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Der Kampf gegen die Geschlechtskrankheiten - Probleme, Lösungen und ihre Umsetzung

Probleme, Lösungen und ihre Umsetzung

AutorDaniel Sorg
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2009
Seitenanzahl93 Seiten
ISBN9783640263608
FormatPDF/ePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis10,99 EUR
Magisterarbeit aus dem Jahr 2007 im Fachbereich Medizin - Geschichte, Note: 1,7, Universität Mannheim, 34 Quellen im Literaturverzeichnis, Sprache: Deutsch, Abstract: Spätestens seit dem Aufkommen von AIDS und den entsprechenden Kampagnen, die Bevölkerung darüber aufzuklären wie man sich prophylaktisch vor der Krankheit schützen kann, gerieten Geschlechtskrankheiten wie Syphilis oder Gonorrhö in den Hintergrund und wurden lange Zeit geradezu 'vergessen'. Die aktuellen Zahlen bestätigen, dass die Krankheiten im Laufe der letzten Jahre wieder vermehrt in der Bevölkerung auftauchen und sich konstant auf einem hohen Niveau befinden. Die Behandlung der Syphilis stellt seit der Entdeckung von Antibiotika kein medizinisches Problem mehr dar - durch die Einnahme von Penicillin über einen gewissen Zeitraum ist die Krankheit in den frühen Phasen vollständig heilbar. Aber wie war es vor der Entdeckung des Penicillins? Und stellte es sich nicht als ein Hindernis für einen Erkrankten dar, sich als 'Moralsünder' überhaupt in Behandlung zu begeben, implizierte das damalige Krankheitsverständnis der Gesellschaft doch den Vorwurf des sexuellen Fehlverhaltens? Diese Arbeit beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit der Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten von cirka 1880 bis 1930. Ein besonderes Augenmerk soll darauf gelegt werden, wie sich die geschlechtliche Rollenverteilung innerhalb der Gesellschaft mit der Sexualität und somit einer möglichen Infektion darstellte, welche Handlungsmöglichkeiten für Frau und Mann bestanden und welche Bedeutung die Prostitution sozial, gesellschaftlich, medizinisch und politisch für die Thematik hatte. Weiter ist es Ziel dieser Arbeit zu zeigen, ob es einen Denkwandel innerhalb der Bevölkerung und bei den Politikern die sich mit der Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten beschäftigten, gab. Diese Frage bezieht sich auf die Zuschreibung von Schuld, die Interpretation der Krankheit als 'Suchtseuche' bzw. medizinisches Problem und die Behandlung und Versorgung von Geschlechtskranken. Im Fazit soll geklärt werden, ob die einzelnen Maßnahmen im Kampf gegen die Erkrankungen erfolgreich waren oder nicht. Durch die Aufteilung der Abhandlung in einen allgemeinen und eine stadtspezifischen Teil wird demonstriert, dass sich die im allgemeinen Teil reichsweit beschriebene Entwicklung im Kampf gegen die Syphilis etc. von den tatsächlichen Gegebenheiten am Beispiel der Stadt Karlsruhe stellenweise unterscheidet.

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Leseprobe

1) Problemsicht

 

1.1) Krankheitsbild und Allgemeines

 

Um die Umstände der jahrzehntelangen Diskussionen über die Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten (venerische Erkrankungen), die Angst vor ihnen und die damit verbundenen Probleme verstehen zu können, sind zunächst einige medizinische und historische Grundinformationen nötig.

 

Unter dem Begriff „Geschlechtskrankheiten“ werden aus sachlichen und traditionellen Gründen die vier „klassischen Geschlechtskrankheiten“ (Syphilis, Gonorrhö, Ulcus molle und Lymphogranuloma inguinale) zusammengefasst. Im Rahmen dieser Arbeit soll vornehmlich die Bekämpfung der Syphilis und - mit Einschränkungen - die Bekämpfung der Gonorrhö im Mittelpunkt stehen, da andere Geschlechtskrankheiten historisch, politisch und gesellschaftlich gesehen nur eine untergeordnete Rolle spielten. Heutzutage fallen unter den Begriff der „Sexually Transmitted Diseases“ (STDs) noch eine Vielzahl weiterer Krankheiten. Hauptsächlich stellten Syphilis und Gonorrhö in dem behandelten Zeitraum ein gesundheitspolitisches Problem dar und waren im allgemeinen Sprachgebrauch der Zeitgenossen gemeint, wenn von Geschlechtskrankheiten die Rede war.[3]

 

