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E-Book

Bilder aus meinem Leben

AutorCharitas Bischoff
VerlagJazzybee Verlag
Erscheinungsjahr2013
Seitenanzahl457 Seiten
ISBN9783849623043
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis0,99 EUR
Charitas Bischoff war eine deutsche Schriftstellerin und Tocher der Naturforscherin Amalie Dietrich. Dies ist ihre Autobiografie.

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Leseprobe

Hilfe in der Not


 


Daß meine Mutter guten Grund hatte, über meinen Leichtsinn so empört zu sein, das sollte mir bald klar werden.

 

Mein Vater sagte eines Tages: »Ach, jeden Morgen diesen schwärzlichen Mehlpaps! Ich kann gar nicht mehr dagegen an, es ist so reizlos! Ich sehne mich nach einem ordentlichen Bohnenkaffee, dazu mal wieder Butterbrot. Was meinst du, könnten wir das nicht mal wieder haben?«

 

Die Mutter seufzte, warf einen traurigen, vorwurfsvollen Blick auf mich, dann griff sie nach der kleinen Schachtel, wo das Geld aufbewahrt wurde. Sie schüttelte sie – es kam kein Laut, – die Schachtel war leer. Die Mutter war nicht überrascht, sie stellte sie still an ihren Platz und überlegte, dann sagte sie traurig: »Dann muß ich borgen, das ist so schwer!«

 

»Mutter,« rief ich eifrig, »ich geh' mit, wenn du ausgehst.«

 

»Ja, komm,« sagte die Mutter, »vielleicht lernst du etwas.«

 

Wir gingen zu Madame Hänel. Mit trauriger, unsicherer Stimme bat die Mutter um ein paar Lot Kaffee. Schweigend wog Madame Hanel den Kaffee ab und reichte der Mutter das kleine Tütchen.

 

»Sie wissen,« sagte die Mutter, »sobald ich Geld habe, bringe ich es.«

 

Madame Hänel nickte und sagte: »Schon gut, wir kennen einander.«

 

Nun gingen wir in die Neugasse zum Bäcker Löwe. Die Mutter bat leise um ein Dreipfund-Brot. Ein schön gebräuntes, frisches Brot wurde ihr gereicht, ich sah, wie das Gesicht der Mutter sich aufhellte, als sie das Brot in Händen hatte. »Das Geld bringe ich hoffentlich in den nächsten Tagen,« sagte sie zögernd, »wir erwarten täglich Geld.«

 

Die Züge der Frau wurden hart und kalt, sie streckte die Hand aus, nahm das Brot zurück und sagte: »Ich gebe Brot nur gegen Geld.«

 

Die Mutter sah die Frau wie geistesabwesend an, wortlos nahm sie meine Hand und kehrte langsam mit mir um. Als ich auf der breiten Straße bleiben wollte, zeigte sie stumm nach einem dunklen, engen Gang, der ganz einsam an Hinterhäusern vorbeiführte. »Siehst du nun,« sagte sie mit müder Stimme, »wie gut wir deine fünfzehn Pfennige hätten brauchen können?« Ich drückte stumm ihre Hand und schämte mich. Die Mutter wischte sich öfters die Augen, dabei nahm sie nicht das Tütchen in acht. Der mühsam eroberte Schatz lag vor unsern Füßen in einer Pfütze.

 

»Ach,« sagte sie und sah sich erschrocken um, »wir müssen sie aufsammeln! Mach' schnell, daß uns niemand sieht!«

 

Als wir nach Hause kamen, nahm sie die Bohnen aus meiner Schürze und sagte: »Ein bißchen Kaffee hätte ich, aber Brot wollen sie mir ohne Geld nicht geben.«

 

Der Vater stand am Tisch und hatte allerlei Bücher vor sich, er sagte freudig: »Wir haben Geld genug. Geh nur gleich und bezahl' den Kaffee, wechsele das Geld, und bring Brot und Butter mit.«

 

Die Mutter sah dankbar nach oben und sagte erregt: »Also doch wieder Geld! Wer hat denn geschickt?«

 

»Das errätst du nicht.«

 

Die Mutter riet hin und her, aber der Vater schüttelte den Kopf und sagte: »Nein, es sind keine Außenstände, es ist ein Geschenk für Charitas von meinem Bruder aus Rußland.«

 

»Aus Rußland!?« sagte die Mutter mit gefalteten Händen.

 

»Dies Paket ist gekommen, während ihr fort waret, es sind botanische Bücher, die er verfaßt hat, auch einige Gedichte und Zeichnungen von ihm und neun Taler für Charitas.«

 

»Nun,« sagte die Mutter großmütig lächelnd, »das Königschießen soll nun unsrerseits vergessen sein! Jetzt bezahl' ich aber meinen Kaffee und hole Brot und Butter.«

 

»Und Fleisch!« rief ich übermütig.

 

»Dein Leichtsinn ist nicht auszurotten!« Damit verschwand sie lachend, ich aber trat zu den Büchern, blätterte in den botanischen Werken herum und griff zuletzt zu einem Gedichtband, der mich lebhaft interessierte.

 

»Hat der Onkel wirklich diese Gedichte gemacht?« fragte ich lebhaft.

