Nur wenige technische Erzeugnisse kommen ohne Kunststoffteile aus. Die polymeren Werkstoffe haben sich von billigen Ersatzstoffen zu einzigartigen Hochleistungsmaterialien entwickelt. Das Konstruieren und Gestalten von Erzeugnissen wird derzeit vorwiegend mit dem Einsatz von Metallen als Hauptwerkstoff gelehrt und dem entsprechend angewendet. Bei dieser Herangehensweise können aber bei der Verwendung von Kunststoffen nicht alle Möglichkeiten dieser Materialgruppe genutzt werden und in die Produkte einfließen.
Eine wichtige Sparte der Materialwissenschaft stellt die Kunststofftechnik dar. Auf diesem Gebiet wird intensiv geforscht. Gleichberechtigt zum werkstofftechnischen Aspekt müssen Regeln für eine kunststoffgerechte Konstruktion aufgestellt, verbreitet und angewendet werden. Eine ganze Reihe von Empfehlungen zur Gestaltung von Kunststoffprodukten ist bereits vorhanden. Der praktisch tätige Konstrukteur, der Einsteiger und der "Metall-Umsteiger" benötigen jedoch eine Systematisierung dieser Lösungsvorschläge, Tipps und Hinweise. Mit diesem Buch wird eine Methodik zur Konstruktion mit Kunststoffen vorgestellt, welche die bekannten Ansätze zu zehn Grundregeln zusammenfasst. Der Anspruch soll nicht sein, diese in aller Vollständigkeit und Tiefe darzustellen. Vielmehr wird ein System eröffnet, mit dem es gelingen sollte, die Besonderheiten der Konstruktion mit Kunststoffen zu erfassen und zu verinnerlichen. Neben dem Aufgreifen und der Diskussion vieler bereits bekannter Lösungsansätze stellt das Buch auch einige neue Lösungen vor und eröffnet alternative Sichtweisen für bestimmte Zusammenhänge.
Das Bestreben der vorliegenden Darstellungsweise ist es, die Sachverhalte in einer einfachen, verständlichen Form wiederzugeben. Vielleicht hat die Entscheidung für eine unkomplizierte Sprache die Konsequenz, dem wissenschaftlichen Anspruch des einen und anderen Kollegen nicht voll und ganz gerecht zu werden. Als Techniker kennen wir aber auch die Aussage, dass einfache Systeme meist zuverlässig und sicher funktionieren. Vielleicht ist der Versuch, das Wissen mit leicht verständlichen Texten darzustellen, auch ein Weg, mehr Personen für das vorliegende Fachgebiet zu gewinnen und damit schon im Ansatz dem nunmehr zur Realität werdenden Fachkräftemangel entgegenzuwirken.
Natürlich wird auf die spezifischen Fachbegriffe zurückgegriffen. Diese werden im Text eingeführt und erklärt.
Für die Übermittlung der inhaltlichen Botschaft spielen die Abbildungen eine wesentliche Rolle. So wird der Leser auch zum Betrachter. Ob ein Bild wirklich mehr als tausend Worte sagen kann, sei dahingestellt. An vielen Stellen unterstützt jedoch die Bebilderung nicht nur das Verständnis der Inhalte, sondern trägt die primären Informationen und soll damit zum schnellen Verständnis der Zusammenhänge beitragen.
Um den Preis des Buches auch für Studentinnen und Studenten attraktiv gestalten zu können, wurde die Print-Ausgabe in Graustufen realisiert. In der E-Book Ausgabe sind die Abbildungen dagegen farbig gestaltet. Welchem Medium man nun den Vorzug gibt, kann man nach eigenen Vorstellungen entscheiden.
Die Zehn Grundregeln
Die zehn Grundregeln sind anwendungsbezogen formuliert worden. Ihnen werden die bekannten und bewährten Konstruktionshinweise zu Kunststoffprodukten zugeordnet.
Zunächst erfolgen materialspezifische Betrachtungen in Bezug auf die Umgebungsbedingungen (Kapitel 1: „Temperatureinsatzbereich“).
Untersucht wird, in welchen Temperaturbereichen die Funktion von Kunststoffteilen gegeben ist. Zum Verständnis der Herstellungsprozesse werden die grundlegenden Vorgänge beim Phasenwechsel, von der hochviskosen Schmelze zum erstarrten Zustand und umgekehrt, beschrieben und auf weitere Phasenübergänge am starren Körper und deren Konsequenzen eingegangen. Dem Leser wird vermittelt, dass die Temperaturabhängigkeit von Werkstoffkennwerten bei Kunststoffen besonders stark ausgeprägt ist und eine genaue Kenntnis über die von außen auf das Erzeugnis einwirkenden Größen die Voraussetzung für die Entwicklung eines hochwertigen Erzeugnisses ist. Letztlich werden einige konstruktive Möglichkeiten vorgestellt, mit denen Kunststofferzeugnisse auch noch bei grenzwertigen Temperaturen ihre Funktion erfüllen.
Das zweite Kapitel („Medienangriff“) behandelt die Wechselwirkungen, die Kunststoffe mit den sie umgebenden Medien eingehen. Zunächst erfolgt eine Systematisierung der angreifenden Stoffe und Strahlungen sowie Erklärungen zu den beim Medienangriff ablaufenden Mechanismen. Aufbauend auf diesen Grundlagen folgen Äußerungen zu den Auswirkungen angreifender Medien auf die Funktionserfüllung von Kunststoffteilen.
