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Buddhas Geschenk der Geborgenheit

Wie wir tiefes Vertrauen erfahren

AutorWilfried Reuter
VerlagKailash
Erscheinungsjahr2013
Seitenanzahl160 Seiten
ISBN9783641106805
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis17,99 EUR
Tiefes Vertrauen erfahren
Besonders in herausfordernden Situationen spüren wir immer wieder, wie schnell unsere (Selbst-)Sicherheit ins Wanken gerät und eine ängstliche, verletzliche Seite zum Vorschein kommt. Wilfried Reuter schenkt uns eine buddhistische »Gedankenmedizin«, die uns zum ureigenen Kraftort zurückführt. So können wir die Verbindung mit dem Leben, mit anderen, mit uns selbst stärken und vertiefen. Denn diese Verbundenheit ist Voraussetzung dafür, sich in der Welt geborgen zu fühlen.

Dr. Wilfried Reuter wurde 1952 in Nordhessen geboren und wuchs auf einem Bauernhof auf. Er arbeitet heute als niedergelassener Frauenarzt in Berlin-Kreuzberg und verfügt über langjährige Erfahrung in der Geburtshilfe und Sterbebegleitung. Seit 1997 leitet Wilfried Reuter Meditierende an. Er ist spiritueller Leiter des Lotos-Vihara-Meditationszentrums in Berlin-Mitte, wo er lebt und das Dhamma in Vorträgen, Kursen und Gruppen lehrt.

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Leseprobe

Kein Mensch betritt diese Welt ohne die bange Frage, ob und wie weit er in der Liebe eines anderen Menschen geborgen sein kann. Und solange sich diese Frage nicht beruhigt, wird er es nicht wagen, in die Welt zu treten.

Eugen Drewermann, Theologe

In jedem Leben gibt es Zeiten, in denen alles leichter geht, gibt es Momente von Leichtigkeit und Unbeschwertheit. Die Menschen mögen uns; uns gelingt, was wir uns vornehmen; wir sind gesund und rundherum zufrieden mit uns und der Welt. Wir denken: So könnte es bleiben. Und dann geschieht etwas: Jemand kritisiert uns, wir werden nicht mehr eingeladen, treffen eine falsche Entscheidung, jemand, der uns nahesteht, stirbt – und wir verlieren die innere Balance, deren wir uns doch so sicher schienen. Manchmal passiert auch gar nichts so Gravierendes, wir können es nicht genau benennen, spüren nur, dass unser Gleichgewicht nicht mehr da ist: Wir erleben uns auf einmal als einsam, unsicher, verletzbar und verletzt. Und in solchen Momenten sehnen wir uns umso mehr nach Sicherheit, Geborgenheit und menschlicher Wärme.

Diese Geborgenheit, nach der wir uns im Leben sehnen, haben wir im Mutterleib schon einmal erfahren. Dort war es warm, wir waren geschützt vor zu starken Sinnesreizen. Licht drang nur gedämpft und gleichmäßig zu uns durch, und wir spürten den regelmäßigen Herzschlag unserer Mutter. Selbst wenn wir vielleicht nicht gewollt waren oder unsere Mutter mit widrigen Bedingungen zu kämpfen hatte, haben wir alle, wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß, diese Art Ur-Geborgenheit erfahren, und zwar allein aufgrund der biologischen Gegebenheiten.

Dann wurden wir in diese Welt hineingeboren. Wir erlebten uns nicht länger in der Mutter, sondern – auf halbbewusster Ebene – von ihr getrennt. Stand unsere erste Zeit unter einem guten Stern, waren wir zum Beispiel von unseren Eltern erwünscht, waren wir willkommen, konnten Mutter und Vater sich liebevoll und einfühlsam um uns kümmern, hatte diese erste Trennung keine traumatischen Folgen für uns. Wir konnten uns auch weiterhin geborgen fühlen, sicher und angenommen. In der Entwicklungspsychologie geht man davon aus, dass ein gewisses Maß an Erfahrungen von Geborgenheit, Sicherheit, Getragensein notwendig ist, damit wir zu bindungsfähigen Menschen werden, damit wir Vertrauen entwickeln können, in andere Menschen und in das Leben selbst. So finden wir als Individuen die Kraft zur Entwicklung.

