Jede Klasse von Menschen hat ihre eigene Sprache und Gewohnheiten, mit welchen man viele Bekanntschaft haben muß, wenn man sich bei ihr wohlbefinden und gefallen will. Daher ist der Stubengelehrte ängstlich und macht sich lächerlich, wenn er in den Kreis der höheren Stände eintritt, und weiß nicht, wie er sich benehmen soll, wenn er in eine Gesellschaft von Ackerleuten kommt.
Ein ähnliches Schicksal haben junge Männer, die nur mit Büchern und erwachsenen Personen umgingen, wenn ihnen Kinder anvertraut werden. Sie wissen nicht, wie sie sich benehmen sollen, sie sind immer in Verlegenheit und gefallen den Kindern nicht, denen ihre Gesellschaft lästig ist. Woher kommt dies? Die Sprache und die Gewohnheiten der Kinder sind ihnen fremd.
Macht euch also mit denselben bekannt! Statt viel über die Erziehung zu lesen und pädagogische Vorlesungen zu hören, sucht lieber Kinder auf, in deren Gesellschaft ihr täglich ein paar Stunden verlebt. Kinder gibt es ja allenthalben, wo Menschen wohnen, ihr werdet sie gewiß auch antreffen auf dem Platze, wo ihr euch befindet. Vielleicht habt ihr einen Hauswirt, einen Nachbar, einen Freund oder Verwandten, der mit Kindern gesegnet ist, und dem es lieb sein wird, wenn ihr sie bisweilen unterhalten wollt. Zum Stoffe der Unterhaltung schlage ich euch zuerst vor die Erzählung.
Die Erzählung hat für alle Kinder Reiz, und sobald eine Person, die gut erzählen kann, ihren Mund öffnet, so sammeln sich die Kinder um sie wie die Küchlein, wenn die Mutter lockt. Und dieses Herzudrängen, diese sichtbare Begierde nach Erzählung macht denn auch dem Erzähler sein Geschäft leicht und angenehm.
In unseren Tagen, wo so viele Bücher für die Kinder geschrieben sind, kann es an Stoff zur Erzählung nicht fehlen. Das beste, das ich kenne, ist der Campesche Robinson.
Wenn du nun zu erzählen anfängst, so bemerke wohl, wie sich deine kleinen Zuhörer dabei benehmen. Sind ihre Augen und Ohren auf dich gerichtet, bitten sie dich, wenn du schließen willst, daß du weiter erzählen sollst, so ist es ein Zeichen, daß sie in deiner Erzählung Unterhaltung finden; werden sie aber schläfrig oder fangen an zu spielen und sich untereinander zu necken, so muß es irgendwo fehlen. Du wirst vielleicht meinen, es fehle am guten Willen der Kinder. Ich glaube aber, daß du dich irrst, da die Kinder, soweit ich sie kenne, alle an Erzählungen Vergnügen finden. Der Fehler liegt vielmehr sicherlich entweder an dem Inhalte der Geschichte, die du vorträgst oder an dir selbst.
Vielleicht enthält deine Geschichte nichts für Kinder Anziehendes. Versuche es daher mit einer anderen; fesselt diese ihre Aufmerksamkeit mehr, so hättest du vorher in der Auswahl der Erzählung gefehlt. Nur hüte dich, deine Kleinen mit Feen- und Zaubergeschichten zu unterhalten. Diese hören sie freilich so gern, als sie Pfefferkuchen essen, sie sind aber ihrem Geiste so nachteilig, als der Pfefferkuchen ihrem Magen.
Solltest du aber finden, daß die Kinder bei allen deinen Erzählungen zerstreut und teilnahmlos bleiben, so liegt der Fehler sicher in dem Tone deines Vortrags, und du hast dann um so mehr Ursache, daran zu bessern, da die Absicht deiner Erzählung doch vorzüglich ist, mit Kindern sprechen zu lernen.
Hier sind einige Winke, wie du deinen Erzählungston verbessern kannst.
Der Mann spricht wie ein Buch, pflegt man zu sagen, wenn man jemandem wegen seiner Unterhaltungsgabe einen Lobspruch beilegen will. Wenn du aber dich mit deinen Kindern unterhältst, so rate ich dir, sprich nicht wie ein Buch, sondern wie ein Mensch im Umgange mit Menschen zu sprechen pflegt, sprich die Sprache des gemeinen Lebens. Wenn man ein Buch schreibt, so wählt man jedes Wort und jede Redensart und vermeidet viele Ausdrücke des gemeinen Lebens als unedel. Vermeide du bei deinen Erzählungen keinen Ausdruck als unedel, dessen du dich im täglichen Umgange nicht zu schämen pflegst; dadurch bekommt deine Erzählung Leben und wird für die Kinder anziehend.
Vermeide ferner, soviel du kannst, allgemeine Ausdrücke, weil diese den Kindern weniger faßlich sind, und nenne lieber die Sachen einzeln, die dadurch bezeichnet werden. Du kannst z.B. sagen: Die Mutter, als sie von ihrer Reise zurückkam, brachte ihren Kindern Früchte und Spielwerk mit; du kannst diesen Satz aber auch so ausdrücken: Da die Mutter von ihrer Reise zurückkam, brachte sie Fränzchen und Wilhelminchen allerlei artige Sachen mit, Äpfel, Birnen, Haselnüsse, eine Schachtel voll kleiner Teller, Leuchter, Schüsseln, Löffel, Bilder u. dgl.; die letzte Darstellung hat für die Kinder sicher mehr Reiz als die erste. Sei ferner in deiner Erzählung etwas umständlich und vergiß nicht, in dieselbe allerlei Nebenumstände einzuweben, die die Handlung begleiten. So kannst du der obigen Erzählung durch Einflechtung folgender Nebenumstände mehr Leben geben.