Der Name „Syphilis“, die gerade im 16. Jahrhundert in Europa erstmals stark um sich griff, entstammt dem Gedicht „Syphilis sive Morbus Gallicus“ (Syphilis oder die Krankheit der Gallier, 1530) von Girolamo Fracastoro, und bezeichnet eine ansteckende Krankheit. Fracastoros Theorie, wonach ansteckende Krankheiten durch unsichtbare, vermehrungsfähige Keime übertragen werden, war ein entfernter Vorläufer der heutigen bakteriologischen Vorstellungen.[4]

 

Die Syphilis, auch Lues, harter Schanker, Franzosenkrankheit etc. genannt, ist eine Infektionskrankheit, die durch spiralförmige Bakterien hervorgerufen und überwiegend durch Sexualkontakte bzw. Schleimhautkontakt von Mensch zu Mensch übertragen wird. Doch zu einer Übertragung kommt es nicht nur durch den Geschlechtsverkehr, auch gemeinsam im Haushalt benutzte Gegenstände, Küssen, gemeinsames Schlafen in einem Bett etc. sind mögliche Infektionsquellen. Ist eine schwangere Frau infiziert, so kann sie bei der Geburt, oder schon in einer frühen Phase der Schwangerschaft, die Krankheit auch an das Neugeborene bzw. den Fötus übertragen. Hier spricht man von der sogenannten „angeborenen Syphilis“.

 

Die Krankheit betrifft das weibliche sowie das männliche Geschlecht gleichermaßen. Beide Geschlechter können sich mit der Krankheit infizieren und sie übertragen. Der Krankheitsablauf lässt sich in zwei Phasen gliedern:[5] Bereits wenige Stunden nach der Infektion befindet sich der Erreger im Blut. In der frühsyphilitischen Phase erscheinen nach einer Inkubationszeit zwischen zwei und sechs Wochen als erste Symptome Lymphknotenschwellungen und Geschwüre an den Geschlechtsorganen. Der Primäraffekt (PA) verschwindet mit der Zeit wieder und wird oftmals gar nicht bemerkt. Weiterhin kann der PA (selten mehrere) an jeder Körperstelle mit oder ohne Begleitödem auftreten, ist jedoch meist an den Genitalien oder im Mundbereich lokalisiert.[6] Etwa ab der neunten Woche nach dem Infektionszeitpunkt beginnt sich der Syphiliserreger im ganzen Körper auszubreiten, wodurch Hautveränderungen sichtbar werden und unter Umständen schon innere Organe betroffen sein können. Nach einigen Monaten verschwinden erneut die äußerlichen Symptome und die Syphilis begibt sich in die so genannte latente Phase, in der es zu keinen Rückfällen kommt, was oftmals den trügerischen Anschein erweckt, dass man genesen sei. In dieser gesamten Frühphase besteht für den Geschlechtspartner eines syphilitisch Erkrankten ein Infektionsrisiko von bis zu 70%. Bei unbehandelten Syphilitikern kommt es bei etwa einem Drittel nach teilweise über 20 Jahren zur letzten Phase, der Spätsyphilis. Die Ansteckungsgefahr in dieser Phase ist zwar nur noch gering, allerdings treten die Symptome deutlich stärker auf: Es kann zu schweren Hautveränderungen kommen, das Nervensystem und innere Organe können schwere Schäden nehmen. In circa 10% der Fälle sterben Syphilitiker an den Folgen ihrer Krankheit.

 

Die Gonorrhö, im Volksmund auch Tripper genannt, überträgt sich ebenfalls hauptsächlich durch Geschlechtsverkehr. Die Inkubationszeit beträgt zwei bis vier Tage, anschließend kommt es bei der Frau zu einer eitrigen Entzündung der Schleimhaut des Gebärmutterkanals oder zu einer Entzündung der Harnröhre; beim Mann kommt es zu einem eitrigen Ausfluss und einem brennenden Schmerz in der Harnröhre. Bei 20 – 40% der infizierten Männer und 50 – 70% der infizierten Frauen treten keinerlei Beschwerden auf, das Infektionsrisiko liegt bei Frauen bei bis zu 100%, bei Männern bei etwa 50%.[7] Werden die infizierten Personen nicht behandelt kann es bei einer Ausbreitung der Entzündung unter Umständen beim Mann sowie bei der Frau zu einer Sterilität kommen.[8]

 

1.2) Die gesellschaftliche Problematik  der Erkrankung

 

