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Die Bayreuther Festspiele im Dritten Reich

Hitler und die Familie Wagner

AutorHelmut Strauss, Sabine Busch-Frank
VerlagScience Factory
Erscheinungsjahr2013
Seitenanzahl88 Seiten
ISBN9783656457275
FormatePUB/PDF
Kopierschutzkein Kopierschutz/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis19,99 EUR
Die Bayreuther Festspiele ziehen jedes Jahr Tausende von Besuchern an. Wagners Opern erstrahlen in neuem Glanz und der Run auf die Karten kennt keine Grenzen. Doch die Geschichte der Festspiele zeigt auch eine politische Dimension abseits der opulenten Inszenierungen und der Kunst. Im Dritten Reich stand die Familie Wagner nahe an Hitlers Seite und unterstützte die Nationalsozialisten. Die Bayreuther Festspiele wurden so zu einer Repräsentationsbühne für einen dunklen Teil der deutschen Geschichte. In diesem Band werden die Beziehungen der Familie Wagner zu der nationalsozialistischen Führungsriege entschlüsselt. Wie entstand der Kontakt? Und wie veränderten sich die Festspiele in dieser Zeit? Aus dem Inhalt: Winifred Wagner an der Spitze der Festspielleitung, Unterstützung der Nationalsozialisten, Hitler als Gast in Bayreuth, Motive Winifred Wagners, die Festspiele im Dritten Reich.

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Leseprobe

Nike Wagner über ihre Familie:

„Atridenclan, in dem Väter die Söhne kastrieren und Mütter sie liebend erdrücken, in dem Mütter ihre Töchter verstoßen und Töchter ihre Mütter verketzern, in dem Brüder einander auf die Füße treten und Brüder gegen Schwestern aufstehen wie Schwestern gegen Brüder, in dem Töchter totgeschwiegen werden und Schwiegertöchter verdrängt, in dem die Männer weiblich sind und die Weiber männlich, und in dem ein Urenkel dem anderen schon an der Leber knabbert.“ [1]

Voraussetzungen für die 1930 einsetzende Arbeit Winifred Wagners als Leiterin der Festspiele


Am 1. April 1930 starb Cosima, am 4. August Siegfried Wagner. Testamentarisch hatte Siegfried Wagner verfügt, daß seine damals 33 Jahre alte Frau die Festspiele fortführen sollte:

„Stirbt Herr Siegfried Wagner vor Frau Winifred Wagner, so hat folgende Erbfolge Platz zu greifen:

1. Frau Winifred Wagner wird Vorerbin des gesamten Nachlasses des Herrn Siegfried Wagner. Als Nacherben werden bestimmt die gemeinsamen Abkömmlinge der Ehegatten Wagner zu gleichen Stammteilen. Die Nacherbfolge tritt ein mit dem Tode oder mit der Wiederverheiratung der Frau Winifred Wagner. (...)

2. Die Erben erhalten bezüglich des Festspielhauses folgende Auflage:

Das Festspielhaus darf nicht veräußert werden. Es soll stets den Zwecken, für die es sein Erbauer bestimmt hat, dienstbar gemacht werden, einzig also der festlichen Aufführung der Werke Richard Wagners.“ [2]

Somit waren für die unerwartete Übernahme der Festspielleitung durch Winifred Wagner, die nach dem Tod ihres Gatten mitten in der Festspielsaison 1930 erfolgte, die notwendigsten Regelungen getroffen:

Winifred Wagner übernahm eigenverantwortlich und mit allen Vollmachten die Leitung der Bayreuther Festspiele.

