Die Betrachtung italienischer Migranten[1] und ihrer Nachkommen sowie ihre sprachlichen Besonderheiten stellen in der Forschungslandschaft keineswegs eine Neuerscheinung dar. Bereits in den 60er Jahren, also kurz nach der großen Migrationswelle nach Deutschland, entstanden zahlreiche Arbeiten zum Thema Migration, die sich insbesondere mit den Belangen der so genannten Pioniermigranten und ihren Sprach- und Integrationsproblemen der ersten Stunde beschäftigten.[2] Einen regelrechten Boom erlebte die Migrationsforschung in den 70er Jahren, als man bemerkte, dass die Zahl der nach Deutschland einreisenden Ausländer trotz des Anwerbestops im Jahre 1973 stetig zunahm.[3] Auf eine noch längere Geschichte kann die Bilingualismusforschung zurückblicken, die schon zu Beginn des Jahrhunderts über zahlreiche Publikationen verfügte. Hierbei ging es insbesondere um die Untersuchung von kognitiven und linguistischen Vor- und Nachteilen, sowie um die Rahmenbedingungen und Voraussetzungen für eine erfolgreiche bilinguale Erziehung. Mit zunehmender Betrachtung migrationsspezifsicher Phänomene in der Wissenschaft, begann sich auch die Bilingualismusforschung zunehmend für diese Belange zu interessieren, so dass durchaus gewisse Parallelen und Beziehungen zwischen diesen beiden Forschungsrichtungen bestehen.[4] Die Betrachtung von Zweisprachigkeit erfolgte nun oftmals in Verbindung mit migrationsbedingter Zweisprachigkeit sowie unter Berücksichtigung migrationsspezifischer Probleme. Im Laufe der Jahre ergab sich dann eine kaum mehr überschaubare Fülle an Publikationen zum Thema Migration, Mehrsprachigkeit und deren Verbindung, die sich seit Anfang der 80er Jahre zunehmend auch auf die zweite und dritte Generation konzentriert.[5] Sowohl Untersuchung aus der Bilingualismusforschung als auch Arbeiten aus der Migrationsforschung (wenn man dies unter Berücksichtigung der bereits oben beschriebenen Parallelen und Verbindungen überhaupt so klar abtrennen kann) erschienen dabei in den unterschiedlichsten Fachbereichen. So beschäftigte sich beispielsweise die Pädagogik vornehmlich mit den schulischen Problemen von Migrantenkindern, die sie zum Teil auf die mangelnden Sprachkenntnisse bzw. generell auf die bestehende Zweisprachigkeit zurückführten und deren didaktischen Lösungsansätze[6], während sich die Soziologie eher mit den Sozialisations- und Integrationsproblemen in Bezug auf das Leben in zwei Kulturen und zwei Sprachen auseinandersetzte. Die Sprache bzw. die Sprachen der Migranten und ihrer Nachkommen erhielten insbesondere in der Linguistik Beachtung[7], sowie in der Soziolinguistik und Psychologie[8], wenn es darum ging, die Zweisprachigkeit für Identitätsprobleme[9] verantwortlich zu machen. [10]
Und genau dieser „Vorwurf“ charakterisierte auch die frühen Arbeiten zum Thema Migration. Nicht nur die zwei Sprachen wurden als so unterschiedlich angesehen, dass sie nicht miteinander kombiniert werden konnten bzw. dass kein „normales“ Leben mit den beiden Sprachen möglich ist, sondern auch die beiden Kulturen, nämlich die Heimatkultur und die des Aufnahmelandes, schienen den frühen Wissenschaftlern als so konträr, dass ein so genannter „Kulturkonflikt“[11] bei allen Migranten und ihren Nachkommen vorherzusehen sei.[12] Zweisprachigkeit und Bikulturalität wurden in den Forschungsanfängen also zunächst sehr negativ gesehen und erst im Laufe der Jahre entwickelte sich (auch unter Berücksichtigung von Untersuchungen aus typischen Einwanderungsländern wie z.B. den USA) eine differenziertere Sichtweise[13], die zudem die Vorteile eines bilingualen und bikulturellen Lebens mit berücksichtigte und Migrantenjugendliche, anders als in den frühen Untersuchungen, nicht als passive Opfer darstellte, die ihrer Situation hilflos ausgeliefert waren, sondern als aktiv Handelnde, deren „Schicksal“ zwar auch von äußeren Umständen abhängig, ein Stück weit jedoch von jedem individuell mitbestimmbar ist.[14]
