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1813

Die Völkerschlacht und das Ende der alten Welt

AutorAndreas Platthaus
VerlagRowohlt Verlag GmbH
Erscheinungsjahr2013
Seitenanzahl480 Seiten
ISBN9783644113916
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis4,99 EUR
Im Herbst 1813 blickt ganz Europa nach Leipzig?- voller Furcht, aber auch voller Hoffnung. An vier Tagen entscheidet sich hier, in der bisher größten Schlacht der Menschheitsgeschichte, das Schicksal des Kontinents: Napoleons Truppen, nach dem gescheiterten Ostfeldzug wiedererstarkt, treffen vor den Toren der Stadt auf die Koalition aus Preußen, Russland, Österreich, England und Schweden. Vom 16. bis zum 19. Oktober dauern die Kämpfe, die als «Völkerschlacht?» in die Geschichte eingehen, mit sechshunderttausend Soldaten aus über einem Dutzend Nationen, neunzigtausend Toten und ungezählten zivilen Opfern. Zum 200. Jahrestag der Schlacht, dem Höhepunkt der Befreiungskriege, entwirft Andreas Platthaus ein eindringliches Panorama jener Tage zwischen Verheerung und Freudentaumel, dem Untergang der alten Welt und der Dämmerung einer neuen. Er schildert ihren Verlauf, zeigt, wie Herrscher und Strategen planten und agierten, aber auch, was Soldaten, Bauern und Leipziger Bürger erlebten, erlitten, erhofften. Schlaglichter fallen auf Kriegsgewinnler und politische Visionäre, auf Goethe und seine zwiespältige Bewunderung für Napoleon und auf dessen Glanz und Niedergang. Das atmosphärisch dichte Bild einer Epochenwende - der Geburtsstunde der modernen europäischen Staatenordnung.

Andreas Platthaus, geboren 1966 in Aachen, hat Philosophie, Rhetorik und Geschichte studiert. Er leitet das Ressort «Literatur und literarisches Leben» der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung», für die er seit 1992 schreibt, und ist Autor zahlreicher Bücher, darunter die große Darstellung der Völkerschlacht bei Leipzig, «1813», die lange auf der «Spiegel»-Bestsellerliste stand, und «Lyonel Feininger. Porträt eines Lebens». Seit 2022 hat er die Künstlerische Leitung des Rheingau-Literatur-Festivals inne. Andreas Platthaus lebt in Leipzig und Frankfurt am Main.

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Leseprobe

2. Vier gegen einen: Die verbündeten Monarchen


Wer in den Jahren der ersten französischen Republik einen europäischen Thron bestieg, der erbte den Krieg, denn Frankreich galt als Feind aller Throne. Von den vier alliierten Mächten, deren Heere in der Völkerschlacht gegen Napoleon kämpfen sollten, wurden drei von Monarchen regiert, für die diese Regel galt: Kaiser Franz I. von Österreich war 1792 als Franz II. zum deutschen Kaiser gekrönt worden, König Friedrich Wilhelm III. kam 1797 auf den preußischen Thron, und Zar Alexander I. von Russland folgte 1801 seinem ermordeten Vater nach. Nur Karl XIII. von Schweden erhielt die Königswürde nach einem Putsch gegen seinen Bruder Gustav IV. Adolf erst 1809, als Napoleon sein Land schon als Kaiser von eigenen Gnaden regierte. Aber Karl war in Schweden auch nicht die treibende Kraft gegen Frankreich. Das war pikanterweise ein Franzose, der Kronprinz Karl Johann, und er hatte eine Rechnung mit seiner alten Heimat und vor allem deren Kaiser offen, als er 1810 von Karl XIII. adoptiert wurde.

