1 Auf dem Weg zum Schulkind
? »Mama, da ist ein Clown«, ruft die vierjährige Lara, läuft über die Wiese und schaut sich gemeinsam mit anderen Kindern die Vorführung an – die zweijährige Sina bleibt lieber an Mamas Hand. Ab dem vierten Lebensjahr wagt ein Kind alleine Schritte ins Leben. Bis dahin muss es viele Fähigkeiten entwickeln.
Vom Kleinkind zum Vorschulkind
Ein Kindergartenkind unterscheidet sich von einem Kleinkind vor allem dadurch, dass es neugieriger, selbstständiger und UNABHÄNGIGER geworden ist. Es kann sicher gehen und sprechen und verliert zunehmend die Scheu vor anderen Menschen. Die meisten Kinder tragen keine Windel mehr, wenn sie in den Kindergarten kommen, sie sind freier in ihren Bewegungen und nicht mehr auf einen Erwachsenen angewiesen, der ihnen die Windel wechselt. Sie haben das Kleinkindstadium hinter sich gelassen. Am Ende des dritten Lebensjahrs können Kinder in der Regel stabil sitzen und im Laufen ein Ziel ansteuern. Sie bewegen Hände und Füße nicht mehr zufällig, sondern setzen sie bewusst ein, etwa um einen Ball in eine bestimmte Richtung zu kicken oder den Deckel von einem Behälter abzuschrauben.
Wenn Ihr Kind in die Schule kommt, hat es mit Ihrer Begleitung schon UNENDLICH VIEL GELERNT. Alles aufzuzählen, was Kinder auf der ganzen Welt in ihren ersten Lebensjahren lernen, würde mehrere Bücher füllen. Je nachdem, in welchem Land und welcher Region ein Kind aufwächst, ob es in der Stadt oder auf dem Land wohnt, ob es in einer großen oder kleinen Familie lebt, die Großeltern gleich nebenan oder viele Kilometer entfernt sind, lernt es unterschiedliche Dinge.
Eigene Entscheidungen treffen
Vorschulkinder beginnen, in vielen Dingen ihren eigenen Geschmack zu entwickeln. Sie wollen selbst bestimmen, welche Poster über ihrem Bett hängen und ob die Schuhe Riemchen oder Klettverschluss haben. Jede Entscheidung eines Kindes, die seine Eltern annehmen, stärkt es in dem BEWUSSTSEIN FÜR SICH SELBST. Das heißt nicht, dass Sie als Eltern alles hinnehmen müssen. Sagen Sie auch Ihre Meinung, damit Ihr Kind erkennt, dass es verschiedene Einstellungen zu einer Sache geben kann.
Mehr Eigenständigkeit
Wenn Ihr Kind mit drei oder vier Jahren in den Kindergarten kommt, hat es bereits eine wichtige Erkenntnis hinter sich: Es kennt sich selbst! Es lernt nun, dass es ein eigenständiger Mensch ist. Ihr Kind weiß, dass es »ich« ist, und setzt das so oft wie möglich ein. Deshalb bleiben auch gelegentliche Trotzanfälle und Wutausbrüche nicht aus. Schließlich hat Ihr Kind gerade gelernt, dass es etwas bewirken kann. Mehr noch, es hat festgestellt, dass es etwas planen kann. Wer sich ihm in den Weg stellt, muss mit Gegenwehr rechnen!
Zunächst ist Ihr Kind noch nicht so weit, dass es einen Ausweg findet, wenn sein Plan gestört wird oder ein Wunsch nicht oder nicht sofort erfüllt wird. Begriffe wie »später« oder »morgen« bedeuten ihm noch nichts. Dann schreit und schimpft es eben, auch wenn die Trotzphase eigentlich bereits vorüber ist.
Bis zur Einschulung sollte Ihr Kind im Alltag wissen, was es will. Es sollte warten können, bis ein Wunsch erfüllt wird.
Allerdings müssen Sie ihm erklären, aus welchem Grund es noch etwas dauert, bis es ein Eis gibt oder bis die Oma anreist. Ein unbegründetes Nein zählt nicht. Ihr Kind muss erfahren, dass Sie seine Wünsche ernst nehmen – ob diese nun erfüllt werden (können) oder nicht. Schlagen Sie Ihrem Kind aber nicht zu viele Wünsche ab, denn je mehr Bestätigung seiner Selbstwirksamkeit (siehe >) es erhält, umso selbstständiger und unabhängiger kann es werden und umso besser wird es im Leben zurechtkommen.
Vorschulkinder müssen und wollen den Kreis, in dem sie aktiv sind, erweitern. Sie möchten Freunde besuchen oder bei der Tante übernachten. Um diese Wünsche umzusetzen, müssen sie ein stabiles SELBSTVERTRAUEN aufbauen und unabhängiger von den Eltern werden. Sie müssen eigenständig tägliche Routinen erledigen können wie die Zähne putzen, sich an- und ausziehen, sich kämmen oder zur Toilette gehen. Nur wer alltägliche Dinge eigenständig erledigen kann, fühlt sich auch in einer neuen, unbekannten Umgebung sicher, etwa wenn er zu Besuch im Haus des besten Freundes ist.
Mit sich und anderen klarkommen
In der Familie entwickelt Ihr Kind seine Persönlichkeit, es erlernt und übt die Regeln des Zusammenlebens. Im Kindergarten kann es beides dann in einem größeren Umfeld erproben.
