlesier, Ostpreußen, Pommern) waren untrennbar mit dem Deutschtum verbunden und brachten über Jahrhunderte große Wissenschaftler, Künstler und Denker hervor. (Immanuel Kant, Nikolaus Kopernikus, Johann Gottfried Herder, Gerhart Hauptmann, Käthe Kollwitz, Agnes Miegel, Andreas Gryphius)
Nach der bedingungslosen Kapitulation der Deutschen Wehrmacht am 08.05.1945 übernahmen die Siegermächte die Staatsgewalt in Deutschland. Bereits auf den Konferenzen in Teheran (1943) und Jalta (1945) beschäftigte man sich mit einer Nachkriegsordnung, die vorsah, Deutschland in Besatzungszonen aufzuteilen.
Vom 17.07.1945 bis 02.08.1945 trafen sich die Großen Drei, Churchill, Truman und Stalin in Potsdam. Am 28.07.1945 musste Churchill als britischer Premierminister zurücktreten, sodass sein Nachfolger Attlee das Potsdamer Abkommen unterzeichnete. Darin heißt es in Artikel IX zur Westgrenze Polens:
Die Häupter der drei Regierungen stimmen darin überein, dass bis zur endgültigen Festlegung der Westgrenze Polens, die früher deutschen Gebiete […] unter die Verwaltung des polnischen Staates kommen und in dieser Hinsicht nicht als Teil der sowjetischen Besatzungszone in Deutschland betrachtet werden sollen. (de Zayas 1977: 255)
Bis zu einem endgültigen Friedensvertrag sollten die deutschen Ostgebiete lediglich unter polnischer Verwaltung bleiben, jedoch nicht Teil des polnischen Staates werden. Daraus leitete sich für viele Vertriebene der Wille zur Rückkehr in die Heimat ab und bestimmte die deutsche Außenpolitik der Nachkriegszeit.
Nach Artikel XIII des Potsdamer Abkommens sollte die „Überführung deutscher Bevölkerungsteile […], die in Polen, der Tschechoslowakei und Ungarn zurückgeblieben sind […], in ordnungsgemäßer und humaner Weise erfolgen“. (de Zayas 1977: 255) De Zayas machte auf Interpretationsprobleme im Zusammenspiel von Artikel XIII und IX aufmerksam und urteilte, dass man hätte sorgfältiger formulieren müssen. Da nach Artikel XIII nur die in Polen lebenden Deutschen umgesiedelt werden sollten und sich nach Artikel IX das polnische Staatsgebiet nicht auf die früher deutschen Gebiete ausdehnen sollte, sei die Vertreibung der Deutschen aus Ostpreußen, Pommern, dem östlichen Brandenburg und Schlesien gar nicht vom Potsdamer Abkommen gedeckt gewesen, auch wenn sie von den Alliierten vielleicht so gemeint war. (de Zayas 1977: 181)
Dass sich die Führungen der westlichen Demokratien zum Grundsatz der Bevölkerungsumsiedlung bekannten, lag für de Zayas an einer zu optimistischen Beurteilung des Lausanner Vertrages von 1923.[1] Bevölkerungsumsiedlungen wurden in der damaligen Politik als „Allheilmittel“ zur Friedenssicherung und endgültige Lösung von Minderheitenproblemen angesehen. Die Alliierten waren erst bestürzt, als sie nicht mehr im Stande waren, die Vertreibung zu kontrollieren. Nach Ansicht von de Zayas hätten sie „[…] niemals der Ausweisung der Deutschen zugestimmt, wenn sie das Chaos, das sich dann vor ihren Augen entfaltete, vorausgesehen hätten“. (de Zayas 1977: 34f.)
Sie hatten sich selbst mit dem tröstlichen Gedanken an eine international überwachte Umsiedlung beruhigt, die glatt wie eine geschäftlichte Transaktion vonstatten gehen werde. Es war leicht, geregelte Umsiedlungen auf dem Papier zu entwerfen, doch später, als sie in schreckliche Vertreibungen ausarteten, war es zu spät, sie noch aufzuhalten. (de Zayas 1977: 35)
Zwar wollten die Westmächte eine Endschädigung für Polen auf Kosten Deutschlands und hatten den Wunsch einer kollektiven Bestrafung der Deutschen, jedoch wurden „[…] viele dieser ‚Umsiedlungen’ tatsächlich ohne Zustimmung oder sogar im Gegensatz zu den Richtlinien der Westalliierten vorgenommen“. (de Zayas 1977: 143) Die Regierungen von Polen und später die der Tschechoslowakei hätten es jedoch vorgezogen, das Potsdamer Abkommen „als grünes Licht für wahllose Vertreibungen auszulegen“. (de Zayas 1977: 98) So wichen die vorgesehene Zahl der Umsiedler, der Zeitplan und die Art und Weise der Umsiedlung stark von den Vereinbarungen ab. Der Prozess der Vertreibung verselbstständigte sich und stellte die Westalliierten vor vollendete Tatsachen. Die unplanmäßige Durchführung und das unvorhersehbare Ausmaß der Vertreibung spiegelten sich auch in der Besatzungspolitik wieder. Die Westmächte wollten weder, noch konnten sie so viele Vertriebene aufnehmen, was ein großes Hindernis für die Integration darstellte.