Wie wichtig diese Erfahrungen sind, hat in den letzten Jahren die Resilienzforschung gezeigt. Sie untersucht, warum manche Menschen mit großen Herausforderungen und traumatischen Erlebnissen, die sie in ihrer Existenz bedrohen, besser umgehen können als andere und selbst an schrecklichen Erfahrungen nicht zerbrechen. Und sie erforscht, welche Faktoren dabei eine Rolle spielen.

Doch nicht alle Menschen haben das Glück, frühe Geborgenheitserfahrungen machen zu können. Oder manche mussten erleben, dass diese durch spätere Erfahrungen nachhaltig erschüttert und in Frage gestellt worden sind. Andere spüren vielleicht im Alltag immer wieder bedrohliche Momente plötzlicher Unsicherheit und Ungeborgenheit. Denn sosehr wir vielleicht auch geliebt und umsorgt wurden, so gehört zu unserer Entwicklung als Menschen auch dazu, dass wir Trennung erleben.

Schon ganz früh erleben und spüren wir, dass unsere Mutter, unser Vater, unsere wichtigsten Bezugspersonen etwas anderes sind als wir selbst. Dies bringt von Beginn an eine Quelle des Leids, des Abgetrenntseins, des Gefühls der Bedürftigkeit und Unvollkommenheit in unser Leben. Unsere oft lebenslange Suche nach Geborgenheit speist sich aus dem Wunsch, die wunderbaren Erfahrungen erlebter Geborgenheit – Wärme, Sicherheit, Vertrauen – wieder zu erleben und darüber hinausgehend, Trennung zu überwinden.

Wir leben heute in einer schnelllebigen, konfliktreichen und immer komplizierter scheinenden Welt. Viele Zusammenhänge können wir gar nicht mehr durchschauen. Wir benutzen Mobiltelefone, Computer, Autos und viele Dinge, die wir vielleicht noch handhaben, aber weder wirklich verstehen noch erklären können. Die Anforderungen in Schule und Beruf nehmen zu, ebenso wie Leistungs- und Konkurrenzdruck. Viele Menschen leiden unter Mobbing. Stresserkrankungen, Burnout und Depressionen gehören zu den mittlerweile häufigsten Gründen für Arbeitsunfähigkeit und sind Zivilisationskrankheiten unserer Zeit. Finanzkrisen, Klimawandel, Umweltkatastrophen, Kriege, oftmals befeuert durch religiösen Fundamentalismus, sind Chiffren einer Welt, die selbst aus der Balance zu geraten droht. Und in dieser Zeit schwindender Zukunftsperspektiven und Sicherheiten sehnen wir uns umso mehr nach innerer Sicherheit, nach Frieden und Geborgenheit; Qualitäten, die oft in direktem Widerspruch zu unseren Alltagserfahrungen stehen. Und wir merken immer öfter, wie einsam, verletzbar und unsicher wir uns fühlen, wie leicht wir unsere Balance verlieren.

Umso dringlicher stellt sich uns die Frage: Wie kann ich eine Geborgenheit finden, die möglichst nicht von äußeren Bedingungen abhängig ist?

Nach einem öffentlichen Vortrag kam ein älterer Herr zu mir und sagte: »Wissen Sie, was das Ziel meines Lebens ist? Ich möchte Geborgenheit in mir selbst finden. Ich möchte inneren Frieden erleben, und mit diesem Frieden im Herzen möchte ich dem Tod begegnen, wenn er zu mir kommt.« Nach ihm sprach mich eine junge Frau an. Sie sagte: »Die Verbundenheit und Geborgenheit, von der Sie in Ihrem Vortrag gesprochen haben, die kann ich in manchen Momenten des Alleinseins spüren. Aber im Alltag, im Berufsleben, das ausgerichtet ist auf Effektivität und Produktivität, in dem immer mehr immer schneller zu bewältigen ist, erlebe ich oft ein solches Gegeneinander und Ellbogengebaren – und da geht mir alles wieder verloren.«

In meiner Arztpraxis muss ich Patientinnen häufig schwierige Nachrichten übermitteln. Manchmal sind es lebensbedrohliche Diagnosen, die ihre ganze bisherige Identität ins Wanken bringen. Nach der Phase des ersten Schocks – im Schock kann man oft gar nichts fühlen – erleben die meisten Gefühle von Angst, Unsicherheit, Panik, Wut, Trauer und Hilflosigkeit. Und sie sehnen sich nach einem sicheren Ort, nach Geborgenheit.

