2 Wissenschaftstheorie - Klärung der theoretischen Herangehensweise und wissenschaftstheoretischen Position
In der Einführung wurde bereits die wissenschaftstheoretische Argumentationsgrundlage genannt, ohne jedoch ihre Verwendung zu rechtfertigen. Diesem Anspruch soll dieses Kapitel gerecht werden. Hauptgegenstand der Arbeit ist das Moment der Sozialen Kompetenz und ihre Entwicklungsmöglichkeiten innerhalb bzw. mit Hilfe der Erlebnispädagogik. Ein qualitatives Moment, für welches es einer angemessenen Herangehensweise bedarf. Um dem Anspruch der Wissenschaftlichkeit dieser Arbeit gerecht zu werden, bedarf es einer strengen und transparenten Offenlegung und Begründung ihrer Argumentationsgrundlagen. Diese Arbeit soll keine empirische, sondern eine Literaturarbeit sein und sich außerdem mit einer schwer faßbaren Größe beschäftigen, wodurch sich m.E. zwingend die Verwendung einer adäquaten Herangehensweise ergibt. Welche hierbei die richtige darstellt und aus welchem Grunde, hierfür bedarf es zunächst einiger Erklärungen. Phänomenologie und Hermeneutik werden in den Blickpunkt genommen, da sie sich ihrem Gegenstand qualitativ annähern und in der selben Tradition wie die Erlebnispädagogik stehen: der Geisteswissenschaft (Kapitel 5.1), wodurch sich ihre Verwendung anbieten würde.
2.1 Phänomenologie und Hermeneutik - Zwei mögliche Wissenschaftstheorien und ihre methodischen Vorgehensweisen im Vergleich
Im Folgenden werden phänomenologische- und hermeneutische Methoden, die in der Geisteswissenschaft vorherrschenden Methoden, im Vergleich dargestellt und anschließend auf ihre Schwachstellen aufmerksam gemacht (Kapitel 2.1.1), um somit auch die konstruktivistische Argumentationsgrundlage dieser Arbeit gerade in lerntheoretischer Hinsicht zu rechtfertigen. Dieser Vergleich soll ermöglichen, ihre jeweilige Denklogik zu verstehen, um damit ihre Verwendung rechtfertigen bzw. kritisieren zu können. Philosophie, Wissenschaftstheorie und Forschungsmethoden einer bestimmten Denktradition beinhalten in sich jeweils die gleiche Logik, d.h. für Hermeneutik und Phänomenologie, dadurch dass sie als Philosophie das Gedankengebäude darstellen, an welchem sich dann die jeweilige Wissenschaftstheorie sowie die entsprechenden Methoden orientieren. Dabei klärt die Wissenschaftstheorie die Frage der Wissenschaftlichkeit. Die Methoden legen die Vorgehensweise fest, wie sich dem Gegenstand wissenschaftlich angenähert werden soll (Vgl. Danner, 1989, S. 13). Aus dieser Definition wird ersichtlich, dass es sich um gedankliche Konstruktionen handelt, mit dem Ziel, zu wissenschaftlich fundierten Erkenntnissen zu gelangen, deren Grundlage die Philosophie der Hermeneutik bzw. der Phänomenologie bilden. Gleichzeitig handelt es sich um einen logischen Ableitungsprozeß, so dass eine Beschäftigung mit der Phänomenologie bzw. der Hermeneutik bezüglich der Relevanz der Erkenntnisgewinnung in der Pädagogik immer auch bedeutet sich mit Philosophie, Wissenschaftstheorie und dessen Forschungsmethoden zu beschäftigen.
Der Anspruch der qualitativen Erfassung von Wirklichkeit lässt Phänomenologie und Hermeneutik relevant werden für die Beschäftigung mit den Entwicklungsmöglichkeiten Sozialer Kompetenz innerhalb der Erlebnispädagogik. Jedoch ist dem wissenschaftstheoretisch fundierten Fundament ihrer Denklogik in bestimmten Punkten nicht zuzustimmen.
Nach der Klärung der philosophischen Herkunft der eben erwähnten Methoden, können bereits grundsätzliche Unterschiede und Kritikpunkte aufgezeigt werden.