Persönlichkeit
Ihr Kind lernt, dass es eine eigenständige Persönlichkeit ist. Es muss wissen, was es kann und was (noch) nicht. Nur mit einem guten Selbstvertrauen kann es IN EINER GRUPPE BESTEHEN und sich wohlfühlen, besonders als Neuankömmling.
Gerade Kinder mit älteren Geschwistern freuen sich, wenn ihr Babydasein ein Ende hat. Einzelkinder dagegen tun sich oft schwer damit, nun nicht mehr im Mittelpunkt zu stehen. Sie sollten schon vor dem Kindergarteneintritt möglichst viel Kontakt zu anderen Kindern haben.
Soziale Kompetenz
Regeln bestimmen das Zusammenleben. Ihr Kind erlebt und lernt solche Regeln zunächst in der Familie. In Kindergarten und Schule werden sie auf eine größere Gruppe ausgeweitet. Nun erfahren Kinder, dass es Regeln gibt, an die sich alle halten müssen, auch kleine Prinzen und Prinzessinnen. Sie lernen, Rücksicht auf andere zu nehmen, eigene Wünsche und Bedürfnisse zurückzustellen. Für Kinder mit Geschwistern ist das meist kein Problem – sie haben schon erfahren, dass man manchmal warten muss. Sie können sich oft auch gut in andere hineinfühlen. Diese Fähigkeit, genannt Empathie, ist notwendig, um Rücksicht zu nehmen und Kompromisse zu schließen. Außerhalb der Familie fällt es vielen Kindern noch leichter, diese Fähigkeit zu üben und zu vertiefen.
Gerade für Einzelkinder ist die Erfahrung wichtig, dass ihre Bedürfnisse und Wünsche nicht immer sofort erfüllt werden. So tun sie sich später in einer Gruppe leichter. Ein Kind, das einen Wunsch zurückstellen muss, erlebt seine erste Enttäuschung.
Aber es merkt gleichzeitig auch, dass EINE ENTTÄUSCHUNG gar nicht so schlimm ist, weil bald wieder andere Dinge geschehen, die ebenso reizvoll sind. Diese Fähigkeit nennt man »Frustrationstoleranz« – jeder Mensch braucht sie sein Leben lang täglich. Es lohnt sich also, wenn ein Kind im Schonraum der Familie lernt, mit Enttäuschungen klarzukommen.
Körper und Sinne trainieren
Mit seinem Körper und seinen Sinnen macht Ihr Kind neue Erfahrungen und lernt täglich dazu – sein Leben lang. Deshalb ist es wichtig, Körper und Sinne Ihres Kindes anzuregen und zu fordern.
Grobmotorik
Als Grobmotorik werden die Bewegungen des ganzen Körpers oder einzelner größerer Körperteile wie Arme und Beine bezeichnet. Ihr Kind lernt durch BEWEGUNGSERFAHRUNGEN, seinen Körper sowie Arme und Beine bewusst und gezielt einzusetzen. Am besten kann es diese Erfahrungen draußen machen: beim Balancieren auf einem Baumstamm, beim Schaukeln und Wippen, beim Klettern auf dem Klettergerüst, beim Rennen, Toben, Ballspielen ...
All das macht Kindern genauso viel Spaß und ist genauso wichtig wie zum Beispiel das Hantieren mit Stiften, Schere und Pinsel. Zwar wird Ihr Kind in der Schule am Tisch sitzen und viel mit Stift und Papier arbeiten. Doch seine vielfältigen Bewegungserfahrungen werden ihm dabei helfen, auch abstrakte Aufgaben zu meistern: Wenn es zum Beispiel in Mathe um die Geschwindigkeit eines Zuges geht, ist es sehr hilfreich, wenn Ihr Kind schon Erfahrungen mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten gemacht hat, etwa beim Laufen oder beim Radfahren. Es kann sich durch seine Klettererlebnisse Höhen besser vorstellen und Perspektiven unterscheiden.
Davon abgesehen sind Kinder, die sich viel bewegen, in der Regel ausgeglichener und zufriedener und können sich besser konzentrieren. Je mehr Kletter- und Lauferlebnisse Ihr Kind hat, umso besser ist es für das Lernen in der Schule gewappnet.
Feinmotorik
Die Bewegungen der Finger bezeichnet man als Feinmotorik. Die Finger gezielt einsetzen zu können ist wichtig für viele Alltagsaufgaben. Ihr Kind hat dies schon als Baby gelernt und verfeinert seine Fingerfertigkeit bei jeder »Anfass-Aufgabe«, die Sie ihm stellen. Schon im Kindergarten sollte Ihr Kind lernen, SEINE FINGER GEZIELT EINZUSETZEN. In der Schule tut es sich dann erheblich leichter beim Schreiben, Basteln, Malen und Handwerken. Natürlich braucht es diese Fähigkeit auch später im Beruf.
Der Kindergarten bringt nicht nur neue Erfahrungen mit anderen Kindern mit sich. Besonders angetan sind die meisten Kinder von den vielen verschiedenen Malutensilien, die es hier gibt. Begeistert probieren sie dicke und dünne Filzstifte, Wachsmalkreide, Buntstifte und die unterschiedlichen Pinsel aus. Die Erzieherinnen und Erzieher im Kindergarten fördern das Malen, denn schließlich trainieren die Kinder dabei die gezielten...