"Ach, wenn doch die Mutter nur einmal wiederkäme! sagte Fränzchen zu Wilhelminchen. Kaum hatte sie es gesagt, so rasselte etwas unter dem Fenster. Fränzchen sah hinaus, erblickte die Mutter in einem Reisewagen, sprang mit Wilhelminchen hinaus – da stieg die Mutter heraus, umarmte ihre Kinder, ließ den Koffer vom Wagen nehmen und in die Stube tragen. Die Kinder folgten ihr und waren begierig zu sehen, was in dem Koffer wäre. Jetzt wurde er geöffnet und ausgepackt. Auch eine Schachtel wurde ausgepackt und den Kindern hingesetzt. Neugierig öffneten sie dieselbe und fanden darin allerlei artige Sachen, die ihnen Freude machten: Äpfel, Birnen usw.
Führe ferner die Personen immer redend ein und laß sie in dem Tone sprechen, wie sie wirklich würden gesprochen haben.
Z.B.: Fränzchen erblickte ihre Mutter. Wilhelmine! rief sie, die Mutter ist da.
Die Mutter? sagte Wilhelmine – und beide sprangen die Treppe hinab – Mutter! gute, liebe Mutter! sagten sie und fielen ihr um den Hals.
Gute Kinder! sprach diese, indem sie dieselben an ihre Brust drückte, wie sehr habe ich mich nach euch gesehnt.
Ihr seid doch noch gesund?
W.: Recht gesund! Hast du uns etwas mitgebracht?
M.: Wollen sehn! Hans, trage diesen Koffer in meine Stube.
W.: Was wird in dem Koffer sein? usw.
Es versteht sich von selbst, daß du immer in dem Tone sprechen mußt, in welchem die Person, die du redend einführst, würde gesprochen haben, und dir daher Mühe geben, deine Stimme in deine Gewalt zu bekommen. Wilhelmine, die Mutter ist da! muß ganz anders gesprochen werden als das: Gute Kinder! Wie sehr habe ich mich nach euch gesehnt!
Durch diese beständige Abwechselung des Tones bekommt nicht nur deine Erzählung Leben, sondern deine Stimme bekommt auch die gehörige Geschmeidigkeit, die dir unentbehrlich ist, wenn du mit Nachdruck und Herzlichkeit zu deinen Pflegebefohlenen sprechen willst.
Endlich suche auch in deine Erzählung Handlung zu bringen. Dies geschieht alsdann, wenn du durch deine Mienen und die Bewegung deiner Glieder die Handlungen, welche du erzählst, auszudrücken suchst.
Z. B. das: Wilhelmine, die Mutter ist da! muß mit einer Miene gesprochen werden, die den höchsten Grad der Freude ausdrückt. Dabei darfst du nicht in ruhiger Stellung bleiben, sondern mußt eine solche annehmen, in welche ein Kind durch die Freude über die unvermutete Zurückkunft der geliebten Mutter versetzt zu werden pflegt.
Zum Stoffe der Unterhaltung mit Kindern schlage ich ferner vor: Erklärung solcher Bilder, die für Kinder etwas Anziehendes haben.
Freilich haben alle Bilder für Kinder etwas Anziehendes, aber doch immer eins mehr als das andere. Abbildung der lebendigen mehr als Vorstellung der leblosen Natur, Tiere mehr als Menschen, handelnde Wesen mehr als solche, die sich in einer ruhigen Stellung befinden. Die Abbildung eines Hahnenkampfes hat für Kinder sicher mehr Anziehendes als die Vorstellung aller hühnerartigen Vögel. Diese werden Kinder zwar auch einige Zeit mit Vergnügen betrachten, aber sich daran bald satt sehen. Bei Betrachtung des Hahnenkampfes werden sie hingegen länger verweilen und sie öfters mit Vergnügen wiederholen.
Bei Verfertigung der Kupfer zu Konrad Kiefers ABC- und Lesebüchlein, wie auch zum ersten Unterrichte in der Sittenlehre, ist auf diese Bemerkungen Rücksicht genommen worden.
Alles, was von der Erzählung gesagt worden ist, gilt auch von der Erklärung der Bilder; du mußt, wenn sie Kinder an dich ziehen sollen, bei derselben die nämlichen Winke befolgen, die ich dir in Ansehung jener gegeben habe. Über beides könnte ich dir noch vieles sagen; wenn du aber den Drang fühlst, durch Erzählung und Bildererklärung deine Kleinen an dich zu ziehen, so wirst du von selbst alles besser lernen, als ich es dir sagen kann.
Bei den jetzt beschriebenen Unterhaltungen bist du die handelnde Person, und die Kinder sind bloß Zuhörer und Zuschauer. Dieses Verhältnis, so angenehm es ihnen anfänglich ist, würde sie doch ermüden, wenn es zu lange dauern sollte, da ihr Trieb zur Selbsttätigkeit dabei keine Befriedigung findet. Du mußt daher auch Unterhaltungen suchen, an denen sie tätigen Anteil nehmen können. Zu...