Geschlechtskrankheiten sind unter gesellschaftlichen Gesichtspunkten seit dem Entdecken ihrer Verbreitungsart immer von besonderer Brisanz gewesen. In der Wertevorstellung der Moralisten und großen Teilen der Gesellschaft waren Gonorrhö und Syphilis die gerechte Strafe für Menschen, die ihren Trieben nachgingen und nicht nach den Geboten Gottes lebten. Wer also zum Beispiel im 19. Jahrhundert an Syphilis erkrankte war „schwach geworden“ und wurde vom Trieb gelenkt. So verwundert es nicht, dass unter anderem „Lustseuche“ ein Synonym für die Syphilis war. Das Idealbild der Moralisten sieht nach der Eheschließung zweier Menschen den Beginn ihres Sexuallebens vor, und zwar ausschließlich mit dem Ehepartner. Bis dahin sollte man keinen Geschlechtsverkehr gehabt haben. Ein bis zur Eheschließung auf Enthaltsamkeit und in der Ehe auf Treue basierendes Miteinander zweier Menschen entspräche dem Wunsch Gottes und sei „das Richtige“, so die vorherrschende Meinung der Gesellschaft.

 

Hatte sich ein unverheirateter Mensch mit Syphilis infiziert, so konnte man davon ausgehen, dass es zu einem sexuellen Kontakt mit einem anderen Menschen gekommen ist – was gegen die Wertevorstellung sprach. Eine Erkrankung belegte somit ein schlechtes Leben und einen Widerspruch zu den Gesetzen Gottes. Diese Stigmatisierung führte dazu, dass die Erkrankten sich nur selten in Behandlung begaben[9].

 

„Eine besondere Folge dieser Auffassung des außerehelichen Geschlechtsverkehrs als ‚Unzucht’ ist das für die Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten ungemein schädigende Vorurteil, daß diese Krankheiten schändliche seien, deren sich die Behafteten zu schämen hätten; ein Vorurteil, das dazu führt, daß so oft diese Kranken, statt möglichst schnell eine Behandlung aufzusuchen, ihre Erkrankung verheimlichen, verschleppen und nicht ordentlich behandeln lassen.“[10]

 

Die Verknüpfung von sexuellem Verhalten und der daraus resultierenden (selbstverschuldeten) Erkrankung und die „Unklarheit“, ob Syphilis eine gerechte Strafe für einen Verstoß gegen die herrschende Sexualmoral oder doch nur ein medizinisches Problem sei, trugen wesentlich dazu bei, dass sich Syphiliserkrankte nicht behandeln lassen wollten. Sie verschwiegen und verheimlichten ihre Krankheit, wodurch eine weitere Verbreitung und Infizierung anderer Geschlechtspartner möglich war.

 

Bei sämtlichen Diskussionen über die Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten, sowie den politischen und gesellschaftlichen Aktivitäten die sie betreffen, muss man sich immer bewusst sein, dass es sich nicht um eine „moralisch unbedenkliche“ Erkrankung wie zum Beispiel Grippe handelt, sondern um etwas, was sofort mit einem Fehlverhalten und einem von Lust getriebenen Lebensstil assoziiert wurde. Ein Großteil der Bevölkerung vertrat die Meinung, dass ein Erkrankter kaum Anspruch auf Mitleid oder Hilfe haben dürfe, da er sich selbst mit der Krankheit infiziert hatte.

 

Die naturwissenschaftliche Medizin sollte Krankheiten rein wissenschaftlich untersuchen und behandeln, und damit auch wertfrei von sämtlichen religiösen oder moralischen Faktoren, doch die Gesellschaft konnte diese „äußeren Umstände“ auch bis in unsere Tage zum Beispiel bei AIDS-Diskussionen nicht gänzlich ausklammern.

 

1.3) Bedingungen für die Verbreitung der Syphilis

 

Ab Mitte des 19. Jahrhunderts breiteten sich die Geschlechtskrankheiten, vor allem als Folge der Abwanderungsbewegung der Landbevölkerung in die Städte, im Rahmen der Industrialisierung und Proletarisierung, immer weiter aus. Viele Menschen strömten vom Land und aus den Dörfern in die Städte, in der Hoffnung dort einen gut bezahlten Arbeitsplatz zu bekommen. Diese Landflucht führte zu einem Verfall der familiären Eingebundenheit und versetzte die ehemaligen Landbewohner, vor allem durch das hektische und anonyme Leben in der Stadt mit ihren ungewohnt erotisierenden Einflüssen in einen Unruhezustand und machte die Menschen sexuell verführbar.[11] Die Syphilis war eindeutig ein Problem der Großstadt, und die Hauptursache für den großstädtischen Charakter der Geschlechtskrankheiten erkannten die Zeitgenossen in den ‚kulturellen Missständen’ in den Städten, hauptsächlich in dem wilden, schnellen, hektischen...

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