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Bindungsrepräsentationen suchtmittelabhängiger Jugendlicher und ihrer Eltern

AutorUlrike Amann
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2009
Seitenanzahl215 Seiten
ISBN9783640417612
FormatPDF/ePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis34,99 EUR
Doktorarbeit / Dissertation aus dem Jahr 2009 im Fachbereich Medizin - Neurologie, Psychiatrie, Süchte, Note: magna cum laude, Universität Ulm, Sprache: Deutsch, Abstract: Die Studie untersucht Bindungsrepräsentationen suchtmittelabhängiger Jugendlicher und ihrer Eltern anhand des Adult Attachment Interviews. Zustätzlich wurden das Junior Temperament and Character Inventory (JTCI) und der Adverse Childhood Experiences Score (ACE-Score) eingesetzt. Es zeigte sich, dass bei einem sehr hohen Anteil der untersuchten Jugendlichen und noch häufiger bei deren Müttern ein hochunsicheres Bindungsmuster vorlag. Beim Großteil der erfaßten Probanden bestand durch multiple Risikofaktoren (z.B. Vernachlässigung, viele Wechsel im Bezugsumfeld) ein belastender, in vielen Fällen traumatisierender Entwicklungskontext. Dieser war ebenso für die untersuchten Mütter mit hochunsicheren Bindungsmustern und ähnlichen Biographien charakteristisch. Bei fast allen untersuchten Jugendlichen bestand eine jugendpsychiatrische Komorbidität, neben den substanzbezogenen Störungen wiesen sie meist andere Störungsbilder auf. Hochunsicher gebundene Jugendliche erwiesen sich jedoch in der klinischen Einschätzung und im JTCI als auffälliger. Die Ergebnisse des Vergleichs der Mutter-Kind-Dyaden, insbesondere die nach operationalisierten Kriterien erfolgte qualitative Einzelfallanalyse erlaubten Rückschlüsse auf protektive Faktoren hinsichtlich der Verhinderung einer Weitergabe hochunsicherer Bindungsrepräsentationen. Von besonderer Bedeutung waren hierbei korrigierende Beziehungserfahrungen. Vor allem das Vorhandensein mindestens einer kontinuierlichen und verlässlichen erwachsenen Bezugsperson(auch außerhalb der Kernfamilie) wirkte sich positiv auf die Bindungsentwicklung aus. Was die transgenerationale Weitergabe hochunsicherer Bindungsrepräsentationen angeht erwiesen sich eine aktuelle stabile Partnerschaft oder keine Partnerschaft nach wiederholten belasteten Beziehungserfahrungen, eine befriedigende Berufstätigkeit und sinnvolle Freizeitgestaltung sowie eigene psychotherapeutische/psychiatrische Behandlung der betroffenen Mütter als protektiv. Diese Faktoren trugen zur psychischen Stabilität und Zufriedenheit der Mütter bei, was die Jugendlichen vor Rollenumkehr und Parentifizierung schützte, ihnen Sicherheit und Kontinuität im sozialen Umfeld bot und alters angemessene Autonomie und Ablösung ermöglichte. Die Ergebnisse erweisen sich als insofern klinisch relevant als sie wichtige Hinweise darauf geben, wie ein Behandlungssetting für suchtmittelabhängige Jugendliche unter Berücksichtigung ihrer Bindungsrepräsentationen gestaltet werden sollte.

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Leseprobe

2. Material und Methodik


 

2.1 Ethikkommission


 

Vor Beginn der Untersuchung wurde ein Antrag auf Genehmigung des Forschungsvorhabens bei der Ethikkommission der Universität Ulm gestellt. Hierin wurden Ziel, Methodik und voraussichtlicher Ablauf der Studie dargestellt und insbesondere die Notwendigkeit der wissenschaftlichen Untersuchung am Menschen begründet. Die Ethikkommission erteilte am 07.02.2006 ein positives Votum.

 

Die am 28.03.2007 eingereichte Abänderung des ursprünglich geplanten Designs, wurde am 03.04.2007 zustimmend bewertet, so dass der geplante Vergleich mit einer nicht-klinischen Kontrollgruppe wegfällt. Aufgrund der zu diesem Zeitpunkt vorliegenden Daten schien eine qualitative biographische Auswertung zielführender und somit das Heranziehen weiterer Probanden erlässlich.

 

2.2 Probanden


 

Bei den untersuchten jugendlichen Probanden handelt es sich um Patienten der oben beschriebenen Jugend-Drogenentzugsstation clean.kick. Die Station ist der Abteilung für Kinder- und Jugendpsychiatrie/-psychotherapie der Südwürttembergischen Zentren für Psychiatrie zugeordnet.