Die Denktradition der Phänomenologie und Hermeneutik wurzelt – wie bereits erwähnt – in der Geisteswissenschaft. In Abgrenzung zur Naturwissenschaft und ihrer quantitativen Forschungsmethoden, wie Isolation, Mathematisierung und Reproduzierbarkeit der Ergebnisse durch Wiederholungen von Beobachtung und Experiment (Vgl. Konegen & Sondergeld, 1985, S. 25), entwickelt Dilthey den Gegenentwurf, die Geisteswissenschaft, dessen Gegenstand nicht „Natur“, sondern „Geist“ ist. Dieser Begriff wirft eine unüberschaubare Definitionsvielfalt auf, deshalb wird unter Geist verstanden, was den Menschen gegenüber dem Naturding und dem Tier auszeichnet (Vgl. Danner, 1989, S. 215). Charakteristisch für die geisteswissenschaftliche Gegenstandsbetrachtung in der Pädagogik sind für Danner (1989) folgende Merkmale:
Geschichtlichkeit des Menschen, insofern der Mensch Geschichte als feststellbare
vergangene Fakten hat und insofern er Geschichte ist, weil er frei und verantwortlich
handeln kann; die Einmaligkeit, das Individuelle in jedem Erziehungs- und
Bildungsvorgang; Ganzheit und Struktur des persönlichen und des geschichtlich-kulturell-
gesellschaftlichen Lebenszusammenhangs; Ziel-, Wert-, Sinnfragen im Hinblick auf
Erziehung und Bildung; Erziehungswirklichkeit, Theorie-Praxis-Verhältnis sowie
Autonomie der Pädagogik. (S. 28-29)
Wie wir später sehen werden, ist Erkenntnis nach der phänomenologischen und hermeneutischen Methode möglich, wenn deren denklogische Prinzipien eingehalten werden. In Abgrenzung dazu bezweifelt der Konstruktivismus die Möglichkeit des Erkennens. Danner (1989) umschreibt dies folgendermaßen:
Jede wissenschaftliche Methode hat ihre spezifischen Erkenntnismöglichkeiten und ihre
Grenzen. Die einzelnen Methoden unterscheiden sich jedoch oft nur formal und rein
äußerlich; sie sind auch wissenschaftstheoretischer Ausdruck eines bestimmten Welt- und
Menschenbildes. Daher stehen sie – wie die empirischen und geisteswissenschaftlichen
Methoden – im Widerstreit. (S. 18)
Die geisteswissenschaftliche Pädagogik muß neben der naturwissenschaftlichen Forschung ebenfalls von der normativen Pädagogik, der philosophischen Pädagogik und der kritischen Erziehungswissenschaft unterschieden werden. Die geisteswissenschaftliche Pädagogik hat ihren Schwerpunkt in der Erziehungswirklichkeit und dem
Theorie-Praxis-Verhältnis (Vgl. a.a.O., S. 14).
Philosophische Basis der phänomenologischen Methode
Ursprung der phänomenologischen Methode ist die Phänomenologie Edmund
Husserls (Vgl. Danner, 1989, S. 121), von seiner Philosophie ist die angewandte Phänomenologie ableitbar. Bedingt durch diesen Ableitungsprozeß von einer Philosophie zu ihrer Methode, büßt diese jedoch einige Aspekte ihrer ursprünglichen Form ein. Die Geisteswissenschaft begnügt sich sozusagen mit einem „Derivat“ der Husserlschen Phänomenologie (Vgl. a.a.O., S. 9). Die angewandte Phänomenologie behält lediglich die Gedankenschritte von der „theoretischen Einstellung“ zur möglichst „vorurteilsfreien Einstellung“ zur Wesenserfassung bei. Die transzendentale Reduktion spielt bei der phänomenologischen Methode, im Unterschied zum „Husserlschen Original“, keine bedeutende Rolle mehr (Vgl. Danner, 1979, S. 135). Wähle ich diese Methode, so diktiert mir die Phänomenologie den Weg der wissenschaftlichen Erkenntnisgewinnung (Vgl. Lamnek, 1993, S. 57), wobei die Forschungsmethode die Anwendung der Theorie, die hinter ihr steht, repräsentiert. Ein wesentliches Moment der Phänomenologie ist die Reduktion, welche das gedankliche Instrument darstellt, mit dessen Hilfe sie nach Husserl „zu den Sachen selbst“ vordringen will.
Philosophische Basis der hermeneutischen Methode
Der Hermeneutik geht es vor allem darum, menschliches Handeln bzw. das Menschliche im Allgemeinen zu erkennen und es in einen höheren Sinnzusammenhang einzugliedern.
Untersuchungsgegenstand der Hermeneutik ist das „Verstehen“. Durch Bewußtmachung der Vorbedingungen des Verstehens und Einbezug dieser den Erkenntnisprozeß beeinflussender Faktoren, soll hermeneutisches Verstehen ermöglicht werden. Dilthey definiert „Verstehen“ wie folgt: „Wir nennen den Vorgang, in welchem wir aus Zeichen, die von außen sinnlich gegeben sind, ein Inneres erkennen: ‚Verstehen!‘“
(1957; zitiert nach Lamnek, 1993, S. 79). Das Diltheysche Gedankensystem, die Hermeneutik, gilt als Grundlage der Geisteswissenschaften (Vgl. Konegen & Sondergeld, 1985, S. 94).
Vergleich der Methoden hinsichtlich ihrer unterschiedlichen Denkprozesse und ihrer jeweiligen wissenschaftstheoretischen Abstammung
Ursprung der hermeneutischen Methode ist wie bereits erwähnt die Hermeneutik, deren Untersuchungsgegenstand das „Verstehen“ ist, welches Dilthey dem naturwissenschaftlichen „Erklären“ entgegensetzt....