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Pubertät: Loslassen und Haltgeben

Loslassen und Haltgeben

AutorJan-Uwe Rogge
VerlagRowohlt Verlag GmbH
Erscheinungsjahr2010
Seitenanzahl352 Seiten
ISBN9783644008113
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Die Pubertät ist eine schwierige Zeit. Türen werden geknallt und Eltern für doof befunden. Was soll man denn tun, wenn Töchter oder Söhne wochenlang in abgerissenen Jeans und ungewaschenen Hemden herumlaufen und bei Vorwürfen nur mit der Spießerfahne winken? Und was soll man zu einer Mutter sagen, die sich ständig um die Meinung der Nachbarn sorgt und einen nur bis um 11 Uhr abends zur Fete lässt? Fest steht, Pubertät ist mühsam für alle Familienmitglieder, die Nerven liegen bloß. Aber der Nervenkrieg muss nicht sein, sagt Jan-Uwe Rogge, denn mit Pubertät lässt sich auch produktiv umgehen. Eltern dürfen in der Erziehung gerade jetzt nicht kapitulieren, denn Erziehung ist auch in der Pubertät möglich! Jugendliche brauchen den richtigen Spielraum für die Entfaltung ihrer Identität, Eltern müssen erkennen, dass die Verweigerung ihrer pubertierenden Kinder zu dem Wunsch gehört, sich auseinanderzusetzen, Grenzen auszutesten. Gerade in der Pubertät bildet sich die Vertrauensbasis für die spätere Beziehung zwischen Eltern und dann erwachsenen Kindern.

Jan-Uwe Rogge gilt als Deutschlands erfolgreichster Erziehungsexperte. Er ist Familien- und Kommunikationsberater sowie Buchautor. Seit Jahrzehnten liefert er Antworten auf Fragen, die Eltern bewegen. Er hält Vorträge und führt Seminare im In- und Ausland durch. Seine Bücher sind Klassiker der Elternliteratur und Bestseller, sie wurden in mehr als 20 Sprachen übersetzt. Er ist als Experte regelmäßiger Gast in zahlreichen Rundfunk- und Fernsehsendungen. Rogge lebt in der Nähe von Hamburg.

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Leseprobe

KRISEN ALS CHANCE – EINFÜHRENDE GEDANKEN ZUR PUBERTÄT


«Ich verstehe meinen Sohn nicht mehr», klagt die Mutter des 14-jährigen Sven, «er zieht sich in sein Zimmer zurück, ist völlig in sich gekehrt, kein freundliches Wort kommt mehr von ihm, nichts!» Sonjas Vater unterbricht sie beinahe: «Seit die 12 ist, setzt es ganz offensichtlich bei ihr aus. Ich wage sie kaum noch anzusprechen, weil sich sofort ein Riesenkonflikt entwickelt. Gut, ich versteh das mit der Pubertät, aber so dünnhäutig war ich – glaube ich jedenfalls – nicht.» Schmunzelnd ergänzt eine andere Mutter: «Ich hab gleich zwei davon. Robert ist 15, und Gabi ist 11. Das ist katastrophal. Rückzug auf der ganzen Linie ist angesagt. Die Zimmer der beiden sehen aus, als ob eine Bombe eingeschlagen hätte. Bei Robert stinkt es wie in einer Pumahöhle. Dass dort noch keine Epidemie ausgebrochen ist, wundert mich ehrlich. Die leben nach dem Motto: Die im Dunkeln sieht man nicht!» Nun redet sie sich richtig in Rage. «Aber wehe, man lässt sie links liegen, dann kommen sie aus ihrer Höhle gekrochen, sind muffelig und giften einen an, man würde sich nicht um sie kümmern.»

So klingen die Klagen, die Kommentare von verwunderten Eltern, deren Kinder gerade in die Pubertät kommen oder mittendrin sind. Für viele Eltern symbolisieren pubertierende Kinder die permanente Krise, von der sie manchmal glauben, dass sie nie ein Ende findet. Zwar hoffen sie, dass dieses Stadium schnell vorübergeht, «damit’s endlich wieder normaler wird», wie eine Mutter von drei pubertierenden Kindern seufzend anführt. «Aber wenn alle voll im Clinch sind, du nicht mehr ein noch aus weißt, die Schwiegereltern über die Jugend von heute lamentieren, dann meinst du, die Pubertät habe nie ein Ende. Das würde jetzt so bis in alle Ewigkeit weitergehen.»

