Der MDK (= Medizinischer Dienst der Krankenversicherung) ist lediglich ein Ausführender, aber kein Gestaltender. Vergleichbar einer Politesse im Straßenverkehr, die die Gesetze nicht macht, auf deren Grundlage sie entscheidet.
Ob Sie falsch parken, entscheidet nicht die Politesse, sondern die Straßenverkehrsordnung. Wie hoch das Bußgeld ausfällt, legt nicht die Politesse fest, sondern der Bußgeldkatalog. Die Politesse ist allerdings die Person, die wir im Straßenverkehr wahrnehmen und der wir mehr Macht zugestehen als sie wirklich hat. Genauso verhält es sich mit dem MDK.
Der MDK macht die Regeln nicht. Er ist, wie oben beschrieben, ein Verrichtungsgehilfe, z. B. im System der Qualitätsprüfung.
Die Regeln zur Qualitätsprüfung, genau wie zur Begutachtung der Pflegebedürftigkeit, kommen von den gesetzlichen Krankenkassen und deren medizinischem Dienst, dem MDS (Medizinischer Dienst des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen).
Die Pflegekassen und der MDS haben die Richtlinienkompetenz, wie in § 17 SGB XI vom Gesetzgeber gewünscht: »Der Spitzenverband Bund der Pflegekassen erlässt … unter Beteiligung des Medizinischen Dienstes des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen Richtlinien zur pflegefachlichen Konkretisierung der Inhalte des Begutachtungsinstruments nach § 15 sowie zum Verfahren der Feststellung der Pflegebedürftigkeit nach § 18 (Begutachtungs- Richtlinien).« Der MDK taucht hier nicht auf. Er hat andere Aufgaben. Er prüft entlang der Qualitätsprüfungs-Richtlinien (QPR) die Qualität von Einrichtungen und erstellt entlang der Begutachtungs-Richtlinien (BRi) Gutachten zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit. In beiden Fällen werden den MDK-Mitarbeitern die Arbeitsgrundlagen vorgegeben. Der MDK-Mitarbeiter muss also bei der Qualitätsprüfung als Maßstab die Qualitätsprüfungs-Richtlinien heranziehen. Zwei Qualitätsprüfungs- Richtlinien gibt es:
1.für die stationäre Pflege
2.für die ambulante Pflege
Schauen wir uns kurz die Qualitätsprüfungs-Richtlinien für die stationäre Pflege an. Ihr voller Titel lautet: »Qualitätsprüfungs-Richtlinien für die vollstationäre Pflege (QPR vollstationär) -Richtlinien des GKV-Spitzenverbandes über die Durchführung der Prüfung der in Pflegeeinrichtungen erbrachten Leistungen und deren Qualität nach § 114 SGB XI für die vollstationäre Pflege«. Die QPR wird ergänzt durch die sog. »Grundsätze für die Qualität, die Qualitätssicherung und -darstellung sowie für die Entwicklung eines einrichtungsinternen Qualitätsmanagements nach § 113 SGB XI in der vollstationären Pflege« vom 23.11.2018. Diese regelt die Bewertungskriterien der Qualität.
In der QPR ist geregelt,
•was zu prüfen ist,
•wie die Prüfung abzulaufen hat,
•wie Pflegebedürftige ausgewählt werden,
•was der Prüfer fragen muss,
•wie bewertet wird etc.
In der QPR findet sich zu jeder Frage eine entsprechende Erläuterung. Der Prüfer entscheidet also nicht darüber, wie eine Frage bewertet wird. Für jede Prüffrage beim Pflegebedürftigen gibt es lediglich vier Bewertungsmöglichkeiten, die alle in der QPR2 erläutert werden:
1.keine Auffälligkeiten oder Defizite
2.Auffälligkeiten, die keine Risiken oder negativen Folgen für den Bewohner erwarten lassen
3.Defizit mit Risiko negativer Folgen für den Bewohner
4.Defizit mit eingetretenen negativen Folgen für den Bewohner
Info
Was ein Prüfer zu werten hat, findet sich im Erläuterungsteil der QPR. Für Sie heißt das: Erinnern Sie, wenn nötig, den Prüfer an seine Arbeitsgrundlage (die QPR). Erlauben Sie ihm keinesfalls, einfach irgendetwas zu prüfen.
Der Dokumentationswahnsinn der Vergangenheit mit seinem Pflegeplanungs- und Assessmentwahn sowie einer wahren Leistungsnachweisschlacht, war sicher auch zum Teil den MDK-Mitarbeitern geschuldet. Doch ist es falsch, wenn dem MDK immer die Schuld an derlei Auswüchsen gegeben wird. Hier ein Späßchen, in dem viel Wahrheit steckt:
1985: Die Pflegekraft bereitet einer Pflegebedürftigen das Frühstück. Sie dokumentiert nichts, es gibt noch keine flächendeckende Verpflichtung hierzu.
1986: Die Dokumentationspflicht wird eingeführt.