Als Beispiel für das eigenmächtige Handeln der osteuropäischen Völker seien die so genannten Benesch-Dekrete genannt. Bereits im Exil verfasste der tschechische Politiker Edvard Benesch zahlreiche Dekrete darüber, wie man mit den Deutschen nach der Niederlage der Wehrmacht umzugehen hätte. Sie bildeten die Grundlage für die Ermordung, Vertreibung, Zwangsarbeit und Enteignung der deutschen Bevölkerung in der Tschechoslowakei und dem Sudentenland.[2] Sie haben bis heute juristischen Bestand. Im Zehn-Punkte-Plan von 1944 gab Benesch Richtlinien für die Ausweisung der deutschen Bevölkerung aus der wiedererrichteten Tschechoslowakei heraus. Das Gros des „Transfers“ der deutschen Bevölkerung sollte innerhalb von zwei Jahren durchgeführt werden. Das verbleibende Eigentum wurde als Reparationen angesehen. (vgl. Bundesvertriebenenministerium (im Folgenden „BMV“ abgekürzt) 1957: 181f.)
Alle vorausschauenden Vorschläge zur Evakuierung der Zivilbevölkerung wurden von der Nazi-Führung abgelehnt. Stattdessen wurden viele ostdeutsche Städte, wie Königsberg und Breslau, zu Festungen erklärt. In einem Kampf bis zum letzten Mann sollten sie, ohne strategische Notwendigkeit, unbedingt gehalten werden. Es gab nur vereinzelt geordnete Evakuierungen seitens der Wehrmacht, deren Befehlshaber für diesen Verrat, meistens in Abwesenheit, zum Tode verurteilt wurden. Millionen Menschen machten sich daher selbst auf den Weg, entsprechend chaotisch verlief ihre Flucht. Der Flucht ging die Entscheidung voraus, ob man bleiben oder weggehen sollte. Diese Alternative hatten die Vertriebenen später nicht mehr. Ihre Auswahl beschränkte sich darauf, in der Heimat zu sterben, oder in der Fremde zu leben. Die Flüchtlinge konnten zwar wählen, die öffentliche Meinung lautete aber, dass es unmöglich sei, dazubleiben, wenn der Russe komme. So beluden sie eilig ihre Wagen, schlossen sich zu Treckgemeinschaften zusammen und brachen auf, zu einer ungewissen Flucht Richtung Westen. Oftmals war es nicht der Einzelne, der floh, sondern ein Dorf, eine Gutsgemeinschaft oder ein Stadtviertel. (vgl. Pfeil 1948: 22ff.) Der Entschluss zur Flucht wurde seltener gefasst, wenn man Verwandte und Freunde zurücklassen musste oder bereits das Elend der durchziehenden Flüchtlinge gesehen hatte. Die Bevölkerung der weiter westlich gelegenen Provinzen, Westpreußen und Niederschlesien, denen die Evakuierung verboten wurde und die sich ihrerseits noch nicht zur Flucht entschlossen hatten, begleitete immer die Hoffnung, dass es ihnen nicht so ergehen würde. Viele entzogen sich der Entscheidung durch Suizid. Es waren zum einen Alte und Kranke, die sich den Strapazen einer Flucht nicht gewachsen sahen, zum anderen Männer mit einem starren Ehrgefühl und der Vorstellung, dass es fern der Heimat kein Leben mehr wäre. Frauen hätten sich seltener das Leben genommen, da ihr Mutterinstinkt einfach zu groß gewesen sei. (vgl. Pfeil 1948: 26ff.)
In Ostpreußen strömten die Menschen über das gefrorene Frische Haff zur See, in der Hoffnung, von einem Marinetransportschiff mitgenommen zu werden. In eisiger Kälte und unter Beschuss von russischen Jagdfliegern überlebten viele diese Flucht nicht. Doch auch an der Küste gab es nicht genug geeignete Schiffe, um alle Flüchtlinge mitzunehmen. Nicht jeder der fliehen wollte, konnte auch fliehen. Allein in der Festung Königsberg waren deshalb über 100.000 Menschen...