Ich weiß: Wer mit Heranwachsenden in der Pubertät zu tun hat, bekommt ein ganz eigenes Zeitgefühl, das zwischen Extremen schwankt. Da sitzt man eben noch friedlich mit dem Sohn oder der Tochter zusammen, genießt die Ruhe, die sich Sekunden später als Augenblick vor dem Sturm erweist und sich blitzschnell in ein Gewitter entlädt. Oder diese nervtötend lange Zeit, in der man immer wieder mit dem Heranwachsenden im Streit um dasselbe Thema liegt – Kleidung, Haarschnitt, Hausaufgaben. Man dreht sich wie auf einem Karussell im Kreis und hat schließlich das Gefühl, die Auseinandersetzung ginge nie zu Ende.

Die Pubertät ist jedoch ein Durchgangsstadium – sie hat einen Anfang und (meistens) ein Ende – für die Heranwachsenden wie für die Eltern. Viele Eltern fürchten sich vor der Pubertät ihrer Kinder, weil sie diese Zeit auf Konflikte reduzieren, mit Krisen gleichsetzen. Pubertät bedeutet aber nicht automatisch eine Krise. Die Pubertät ist vor allem eine Phase des Wandels, der Veränderung und der Entwicklung, aus der sich dann Krisen ergeben können. Diese Krisen sind eine Chance – für die Eltern wie für die Jugendlichen –, um zwischenmenschliche Beziehungen neu zu bestimmen. (Ver-)Wandlungen, (Ver-)Änderungen und Entwicklungen prägen wie selbstverständlich Pubertätsverläufe. Sie können sich allerdings, typ- und temperamentsbedingt, höchst verschieden darstellen. Während einige Heranwachsende ihre Entwicklung grell, schrill und provokativ inszenieren und durchleben, ziehen sich andere von der Außenwelt zurück, kapseln sich ab, richten sich in den Innenwelten ihrer Phantasien, Träume und ihres Weltschmerzes ein.

Wenn ich mit Eltern, Großeltern oder pädagogisch Handelnden rede, so bemerke ich: Viele Erwachsene haben nur eine arg begrenzte und enge Vorstellung von dem, was bei Heranwachsenden normal und selbstverständlich ist. Schnell wird vermutet, das Verhalten von Jugendlichen sei entwicklungsgestört, ja pathologisch. Doch so kann man den vielfältigen und komplexen Entwicklungsverläufen nicht gerecht werden.

Gelassenheit ist notwendiger denn je! Das soll heißen: Ich möchte Eltern die große Variationsbreite von Verhaltensweisen vermitteln, die sich während der Pubertät zeigen können und die vollkommen «normal» sind. Nur wenn Eltern ihre Kinder so annehmen, wie sie sind, nur dann können Eltern den Gedanken loslassen, sie wohnten mit einem Zombie, Chaoten oder Außerirdischen unter einem Dach. Um ihnen dieses Gefühl von Normalität zu geben, erzähle ich eine Geschichte, die angeregt ist von einer Bemerkung der französischen Kinder- und Jugendpsychiaterin Françoise Dolto: «Wenn der Hummer den Panzer wechselt, verliert er zunächst seinen alten Panzer und ist dann so lange, bis ihm ein neuer gewachsen ist, ganz und gar schutzlos. Während dieser Zeit schwebt er in großer Gefahr. So ungefähr geht es Jugendlichen.»

 

Es ist die Geschichte vom Hummer Rune. Rune lebt in der Tiefe des Ozeans. Das Meer hat einen felsigen Untergrund und viele Höhlen, die zum Verstecken einladen. Rune fühlt sich sicher, denn Hummerkinder, so weiß er, werden niemals gefangen, vielmehr gepflegt und gefüttert. Und was danach kommt, interessiert Rune nicht. Rune spürt, dass das Fleisch unter seinem Panzer wächst, sein Panzer längst zu klein ist, er zwickt, kneift, passt nicht mehr. Und als Rune seinen Panzer nicht mehr sehen kann, wirft er ihn ab – so, wie es sein Bruder Ari schon getan hat. Aber Ari hat ihm gesagt, wie gefährlich es ohne Panzer werden könnte. «Mach dich unsichtbar», gab er Rune mit auf den Weg und verschwand. Rune wirft seinen Panzer ab. Schmackhaftes Fleisch kommt zum Vorschein, zu wenig für die Fischer, aber eine Delikatesse für die zahlreichen Feinschmecker unter dem Meeresgetier. Deshalb flieht Rune in eine Felsenhöhle, wandert ganz tief hinein, so tief, dass ihm keiner gefährlich werden kann, und ernährt sich von dem Essbaren, das er in der Höhle findet. Hier ist es warm, gemütlich, dunkel. Rune ist allein, genießt diese Einsamkeit und träumt davon, wie es alles wohl werden wird, wenn er erst mal erwachsen ist. Dann würde er – mit einem neuen Panzer – ausziehen und hinaus in die Welt gehen, dorthin, wo seine erwachsenen Verwandten leben. Es musste dort schön sein, denn er hatte seinen Bruder und andere nicht mehr wiedergesehen, nachdem sie sich auf den Weg gemacht hatten. Im Dunkel der Höhle wächst das Fleisch und drum herum ein ansehnlicher Panzer. Rune fühlt sich allmählich sicherer und geschützter. Als sein Panzer fest und groß genug ist, verlässt er die Höhle, macht sich auf und davon, verlässt die verdreckte, miefige und stickige Höhle, die ihm nun zu eng ist. Rune will jetzt die Welt kennenlernen und allen seinen neuen Panzer zeigen.

