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E-Book

Martin Luther

AutorChristian Feldmann
VerlagRowohlt Verlag GmbH
Erscheinungsjahr2013
Seitenanzahl175 Seiten
ISBN9783644497214
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Rowohlt E-Book Monographie Martin Luther wollte weder eine neue Kirche gründen noch eine Revolution auslösen. Erst der Hochmut der klerikalen Hierarchie und das Ränkespiel der Politik machten aus ihm den wilden Kämpfer und Reformator. Vielleicht das aufregendste Leben der deutschen Religionsgeschichte - kenntnisreich und spannend erzählt. Das Bildmaterial der Printausgabe ist in diesem E-Book nicht enthalten.

Christian Feldmann, 1950 in Regensburg geboren, studierte hier Theologie und Soziologie. Zunächst freier Journalist und Korrespondent für die «Süddeutsche Zeitung», die «ZEIT», Rundfunk und Fernsehen. Zahlreiche Features für Rundfunkanstalten in Deutschland und der Schweiz, Mitarbeit am «Credo»-Projekt des Bayerischen Fernsehens. Seit 1985 freier Schriftsteller. Mehr als 40, in 16 Sprachen übersetzte Bücher. Christian Feldmann «... hat Maßstäbe in der historischen Rekonstruktion und kritischen Bewertung gesetzt», bescheinigt ihm das aufmüpfige Christenblatt PUBLIK-FORUM

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Leseprobe

«Das hieß den Himmel herabstürzen und die Welt in Brand stecken»: der Streit um den Ablass
(1517/18)


Mit großem Gefolge und einer eisenbeschlagenen Geldtruhe zieht 1517 der Dominikaner Johann Tetzel durch Sachsen, um im Namen des Papstes den «Petersablass» anzubieten. Er reist im Auftrag des Markgrafen Albrecht von Brandenburg, der das für die Ablasszettel zu entrichtende Geld – jeweils 23 Rheinische Goldgulden von Königen und Bischöfen, von den kleinen Leuten mindestens einen halben Gulden – dringend braucht, um seine Schulden zu bezahlen. Die «Ablasskommissare», wie die Prediger heißen, sind zwar gehalten, erst einmal gewissenhaft Beichte zu hören und den Habenichtsen ihre Absolution auch für Gebet und Fasten zu geben. In der Öffentlichkeit setzt sich dennoch zwangsläufig der Eindruck fest, die Gnade sei ein Geschäft.

Albrecht II. von Brandenburg (14901545) war bereits Bischof von Magdeburg und Administrator (Verwalter) des Bistums Halberstadt, als er sich 1514 auch noch zum Erzbischof von Mainz wählen ließ, um die damit verbundene Würde eines Kurfürsten und Erzkanzlers des Reiches zu erlangen. Um die erforderlichen Gebühren an Kaiser und Papst zahlen zu können (einschließlich hoher Dispensgelder an die Kurie, weil die im Reich bisher beispiellose Ämterhäufung gegen das Kirchenrecht verstieß), nahm er bei den Fuggern einen Kredit von 29000 Goldgulden auf und verschrieb ihnen dafür die Hälfte der Erlöse aus dem «Petersablass», der wiederum den Neubau der Peterskirche in Rom finanzieren sollte. Albrecht war zwar geschäftstüchtig und hatte auch eine Mätresse, übte seine priesterlichen und bischöflichen Funktionen aber sehr pflichtbewusst aus. Der humanistisch gebildete, mit einem friedlichen Charakter gesegnete Kirchenfürst begegnete Luther mit Toleranz und Nachsicht; er weigerte sich, das «Wormser Edikt» zu unterzeichnen, und ließ es in seinen Territorien zunächst nicht veröffentlichen.

