DER KAMPF UM DIE VORMACHT IN
DEUTSCHLAND
»Es gibt in der Geschichte keinen Feldzug, wo ein gleichermaßen hervorragender Erfolg in ebenso kurzer Zeit und ohne irgendeine bemerkenswerte Schlappe erzielt worden ist …« (Friedrich Engels 1866)
Es gab einmal vor über 150 Jahren einen deutschen Politiker, der den Plan fasste, mit militärischen Mitteln den alten Machtkampf zwischen zwei bedeutenden Dynastien zu beenden und dabei die Grundlagen für ein Gebilde zu schaffen, das man zu seiner Zeit für sehr modern hielt und das viele herbeisehnten – den geeinten deutschen Nationalstaat. Otto von Bismarck war bereit, die Geschichte mit »Blut und Eisen« zu schreiben und auf das »Preußische Schwert« zu vertrauen. Schon der erste Versuch im »Deutsch-Dänischen Krieg« von 1864 zeigte ihm, dass dieses Vertrauen durchaus gerechtfertigt war. Bismarck bereitete daraufhin einen viel größeren Krieg vor. Dieser sollte die österreichische Vorherrschaft in Deutschland beenden und den Deutschen Bund zugunsten eines »kleindeutschen« von Preußen beherrschten Nationalstaates vernichten.
Im Sommer des Jahres 1866 fand im Herzen Europas dann eine militärische Auseinandersetzung statt, die nur wenige Wochen dauerte und auch im Verhältnis zu anderen weltgeschichtlich bedeutenden militärischen Konflikten verhältnismäßig wenige Opfer forderte, aber deren Auswirkungen unseren Kontinent und dessen Geschichte maßgeblich veränderten und bis heute beeinflussen. Dieser »Deutsche Krieg«, der im Wesentlichen aus dem alten Konflikt zwischen Preußen und Österreich um die Vorherrschaft in Deutschland entsprang, markierte eine wesentliche Zäsur in die europäische Geschichte und stellte die Weichen für die Gründung eines deutschen Nationalstaates, der das Kaiserreich Österreich unter den Habsburgern ausschloss. Nach einem kurzen und heftigen militärischen Ringen, in dem sich die Vorteile des »modernen« und aufstrebenden staatlichen Gebildes, das sich Königreich Preußen nannte, gegenüber der altehrwürdigen und erstarrten Habsburgermonarchie manifestierten, war mit einem Male die weitere Entwicklung der Geschichte Europas eine andere.
Es geht in diesem Buch darum, kompakt darzustellen, wie es zu diesem Konflikt kam, der eine sehr lange Vorgeschichte hatte, und wie sich die politischen Weichenstellungen der Entscheidungsträger und die militärischen und wirtschaftlichen Umstände auf den Verlauf des Krieges auswirkten.
Der kurze Krieg von 1866 hatte viele Schauplätze, so zum Beispiel in großen Gebieten Westdeutschlands und in Norditalien. Sogar zur See in der Adria wurde gekämpft. Der wichtigste und letztlich entscheidende Kriegsschauplatz befand sich aber auf dem Gebiet der heutigen Tschechischen Republik. Die Orte, an denen die wichtigsten Schlachten und Gefechte dieses Krieges stattfanden, haben heute ganz andere – tschechische – Namen. Aus Königgrätz wurde Hradec Kralove und Trautenau, die Stätte des einzigen österreichischen Sieges am nördlichen Kriegsschauplatz, heißt jetzt Trutnov. Trotzdem ist der Krieg auf dem ehemaligen böhmisch-mährischen Kriegsschauplatz an vielen Orten genauso wie in Teilen Niederösterreichs noch immer sehr präsent, was eine Vielzahl von Denkmälern und musealen Einrichtungen, sowie Schlachtdarstellungen durch sogenannte Reenactment-Gruppen beweist. Auch an anderen ehemaligen Kriegsschauplätzen von 1866 gibt es Orte der Erinnerung, wenngleich diese gegenüber anderen im heutigen Bewusstsein präsenteren Kriegen meist wenig zur Kenntnis genommen werden.
Es gibt kaum eine kriegerische Auseinandersetzung, die im Laufe der Zeit mit so vielen verschiedenen Namen bedacht wurde. Wird der Konflikt heute in Deutschland zumeist »Deutscher Krieg« genannt, so findet sich in Österreich oft die Bezeichnung »Preußisch-Österreichischer Krieg«. Da eigentlich Preußen gegen den Deutschen Bund Krieg führte, hatte man ursprünglich daran gedacht, diesen Konflikt den »Preußisch-Deutschen Krieg« zu nennen. Das hat sich aber noch weniger durchgesetzt als die Bezeichnungen »Einigungskrieg«, »Deutscher Bundeskrieg«, »Deutscher Bruderkrieg«, »Deutsch-Deutscher Krieg« oder »Siebenwöchiger Krieg«. Alle diese Begriffe scheinen etwas für sich zu haben und tauchen auch in der einschlägigen Literatur auf. Ziemlich abwegig und an den tatsächlichen Ereignissen vorbeigehend scheint die manchmal in Österreich gebrauchte Bezeichnung »Deutsch-Österreichischer Krieg«. Dazu kommt noch, dass dieser »Deutsche Krieg« auch noch untrennbar mit dem »Dritten Italienischen Unabhängigkeitskrieg« verbunden ist, den das mit Preußen verbündete Königreich Italien zur gleichen Zeit gegen das Habsburgerreich führte. Die beiden Kriege lassen sich auf Grund des Bündnissystems und ihrer Wechselwirkungen auch nicht voneinander trennen und werden deshalb auch in dieser Arbeit gemeinsam behandelt. Der Titel des Buches »Königgrätz« wurde deshalb gewählt, weil diese Schlacht das zentrale Ereignis in diesem Kriegsgeschehen darstellt und auch heute noch sehr bekannt ist.
