„Es gibt keinen Sektor der Wirtschaft, der so stark reguliert ist, wie das Gesundheitswesen.“[89] Die gesetzlichen Rahmenbedingungen werden vor allem durch das BMG vorgegeben. Als relevante rechtliche Grundlagen dienen das AMG mit der Arzneimittelpreisverordnung (AMPreisV), das Heilmittelwerbegesetz (HWG) und das fünfte Sozialgesetzbuch (SGB V). Diese Gesetze und Verordnungen bilden die rechtliche Basis für die strategische Ausrichtung von Pharmaunternehmen, da sie äußerst regulierend in das Marktgeschehen eingreifen.
Das AMG hat den Zweck, „im Interesse einer ordnungsgemäßen Arzneimittelversorgung von Menschen und Tier für die Sicherheit im Verkehr mit Arzneimitteln [...] zu sorgen.“[90] Es werden u.a. die Anforderungen an Arzneimittel, die Herstellung, Zulassung, Registrierung und Abgabe aber auch die Sicherheit, Kontrolle der Qualität und die Haftung für Arzneimittelschäden, definiert. Das AMG regelt jedoch keine sozialrechtlichen Belange, wie z.B. die Erstattungsfähigkeit von Arzneimitteln oder wirtschaftliche Interessen der Unternehmen, diese Aspekte werden in der AMPreisV behandelt.
Die AMPreisV regelt die Preise bzw. die Preisbildung im Handel mit Arzneimitteln. Sie definiert sowohl die Preise für alle verschreibungspflichtigen Fertigarzneimittel bei der Abgabe durch Apotheken an den Patienten als auch die Abgabepreise des Pharma- Großhandels an die Apotheke. Außerdem legt sie die Preise für in Apotheken hergestellte Arzneimittel fest. Apothekenpreise, wie auch Handelspannen für den Großhandel, sind in der AMPreisV bundesweit einheitlich festgelegt.
Neben dieser Einschränkung der freien Preisgestaltung ist auch die Möglichkeit der Kommunikation der Pharmaunternehmen mit verschiedenen Kundengruppen über Werbung gesetzlich reglementiert. Die Möglichkeiten für Werbung im Pharmamarkt sind nur eingeschränkt mit anderen Märkten vergleichbar.[91] Neben den üblichen wettbewerbsrechtlichen Regelungen ist insbesondere die Werbung für Arzneimittel und Medizinprodukte durch nationale Gesetze eingeschränkt, in Deutschland u.a. durch das HWG.
Neben dem HWG bildet das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) den rechtlichen Rahmen für Werbung im deutschen Gesundheitswesen. Es „soll in erster Linie Gefahren begegnen, die der Gesundheit des Einzelnen und den Gesundheitsinteressen der Allgemeinheit durch unsachgemäße Selbstmedikation unabhängig davon drohen, ob sie im Einzelfall wirklich eintreten. Die Werbeverbote des HWG sollen verhindern, dass kranke Menschen durch eine unangemessene Werbung zu Fehlentscheidungen beim
Arzneimittelgebrauch verleitet werden.“[92] Das Werbeverbot gilt für alle Medien, auch für das Internet, das analog zu den Printmedien betrachtet wird.
Das HWG unterscheidet deutlich zwischen Werbung für Fachkreise und der für Laien. Werbung für verschreibungspflichtige Arzneimittel ist nur für Fachkreise gestattet und selbst dort lediglich sehr eingeschränkt. Für verschreibungspflichtige Arzneimittel sind Werbemaßnahmen außerhalb von Fachkreisen vollständig verboten. Gemäß HWG §10 Abs. 1 ist Werbung für rezeptpflichtige Arzneimittel an Endkunden nicht erlaubt. Selbst für rezeptfreie Arzneimittel ist die Öffentlichkeitswerbung nur eingeschränkt möglich (HWG §12 Abs. 1).[93]
Arzneimittelwerbung muss zusätzlich Pflichtangaben wie z.B. Name des Herstellers, Anwendungsgebiete und Nebenwirkungen, enthalten, um sie von anderen Werbeaussagen deutlich abzugrenzen.[94] Das HWG schränkt damit die CRM-Möglichkeiten von Pharmaunternehmen stark ein. Darunter fallen alle Werbemaßnahmen zur Information oder zur Schaffung von Anreizen, die darauf abzielen, die Abgabe, den Verkauf oder den Verbrauch von Arzneimitteln zu fördern. Sogenannte Imagewerbung, also reine Vertrauenswerbung, ohne Bezug zu einem bestimmten Produkt, ist von den Einschränkungen allerdings ausgeschlossen.[95]
Weitere Rahmenbedingungen werden im SGB V festgelegt. Es reguliert die Organisation, Versicherungspflicht und Leistungen der gesetzlichen Krankenkasse sowie die Rechtsbeziehungen zu weiteren Leistungserbringern z.B. Ärzten, Zahnärzten und Apothekern.