Der Ablass an sich war eine gängige Praxis und theologisch keineswegs umstritten. Er entwickelte sich aus der Bußpraxis heraus: In den ersten christlichen Jahrhunderten hatte es nur bei gravierenden Vergehen – Mord, Ehebruch, Abfall vom Glauben – ein öffentliches Bekenntnis gegeben und nach strengen Bußwerken die öffentliche Wiederaufnahme in die kirchliche Gemeinschaft, das war nur einmal im Leben möglich. Schlaue Christen warteten mit so einer Generalbeichte deshalb gern bis zum Totenbett. Vom irisch-angelsächsischen Raum her setzte sich dann die bis heute übliche Privatbeichte durch, beliebig wiederholbar und mit einer je nach Übertretung genau festgelegten «Tarifbuße» verbunden: Gebete, Fasten, Wallfahrten, Almosen. Wenn nun jemand starb und seine vielen kleinen Sünden noch nicht vollständig abgebüßt beziehungsweise seit der letzten Beichte neue begangen hatte, dann nahm er dieses Strafkonto einfach ins Jenseits mit – die Idee des «Fegfeuers» war geboren.

Schaudernd erzählte man sich, aus dem Ätna auf Sizilien lasse sich das Heulen der Teufel hören, die über die durch Almosen und Gebet ihren Händen entrissenen Seelen klagten. Dass die Lebenden den Verstorbenen durch Gebet und gute Werke zu Hilfe kommen wollten, war ja auch eine schöne Geste natürlicher Solidarität. Auf Erden profitierten die Besitzlosen, die Kranken, Witwen und Waisen von den mildtätigen Stiftungen, die im Gedenken an die sogenannten Armen Seelen eingerichtet wurden. Die kirchliche Hierarchie benutzte den Glauben an das Fegfeuer freilich auch als Machtinstrument und machte gute Geschäfte mit Mess-Stipendien und Ablässen für die Verstorbenen.

So ein durch Gebet, Pilgerfahrten, später zunehmend auch durch Geldspenden zu erlangender Ablass konnte also keinesfalls die Reue des Sünders und die Vergebung seiner Schuld durch Gott ersetzen, sondern lediglich die aus dem sündhaften Verhalten folgende Strafe lindern. Es waren auch die im Mittelalter fortlebenden germanischen Ideen von Wiedergutmachung und Sippenhaftung, die dahinterstanden. So weit, so gut. Nun hatte sich aber immer mehr die Möglichkeit in den Vordergrund geschoben, die mühsamen Bußwerke durch eine flinke Geldzahlung zu ersetzen, und eine aberwitzige Rechenkunst verdeckte den ursprünglichen Sinn der Ablasslehre.

Wer die Peterskirche in Rom in frommer Absicht besuchte, konnte pro Treppenstufe sieben Jahre und für das Gebet an einem der Altäre wieder sieben Jahre «Strafnachlass» erlangen, bei 30 Stufen und fünf Altären also an einem einzigen Pilgertag 245 Jahre Fegfeuer einsparen. Wenn das Schweißtuch der mitleidigen Veronika gezeigt wurde, in das Jesus damals auf dem Kreuzweg sein Antlitz eingeprägt hatte, gab es für das Betrachten der kostbaren Reliquie sogar 12000 Jahre Strafnachlass.

Ausgerechnet die Wittenberger Schlosskirche war bei ihrer Einweihung 1503 mit dem respektablen Ablassquantum von 100 Tagen pro Kirchenbesuch und Reliquie ausgestattet worden. Kurfürst Friedrich der Weise, der stolz auf seine umfangreiche Reliquiensammlung war – exakt 19013 «Partikel», darunter Brotkrumen vom Letzten Abendmahl Jesu und Muttermilch der Jungfrau Maria –, feilschte mit der römischen Kurie erfolgreich um eine Erhöhung des Ablassquantums, sodass im Jahr 1520 ein fleißiger Pilger bei einem einzigen Aufenthalt in Wittenberg sage und schreibe 1902202 Jahre und 270 Tage Ablass verdienen konnte.[53]

Und nun lief dieser Johann Tetzel herum und predigte: Er hätte solch eine Gnade und Gewalt vom Papst: wenn einer gleich die heilige Jungfrau Maria, Gottes Mutter, geschwächt [vergewaltigt] oder geschwängert hätte, so könnte ers vergeben, wenn derselbe in den Kasten lege, was sich gebühre. […] Weiter: es wäre nicht notwendig, Reue oder Leid oder Buße für die Sünde zu haben, wenn einer den Ablaß oder die Ablaßbriefe kaufe […]. Er verkaufe auch Ablaß für künftige Sünde.[54]