 

Wenn ich diese Geschichte erzähle, dann nicken viele Eltern, vergleichen den Hummer mit ihrer Tochter oder ihrem Sohn, die sich auch in die Zimmer zurückziehen, unansprechbar, unansehnlich, verträumt und empfindlich sind. «Hummerhöhle», entfuhr es vor einiger Zeit einer Mutter, «Hummerhöhle, genau. So ist’s bei meiner Juliane auch: Gardinen zu, tagelang wird nicht gelüftet, halbvolle Teetassen auf dem Boden, Pizzareste, Klamotten verstreut, Juliane zerstreut. Und dann», die Mutter hält sich die Nase zu, «dieser Geruch. Da brauchst du ’ne Nasenklammer, um das Zimmer zu betreten.» – «Ich nehm ’ne Spraydose mit», ruft ein Vater dazwischen, «Frühlingsdüfte heißt das Zeug, weil man sonst den Mief nicht aushält. Tja, so einen Hummer habe ich also auch zu Hause. Hoffentlich bleibt er nicht in der Höhle, bis er vergammelt.»

Aber nicht in jedem Fall verläuft die Pubertät wie bei dem Hummer, der sich zurückzieht. Das Spektrum der Verhaltensmöglichkeiten ist groß. «Ich wünschte», kommentiert die Mutter des 13-jährigen Stefan, «mein Sohn hätte etwas von diesem Tier und zöge sich zurück. Aber er breitet sich aus, hinterlässt überall im Haus seine Spuren, setzt seine Duftmarken und lässt jeden an seiner Pubertät teilhaben. Ich würde ihm gerne eine Hummerfalle bauen und ihn zum Rückzug in sein Zimmer locken.» Pubertät kommt anders, als es sich Eltern denken. «Bei den beiden Ältesten hab ich die Horrorgeschichten, die ich von anderen Eltern über die pubertierenden Kinder hörte, nicht geglaubt. Ich dachte, die übertreiben maßlos. Aber dann kam der Jüngste, der Jan, in seine Jahre. Der forderte mich, tja, überforderte mich teilweise. Obwohl ich doch zwei Kinder durch die Pubertät begleitet hatte, dachte ich mit einem Mal, ich bin unfähig. Jan hat’s mir richtig gezeigt.»

Viele Eltern beziehen die Erziehungsprobleme, die in der Pubertät ihrer Kinder auftreten, auf sich, sehen sich als Schuldige, als Versager. Eltern vergleichen sich mit anderen Eltern, bei denen es vermeintlich besser, ja reibungsloser läuft. Eltern vergleichen ihre Heranwachsenden mit anderen und seufzen verzweifelt: «Warum kann mein Kind nicht auch so freundlich und hilfsbereit sein!» Aus dieser Sichtweise resultieren Ungeduld, Machtkämpfe, gegenseitige Schuldzuweisungen und ungerechte Vorwürfe. Probleme in den Eltern-Kind-Beziehungen sind während der Pubertät normal, weil sich in dieser Zeit veränderte Beziehungen aufbauen und entwickeln, weil alte Gewohnheiten zerbrechen und sich neue einstellen müssen. Die damit einhergehenden Krisen sind für Eltern eine Chance, in eine neue partnerschaftliche Beziehung zu den heranwachsenden Kindern zu treten, eine Beziehung, die nicht auf Macht, Kontrolle und Manipulation aufbaut, sondern von gegenseitigem Respekt und gegenseitiger Achtung geprägt ist, eine Beziehung, in der Eltern Vorbilder sind, weil sie ihren Kindern vier Prinzipien vorleben:

  • Ich nehme dich so an, wie du bist!

  • Ich nehme mich so an, wie ich bin!

  • Ich bin nicht für dein Tun verantwortlich, du...

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