1990: Die Pflegekraft bereitet der Pflegebedürftigen nicht mehr nur ihr Frühstück. Sie dokumentiert zudem im Leistungsnachweis mit Handzeichen, dass sie das Frühstück gegeben hat und schreibt im Bericht: »Fr. M. hat gut gegessen.«
1995: Die Pflegeversicherung und die Qualitätsprüfungen werden eingeführt. Der MDK übernimmt die Rolle des »Ordnungshüters«. Die bisherige Dokumentation genügt nicht mehr.
1995: Die Pflegekraft bereitet einer Pflegebedürftigen das Frühstück. Sie dokumentiert im Leistungsnachweis mit Handzeichen, dass sie das Frühstück gegeben hat und schreibt im Bericht: »Fr. M. hat gut gegessen.«
Der MDK-Mitarbeiter kommt erstmals ins Haus und kritisiert, der Eintrag sei nichtssagend: Was heißt »gut gegessen«? Stattdessen müsse die Pflegekraft z. B. schreiben: »Fr. M. hat zwei Scheiben Brot gegessen.«
2000: Wir entwickeln uns weiter und hören auf den MDK. Die folgsame Pflegekraft bereitet einer Pflegebedürftigen nicht nur das Frühstück. Sie dokumentiert im Leistungsnachweis mit Handzeichen, dass sie das Frühstück gegeben hat und schreibt im Bericht: »Fr. M. hat zwei Scheiben Brot gegessen.«
Nun kommt ein anderer MDK-Prüfer und kritisiert, der Eintrag sei nicht individuell genug. Man sehe nicht, womit das Brot belegt war (Wurst oder Käse?). Schließlich sei individuell und handlungsleitend zu dokumentieren.
2005: Die Anpassung an den MDK nimmt neue Formen an: Die MDK-konforme Pflegekraft bereitet einer Pflegebedürftigen das Frühstück. Sie dokumentiert im Leistungsnachweis mit Handzeichen, dass sie das Frühstück gegeben hat und schreibt im Bericht: »Fr M. hat zwei Scheiben Brot gegessen, eine mit Wurst und eine mit Käse.«
Der MDK-Prüfer kritisiert, der Eintrag sei noch immer nicht individuell genug: Man müsse auch die Biografie beachten! Wurst sei nicht gleich Wurst. Also: Mit welcher Wurst und welchem Käse wird das Brot belegt? Streichwurst oder Salami?
2010: Die Jahre gehen ins Land, wir glauben alle Prüfer zu kennen. Die folgsame Pflegekraft bereitet einer Pflegebedürftigen das Frühstück. Sie dokumentiert im Leistungsnachweis mit Handzeichen, dass sie das Frühstück gegeben hat und schreibt im Bericht: »Fr. M. hat zwei Scheiben Brot gegessen, eins mit Streichwurst und eins mit Goudakäse.«
Der MDK-Prüfer und kritisiert, man sehe nicht, wie viele Kalorien diese Brote haben und schließlich sei Streichwurst nicht gleich Streichwurst, das alles ist zu ungenau.
2015: Die Entbürokratisierung der Pflegedokumentation läuft!
Die folgsame Pflegekraft bereitet einer Pflegebedürftigen das Frühstück. Sie dokumentiert im Leistungsnachweis mit Handzeichen, dass sie das Frühstück gegeben hat und schreibt im Bericht: »Fr. M. hat zwei Scheiben Brot gegessen, eine mit Streichwurst Marke TEEWURST von Gutfreund und eine mit Mai-Goudakäse der Firma Anja, insgesamt 597 kcal.«
Der geschulte MDK-Prüfer kritisiert, der Eintrag sei völlig unnötig, denn man sehe in der SIS®, was der Pflegebedürftige gerne esse und auch seine Essgewohnheiten. Das reiche vollkommen aus, es wäre kein weiterer Eintrag im Pflegebericht nötig und auch kein Leistungsnachweis. Schließlich gilt das »Immer-so-Prinzip«. Die Pflegekraft muss nichts mehr eintragen, außer die Pflegebedürftige esse nicht wie gewohnt.
2019: Wir haben gelernt, nicht mehr alles zu schreiben, sondern unserer Planung in Maßnahmen und der SIS® zu glauben. Die folgsame Pflegekraft bereitet einer Pflegebedürftigen das Frühstück und dokumentiert – nichts!
Nun kommt ein MDK-Prüfer und meint: »Über Wochen nichts zu dokumentieren sei doch zu wenig, man müsse doch wenigstens …«
So oder so ähnlich haben viele Pflegekräfte in der Vergangenheit MDK-Prüfungen erlebt. Der eine Prüfer verlangte dieses, ein anderer jenes. Aber können wir wirklich dem MDK für diese Misere allein die Schuld geben? Nein! Schon 1889 schrieb Agnes Karll: »Will die Schwester nicht wie bisher Amboß sein, muß sie eiligst...