 

Die Jugendlichen waren zum Zeitpunkt der Durchführung der Interviews alle in stationärer Entzugsbehandlung, die Interviews mit den Elternteilen wurden bis auf eine Ausnahme ebenfalls auf der Behandlungsstation durchgeführt. Eine Mutter wurde im Zeitraum zwischen zwei stationären Behandlungsabschnitten ihres Sohnes zuhause aufgesucht.

 

In die Erhebung eingeschlossen wurden Jugendliche mit einer Diagnose aus dem Spektrum der Substanzabhängigkeit (ICD10: F10.2-F19.2) im Alter von 16-18 Jahren (16;1 - 18;1J), bei denen nach klinischem Eindruck ein Intelligenzquotient von >85 vorhanden und somit von einer ausreichenden Verbalisations- und Reflektionsfähigkeit auszugehen war[20]. Da die Station niederschwellig aufnimmt, das heißt auch Jugendliche mit den Diagnosen F1x.1 in Sinne einer Frühintervention behandelt, wurden für diese Untersuchung die besonders schwer erkrankten Jugendlichen selektiert.

 

Ausgeschlossen wurden Jugendliche mit Migrations- und/oder Adoptionshintergrund, da bei diesen von anderen Voraussetzungen hinsichtlich der Bindungsentwicklung auszugehen ist. Im Jahr 2006 betrug der Anteil der Jugendlichen mit der Muttersprache Deutsch 85% (BADO 2006), wobei bei einer weit größeren Anzahl von einem Migrationshintergrund mindestens eines Elternteils auszugehen ist. 2,4% der Jugendlichen lebten in einer Adoptivfamilie (BADO 2006).

 

Auch akut psychotische Jugendliche wurden nicht in die Untersuchung einbezogen, da zum einen das Verfahren beim Vorhandensein von Denkstörungen nicht durchführbar ist, zum anderen die betroffenen Jugendlichen nicht durch das sehr lange Interview belastet werden sollten. Drogeninduzierte und schizophrene Psychosen (ICD10: F1x.5 bzw. F20) kamen bei 4,8% der im Jahr 2006 behandelten Jugendlichen vor (BADO 2006).

 

Sofern diese verfügbar und dazu bereit waren, wurde auch mit den Eltern der beteiligten Jugendlichen ein AAI durchgeführt. Bis auf eine Ausnahme, bei der beide Elternteile interviewt werden konnten, standen jeweils nur die Mütter zur Verfügung[21]. Die Probanden lebten überwiegend bei einem leiblichen Elternteil (s. 3.1.1). Dies entspricht den Ergebnissen von Haffner et al (2006), die feststellten, dass Jugendliche die nicht bei beiden Elternteilen leben, häufiger von Substanzabhängigkeit betroffen sind (Haffner et al 2006) sowie den Ergebnissen unserer eigenen Evaluation (Bernhardt 2004, Fetzer 2008, BADO 2006, siehe S. 9).

 

2.3 Untersuchungsinstrumente


 

2.3.1 Adult Attachment Interview (AAI)

 

Beim AAI,  von George, Kaplan und Main entwickelt (1984/1985/1996), handelt es sich um ein in der Erwachsenenbindungsforschung bewährtes halbstrukturiertes Interview. Es erfasst die mentalen Bindungsrepräsentationen von Erwachsenen und Jugendlichen. Das AAI kann ab dem Alter von 16 Jahren unproblematisch durchgeführt werden. Es ist in dieser Altersgruppe „kein normativer Sturm-und-Drang-Effekt“ erkennbar (Zimmermann; Becker-Stoll 2001, S. 274), jedoch ist bereits eine reflexive Bewertung und emotionale Integration von Erfahrungen möglich, die in den Auswertungen des AAI abgebildet werden. Die Verteilung der Bindungsklassifikationen unterscheidet sich nicht von der im Erwachsenenalter.

 

Die Durchführung des ca. einstündigen Interviews bedarf einer gründlichen Schulung und Vorbereitung durch erfahrene Fachkräfte. Es wird mit einem Tonträger aufgezeichnet und Wort für Wort transkribiert. Die Auswertung der Transkripte anhand operationalisierter Kriterien kann nur durch umfangreich geschulte Rater erfolgen. Das Verfahren ist daher nicht für große Stichproben geeignet.

 

Die Entscheidung für ein derart aufwändiges Forschungsverfahren lässt sich damit begründen, dass es im Vergleich zum ökonomischeren AAP (s.o.1.6.3.) die Komplexität der Bindungsorganisation differenzierter erfasst und autobiographische Fakten einbezieht, die „zum Verständnis von Entwicklungsverläufen und zur Einschätzung von Risiken für die seelische Gesundheit oft erforderlich sind“ (George, West 2001, S. 319), was für die Fragestellung dieser Arbeit von besonderer Bedeutung ist.

