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E-Book

Yoga für Skeptiker

Ein Neurowissenschaftler erklärt die uralte Weisheitslehre

AutorUlrich Ott
VerlagO.W. Barth eBook
Erscheinungsjahr2013
Seitenanzahl256 Seiten
ISBN9783426420898
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Ulrich Ott verbindet Weisheit, Wissenschaft und Praxis des Yoga zu einem kompakten Basiswissen. Er stellt den Yoga in der gesamten Bandbreite mit seinen acht verschiedenen Aspekten dar. Nach einer kurzen Darstellung des Welt- und Menschenbildes werden im Hauptteil diese acht Punkte von der Ethik über die Körper- und Atempraxis bis hin zu den Stufen der Meditation systematisch entfaltet. Auf jeder Ebene gibt es zahlreiche Übungen, die die Konzepte konkret und anwendbar werden lassen. Der Schlussteil beinhaltet eine Vertiefung zu den Themen 'Reinkarnation', 'Kundalini', 'Yoga-Therapie' und 'Wissenschaft und Spiritualität'. Das Besondere sind hier vier sehr spannende Interviews mit Experten auf den jeweiligen Gebieten. Als Wissenschaftler bleibt Ulrich Ott immer kritisch, lässt nichts aus und zeigt, welche Anschauungen spekulativ und welche Übungen riskant sind. Auch die für den rationalen Verstand befremdlichen Aspekte wie sogenannte Kundalini-Erfahrungen werden hier nicht einfach umgangen, sondern sorgfältig beurteilt. Ein fundiertes und ausgewogenes Einsteigerbuch, das einen neuen Maßstab setzt.

Dr. Ulrich Ott ist Diplom-Psychologe und erforscht seit über zwanzig Jahren an der Universität Gießen veränderte Bewusstseinszustände und Meditation. Außerdem lehrt er im Fachbereich Psychologie zu Yoga und Meditation.

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Leseprobe

Die Lehrsätze des Yoga nach Patañjali


Nach diesem Ausflug in die Geschichte kommen wir nun dazu, das vielfach erwähnte Yogasūtra genauer unter die Lupe zu nehmen. Das Sanskrit-Wort »sūtra« bedeutet »Faden«, »Kette« und bezeichnet eine spezielle Textform, bei der meist sehr kurze, einprägsame Lehrsätze bzw. Merksätze aneinandergereiht sind. Oft wird das Yogasūtra auch als »Leitfaden« des Patañjali bezeichnet. Die einzelnen Sätze sind auch deshalb so kurz, weil sie fast nur aus Nomen bestehen (Nominalstil). In den Übersetzungen werden die verbindenden Wörter üblicherweise in Klammern eingefügt, um das Verständnis zu erleichtern. Das Yogasūtra besteht aus insgesamt 195 Sätzen, in manchen Fassungen sind es auch 196, die auf vier Kapitel (pāda) verteilt sind:

 

I. Samādhipāda: Über die Versenkung (51 Sätze)

II. Sādhanapāda: Über die Übung (55 Sätze)

III. Vibhūtipāda: Über die übernatürlichen Kräfte (55 Sätze)

IV. Kaivalyapāda: Über die Freiheit (34 Sätze)

 

Das erste Kapitel definiert eine Reihe von Begriffen und gibt einen Überblick über den Weg des Yoga und sein Ziel: Selbsterkenntnis durch Versenkung. Auch der Begriff »Yoga« selbst wird definiert. Vielleicht haben Sie sich gewundert, dass bisher noch nicht erklärt wurde, was das Sanskrit-Wort »yoga« eigentlich bedeutet. Das ist bei einem Buch mit wissenschaftlichem Anspruch in der Regel doch immer der erste Schritt! In diesem Fall ist dieser Schritt bisher unterblieben, weil uns die technische »Arbeitsdefinition« Patañjali selbst liefert, und zwar – ganz im wissenschaftlichen Stil – gleich in den ersten Lehrsätzen.

Nachfolgend werden die ersten drei Lehrsätze des Yogasūtra zunächst in Sanskrit wiedergegeben (die römische Zahl gibt im Folgenden immer das Kapitel an, durch einen Punkt getrennt folgt dann die Nummer des Lehrsatzes innerhalb dieses Kapitels):

 

I.1 atha yoga-anuśāsanam.

I.2 yogaś citta-vṛtti-nirodhaḥ.

I.3 tadā draṣṭuḥ svarūpe’vasthānam.

 

Nun folgen verschiedene deutsche Übersetzungen, die die Variationsbreite verdeutlichen und die Frage nach der »richtigen« bzw. »besten« Übersetzung aufwerfen, auf die im Anschluss eingegangen wird.

 

Bäumer (Patañjali, 2010):

I.1 Nun (folgt) die Disziplin des Yoga.

I.2 Yoga ist jener innere Zustand, in dem die seelisch-geistigen Vorgänge zur Ruhe kommen.

I.3 Dann ruht der Sehende in seiner Wesensidentität.

 

Desikachar (2009):

I.1 Hier nun beginnt der Text, der uns Erläuterungen zum Yoga überliefert.

I.2 Yoga ist die Fähigkeit, sich ausschließlich auf einen Gegenstand, eine Frage oder einen anderen Inhalt auszurichten und in dieser Ausrichtung ohne Ablenkung zu verweilen.

I.3 Dann scheint in uns die Fähigkeit auf, etwas vollständig und richtig zu erkennen.

 

Feuerstein (2010):

I.1 Jetzt zur Erklärung des Yoga.

I.2 Yoga ist die Beherrschung (nirodha) der Fluktuationen im Bewusstsein (citta).