Sie hatte mit dieser großen Aufgabe weniger Schwierigkeiten als anzunehmen, da sie ihrem Mann bereits bei der Leitung der Festspiele zur Hand gegangen war. Sie hatte auch schon vor seinem Tode in diesem Bereich eigenverantwortlich gearbeitet. So hatte sie 1930 die Abteilung Öffentlichkeitsarbeit der Festspiele reformiert, indem sie begann, Kontakte mit der Presse[3] zu fördern. Damit verstieß Winifred Wagner gegen ein ehernes Gesetz und erregte den lebhaften Wiederspruch konservativer Wagnerianer. So schrieb ihr ihre Schwägerin Eva Chamberlain (vermutlich Ende 1930):

„Bayreuth stand stolz und frei bisher der Presse gegenüber da – das können wir leider seit dem Sommer 1930 nicht mehr sagen.“[4]

Doch Winifred schien nicht nur (was Organisationstalent und Durchsetzungsvermögen anging) der zu erwartenden Aufgabe gewachsen zu sein, sondern sie fand auch eine glückliche finanzielle Situation vor. Die „Zeiten des Überflusses“ [5] nahmen zwar mit der Inflation von 1922/23 ein Ende, 1924 war der Betriebsfond aber bereits wieder auf 200.000 Mark angewachsen. Zudem bedeutete das erstmalige Engagement von Toscanini und die Erfolge der Debütanten Maria Müller und Sigismund Pilinski im Jahre 1930 eine Form von Garantie für das erfolgreiche Weiterbestehen der Festspiele. Eine 100.000 Mark-Spende anläßlich des 60. Geburtstags Siegfried Wagners hatte die Kosten für die Neuinszenierung des „Tannhäuser’s „1930 gedeckt, finanziell hatte Winifred also keine konkreten Probleme zu lösen.

Auch waren die privaten Vermögensverhältnisse der Familie Wagner unter anderem durch Ehrenhonorare[6], die Familie Wagner für die Werke Richard Wagners bezog, ausgesprochen günstig.

Dazu kam, daß Winifred Wagner nach den großen Um- und Anbauten 1929 (Magazine bei der Hinterbühne) auch technisch ein funktionierender Apparat zur Verfügung stand. Alles in allem herrschten also günstige Rahmenbedingungen für den Beginn der Ära Winifred. Die Inszenierungen des Jahres 1930 (darunter der „neue“ Tannhäuser in der Inszenierung ihres verstorbenen Mannes) konnten im folgenden Jahr wiederaufgenommen werden, und für 1932 stand traditionell ein spielfreies Jahr ins Haus. Die Aufgaben der jungen Festspielchefin schienen also fürs erste zu bewältigen zu sein.

Die Festspielleitung durch Winifred Wagner 1930-1943


Die Festspiele 1930 führte Winifred Wagner nach dem Willen und der Vorbereitung ihres Mannes Siegfried Wagner zu Ende. Für das Jahr 1931 wurde aber bereits Eigeninitiative von ihr gefordert.

Organisation


Winifred Wagner nahm die Verantwortung der Festspiele nicht alleine auf sich, sondern bildete – wie sie es nannte – ein „Dreieck“ mit Heinz Tietjen und Wilhelm Furtwängler. Damit handelte sie gemäß ihren testamentarisch zugesicherten Vollmachten, stieß aber Alt-Wagnerianer vor den Kopf und verärgerte ihre Schwägerinnen Eva und Daniela, die sich Hoffnungen gemacht hatten, nun als „Gralshüterinnen“ dem Werke ihres Vaters/Stiefvaters zu dienen.

Winifred überging die beiden Damen und übertrug die Oberspielleitung Tietjen und die Generalmusikdirektion Furtwängler. Sie selbst verspürte offensichtlich weder Drang zum Dirigat noch zur Regie. Daß die Wahl auf Tietjen fiel, führt Winifreds Sohn Wolfgang Wagner auf eine Äußerung seines Vaters zurück. Dieser hatte 1929 Tietjen und den Bühnenbildner Emil Preetorius für geeignet gehalten, Winifred im Falle seines eigenen Ausfallens zu unterstützen[7].

Winifred Wagners älteste Tochter charakterisiert Heinz Tietjen (1881 - 1967) wie folgt:

„Dieser dünne, dunkle, kleine Mann mit den dicken Brillengläsern war eine der düstersten und erstaunlichsten Gestalten, die in den ersten verworrenen Zeiten des Dritten Reiches darum kämpften, ihre Machtpositionen zu behaupten. Er zeigte sich nie in der Öffentlichkeit, sah auch so unbedeutend aus, daß ihn doch niemand beachtet hätte. Seine Kollegen persiflierten den Titel eines damals in Deutschland bekannten Buches ‚Hat Christus je gelebt?‘ und fragten einander: ‚Hat Tietjen je gelebt?‘ Meiner Meinung nach übertrafen seine geschäftlichen Talente bei weitem seine Fähigkeiten als Dirigent. Zu jener Zeit war er Generalintendant aller preußischen Staatsopern, wozu die Kroll-Oper und die Staatsoper in Berlin gehörten [...] Sicherlich war er der geborene Diplomat, und dieses Talent ermöglichte ihm, jeden Regierungswechsel, der seine Stellung hätte erschüttern können, zu überleben. Innerhalb kürzester Zeit hatte Tietjen Mutter in der Tasche und den ganzen Stab der Festspiele an der Kandare.“[8]

Durch Tietjens Funktion als Berliner Generalintendant kam es zu einer Intensivierung der Probenarbeit, da die in Bayreuth engagierten Sänger oft auch in Berlin tätig waren und somit nicht nur im Sommer für Proben der Bayreuther Festspiele zur Verfügung standen. Auch die Zusammenarbeit der Werkstätten, Chöre und Orchester war für Bayreuth durchaus von Vorteil.

Furtwängler war auf Empfehlung Tietjens nach Bayreuth gekommen (so Winifred Wagner im Syberberg-Interview), als der langjährige Hausdirigent Karl Muck sich für das Jahr 1931 weigerte, im gleichen Haus wie Toscanini zu dirigieren. Wilhelm Furtwängler war schon damals ein bekannter Dirigent, legte sein Amt in Bayreuth aber bald aufgrund persönlicher Differenzen mit Winifred Wagner nieder.

Während der Kriegsjahre gab es in dem verbleibenden, gut funktionierenden Duo Tietjen/Winifred eine Krise, als Wieland und Wolfgang Wagner ihre Rechte auf Mitgestaltung der Festspiele anmeldeten. Tietjen sah sich plötzlich gezwungen, um seinen bisher unantastbaren Rang in Bayreuth zu kämpfen und drohte mit Amtsniederlegung. Aber nicht einmal die Jungwagner selbst hielten sich für befähigt, die Festspielleitung zu übernehmen. So blieb also alles beim Alten und man einigte sich auf einen Kompromiß, der Wolfgang Wagner für 1943 eine Assistenz, Wieland Wagner das Bühnenbild und Tietjen die Regie der „Meistersinger“ zugestand.

Das Gespann Tietjen-Winifred Wagner blieb also prägend bis 1944. Bayreuth war dadurch dem – eigentlich in jener Zeit unvermeidbaren – Zugriff der Reichstheaterkammer doppelt entzogen:

Winifred Wagners private Kontakte zu Adolf Hitler einerseits und Heinz Tietjens direkte Verbindung zu Hermann Göring, dem er als preußischer Generalintendant unterstand (und dessen Vertrauen er genoß) andererseits garantierten Bayreuth die Freiheit, nicht durch die Reichstheaterpolitik mit den übrigen Theatern „gleichgeschaltet“ zu werden.

Damit war aber die Verbindung zu Führern des Dritten Reiches geknüpft und man befand sich bald so sehr in ihrer Abhängigkeit, daß sie Bayreuth als Möglichkeit der Selbstdarstellung nutzen konnten.[9]

Bauliche Veränderungen am Festspielhaus


Unter Winifred wurden am Festspielhaus einige wichtige bauliche Neuerungen vorgenommen. So wurde 1931 Ergänzungsbauten für die Verwaltung an der Westseite vollendet und 1932 Bühnentechnik und Beleuchtung erneuert.

Dennoch war das Festspielhaus noch seit der Zeit Richard Wagners ein Provisorium. Ein geplanter Umbau des Festspielhauses, der eine gigantomanische Monumentalisierung bedeutet hätte und den Adolf Hitler ursprünglich für die Jahre 1940 - 1944 vorgesehen hatte, wurde wegen des Krieges zurückgestellt [10]. Geplant war zunächst eine überdimensionale Neugestaltung, dann eine gewaltige architektonische Umrahmung des historischen Festspielhauses. Doch die Stadt Bayreuth wäre nicht nur mit dieser germanischen Akropolis auf dem Grünen Hügel beglückt worden,...

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