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E-Book

Und find es wunderbar

Mein Leben

AutorIngrid Steeger
VerlagVerlagsgruppe Lübbe GmbH & Co. KG
Erscheinungsjahr2013
Seitenanzahl304 Seiten
ISBN9783838724423
Altersgruppe16 – 
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR

Wer kennt sie nicht? Ingrid Steeger, die Ulknudel, Blondine der Nation, Sexsymbol und naives Dummchen, die mit 'Klimbim' berühmt wurde, mächtige Männer faszinierte und dennoch immer vergeblich auf der Suche nach Glück und Geborgenheit war. Nun legt sie ihre Autobiografie vor. Offen, ehrlich, schockierend, aber auch komisch, anrührend und ermutigend. Ein Stück bundesdeutscher Film- und Fernsehgeschichte und gleichzeitig die Geschichte einer Frau, die immer mehr gab, als sie zurückbekam, die aufstieg, fiel und sich aus eigener Kraft wieder aufrichtete.

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Leseprobe

Kapitel 2:
Ein Körper wird entdeckt


Erst heute, wenn ich mir Fotos von früher anschaue, begreife ich so richtig, wie schön mein Körper damals war. Ich sehe eine schlanke, voll erblühte junge Frau mit Rehaugen und der unschuldigen Ausstrahlung eines kleinen Mädchens. Vielleicht ist es deshalb nicht verwunderlich, dass ich einen bestimmten Typus von Männern anzog wie das Licht die Motten. Dass sich einige von ihnen das, was sie haben wollten, dann einfach nahmen, wenn ich es ihnen nicht freiwillig gab, dagegen habe ich mich nicht wehren können – wie schon bei meinem Großvater nicht. Hinzu kam, dass uns unsere Mutter nie aufgeklärt hatte, das Wort »Geschlechtsverkehr« oder das Wort »Sex« wäre ihr niemals über die Lippen gekommen. Nicht einmal in einer Umschreibung oder als Andeutung.

Das steht in krassem Gegensatz zu der praktischen Lektion, die mir meine Eltern in Kinderjahren erteilt hatten, als ich noch bei ihnen schlafen musste: Zwischen Mann und Frau läuft im Bett häufig etwas ab, das die Frau nicht will. Und trotzdem nimmt es sich der Mann. So ist die Rollenverteilung, so sind die Machtverhältnisse. Der Körper der Frau gehört nicht ihr. Mein Körper gehört nicht mir. Und dabei gab dieser junge Frauenkörper immer wieder den Ausschlag dafür, wohin mein Lebensweg mich führen sollte.

BAMBIS ERSTES MAL


Wenn am Wochenende mal wieder die Westdeutschen die Berliner Diskotheken fluteten, organisierte häufig irgendjemand aus Juttas und meiner Clique, die sich oft im Big Apple traf, eine Privatparty. So auch an einem Wochenende während meiner Handelsschulzeit. Ein paar Jungen hatten bereits eigene Autos und nahmen dann die Jüngeren und die, die noch keinen Führerschein hatten, mit.

»Fährst du mit mir, Bambi?«, fragte ein großer, gutaussehender Typ um die zwanzig, der sich im Big Apple zu uns an die Bar gestellt hatte. Ich hatte ihn noch nie in der Clique gesehen und wusste auch nicht, wie er hieß. Dass er so selbstverständlich meinen Spitznamen benutzte, störte mich aber nicht, schließlich nannten mich die meisten so, ich war nun mal mit Abstand die Kleinste und Zarteste und mit meinen achtzehn Jahren wohl auch eine der Jüngsten.

Ohne mir etwas dabei zu denken, willigte ich ein und stieg kurze Zeit später zu ihm in seinen hellblauen VW-Käfer.

»Hey, ist es für dich okay, wenn wir noch bei mir zu Hause vorbeifahren?«, fragte er, während er den Motor anließ. »Ich will nur schnell meine Gitarre und ein paar andere Sachen für die Party holen.«

Natürlich sagte ich Ja, warum auch nicht? Wir fuhren durchs nächtliche Berlin und hielten irgendwann vor einem Haus. Ich hatte keine Ahnung, wo wir waren, es interessierte mich auch nicht.