 

Auch wird vor allem dann das AAI als das am besten geeignete Verfahren gesehen, wenn es um die Erfassung transgenerationaler Zusammenhänge von Bindungsrepräsentationen und der zugrunde liegenden Prozesse geht (Hofmann 2001). Die prädiktive Validität des AAI hat sich als besonders stark herausgestellt, was Hofmann (2001) anhand von 9 ausgewählten Studien und einer Metaanalyse belegt (Hofmann 2001, S.140/141). Die Studien zeigen eine Übereinstimmung zwischen mütterlichem mentalen Bindungsmodell und Mutter-Kind-Bindung in der Fremden Situation von 71-85%. In der zitierten Metaanalyse von van Ijzendoorn (1995b), die 18 Studien aus sechs Ländern umfasst, ergab

 

sich für die Klassifikation sicher-unsicher (ohne weitere Unterteilung) eine Übereinstimmung von 75%.

 

Das AAI zeigt außerdem eine gute Reliabilität. Die Inter-Rater-Reliabilität lag in verschiedenen von Hofmann (2001) zitierten Studien bei über 75-100%. Interviewereffekte werden bei entsprechender Schulung der Interviewer und Vorgehen nach dem Leitfaden von George, Kaplan und Main (1985) als unbedeutend eingestuft (Hofmann 2001). Die Test-Retest-Reliabilitäten variierten in fünf von Hofmann (2001) zitierten Studien zwischen 78% und 90%. Der zeitliche Abstand zwischen den beiden Messungen schwankte zwischen einem und 18 Monaten.

 

Die Kulturabhängigkeit des Verfahrens ist noch nicht abschließend geklärt. Deshalb wurden in der hier vorgestellten Studie Personen mit Migrationshintergrund ausgeschlossen. Das Interview hat sich in klinischen und nicht-klinischen Stichproben bewährt.

 

2.3.1.1 Inhalt des AAI

 

Das AAI fragt differenziert nach den frühen Erfahrungen mit den Bezugspersonen in der Herkunftsfamilie. Gleichzeitig wird die befragte Person dazu aufgefordert, die Bedeutung dieser Erfahrungen aus aktueller Sicht einzuschätzen.

 

Kern des Interviews ist nach einer allgemeinen Beschreibung der Lebenssituation in der Kindheit zum Einstieg schließlich die Frage nach fünf Adjektiven, die jeweils die Beziehung zu Mutter und Vater (ggf. auch Stiefelternteilen, wenn diese in der Kindheit über einen längeren Zeitraum präsent waren) im Alter von etwa 5-12 Jahren beschreiben. Zu jedem der genannten Eigenschaftswörter wird dann ein Ereignis aus der Kindheit abgefragt, das dies belegt. Weiter werden Umgang mit Trennung, Trauer, Krankheit und Kummer abgefragt. Auch wird konkret nach der Bedeutung für die befragte Person und die vermuteten Auswirkungen dieser Ereignisse auf die Persönlichkeitsentwicklung gefragt. Diese Bewertung ist für die Auswertung des Interviews genauso von Bedeutung wie die Erfahrungen und Ereignisse selbst, sagt sie doch einiges über den Verarbeitungsstatus des Erlebten aus.

 

Auch Verluste, Misshandlung und aktuelle Beziehungen zu Familienangehörigen sowie Erfahrungen mit Partnerschaften und Vorstellungen darüber sind Inhalte des Interviews (s. Anhang).

 

2.3.1.2 Auswertung des AAI

 

Die qualitative und quantifizierte Auswertung des AAI erfolgt nach einem von Main und Goldwyn (1994) entwickelten Kodierungs- und Klassifikationssystem. Sie zielt auf die Erfassung des mentalen Verarbeitungszustandes von Bindungserfahrungen (Gloger-Tippelt 2001a), von Main und Goldwyn (1994) als „current state of mind with respect to attachment“ bezeichnet. Entsprechend wird sie als Inhalts- und Diskursanalyse durchgeführt, wobei der Kohärenz des Erzählten eine besondere Bedeutung zukommt.

 

In einem ersten Auswertungsschritt werden Erfahrungen mit beiden Elternteilen in fünf jeweils neunstufigen Skalen getrennt voneinander eingeschätzt. Die Skalen bewerten erfahrene Liebe, Zurückweisung, Involvierung/Rollenumkehr, Leistungsdruck und Vernachlässigung.

 

In einem 2. Schritt wird zunächst der mentale Verarbeitungszustand in Bezug auf die Bindungspersonen in den drei...

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