Die goldene Adele und der Durchlauferhitzer
Eva Blimlinger
Wieso denn erst jetzt? Wieso werden erst jetzt Kunstwerke und Bücher, Knopfsammlungen, Porzellane, Gläser, Autos und sogar Durchlauferhitzer zurückgegeben? Warum denn nicht schon früher? Warum gibt man das überhaupt zurück? Gibt es da überhaupt Erb_innen? Hat es da nicht Rückstellungsgesetze gegeben? Fragen, die in den letzten Jahren immer wieder in Diskussionen, Postings zu Artikeln, Seminaren oder bei Präsentationen gestellt werden und auf die es viele Antworten gibt.
Die Republik Österreich bemühte sich nach 1945 – vor allem bis 1949 – wiederholt, Vermögen zurückzugeben, das während des Nationalsozialismus entzogen worden war. Vielfach waren die Maßnahmen jedoch halbherzig, schlecht vorbereitet und für die Antragsteller_innen, vor allem jene, die aus Österreich flüchten mussten, eine bürokratische Zumutung. Die jeweiligen gesetzlichen Grundlagen von den 1940er bis zu den 1960er Jahren führten in der Regel dazu, dass die Überlebenden des Holocaust und ihre Erb_innen – wenn überhaupt, dann nur unter größten Schwierigkeiten – das zurückbekamen, was ihnen entzogen worden war, oder zumindest dafür entschädigt wurden. Eine besondere Schwierigkeit war, dass sich Österreich für das Prinzip der Naturalrestitution entschieden hatte, also dafür, nur das zurückzugeben, was da, was auffindbar war. Dieses Prinzip führte vor allem bei mobilem Vermögen dazu, dass es außerordentlich schwierig war, die gesuchten Gegenstände nach 1945 zu finden und dass es heute, Jahrzehnte danach, äußerst schwierig ist, die damaligen Eigentümer_innen ausfindig zu machen: Von der arisierten Küchenkredenz über die Harley-Davidson bis zu Gottfried van Swietens 1790 in Wien erschienenem Vorträge des Präsidenten bey der Studien- und Censurs-Hofkommission oder zum Kochbuch für Katharina Hekler.
In Österreich begann die neuerliche – zunächst vor allem politische – Diskussion um Vermögensentzug und Arisierung während der nationalsozialistischen Herrschaft sowie Entschädigung und Rückstellung in der Zweiten Republik Ende des Jahres 1997 mit der Beschlagnahme von zwei Kunstwerken aus dem Leopold Museum. Am 9. Oktober 1997 wurde im Museum of Modern Art in New York die größte Schiele-Ausstellung eröffnet, die je in den USA gezeigt wurde: Egon Schiele: The Leopold Collection, Vienna. 152 Werke aus der Stiftung Leopold waren bis zum 4. Jänner 1998 zu sehen. Am 24. Dezember 1997 beschuldigte die New York Times den österreichischen Kunstsammler, in seiner Sammlung insgesamt vier Bilder »mit schwieriger Vergangenheit« zu haben. Leopold sprach in einer ersten Reaktion von »Lügen von A bis Z«. Er wies alle Vorwürfe zurück. Am 7. Jänner 1998 wurden die in der Ausstellung gezeigten Bilder Bildnis Wally und Tote Stadt III vom New Yorker Staatsanwalt Robert Morgenthau als »Diebesgut« beschlagnahmt. Henry Bondi und Rita Reif hatten als Erb_innen der Eigentümer_innen vor 1938 Ansprüche auf die Bilder gestellt. Das Bild Tote Stadt III wurde am 21. September 1999 vom US-amerikanischen Justizministerium freigegeben und nach Österreich überstellt. Der Rechtsstreit um das Bildnis Wally sollte bis 2010, also dreizehn Jahre dauern und wurde schließlich durch einen Vergleich am 27. Juli 2010 beendet; das Bild befindet sich nunmehr im Leopold Museum.
Mit dieser Beschlagnahme gab es plötzlich eine öffentliche Diskussion zu einem Thema, welches spätestens seit 1996 mit der Versteigerung unbeanspruchter Kunst- und Kulturgegenstände, die in der Kartause Mauerbach gelagert waren, als erledigt gegolten hatte. Ein folgenschwerer Irrtum, wie sich alsbald herausstellen sollte. Nach der Beschlagnahme der beiden Schiele-Bilder war klar, hier musste vor allem in den Bundesmuseen, aber auch in Landes- und Gemeindemuseen Nachschau gehalten werden. Zur Auffindung etwaiger Kunstgegenstände oder auch Bücher im Eigentum des Bundes wurde im Februar 1998 eine Arbeitsgruppe für Provenienzforschung, später dann die Kommission für Provenienzforschung, eingerichtet. Und dann ging es Schlag auf Schlag: Die Postsparkasse setzte eine Historikerkommission ein. Auf Anregung des damaligen Präsidenten der Israelitischen Kultusgemeinde Wien, Ariel Muzicant, wurde im Oktober 1998 die Historikerkommission der Republik Österreich eingesetzt, und schließlich beschloss im Herbst 1998 der Nationalrat das Bundesgesetz über die Rückgabe von Kunstgegenständen aus den Österreichischen Bundesmuseen und Sammlungen.
