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Sind dauerhafte Partnerbeziehungen noch möglich? Liebe und Parternschaft zwischen alten Leitbildern und neuen Lebensformen

AutorMechthild Nitsch
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2004
Seitenanzahl118 Seiten
ISBN9783638323321
FormatPDF/ePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis27,99 EUR
Diplomarbeit aus dem Jahr 2003 im Fachbereich Soziologie - Familie, Frauen, Männer, Sexualität, Geschlechter, Note: 1,5, Katholische Fachhochschule Norddeutschland Vechta, Sprache: Deutsch, Abstract: In den ersten beiden Jahrzehnten der Nachkriegsjahre galt für die Beziehung von Mann und Frau ein Leitbild, welches von der gesamten westdeutschen Bevölkerung mitgetragen, bejaht und gelebt wurde. Ein Leitbild, welches jedem Mann und jeder Frau die eigene Lebensbiographie vorzeichnete, nämlich: '...die legale, lebenslange, monogame Ehe zwischen Mann und Frau, die mit ihren Kindern in einem Haushalt leben und in der der Mann der Haupternährer und Autoritätsperson und die Frau primär für den Haushalt und die Erziehung der Kinder zuständig ist.' Entwickelt wurde dieses Leitbild bereits im 19. Jh. vom damaligen Bürgertum in Abgrenzung zu den Gepflogenheiten des Adels und in Abgrenzung zum 'Pöbel'. Verknüpft wurde das Leitbild im Bürgertum mit dem Ideal der romantischen Liebe. Infolge des zweiten Weltkrieges waren viele Familien durch Tod, Vertreibung und Gefangenschaft auseinander gerissen. Viele hatten Hunger, Not- und Angstsituationen erlebt. So lag nach dem Krieg auf der Familie die Hoffnung vieler, neue Sicherheiten zu erlangen, Lebenswertes neu zu erleben und in der Familie Geborgenheit erfahren zu dürfen (vgl. Nave-Herz 1988, S.65). Im Zuge des Wiederaufbaus waren die Familien dementsprechend auch die Basis für den Neubeginn, und die herrschende gesellschaftliche Struktur war (ist) angewiesen auf das 'Humanvermögen', welches die Familien produzier(t)en. Mit zunehmendem Wohlstand war die Familie als 'Bewahrerin der Traditionen' gedacht, ein Schonraum des Privaten, in dem sowohl die Regeneration der Berufstätigen (Männer) stattfinden konnte, als auch die Erziehung und Sozialisation der Kinder. Nachdem die Schrecken der Kriegsjahre überwunden waren und Wohlstand und Sicherheit ins Bewusstsein des Volkes einzog, vollzog sich Mitte der 60er Jahre eine Art 'Kulturelle Revolution', die auch vor den alten Leitbildern von Ehe und Familie nicht Halt machte. So sind Ehe und Familie nicht mehr per se aneinander gekoppelt und für Partnerschaft braucht man nicht mehr zwingend die Ehe. Die Art der Aufgabenverteilung obliegt der Vereinbarung der Partner und die Scheidungszahlen zeigen, dass die Ehe nicht mehr eine Paarbeziehung von Dauer sein muss. Peukert, Rüdiger: Familienformen im Wandel. 4.Aufl. Opladen, 2002, S.29.

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Leseprobe

2 Kulturgeschichtlicher Hintergrund


 

Um deutlich zu machen, wie es zur Entstehung eines „bürgerlichen Lebensideals“ kommen konnte, werde ich am Beginn dieser Arbeit den Prozess der gesellschaftlichen Umstrukturierung  ab dem Beginn des 19.Jh. skizzieren. Wichtig in diesem Zusammenhang scheint mir die Differenzierung des „Bürgertums“ zu sein, da es nie „das Bürgertum“ gab. Obwohl in der Individualisierungsthese von Beck postuliert wird, dass in heutiger Zeit eine Tendenz zur völligen Auflösung von Klassen und Schichten bestehe, (vgl. Beck 1986, S.121) findet man Individuali­sierungsprozesse vorwiegend in den oberen Schichten des „akademischen Umfeldes, “…denn mit höherem Wohlstand ist eine stärkere Freisetzung aus materiellen Zwängen und mit höherer Bildung ein höheres Maß an Selbstreflexion und eine weitergehende Lösung aus traditionellen Bindungen verknüpft.“[10] Vieles spricht also dafür, dass in heutiger Zeit wiederum Veränderungen vorwiegend aus der gesellschaftlich sowohl oberen Schicht als auch aus der  Mitte heraus induziert werden, die dem damaligen „Bildungsbürgertum“ und dem „Besitzbürgertum“ in etwa entsprechen.