I.3 Dann erscheint der Seher [d.h. das transzendentale Selbst] in [seiner] Wesensgestalt.

 

Hauer (1983):

I.1 Dies ist die Unterweisung über den Yoga.

I.2 Der Yoga ist das Zur-Ruhe-Bringen (oder die »Bewältigung«) der Bewegungen der »inneren Welt«.

I.3 Dann tritt der »Seher« (der Puruṣa) in seiner selbsteigenen Wesensform heraus.

 

Maldoner (2011):

I.1 Nun, Unterweisung im Yoga.

I.2 Yoga (ist) die Stilllegung der Bewegungen des Geistes.

I.3 Dann verweilt der Seher in der eigenen (wahren) Natur.

 

Palm (2010):

I.1 Wohlan!, die Yoga-Unterweisung.

I.2 Yoga [ist] das Stillstellen der Bewusstseinsbewegungen.

I.3 Dann [erfolgt] das Feststehen des Sehers im Eigenwesen.

 

Prabhavananda & Isherwood (1998):

I.1 Dies ist der Anfang der Unterweisung im Yoga.

I.2 Yoga ist die Kontrolle der Gedankenwellen im Geist.

I.3 Dann wohnt der Mensch in seiner eigentlichen, wahren Natur.

 

Skuban (2011):

I.1 Nun ist es soweit: Die Einführung in Yoga beginnt.

I.2 Yoga ist das Zur-Ruhe-Kommen der dauernd sich verändernden mentalen Muster.

I.3 Dann ruht der Seher in sich selbst: Dies ist Selbst-Verwirklichung.

 

Sriram (Patañjali, 2006):

I.1 Jetzt folgt eine Einführung in Yoga, die auf Erfahrung beruht.

I.2 Yoga ist der Zustand, in dem die Bewegungen des Citta [des meinenden Selbst] in eine dynamische Stille übergehen.

I.3 In diesem Zustand ruht Draṣṭā [das sehende Selbst] in der eigenen Form (und kann folglich erkannt werden).

 

Vivekananda (2011):

I.1 Jetzt wird Konzentration erklärt.

I.2 Yoga ist die Unterdrückung der Funktionen (vṛtti) der Denksubstanz (citta).

I.3 Während dieser Zeit (der Zeit der Konzentration) ruht der Schauende (puruṣa) im eigenen (unveränderten Wesen).

 

Der direkte Vergleich der zehn Übersetzungen zeigt erhebliche Unterschiede, aber natürlich auch viele Gemeinsamkeiten. Beide Aspekte sind wichtig, um die Qualität der Übersetzungen zu beurteilen. So ist einerseits anzunehmen, dass eine Variante, die nur in einer Übersetzung auftaucht, eher zu hinterfragen ist, wohingegen andererseits Varianten, die sich sehr ähnlich sind und häufig auftreten, eher zutreffend sein sollten. Sich lediglich an Häufigkeiten zu orientieren und die »richtige« Übersetzung sozusagen durch Auszählen bestimmen zu wollen, wäre jedoch eine sehr oberflächliche Herangehensweise. Zusätzlich ist zu fragen und zu analysieren, wie ungewöhnliche und seltene Varianten überhaupt zustande kommen.

 

Eine naheliegende Erklärung für ungewöhnliche Varianten ist die einer doppelten Übersetzung. Das heißt, der Autor des Werkes hat aus dem Sanskrit in eine andere Sprache übersetzt und diese Übersetzung wurde dann von einer zweiten Person wiederum ins Deutsche übertragen. Mit zunehmendem Abstand von der ursprünglichen Quelle steigt das Risiko von Missverständnissen oder Umdeutungen, so dass Übersetzungen dieser Art nicht weiter berücksichtigt werden sollen.

Bei drei der einbezogenen Übersetzungen liegt dieser Fall vor (Feuerstein; Prabhavananda & Isherwood; Vivekananda). Und es treten hier auch tatsächlich ungewöhnliche Varianten auf. So fällt bei Prabhavananda und Isherwood die Übersetzung von »vṛtti« mit »Gedankenwellen« aus dem Rahmen. Bei Vivekananda wird »citta« mit dem Unwort »Denksubstanz« übersetzt. Im englischen Original steht hier allerdings bereits »mind-stuff«, eine Übersetzung, die Feuerstein (1979) als »horrific« (S. 26) bezeichnet. Bei der deutschen Übersetzung von Feuerstein sind die beiden Begriffe mit »Fluktuationen im Bewusstsein« recht konform übersetzt, aber Übersetzungsfehler oder Ungenauigkeiten an späterer Stelle können nicht ausgeschlossen werden.

 

Eine andere Ursache für individuelle Varianten sind Aussagen, die nicht im Quelltext stehen, sondern von den Verfassern als Erklärung bzw. weitergehende Interpretation hinzugefügt wurden. Solche sehr »freien« Übersetzungen sind Ihnen wahrscheinlich bereits aufgefallen. Deutlich ist dies vor allem bei Desikachar zu bemerken, wo schon die schiere Anzahl der verwendeten Begriffe in seiner Fassung von Lehrsatz I.2 klarmacht, dass er sich weit vom Text entfernt hat. Von einer »Fähigkeit«, die auch im dritten Lehrsatz auftaucht, ist in keiner der anderen Übersetzungen die Rede.

Auffälligkeiten dieser Art sind auch bei Skuban und Sriram festzustellen. Letzterer hängt bereits im ersten Lehrsatz eine zusätzliche Aussage an, die sich nicht im Original und daher auch in keiner anderen Übersetzung findet. Im zweiten Lehrsatz sind Sie vielleicht ebenfalls...

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