Am 20. Jänner 1999 trat zum ersten Mal jener Beirat zusammen, der über die Rückgabe auf Grund des Gesetzes zu entscheiden hat. Zunächst dachte die damalige Bundesministerin Elisabeth Gehrer, die Provenienzrecherche würde in zwei, drei Jahren erledigt sein. Wie so oft, was die Dauer der Rückstellungen betrifft, irrten sich die Politiker_innen, es dauerte immer wesentlich länger als prognostiziert. Die Kommission für Provenienzforschung begeht im November 2018 ihr 20-jähriges Jubiläum und ein Ende der Recherchen und damit verbundenen Rückgaben aus Bundeseigentum ist nicht abzusehen.
Die Mitarbeiter_innen der Kommission erforschen systematisch die Sammlungen des Bundes und legen zu einzelnen Fällen Dossiers vor. Diese werden dem Kunstrückgabe-Beirat übermittelt, der gegebenenfalls eine Rückgabe an festgestellte »Berechtigte« dem oder der zuständigen Bundesminister_in empfiehlt. Die Entscheidung liegt ausschließlich bei dem oder der Bundesminister_in, sie oder er ist per Gesetz zur Rückgabe ermächtigt. Es besteht kein Rechtsanspruch auf Herausgabe eines Kunstgegenstands, ein Verwaltungsverfahren nach dem Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetz findet nicht statt. In allen bisherigen Fällen sind die Bundesminister_innen den Empfehlungen des Kunstrückgabebeirats gefolgt.
Einer jener Fälle, wenn man so will der Fall der Fälle, vor allem was die öffentliche internationale Aufmerksamkeit betrifft, war jener, der letztendlich im Schiedsverfahren Maria Altmann, Francis Gutmann, Trevor Mantle, George Bentley, alle vertreten durch Randol Schoenberg, und Nelly Auersperg, vertreten durch Berardino & Harris, gegen die Republik Österreich, vertreten durch die Finanzprokuratur, endete. Gegenstand dieses jahrelangen Verfahrens waren die Bilder von Gustav Klimt Adele Bloch-Bauer I (»Goldene Adele«), Adele Bloch-Bauer II, Apfelbaum, Buchenwald/Birkenwald und Häuser in Unterach am Attersee, die sich in der Österreichischen Galerie Belvedere befanden und ursprünglich im Eigentum der Familie Bloch-Bauer waren.
Der Fall der Fälle begann kurz nach der Beschlagnahme der Schiele-Bilder am 21. Februar 1998. In der Tageszeitung Der Standard erschien der Artikel von Hubertus Czernin Aus taktischen Gründen bitte verzögern, in dem er die Geschichte der Familie Bloch-Bauer und der arisierten Kunstgegenstände erzählte. Am 28. Juni 1999 fasste der Kunstrückgabe-Beirat seinen ersten Beschluss in der Sache Ferdinand Bloch-Bauer. Da wurde zunächst beschlossen, 16 Klimt-Zeichnungen sowie diverse Porzellane zurückzugeben. Beschlossen wurde auch, besagte fünf Klimt-Bilder nicht zurückzugeben.
Diese Entscheidung führte nun zu einem sieben Jahre dauernden, international geführten Rechtsstreit, der schließlich auf Grund der Entscheidung eines Schiedskomitees mit der Rückgabe der fünf Bilder an die Erb_innen endete. Es ist hier nicht der Platz, die juristischen Einzelheiten zu erläutern, sie zu analysieren oder zu bewerten, festzustellen, ob die Entscheidung der Schiedskommission richtig oder falsch war. Die zentrale Bedeutung dieses Falls liegt letztendlich nicht in der juristischen Entscheidung, sondern in der Art und Weise, wie die Republik Österreich diese Causa behandelte.
Die Republik Österreich wusste wieder einmal nicht, was in dieser Situation zu tun ist, wie jenen zu begegnen ist, die aus dem Land vertrieben wurden, denen alles von den Nationalsozialisten entzogen wurde. Es gab kein Bemühen, keine Idee, nichts. Elisabeth Gehrer agierte hilflos, beleidigt, gekränkt. In einem Antwortschreiben auf einen Artikel von Hubertus Czernin nach dem negativen Beschluss des Kunstrückgabebeirats versuchte Gehrer die Entscheidung zu rechtfertigen, dort, wo nichts zu rechtfertigen war. Die Bilder wurden schließlich zurückgegeben, die Bemühungen um einen Kauf von Seiten der Republik Österreich scheiterten, während auf einer Homepage die »Reisefreiheit für Adele« gefordert wurde. 2006 wurde Adele Bloch-Bauer I für 135 Millionen Dollar vom US-amerikanischen Unternehmer Ronald Lauder für die von ihm gegründete Neue Galerie in Manhattan (New York) erworben und kann dort gesehen werden.
Der Fall der Fälle überlagerte die zehntausenden Rückgaben, die seit 1998 stattgefunden haben. Österreich ist weltweit das einzige Land, das in einem Kunstrückgabegesetz die »Washington Principles on...