Es gibt aber auch Menschen, die selbst bei äußeren und inneren Erschütterungen ihre Balance und ihre Kraft sehr schnell wiederfinden können. Auch in Zeiten existenzieller Erschütterungen wirken sie weder von Sorgen und Ängsten bedrückt noch über die Maßen aufgeregt. Sie begegnen den Herausforderungen ihres Lebens mit Ruhe und Gelassenheit, und in ihrer Gegenwart fühlt man sich wohl. Sie verbreiten eine angenehme Atmosphäre voller Zuversicht und innerer Stärke. Solche Menschen haben Zugang zu Quellen, aus denen sie Kraft und Sicherheit beziehen; zu Orten der Geborgenheit, die sie auch schwierige, bedrängende Situationen meistern lassen.

Die gute Botschaft ist, dass es verschiedene Wege gibt, Zugang zu diesen Quellen zu finden. Allerdings ist es wichtig, sich rechtzeitig Quellen der Kraft und Geborgenheit zu erschließen und den Zugang offen zu halten.

»Wenn ihr erst auf dem Sterbebett damit anfangen wollt, ist es zu spät«, mahnte uns meine Lehrerin Ayya Khema immer wieder. Rechtzeitig – damit sind Zeiten gemeint, in denen es uns gut geht und unser Leben im Wesentlichen in Balance ist. Machen wir uns dann mit dieser Dimension vertraut, erschließen wir uns die Wege zu dieser Quelle und kultivieren sie, sind wir gut gerüstet für Zeiten der Verunsicherung und Angst, wenn sich unsere scheinbaren Sicherheiten auf einmal als wenig verlässlich erweisen. Wie schnell das geschehen kann, das wird jeder von uns vermutlich schon mehr als einmal erfahren haben.

Die meisten Menschen nennen auf die Frage, wo sie Geborgenheit suchen oder zu finden meinen, als Erstes Familie, Partnerschaft, Freundinnen und Freunde. Geborgenheit ist also etwas, das wir am ehesten in Beziehung zu anderen suchen und zu erleben hoffen. Wir brauchen einen anderen, um in uns Geborgenheit zu erleben, um uns geborgen zu fühlen. Doch wenn wir unser eigenes Leben betrachten oder das unserer Freundinnen und Freunde, können wir sehen, wie oft Freundschaften auseinandergehen und Partnerschaften zerbrechen. Wir erleben, dass Menschen, die uns Geborgenheit schenken, krank werden und sterben und sich auch Familienbande nur als begrenzt belastbar erweisen. Kurz gesagt: Das, was uns Geborgenheit und Sicherheit verspricht oder auch möglicherweise für eine Weile erleben lässt, erweist sich oft genug als brüchig, unbeständig und vergänglich. Und so haben wir vielleicht wieder und wieder das Empfinden, dass unsere Gefühle von Sicherheit und Geborgenheit äußerst fragil sind, bei einer Veränderung äußerer Bedingungen sofort ins Wanken geraten und Gefühlen der Verunsicherung und Angst Platz machen.

Wir wünschen uns eine Geborgenheit, die nicht den Wechselfällen des Lebens unterworfen und von diesen bedroht ist. Gibt es denn eine Geborgenheit, deren Quelle wir in uns tragen, die nicht von unseren Beziehungen zu anderen, von ihren Reaktionen auf uns abhängig ist? Sollte es sie geben, wie können wir diese Quelle entdecken, freilegen und uns einen steten Zugang zu ihr schaffen?

Fragen dieser Art haben sich die Menschen zu allen Zeiten gestellt, denn das Bedürfnis nach Geborgenheit zählt zu den Urbedürfnissen der Menschheit ebenso wie die Erfahrung existentieller Verunsicherung und...

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