Anschließend werden in Kapitel 3 („Spannungszustand“) die Auswirkungen des auf die Bauteile einwirkenden Kraftfeldes dargelegt. Herausgearbeitet werden die Unterschiede zwischen Orientierungen und Spannungen . Möglichkeiten ihres Nachweises werden aufgezeigt und die Konsequenzen von wirkenden Spannungen und vorhandenen Orientierungen auf ein Kunststofferzeugnis benannt.
Ab dem vierten Kapitel werden die Unterschiede zwischen den beiden Materialklassen Metalle und Kunststoffe dargestellt. Nach notwendigen Erklärungen zu grundlegenden technischen Sachverhalten und Herstellungsverfahren von Kunststofferzeugnissen wird auf die für die Polymere charakteristischen mechanischen Eigenschaften eingegangen und diese mit denen der Metalle verglichen. Auch wenn die Steifigkeit und die Festigkeit der Kunststoffe geringer ist als die der meisten Metalle, erschließt das deutlich bessere Verformungspotenzial von Polymeren Einsatzmöglichkeiten, die mit Metallen so nicht zugänglich sind. Herausgearbeitet wird, dass mit Polymeren große Verformungen schadensfrei realisiert werden können (Kapitel 4: „Schadensfreie Verformung“). Im Gegensatz zur Konstruktion mit Metallen betrachtet man bei Kunststoffen nicht primär die aufnehmbaren Spannungen, sondern die möglichen Verformungen. Mit Kunststoffen können nicht nur starre, sondern auch flexible Konstruktionen realisiert werden. Die unterschiedliche Herangehensweise für diese beiden Varianten wird erklärt.
Ein Schwerpunkt wird im Rahmen von Kapitel 5 („Entformbarkeit“) auf die fertigungsgerechte Konstruktion von Kunststoffteilen gelegt. Während zur Herstellung von Produkten aus Metall mehrere Fertigungsverfahren auch bei der Massenfertigung in Frage kommen, konzentriert sich das Produktionsverfahren bei Kunststoffen bei strang- oder plattenartigen Produkten auf das Extrusionsverfahren, bei dreidimensional ausgeprägten Erzeugnissen vor allem auf das Spritzgießen. Weil das Spritzgießen allein wegen der Vielzahl der Erzeugnisse ein deutlich höheres ingenieurtechnisches Volumen beansprucht, konzentrieren sich hier die Überlegungen zur Entformbarkeit von Kunststoffteilen auf dieses Verfahren. Die fundamentalen Aussagen sind selbstverständlich auf andere Verfahren übertragbar. Dem Leser werden einführende Kenntnisse zum Werkzeugbau vermittelt, damit er in der Lage ist, die Konsequenzen seiner Konstruktion für die Umsetzung der Werkzeugtechnik einzuschätzen. Die Möglichkeiten des Spritzgusswerkzeugbaus werden vom Einfachen zum Komplizierten hin aufgezeigt und einige Anwendungen dargestellt, die mit den besprochenen Werkzeugen hergestellt werden können. Wenn mit diesen Kenntnissen die Konstrukteure Teile auf optimale Entformungsmöglichkeiten hin entwickeln, eröffnen sich neue Impulse für eine hocheffektive Massenfertigung.
Im sechsten Kapitel („Konstante Wanddicken“) wird die Forderung nach gleichmäßigen Wandstärken bei Kunststoffprodukten erhoben, die sich aus der im Vergleich zu Metallen sehr langsamen Abkühlungsgeschwindigkeit polymerer Werkstoffe beim Urformen ableitet. Die Aussagen werden mit der verfahrenstechnischen Beschreibung des Spritzgussprozesses untermauert. So können anschließend Probleme am Erzeugnis erklärt werden, die aufgrund von Wanddickenunterschieden entstehen und Lösungsempfehlungen ausgesprochen werden. Weiterhin folgt die Darstellung von Besonderheiten an Ecken und Kanten am Erzeugnis und Vorschläge für entsprechende Konstruktionsregeln, um verzugsfreie Formteile gestalten zu können.
Nachdem die ersten sechs Grundregeln material- und fertigungstechnische Aspekte behandeln, konzentrieren sich die folgenden drei Kapitel auf die geometrische Ausgestaltung der Produkte.
Aufgrund des geringeren Moduls von Kunststoffen können viele Produkte mit der beim Einsatz von Metall bewährten Geometrie nicht zufriedenstellend umgesetzt werden. Die geringfügige Erhöhung des Moduls durch die Zugabe von Verstärkungsfasern zum Grundpolymer bringt selten hinreichende Ergebnisse. Im siebten Kapitel („Geometrische Versteifung“) werden drei Möglichkeiten aufgezeigt, die Aussteifung der Erzeugnisse mit geometrischen Mitteln zu realisieren, und deren Besonderheiten beim Einsatz in Kunststoffbauteilen erklärt.
Genauso, wie durch eine entsprechende Gestaltung die Versteifung einer Geometrie möglich ist, kann mit geometrischen Mitteln auch eine stärkere Verformung in bestimmten Bereichen eines Teils erreicht werden, ohne dass man Modifikationen am Grundwerkstoff vornimmt. Das Buch stellt dazu in Kapitel 8 („Konstruktive Duktilität“) Methoden vor und zeigt eine Reihe von praktischen Anwendungen auf.
Viele technische Produkte realisieren in der einen oder anderen Form Bewegungen. Bei starren Konstruktionen werden solche Anwendungen durch die Verschiebung von...