»Kannst du kurz mit reinkommen und mir tragen helfen, dann geht es schneller?«, fragte er beim Aussteigen.

Noch immer schöpfte ich keinen Verdacht, es klang alles plausibel. Er wollte ja nur eben ein paar Sachen holen.

Im Hausflur, auf einer alten Steintreppe, die in einen dieser widerlichen, muffigen, dunklen Nachkriegskeller führte, wie es sie in Berlin damals überall gab, passierte es dann: Er drückte mich auf die feuchten, kalten Stufen, zerrte mir den Rock hoch, riss mein Höschen herunter und öffnete seinen Gürtel. Ich wollte mich wehren, aber er war stärker. Ich schrie verzweifelt, aber er schlug mir mit der Faust ins Gesicht und hielt mir den Mund zu. Ich wurde fast ohnmächtig vor Angst.

Schock, Panik, Entsetzen, Schmerz und Nichtbegreifen. Nichts hatte vorher darauf hingedeutet, nichts hatte mich gewarnt. Er hatte im Big Apple weder versucht, sich mir anzunähern noch mich zu berühren oder zu küssen. Ein scheinbar harmloser, ganz normaler junger Mann, der mich zu einer Party mitnehmen wollte. Und jetzt fiel er plötzlich über mich her, von einer Sekunde auf die andere.

Ich spürte nichts als Schmerzen, die meinen ganzen Körper durchzuckten wie Blitze. Ich war wie gelähmt, es war entsetzlich, ich wusste auch überhaupt nicht, was da gerade mit mir geschah. Das Einzige, woran ich mich genau erinnere, ist, dass er irgendwann keuchte: »Ah, jetzt hattest du einen Orgasmus!« Dabei hatte ich immer wieder aufgeschrien, weil es so schrecklich weh tat.

Zum Glück brauchte er nicht lange, das war das einzig Positive. Später in meinem Leben, wenn mir etwas Ähnliches wieder geschah – und es sollte noch viele Male geschehen –, sagte ich mir anschließend immer: »Ich hatte Glück, denn es ging schnell vorbei.«

Mein Mantra. Das Mantra einer vergewaltigten Frau.

Als er fertig war, zog er seine Hose hoch, schloss den Gürtel und war weg. Das war es. Es war vorbei.

Irgendwie schaffte ich es, aufzustehen, meine Kleidung zu richten und dieses fremde Haus zu verlassen. Jeder Schritt schmerzte, aber ich lief einfach die unbekannten Straßen entlang, bis ich eine Straßenbahn-Haltestelle fand. Wie betäubt stieg ich in eine Bahn ein, um nach Hause zu fahren. Niemand nahm Notiz von mir. Meine Kleider waren unbeschädigt, und auch der Faustschlag hatte keine sichtbaren Spuren hinterlassen.

Als ich endlich zu Hause ankam und die Wohnungstür hinter mir schloss, hätte ich mich am liebsten in eine Ecke verkrochen. Aber eine solche stille Ecke gab es bei uns nicht. Ich sehnte mich danach, hemmungslos weinen zu dürfen, aber ich verbot es mir, meine Mutter hätte sonst sofort gefragt, was mit mir los sei. Und was hätte ich ihr antworten sollen? Ich wusste genau, wie sie reagiert hätte, also riss ich mich zusammen und schwieg. Immer wieder geisterten mir jetzt dieselben Fragen im Kopf herum: Was war geschehen? Warum war mir das passiert? War ich daran schuld? Ich fühlte mich schuldig und beschmutzt. Und ich wollte nur noch aufhören, daran denken zu müssen. Zu meiner großen Erleichterung sah ich den Typen nie wieder.

Nach und nach schaffte ich es, die Erinnerung an diesen grauenhaften Tag beiseitezuschieben, immer tiefer vergrub ich sie in meinem Gedächtnis, bis ich sie schließlich für viele Jahre fast ganz verdrängte. Selbst Jutta, meiner engsten Vertrauten, erzählte ich jahrelang nichts davon, so sehr schämte ich mich. Und ich schämte mich dafür, dass ich nun keine Jungfrau mehr war.