 

Der Vater nickte und sagte: »Mein Bruder ist sehr begabt, und er hat, wie es scheint, Erfolg in Rußland.«

 

Arbeiten auf dem Forsthof


 


Wenn ich mein Leben mit dem Leben anderer Kinder verglich, so sah ich schon früh, daß ich andere Pflichten, aber auch andere Freuden und Genüsse hatte als meine Gefährtinnen. Äußerlich und innerlich war ein großer Unterschied. Fast alle waren besser gekleidet als ich. Wenn die anderen die Schule und die Schularbeiten hinter sich hatten, so waren sie frei – mit Ausnahme der Leineweberkinder, die nach der Schulzeit spulen mußten – und konnten nach Herzenslust herumspielen. Sie brauchten nicht wie ich zu anderen Leuten, sie durften Kinder mit in ihr Heim bringen, sie bekamen gelegentlich kleine Geldgeschenke, die sie in Lakritzen oder Süßholz anlegten. Bei mir kam das nicht vor. Kinder durfte ich nur mit nach Hause bringen, wenn wir alle Gefäße voller Pflanzen hatten und viele Hände brauchten, die das Gesammelte in Papier legten. Zu dieser eigentümlichen Art »Kindergesellschaft« drängten sich meine Gefährtinnen, obgleich sie still sitzen und stundenlang unter der strengen Aufsicht des Vaters arbeiten mußten. Die Bewirtung fiel nur mager aus, denn sie bekamen nach der Arbeit eine Sirupsbemme von der Mutter. Was lockte sie? Vielleicht das Außergewöhnliche, was ihnen durch die Eltern und die ganze Umgebung geboten wurde, vielleicht aber auch mehr das Erzählertalent des Vaters. Um die Kinder willig zu machen, erzählte der Vater an solchen Tagen Märchen aus dem Tier- und Pflanzenleben, und er erzählte so spannend, so lebendig, daß wir jede Störung wie einen häßlichen Mißton empfanden, und doch mußte dann und wann neues Arbeitsmaterial und Anweisungen gegeben werden. Wie gern hörte ich es, und wie stolz war ich, wenn die Kinder beim Nachhausegehen zu mir sagten: »O du, aber dei Vater kann scheen derzählen!«

 

Ich heimste das Lob ernsthaft ein.

 

Besuch, wie andere Leute ihn bekommen, hatten wir nicht, und für gewöhnlich war der Vater schweigsam, immer fleißig, ernst, und wenn er sprach, so bezog sich seine Rede auf unsere Arbeit, auf Wanderungen, die geplant wurden und auf Anweisungen, wie und was gesammelt werden mußte. Manchmal kamen soviel Menschen auf einmal, daß beide Stuben voll waren und daß nicht Sitzplätze genug da waren. Das geschah, wenn Professoren mit Studenten oder Schuldirektoren mit Seminaristen kamen. Professor Willkomm und Professor Rheum aus Tharandt kamen jedes Jahr. Auch aus Freiberg kamen die Bergstudenten mit ihren Lehrern. Die wollten sehen und hören, und beides wurde ihnen geboten. Was wurde alles herbeigetragen! Und der Vater stand mitten in der Schar und sprach weit über mein Verständnis hinaus, und alle lauschten, und ich sah Begeisterung und Bewunderung auf den lauschenden Gesichtern. Zuzeiten hatte mein Vater auch Schüler. Der Sohn des Apothekers, der wieder Apotheker werden wollte, kam und erhielt Unterricht. Ich hörte, wie der Vater den jungen Menschen aus Büchern unterrichtete, und ich sah, wie die Schmelztiegel und die Abdampfungsschalen, die Retorten und die Reagensgläser in Tätigkeit waren. Es kamen auch Hauslehrer von den umliegenden Rittergütern und wollten in Botanik unterrichtet werden. Dann und wann kam auch ein neugieriges Kind und brachte eine Raupe oder einen Käfer. Das waren die Menschen, die bei uns aus und ein gingen. Meine Mutter bekam nie Besuch, auch sie ging ganz auf in den Interessen des Vaters. Was im Haushalt notwendig getan werden mußte, das tat sie, aber sprechen tat sie nicht darüber. Sie hatte ja auch niemanden, der ihr zugehört hätte. Ich führte früh ein Doppelleben. Im Hause war ich nur zu brauchen, wenn ich täglich stundenlang half. Arbeit gab es immer, und ich seufzte oft im stillen und wunderte mich, daß es bei uns nie ein Fertigsein gab. Auf Schule und Schularbeiten wurde wenig Rücksicht genommen. Während der Arbeit wurde ich darüber examiniert, was ich gerade unter den Händen hatte. Es waren immer Arbeiten, die große Geduld erforderten. Ich mußte mit Hilfe einer feinen Pinzette den toten Käfern die Beinchen und die Fühlhörner hervorpuhlen, so daß sie wieder aussahen, als seien sie lebendig, dann mußte ich ihnen eine winzige, gedruckte Nummer mit auf den Weg geben. Für die fertiggestellten Pflanzen mußte ich die gedruckten Etiketten aussuchen, und wenn der Vater begutachtet hatte, daß ich richtig etikettiert hatte, mußte ich sie aufkleben. Das war eine Arbeit, die ich mit viel Angst ausführte, denn sie beanspruchte genaue Kenntnis der Pflanzen; wehe, wenn ich mich geirrt hatte! Nach einem Irrtum gab's stets ein peinliches...

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