Dieser Überblick über die Migrations- und die Bilingualismusforschung lässt bereits erahnen, dass die Betrachtung dieser beiden Forschungszweige eine unüberschaubare Fülle an Untersuchungen und Studien hervorbringt. Die detaillierte Auseinandersetzung mit all diesen Studien ist jedoch nicht Sinn dieser Arbeit, da das Forschungsinteresse dieser Untersuchung nicht aus dem Interesse an den bereits bestehenden Forschungen entstand, sondern vielmehr aus den Desideraten, die sich im Rahmen beider Forschungszweige aufzeigen lassen. Als erstes lässt sich hier sowohl in der Bilingualismusforschung als auch in der Migrationsforschung das Problem nennen, dass mögliche Konflikte bzw. Probleme von Migrantenjugendlichen auf die Migrationssituation bzw. auf die Situation als Zweisprachige zurückgeführt werden, ohne zu berücksichtigen, dass es sich durchaus auch um jugend-, geschlechts- oder schichtenspezifische Probleme handeln könnte. Die Migration oder die Zweisprachigkeit würde dann für Probleme verantwortlich gemacht, für die sie gegebenenfalls nicht verantwortlich ist. [15] Ein weiteres Charakteristikum beider Forschungszweige liegt in der Konzentration auf Zweisprachige bzw. Migranten türkischer Herkunft. Sowohl Untersuchungen zum sprachlichen Verhalten wie auch zur Integration der Migrantenjugendlichen beschränken sich meist auf die Betrachtung der Nachkommen türkischer Migranten.[16] Eine Übertragung auf Kinder und Jugendliche anderer Herkunft wird dadurch schwer möglich, da der Unterschied zwischen der türkischen und der deutschen Kultur gravierender erscheint als der zwischen der deutschen und der italienischen Kultur, so dass die Jugendlichen der unterschiedlichen Kulturen auch völlig unterschiedliche Erfahrungen im Aufnahmeland machen.[17] Diese Konzentration auf die Gruppe der türkischen Migrantenjugendlichen lässt andere Nationalitätengruppen natürlich in den Hintergrund geraten. So existieren Publikationen zur spezifischen Situation italienischer Migrantenkinder- und Jugendlicher nur sehr vereinzelt[18] und meist nur unter Berücksichtigung der Italiener, die in „italienerreichen“ Gegenden Deutschlands leben.[19] Der Grund für diese geringe Beschäftigung mit den italienischen Migranten und ihren Nachkommen liegt insbesondere darin, dass die Italiener in Deutschland im Gegensatz zu den Türken als in die deutsche Gesellschaft integriert und daher als nicht „störend“ gelten.[20] Auch die nächste Forschungslücke bezieht sich auf die Konzentration weniger Phänomene beim gleichzeitigen Ausblenden anderer wichtiger Gesichtspunkte. Die Betrachtung von Migrantenjugendlichen erfolgt nämlich oft in Bezug auf Identitätsprobleme, schulische Probleme oder Integrationsschwierigkeiten. Findet die Sprache der Betroffenen Berücksichtigung, so findet dies meist im Rahmen dieser Untersuchungspunkte statt und dann auch meist sehr negativ als Grund für diese Probleme.[21] Eine positive Betrachtung der bilingualen Situation von Migrantenkindern- und Jugendlichen in Deutschland ist in der wissenschaftlichen Literatur kaum zu finden.[22] Zuletzt sei an dieser Stelle ein gravierendes Forschungsdefizit aufgeführt, das den alles entscheidenden Anstoß für die Entstehung dieser empirisch angelegten Arbeit gegeben hat. Ein Blick über den Forschungsstand lässt erkennen, dass in der Wissenschaft diskutiert wird, welche kognitiven, sozialen und linguistischen Folgen das Leben in zwei Sprachen und in zwei Kulturen mit sich bringen kann, welche Voraussetzungen erfüllt sein müssen, um zu einer „gelungenen“ Zweisprachigkeit zu gelangen und welche Faktoren die bilinguale und bikulturelle Entwicklung entscheidend beeinflussen. Die Ergebnisse dieser Untersuchungen werden zum einen theoretisch begründet und zum anderen auf der Grundlage empirischer Befragungen mit Eltern oder Lehrern gewonnen. Auch Beobachtungen von sprachlichem Verhalten und der Vergleich von Schulleistungen wurden herangezogen, um Bilingualität und Bikulturalität zu beurteilen. Bei all diesen Untersuchungsmethoden geht ein wesentlicher Aspekt jedoch verloren, nämlich wie die Zweisprachigen diesen Vorgang, diese Entwicklung und den Zustand ihrer Zweisprachigkeit selbst wahrnehmen[23] – die Bilingualen selbst kommen nicht zu Wort.[24]
Die Betrachtung des Forschungsstandes hat gezeigt, dass zwar eine kaum überschaubare Fülle an Publikationen zum Thema Zweisprachigkeit und Migration besteht, die Desiderate dieser Forschungsrichtungen jedoch noch große Lücken aufzeigen, die es zu schließen gilt. Eine noch so große Anzahl verschiedenster Publikationen zum Thema Bilinigualismus und Bikulturalismus scheint im Sinne des Forschungsinteresses dieser Arbeit irrelevant, wenn man bedenkt, dass sie zum einen nicht (oder nur kaum) auf die spezifische Situation der italienischen Migrantenkinder übertragbar ist[25] und zum anderen die Sicht der Bilingualen selbst nicht berücksichtigt. So scheint die Beschäftigung mit dem Thema Bilingualismus bei italienischen Migrantenkinder, unter Berücksichtigung der eigenen Sichtweise der Betroffenen, keineswegs eine weitere Arbeit im...