Vieles am »Deutschen Krieg« mutet heutigen Lesern seltsam an: Armeen aus souveränen Staaten, die heute kaum mehr bekannt sind, standen einander gegenüber. Die »Koalitionstruppen« des Deutschen Bundes umfassten Kontingente aus Österreich, Bayern, Württemberg, Hannover, Sachsen, Kurhessen, Baden, Hessen-Darmstadt, Sachsen-Meiningen, Nassau, Frankfurt, Liechtenstein sowie Reuß ältere Linie. Die »aufständischen« Preußen wurden durch Kleinstaaten wie die beiden Mecklenburgs, Braunschweig, Oldenburg, einige mittel- und norddeutsche »Staatsgebilde«, die Städte Hamburg, Lübeck und Bremen sowie durch das Königreich Italien unterstützt.
Der Krieg von 1866 war in mancher Hinsicht ein Krieg der alten Schule, der sich in vielem nicht von jenen zur Zeit Napoleons unterschied. Andererseits war er die große militärische Auseinandersetzung, bei der zum ersten Mal in Europa moderne Techniken wie die Eisenbahn und der Telegraph eine wirklich bedeutende Rolle spielten. Beide Seiten nutzten die »Segnungen« der Moderne, wobei die Preußen allerdings im Vorteil waren. Sie hatten rechtzeitig für die Umstellung der Bewaffnung ihrer Truppen auf Hinterlader-Gewehre gesorgt und dadurch einen taktisch entscheidenden Vorteil. Auch erwies sich ihre militärische Organisation, Planung und Kommandostruktur als eindeutig überlegen. Man sprach wie in den meisten Kriegen der Moderne keine Kriegserklärung mehr aus, sondern fiel einfach in das gegnerische Gebiet ein.
Die Kämpfe der Preußen und ihrer Verbündeten gegen die Kontingente der einzelnen bundestreuen Mittel- und Kleinstaaten, deren Operationen kaum koordiniert waren, gingen so gut wie immer zugunsten des Aggressors aus. Die geniale Führung und der klug vorbereitete Aufmarschplan, hinter dem die Person des Generalstabschefs Helmuth von Moltkes stand, ermöglichten den preußischen Armeen auch schnell, auf dem böhmischen Kriegsschauplatz gegen die einzelnen Korps der österreichischen Nordarmee – bis auf eine Schlappe – siegreich zu bleiben. Schon weitgehend in die Enge getrieben, entschloss sich der überforderte österreichische Befehlshaber Feldzeugmeister Benedek zu einem Entscheidungskampf, der als eine der größten Schlachten der europäischen Geschichte gilt. Die Schlacht bei Königgrätz am 3. Juli 1866 brachte nicht nur nach heftigem und lange Zeit nicht eindeutigem Ringen den Sieg der preußischen Armee über die Österreicher und die mit ihnen verbündeten Sachsen, sondern zeigte auch auf, wie sehr von nun an die generalstabsmäßige Planung und die Militärtechnik entscheidend für die weitere Kriegführung mit Massenheeren sein würden.
Da nutzte es dem wirtschaftlich, technisch und organisatorisch unterlegenen Habsburgerreich auch nichts, dass es gegen Preußens Verbündeten, das Königreich Italien, überragende Siege zu Lande und zur See erzielen konnte. Am nördlichen Kriegsschauplatz konnten die Österreicher das Vordringen der Preußen in Richtung Wien nicht mehr aufhalten und der militärische untüchtige Kaiser Franz Joseph wollte das Wagnis einer großen Schlacht vor den nicht mehr vorhandenen Toren seiner Residenzstadt dann doch nicht eingehen. Während Preußen im so genannten Mainfeldzug auch die süddeutschen Staaten besiegt hatte und bereits große Teile des Territoriums des Deutschen Bundes beherrschte, gab man sich schließlich in Wien geschlagen. Unter dem Einfluss Bismarcks zeigte sich nach heftigen internen Konflikten auch die preußische Führung, deren Truppen zudem durch den Ausbruch der Cholera dezimiert wurden, zum Waffenstillstand und damit zur Aufnahme von Friedensverhandlungen bereit.
Der Frieden von Prag, der auf den denkwürdigen Vorfrieden von Nikolsburg vom 26. Juli 1866 fußte, brachte für das Kaiserreich Österreich zwar ein scheinbar glimpfliches Ergebnis ohne Gebietsverluste an Preußen, bedeutete aber den Ausschluss des Habsburgerreiches aus Deutschland und den Beginn einer Sonderentwicklung, die durch den so genannten »Ausgleich«...