Wenn Luther im Rückblick (1541) richtig zitiert, hatten Tetzels Parolen nicht das Geringste mit solider Theologie zu tun. Und Rom hatte die Auswüchse der Ablasspredigt mehrfach scharf angeprangert – zuletzt Papst Sixtus IV. im Jahr 1478 –, freilich ohne den Worten überzeugende Taten folgen zu lassen. Doktor Luder sah sich als Seelsorger und Beichtvater zunehmend mit der irrigen Vorstellung konfrontiert, man könne Gottes Gnade und Vergebung kaufen und sich mit einer großzügigen Geldspende um die nötige Lebensänderung herumdrücken. Ein verantwortungsbewusster Theologe musste sich zu Wort melden und die Dinge klarstellen.

Mehr hatte er nicht im Sinn, als er am 31. Oktober 1517 seine berühmt gewordenen 95 Thesen[55] an den zuständigen Erzbischof Albrecht sandte – was sicher ist – und vielleicht auch noch an die Wittenberger Kirchentüren heften ließ – worüber man nur spekulieren kann. Universitätslehrer benutzten die Kirchenportale nicht selten als «Schwarzes Brett», um eine öffentliche Diskussion anzuregen, und so hat es Luthers Freund Melanchthon später auch zu Protokoll gegeben. Vom «Thesenanschlag» wusste er allerdings nur vom Hörensagen, er war ein Jahr später nach Wittenberg gekommen und erwähnte das Ereignis erst, als Luther schon tot war. In den drei Jahrzehnten, die dazwischenlagen, sprach kein Mensch vom Thesenanschlag.

Sicher ist dagegen, welche Bedeutung die Veröffentlichung der 95 Thesen für Luthers Selbstbewusstsein und Seelenleben gehabt haben muss: Seinen Brief an Erzbischof Albrecht unterschreibt er nicht mehr mit «Luder» wie bisher, sondern zum ersten Mal mit «Luther», einer Kurzform für den griechisch-lateinischen Namen «Eleutherius»: der Freie, Befreite. Unter Gelehrten war es üblich, den eigenen Familiennamen nach Humanistenmanier zu antikisieren. Luther verband mit der Namensänderung aber zusätzlich eine elektrisierende Botschaft. Bruder Martinus Eleutherius, ja Knecht und Gefangener allzu sehr, Augustiner zu Wittenberg[56], unterzeichnete er kurz darauf einen Brief an einen Erfurter Freund und gab ihm damit zu verstehen, dass er sich befreit fühlte – aus den Fesseln der scholastischen Theologie, aus der Furcht vor den Kirchengewaltigen, aus der Angst vor einem rächenden Gott.

Zunächst noch völlig konform mit der offiziellen Kirchenlehre, ruft Luther den ursprünglichen guten Sinn der Ablassidee, das Wesen der Buße und die Grenzen der päpstlichen Gewalt in Erinnerung: Da unser Herr und Meister Jesus Christus sagt: ‹Tut Buße› usw. (Mt 4,17), wollte er, daß das ganze Leben der Gläubigen Buße sein sollte.[57] – Jeder Christ, der wahrhaft Reue empfindet, hat einen Anspruch auf vollkommenen Erlaß von Strafe und Schuld, auch ohne Ablaßbrief. Jeder wahre Christ, gleichviel ob lebendig oder tot, hat an allen Gütern Christi und der Kirche teil; Gott hat sie ihm auch ohne Ablaßbrief gegeben.[58] – Der Papst will und kann keine Strafen erlassen als solche, die er nach seiner eigenen Entscheidung oder der der kirchlichen Satzungen auferlegt hat.[59] – Man soll die Christen lehren, daß es besser sei, den Armen etwas zu schenken und den Bedürftigen zu leihen, als Ablässe zu kaufen. Denn durch ein Werk der Liebe wächst die Liebe im Menschen, und er wird...

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