Damals – wie vielfach auch heute noch – herrschte vor allem bei Männern die Meinung vor, dass es überhaupt nicht möglich sei, eine Frau gegen ihren Willen zu nehmen. Jedes Mal, wenn ich so etwas höre, steigen Aggressionen und Wut in mir hoch, denn das hieße ja, dass alle Frauen, die vergewaltigt werden, grundsätzlich lügen und dass sie eine Mitschuld an dem haben, was ihnen widerfährt! Ich sage es aus eigener, mehrfacher leidvoller Erfahrung: Wenn ein Mann bereit ist zu vergewaltigen, dann wendet er auch Gewalt an! Eine unheimliche Gewalt und Kraft, gegen die eine Frau nahezu chancenlos ist. Du versuchst, dich zu wehren, aber dann kommt die Angst dazu, die Ohnmacht. Du bestehst nur aus Furcht und Panik, denn ein Mann wird in dieser Situation zu einer rasenden Bestie.

Irgendwie ging mein Leben damals trotzdem weiter. Mein Leben? Das waren die streitenden Eltern, die Handelsschule oder besser das Schwänzen der Handelsschule, der dringende Wunsch nach einem eigenen Zuhause, aber auch wieder das Ausgehen mit Jutta und die Diskotheken, die fast schon ein Ersatzzuhause wurden. Berlin hatte keine Sperrstunde, ich brauchte also nicht die ganze Nacht das Bett mit meiner Mutter zu teilen.

GO-GO BLACK AND WHITE


Nachdem ich die Handelsschule endlich hinter mir hatte, fand ich zunächst eine feste Stelle als Stenotypistin in einem Architekturbüro. Ich musste Briefe tippen, Kaffee kochen und die völlig grundlose Eifersucht der Frau des Chefs ertragen. Es war schrecklich langweilig, und viel Geld gab es auch nicht, vierhundert Mark vielleicht. Das war besser als nichts, aber nicht viel besser. Ich hatte zwar keinen Plan, was ich eigentlich machen wollte, aber dass ich hier nicht alt werden würde, wusste ich genau. Bis ich etwas Besseres fand, musste ich allerdings gute Miene machen und mitspielen. Vater und Mutter erwarteten das so, und solange ich noch nicht volljährig war – das war damals erst mit einundzwanzig der Fall – und bei ihnen zu Hause wohnte, hatte ich ihnen zu gehorchen und einen Teil des Geldes, das ich verdiente, für Kost und Logis abzugeben.

Morgens verabschiedete ich mich in den folgenden beiden Jahren immer mit den Worten »Ich gehe zur Arbeit!« von meinen Eltern, und sie glaubten es. Dabei verlor ich die Stelle bei dem Architekten schon nach einem knappen Jahr wieder, weil das Büro aufgelöst wurde. Zu Hause erzählte ich nichts davon, sondern versteckte mich nach der morgendlichen Verabschiedung so lange bei Jutta im Zimmer, bis die Eltern aus dem Haus waren, und ging anschließend mit Jutta gemeinsam jobben. Ab und zu arbeiteten wir als Platzanweiserinnen in einem Kino am Kurfürstendamm, oder ich tippte nächtelang in Büros irgendwelche Akten ab. Aufregend war das nicht, aber es gab Geld.

Am meisten Spaß machte es, wenn Jutta und ich abends gemeinsam bei Rolf Eden in seinem Eden Playboy Club am Kurfürstendamm Go-go tanzten. Berlins Nachtclubkönig, Rolf Eden, hatte mich und Jutta eines Abends tanzen sehen und uns direkt gefragt, ob wir Lust hätten, regelmäßig in seinem Club gegen Geld zu tanzen und die Gäste zum Mitmachen zu animieren. Ich war damals ein solches Tanz-Naturtalent, dass beinahe jeder, sobald ich zu tanzen anfing, beiseitetrat und mir zuschaute. Ich bewegte mich sehr gut und sexy, aber ich tanzte grundsätzlich am liebsten allein, denn nur dann war ich wirklich frei, konnte mich gehen lassen...

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