In diesem gesetzlichen Umfeld wurden bereits die komplexe institutionelle Struktur und einige Akteure im Gesundheitswesen beleuchtet. Die hohe und sich schnell verändernde Regulierungsdichte im Pharmamarkt wird vielfach kritisch für die Wettbewerbsfähigkeit der Pharmaunternehmen am Standort Deutschland gesehen.[96] Der nächste Abschnitt beschäftigt sich mit den wesentlichen Änderungen der Rahmenbedingungen, die Einfluss auf die CRM- Strategien von Pharmaunternehmen haben.
Seit Mitte der 70er Jahre ist die vermeintliche Kostenexplosion im Gesundheitswesen, neben der Rationierung von Gesundheitsleistungen (Stichwort Zwei-Klassen-Medizin), ein
Dauerthema in der politischen Diskussion.[97] Die Politik hat zahlreiche Modifikationen des Gesundheitswesens vorgenommen, wie z.B. die Einführung der Pflegeversicherung. Auch auf europäischer Ebene rücken durch die Lissabon-Strategie der EU die
wettbewerbsgerechten Umgestaltungen der europäischen Gesundheitssysteme auf die Agenda. Die unterschiedlichen Dimensionen des Gesundheitssystems wie Finanzierbarkeit, Qualität, Solidarität und Wachstum, daraus potentiell resultierende Zielkonflikte und auch die Frage der politischen Steuerbarkeit, sollen im Rahmen dieser Arbeit aber nicht diskutiert werden.[98] Vielmehr geht es um die Identifikation der wesentlichen Änderungen, die Einfluss auf die CRM-Strategien von Pharmaunternehmen haben.
Als Gesundheitsreformen werden in dieser Arbeit gesetzliche Änderungen oder Neuerungen in den politischen Rahmenbedingungen des Pharmamarkts verstanden. Eine weitere Determinante ist der Effekt auf ausgewählte CRM-Strategien von Pharmaunternehmen. Eine der letzten großen Reformen - die Einführung des Gesundheitsfonds mit
morbiditätsorientiertem Risikoausgleich im Jahre 2009 - wird beispielsweise nicht weiter untersucht, da sie hauptsächlich eine strukturelle Neugestaltung der Geldflüsse für Krankenkassen beinhaltete. Die Darstellung verzichtet bewusst auf eine chronologische Form ebenso wie auf eine allumfassende Darstellung.[99]
Mit dem Gesundheitsreformgesetz (GRG) wurden bereits im Jahre 1989 Höchstpreise für Arzneimittel-Wirkstoffgruppen, die sog. Festbeträge, eingeführt.[100] Festbeträge, als administratives Instrument der Preisregulierung, werden von den Spitzenverbänden der Krankenkassen oder vom BMG festgelegt und haben eine preisstabilisierende Wirkung auf dem Pharmamarkt.[101] Erhebt der Hersteller einen höheren Verkaufspreis für ein Arzneimittel als der Festbetrag vorsieht, muss der Patient die Differenz selber tragen. Arzneimittel, die hingegen 30% unter dem Festbetrag liegen, werden sogar von der Zuzahlung befreit. Festbeträge können dementsprechend über den Preismechanismus eine Präferenzbildung beim Endkunden, beim Patienten, auslösen.
Seit 2004 können Festbeträge teilweise auch für patentgeschützte Arzneimittel, in einem mehrstufigen Verfahren, festgelegt werden. Es wird jedoch differenziert zwischen patentgeschützten Arzneimitteln mit oder ohne therapeutische Verbesserungen.
Patentgeschützte Arzneimittel ohne Zusatznutzen können in Festbetragsgruppe einsortiert werden, die mit einem Zusatznutzen indes nicht.
Festbeträge haben sich als Instrument der Kosteneinsparung bewährt. Arzneimittel, für die Festbeträge gelten, werden fast dreimal so häufig verordnet wie Arzneimittel, für die keine Festbeträge existieren, wie Abbildung 12 darstellt.
Abbildung 12: Verordnungen im Festbetragsmarkt[102]
Allerdings führen die Verordnungen von Arzneimitteln ohne Festbetragsregelungen weiterhin zu steigenden Umsätzen auf dem Gesamtmarkt, wie aus Abbildung 13: Umsätze im Festbetragsmarkt ersichtlich wird. Die Einsparungen aus dem Festbetragsmarkt können den Anstieg der Kosten im Nicht-Festbetragsmarkt nicht kompensieren, so dass die Arzneimittelausgaben insgesamt steigen, auch wenn die Kostendynamik insgesamt reduziert worden ist. Natürlich hat dieses Preisregulativ Auswirkungen auf die CRM-Strategien von Pharmaunternehmen, da die potentielle Gewinnspanne und der damit verbundene Unternehmenserfolg quasi staatlich festgesetzt werden. Festbeträge können somit auch als politisch motivierte Markteintrittsbarriere gedeutet werden.[103]
Abbildung 13: Umsätze im Festbetragsmarkt[104]
Die Wirkung von Festbeträgen soll beispielhaft an einem Cholesterinsenker, dem Statin Lipitor der Firma Pfizer (in Deutschland vertrieben unter dem Namen Sortis) aufgezeigt werden, dem mit über 130 Mrd. US-Dollar Umsatz während der Zeit des Patentschutzes...