 

2.1 Von der Stände- zur Klassengesellschaft.


 

Ab dem Beginn des 19.Jh. veränderte sich die Gesellschaftsstruktur von einer Ständegesellschaft  in eine Klassengesellschaft. Gegenüber dem europäischen Feudalismus, der sich gliederte in vier Hauptstände (Adel, Geistlichkeit, Bürger und Bauern) entstand  im beginnenden Zeitalter der Industrialisierung[11] eine Klassengesellschaft, die sukzessive in sich durchlässiger wurde. In einen Stand wurde man hineingeboren, in eine Klasse konnte man sich auch hocharbeiten. Wenn bislang die beiden oberen Stände der Feudalgesellschaft (Adel und Geistlichkeit) die gesamte politische, kulturelle und soziale Lebenswelt dieser Ständegesellschaft regeln, so verloren diese immer mehr an Zuständigkeit und Gewicht. Aber auch die Privilegien der Zünfte und Gilden veränderten sich und wurden gebrochen. Die Kleinbauern unterstanden nicht mehr dem Leibeigentum eines Feudalherrn und im Zuge der Verstädterung und der zunehmenden Mobilisierung verwischten sich die Unterscheidungen von „städtisch-bürgerlicher“ und „ländlich-bäuerlicher“ Bevölkerung. Die Zugehörigkeit zu einer Klasse war mehr und mehr von ökonomischen Faktoren abhängig. Durch immer weiter vorangehende technologischen Entwicklungen und die damit verbundenen gesellschaftlichen Veränderungen fanden immer wieder neue Umschichtungen in der Klassenzugehörigkeit statt bzw. entwickelten sich neue Klassen und Schichten.

 

Soziologen differenzieren heute vier „bürgerliche Gruppen“ die auf die darunter liegenden Klassen eine große Anziehungskraft ausübten. Die Anziehungskraft resultierte aus der Möglichkeit durch Kapital, Wissen, Leistung oder auch Heirat in eine dieser unterschiedlichen Gruppen des Bürgertums „aufzusteigen“.

 

 Das „Großbürgertum“ zeichnete sich aus durch den Besitz an Kapital. Es orientierte sich stark am Adel und versucht u.a. durch Heiratsverbindungen diese Verbindung zu stärken. Neben dem Adel stieg insbesondere das Großbürgertum zur Regierungs- und Wirtschaftsmacht auf.

 

 Die bevölkerungsmäßig eher kleine Klasse des „Bildungsbürgertums“ verfügte über eine akademische Ausbildung. Seinen Kern bildeten die Beamten, Geistliche, freie Berufe und später auch die Manager, Ingeneure und Naturwissenschaftler. In dieser Klasse befanden sich vorwiegend  die Verfechter liberaler gesellschaftlicher und politischer Ideen.

 

 Das „Besitzbürgertum“ zeichnete sich  aus durch eine mehr oder weniger wohlhabende Lage, die von der Entwicklung der Industrialisierung profitierten. Die ärmeren „Kleinbürger“ hatten dagegen zu kämpfen, da die Konkurrenz der industriellen Herstellung von Produkten ihre Existenz bedrohte.

 

 Zu den „kleinbürgerlichen Berufsgruppen“ zählten die kleineren Handwerker und Händler und die vielen Kleinbauern. Daraus entwickelte sich sukzessive ein neuer „Mittelstand“.(vgl. Geißler,2002,S.33f)

 

Im Jahre 1882 wiesen sich 4,7% aller Erwerbstätigen als Angestellte aus und arbeiteten in Handelshäusern, Warenhäuser, Banken oder als Techniker, Werkmeister (vgl. Geißler 1982, S.35).Sie hatten eine Ausbildung genossen und wurden, gemessen an anderen Lohnarbeitern, gut bezahlt. Ihre Lebensweise orientierte sich an der Lebensweise der „Mittelschicht“ und sie waren oftmals bemüht durch Bildung, Heirat und Leistung den Aufstieg in das Bürgertum zu realisieren.

 

2.2 Eheschließungsmotive vor der Industrialisierung


 

Die meisten Soziologen (z.B. Peukert, Kopp, Hill, u.a.) sprechen von der typischen Sozialform „des ganzen Hauses“, welches in vorindustrieller Zeit das vorherrschende Wirtschafts- und Sozialgebilde war. Dies bedeutet, dass alle Familienmitglieder einer  Arbeits- und Wohngemeinschaft angehörten. Dazu zählten ebenso die Mägde und Knechte auf den Bauernhöfen wie die Lehrlinge und Gesellen im Handwerk. Hier wurde eine Vielzahl gesellschaftlicher Funktionen gleichzeitig erfüllt, wie die Produktion, die Konsumtion, die Sozialisation und die Alters- und Gesundheitsvorsorge.  Demzufolge waren bei der Partnerwahl eher wirtschaftliche Motive  (die Fähigkeiten, die Arbeitskraft, Gesundheit und Mitgift der Frau) ausschlaggebend als Liebe und Zuneigung der beiden Eheleute.