Mit dem Kronprinzen von Schweden die Reihe der verbündeten Monarchen zu beginnen, ist ungewöhnlich, denn obwohl er die Politik der nordischen Macht bestimmte, war er 1813 doch noch kein regierender Fürst. Aber er führte das schwedische Expeditionsheer an, das in diesem März zur Unterstützung von Russland und Preußen im zu Schweden gehörenden Vorpommern gelandet war, und ihm wurde wenig später auch das Kommando über die Nordarmee zugesprochen, die aus seinen eigenen Soldaten sowie einem russischen und zwei preußischen Korps gebildet wurde. Sie sollte dafür sorgen, dass Napoleons Truppen nicht Berlin einnähmen, während der preußische König mit dem Hauptteil seiner Armee in Sachsen agierte. Mehr als dieser oder der Zar, geschweige denn Kaiser Franz, war Karl Johann damit tatsächlich Oberbefehlshaber einer Armee, denn auch wenn diese drei Monarchen formell an der Spitze ihrer Truppen standen, hatten sie ihre Befehlsgewalt doch aufgegeben; im Frühjahr 1813 war das Oberkommando von Zar und König zunächst dem russischen Generalfeldmarschall Kutusow, dem Helden des russischen Widerstands gegen Napoleon im Jahr zuvor, und nach dessen Tod im April dem russischen Generalleutnant Graf zu Sayn-Wittgenstein übertragen worden. Als die Frage des Kommandos der Alliierten durch den Beitritt Österreichs zum Bündnis im August neu geregelt werden musste, fiel die Wahl der nun drei Herrscher auf Fürst Schwarzenberg. Weil dieser jedoch zusammen mit den Monarchen bei der Hauptarmee blieb, hatten die beiden getrennt davon agierenden alliierten Armeeführer, Karl Johann und der preußische Feldmarschall Blücher, der die im Winter neu formierte Schlesische Armee befehligte, militärisch weitgehend freie Hand. Dadurch lag die Führung der alliierten Heere jeweils in den Händen von erfahrenen Militärs, und auf der Gegenseite stand ein Monarch an der Spitze der Armee, der den Kaisertitel vor allem seinem Feldherrngenie verdankte; die traditionelle Führungsrolle der regierenden Fürsten in der praktischen Kriegsführung hatte ausgespielt.

Der Rivale Napoleons: Aus dem französischen Marschall Bernadotte wurde 1810 der schwedische Kronprinz Karl Johann.

Der schwedische Kronprinz war eine der interessantesten und umstrittensten Persönlichkeiten nicht nur der Völkerschlacht, sondern der ganzen napoleonischen Epoche. Geboren wurde er am 26. Januar 1763 in der Auvergne als Graf Jean-Baptiste-Jules Bernadotte, und er war ein Adeliger, der sich als Soldat auf die Seite der Revolution schlug. In deren Armee wurde er zum Kriegshelden, hatte mit Napoleon in Italien gekämpft und machte noch früher als dieser politische Karriere, bewies dabei aber weniger Geschick. Als Botschafter Frankreichs in Wien etwa hatte er 1798 die dortige Bevölkerung durch das Hissen der Trikolore auf der Gesandtschaft so sehr gegen sich aufgebracht, dass er gegen alle diplomatischen Regelungen aus der österreichischen Hauptstadt verjagt wurde; im Jahr danach ernannte ihn das in Paris regierende Direktorium zum Kriegsminister, was seinen Talenten eher entsprach, doch auch das blieb eine Episode. Bernadotte fühlte sich am wohlsten als Armeeführer, zeichnete sich mehrfach in den erfolgreichen Feldzügen der Franzosen aus, bekam 1804 den Marschallstab verliehen und wurde Gouverneur des französisch besetzten Herzogtums Hannover.

Das brachte ihn zum ersten Mal in unmittelbaren Konflikt mit dem preußischen König, dessen Truppen 1801 mit französischer und russischer Billigung als Erste in dieses Stammland des englischen Königs Georg III. einmarschiert waren. Preußen hatte 1795 im Frieden von Basel alle linksrheinischen Gebiete an Frankreich abtreten müssen, von der Republik im Gegenzug aber in Aussicht gestellt bekommen, seine Gebietsverluste bald mit rechtsrheinischen Territorien kompensieren zu können. Der König spekulierte nun darauf, das hannoversche Gebiet annektieren zu dürfen, das zwischen seinen verbliebenen westdeutschen Besitzungen und Kernpreußen lag. Frankreich förderte diese Ambitionen, um Preußen in Konflikt mit England zu bringen, das sich gerade erst mit Russland überworfen hatte. Paris wie Petersburg streuten das Gerücht, eine Besetzung Hannovers vorzubereiten, um die deutsche Küstenlinie an der Nordsee für die Engländer zu sperren, und aus Angst, am Ende mit leeren Händen dazustehen, befahl Friedrich Wilhelm III. Ende März 1801 den Einmarsch. Sein Pech wollte es, dass unmittelbar zuvor Zar Paul I. ermordet worden war – inwieweit sich dessen Sohn und Thronfolger Alexander an der Tat beteiligte, ist bis heute unklar – und sich der neue Zar rasch wieder England zuwandte. Schon im November gab Friedrich Wilhelm die Besetzung Hannovers wieder auf. Zwei Jahre später marschierten dort stattdessen die Franzosen ein und machten damit die von Preußen erhoffte norddeutsche Neutralität gegenstandslos. Wenn Hannover französisch besetzt war, bestand keine Hoffnung darauf, die Nordhälfte des Reichs aus dem Krieg herauszuhalten, wie Preußen es versuchte. Aus der diplomatischen Blamage von 1801 war 1803 ein außenpolitisches Fiasko geworden.