 

Die freie Partnerwahl, die auch schon damals zu Beginn des 2.Jahrtausends zumindest von der Kirche als Bedingung für eine Eheschließung konzipiert war, war rein praktisch kaum umsetzbar. Abgesehen davon war ein „kennen Lernen“ von Mann und Frau  außerhalb des eigenen Standes kaum möglich: „Man blieb bei Seinesgleichen“. Bei der bäuerlichen Bevölkerung ging es um die Fortführung des Hofes, bei den Handwerkern „dominierte die ökonomische und zunftmäßige Eignung“ die Partnerwahl, der Adel heirate eine Frau/Mann „von Stand“ und zwar oftmals aus politischen Gründen oder um Macht und Grund und Boden zu vergrößern (vgl. Hill und. Kopp 2002, S.36f) . Eine Ehe begründete nicht in erster Linie ein liebendes Verhältnis zwischen den Eheleuten, sondern war in der Regel ein Aushandlungsprozess zwischen den Familien der Eheleute. Waren beide Seiten mit den Angeboten zufrieden, kam die Ehe als ein Vertrag zwischen den Familien zustande (vgl. Schröter 1985, S. 44). Bei den Reichen stand dabei das Interesse im Vordergrund, jede Frau möge durch die Geburt von Kindern das Familienerbe sichern und durch eine reichliche Mitgift vergrößern. Bei den ärmeren Familien sicherte das neu hinzukommende Familienmitglied die Existenz durch ihre Arbeitskraft und ihre Fruchtbarkeit. Aus diesem Grunde wurden auch Mehrfachehen höher geschätzt als eine einmalige Heirat (vgl. Kaufmann 1981, S. 44). Außerdem galten für breite Schichten der Bevölkerung staatliche oder gutsherrschaftliche Heiratsverbote. Das Gebot, dass nur der heiraten durfte, der über ein geregeltes Einkommen verfügte, galt als Zustimmungsvorbehalt zur Heirat durch den Grund- oder Lehnsherren.[12]

 

„Die Ehe, die der Mann erst eingeht, wenn er eine Frau versorgen kann, ist ein Mittel zur Wahrung und Mehrung von Besitz und zur Steigerung von gesellschaftlichem Ansehen, nicht eine Liebesbeziehung zwischen zwei Menschen… Hielten mittelalterliche Ehen zusammen, war das ein Resultat sozialer Kontrolle, aber auch die Folgen biologischer Kurzlebigkeit (sukzessive Bigamie). Länger als 20 Jahre lebten Eheleute kaum zusammen.“[13]

 

2.3 Die Entwicklung eines neuen Familien- und Ehemodells am Beispiel des Bürgertums


 

In den Städten entstand im 18. und 19. Jahrhundert der Typ der bürgerlichen Familie. Mit zunehmender Industrialisierung löste sich die Einheit von Produktion und Familienleben immer mehr auf. Das sich etablierende Bürgertum versuchte, sich durch eine neue Wertorientierung von den noch immer vorherrschenden „Allüren“ des Adels abzugrenzen, (in diesem war es durchaus üblich sich mehrere Mätressen zu halten) wie auch von den (angeblichen) „Triebbestimmten dumpf dahinvegetierenden Unterschichten“ (vgl. Herrmann 2001, S.93). Die neuen Werte des sich eta­blierenden neuen Bürgertums charakterisiert Herrmann dabei folgendermaßen:

 

„Es ist an nützlichem, verwertbaren Wissen interessiert,...sieht auf das von seinesgleichen definierte Maß- und versteht darunter nicht zuletzt Sparsamkeit...Ehrlichkeit und Zuverlässigkeit, ist ordnungsliebend, korrekt und pünktlich. Arbeit ist keine Strafe mehr (wie in der Bibel), sondern Tugend, Pflicht, Beruf.“[14]

 

Durch die Entkoppelung von Wohnen und Produktion wurden die Frauen auf Haushalt und Kindererziehung reduziert, welches insbesondere in Handwerker- und Kaufmannskreisen unüblich war, da doch die Frauen, z.B. bei Abwesenheit des Mannes,  einen erheblichen Teil zur Geschäftsführung beitrugen. Die neue Ordnung entsprach allerdings lediglich einer Neuorientierung der „patriarchalischen Grundordnung“ (vgl. Hill und Kopp 2002, S.47). [15]

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