Bernadotte als hannoverscher Gouverneur war fortan ein Stachel im Fleisch Preußens, und er exekutierte die Provokationsstrategie des Ersten Konsuls Bonaparte gegenüber England, indem er am 24. Oktober 1804 den englischen Geschäftsträger beim niedersächsischen Reichskreis aus dessen Residenz in der neutralen Hansestadt Hamburg entführen ließ. Nach der Kaiserkrönung Napoleons im Dezember 1804 erwartete man in Frankreich allgemein, dass Bernadotte, der als Gatte einer Schwägerin von Napoleons Bruder Joseph auch zur erweiterten Familie des neuen Alleinherrschers zählte, nun in die engste Führungsschicht aufrücken würde, doch seine Frau war früher mit Napoleon liiert gewesen[26], was für gewisse persönliche Spannungen zwischen Bernadotte und dem Kaiser sorgte. Wichtiger aber noch war die alte Rivalität zwischen beiden Männern auf militärischem Gebiet: Bernadotte hatte sich mit der diesbezüglichen Überlegenheit des sechs Jahre jüngeren Bonaparte schon während der gemeinsamen Feldzüge schwergetan. 1806 sollte er vom Kaiser auch nur mit dem Titel eines Fürsten von Pontecorvo ausgestattet werden, was in der Reihe der phantasievollen, hochtrabenden Ehrungen für die französischen Armeeführer wie eine Degradierung wirken musste.

Trotzdem hatte Bernadotte in den mit Frankreich verbündeten Rheinbundstaaten wichtige Kommandoaufgaben inne, gerade auch als Heerführer. Nachdem sich am 11. April 1805 Russland und England zur Dritten Koalition gegen Frankreich zusammengefunden hatten und der Krieg ausgebrochen war, war die von Bernadotte kommandierte Armee im Oktober durch das preußische Territorium Ansbach marschiert. Damit hatte der französische Befehlshaber die Neutralität Preußens verletzt, und das sah Friedrich Wilhelm III. als persönlichen Affront. Noch zwei Jahre später, dann als geschlagener und gedemütigter Gegner Frankreichs, sprach er in den Friedensverhandlungen von Tilsit Napoleon immer wieder auf Bernadottes Verhalten an, um das Unrecht zu beklagen, das ihm damals angetan worden war.[27] 1813, als sich Bernadotte längst vom französischen Feind zum schwedischen Verbündeten gewandelt hatte, durfte er daher weder vom preußischen König noch von der preußischen Armee große Sympathien erwarten. Das zeigt sich in den Berichten preußischer Teilnehmer an der Völkerschlacht überdeutlich.

Bernadotte galt als einer der erfahrensten Feldherrn seiner Zeit und genoss nicht zuletzt wegen seines Muts zu dreisten Aktionen, wenn sie strategisch notwendig waren, auch den entsprechenden Ruf. Im Februar 1808 befehligte er ein dänisch-französisches Heer im Krieg des damals mit Napoleon verbündeten Russlands gegen Schweden, als Zar Alexander I. das seit Jahrhunderten von Schweden beherrschte Finnland erobern und zugleich den letzten Verbündeten schwächen wollte, den England im Kampf gegen Frankreich in Nordeuropa noch besaß. Beides gelang, und angesichts dieser Niederlage stürzte das schwedische Militär am 13. März 1809 seinen König Gustav IV. Adolf. Nachfolger wurde dessen mit sechzig Jahren bereits betagter und kranker Onkel, der als Karl XIII. den Thron bestieg, aber kinderlos war. Auf Beschluss der schwedischen Reichsstände adoptierte er einen dänischen Prinzen, also ausgerechnet einen Exponenten der alten Rivalen um die Macht im...

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