Tag 1 bis Tag 14
Europa im Schnelldurchgang
Der Startschuss fällt am Frühlingsanfang. Und wie es sich für so eine Reise gehört bei Kaiserwetter. Nur zeitlich nicht wie geplant, da der Mann an meiner Seite verplant ist und das, was seit Wochen zu erledigen galt, nicht gebacken bekam. Ich kenn das. Bisher hat es mich nie gestört. Heute auch nicht. Heute macht es mich wütend. Starten wollten wir um elf. Jetzt ist es zwei, er ist immer noch nicht da und das Tagesziel ist Wiesbaden. Jetzt könnte man denken, warum zickt die? Die paar 100 Kilometer sind doch locker zu schaffen. Stimmt. Nur ich warte seit Stunden und Warten finde ich mies. Außerdem ist meine Wohnung für neun Monate Abwesenheit klargemacht. Dann das Wetter. Zwar sind die Temperaturen für diesen Tag außergewöhnlich hoch, doch schon jetzt wird es frisch. Und ich hab Probleme mit der Kälte.
Als er eintrifft, mache ich trotz der miesen Stimmung einen auf gute Laune und wir rollen los. 50 Meter. Dann fahr ich ihm hinten rein. Mein Kotflügel stupst an sein Nummernschild. Das hat jetzt eine Delle, die Stimmung ist dahin und ich halte Abstand.
Ausgerüstet sind wir nicht nur mit Straßenkarten. Auch mit einem Navi. Das ist an Yanniks Lenker befestigt. Ich habe keins. Aber auch ohne weiß ich wie man von Bremen nach Wiesbaden kommt.
«Wieso willst du abbiegen?», frage ich verdutzt, als ich an der roten Ampel neben ihm stehen bleibe.
«Ich möchte mich von meinen Eltern verabschieden», meint er. Dazu sage ich nichts. Was soll ich auch sagen? Vor so einer langen Reise verabschiedet man sich von seinen Eltern. Ich habe mich auch von meiner Mama verabschiedet. Das war gestern. Und dabei habe ich mir Zeit gelassen.
Nun aber los! So schnell gehts dann auch nicht. Wir brauchen noch irgendwelche Ersatzteile. Welche das sind, wird mir schon gesagt. Das ist mir aber egal. Um vier sind endgültig auf der Bahn, um acht in Wiesbaden, nächsten Tag in Frankfurt und übernächsten Tag in Weil am Rhein. Dort machen wir einen längeren Stopp. Geplant ist das nicht. Yannik hat in Bremen etwas vergessen. Seine Regenkombi. Und die braucht er. Ich meine auch. Die ist im Gepäck und dann nur noch an der Frau. Von Weil am Rhein bis in die Ecke um Mailand.
Außer Regen ist auch in Bella Italia nichts gewesen. Und mehr als unangenehm, wenn das Wasser hinterm Helm in den Kragen fließt. Nicht gleich literweise. Aber so, dass der Rücken stets feucht ist, die Handschuhe durchgeweicht sind und die Hände vom Fahrtwind auf gefühlte Nullgrade abkühlen. Zwar hilft die Griffheizung, doch das ewige Nass hat nichts mehr mit Reisefreude zu tun. Auch Slowenien nehmen wir aus selbigem Grund im Schnelldurchgang und nach 500 Regenkilometern heißt es welcome to Croatia.
Endlich Sonne. Auch atemberaubende Kurven am Küstenstreifen der Adria und Yannik sehe ich nur noch von hinten. Kurven sind eben für richtige Biker das Salz in der Motorradsuppe. Dann ist er weg.
Eingeholt habe ich ihn vor dem Tor zur Altstadt von Zadar und schrei, was das Zeug hält: «Yanniiiiiii». Mein Hauptständer klemmt am Bordstein, ich häng wie ein plumper Sack auf dem Motorrad und droh unter den Augen des in Stein gehauenen geflügelten venezianischen Löwen, direkt unter der Porta Terraferma, auf einen polierten Daimler zu knallen. Yannik scheint sich für andere Dinge zu interessieren. Doch zum Glück gerade rechtzeitig, bevor die Limousine zerkratzt worden wäre, fangen mich braun gebrannte kroatische Männerarme auf.
«Bloß weg von hier», ruf ich und wir beschleunigen nach Süden. In Šibenik steht kein anderer als Klaus zur Stelle. Klaus muss mich nicht retten. Er öffnet für uns das Tor zu seinem Autocamp. Natürlich mit selbst gebranntem Slibowitz. Da bleibt ein Brummschädel nicht aus. Yannik bekommt den klaren Kopf beim Baden unter den eisigen Krk-Wasserfällen. Ich nur beim Hingucken und angeregt gehts ins Hinterland. In die Obstkammer Kroatiens, die sich wie der Garten Eden bis ins Delta der Neretva um uns ausbreitet. Das bedeutet auch Feuchtgebiete ohne Ende und es ergibt sich keine Möglichkeit, das Zelt aufzubauen. Wie die Wilden heizen wir auf der Suche nach einer Bleibe durch Süddalmatien. Aber wählerisch in Sachen Unterkunft gibt es nicht.
Trotz des miserablen Zimmers tat das Bett gut und tiefenentspannt rollen wir in den südlichen Teil Bosnien und Herzegowinas. 16 Jahre nach Kriegsende sind die Spuren der Zerstörung kaum noch sichtbar. Mich interessieren sowieso mehr die kyrillischen Schriftzeichen, die für mich bloß böhmische Dörfer sind, und die rasenden Karossen, an denen gestylte junge Männer sitzen. Und für die jungen Frauen scheint das Tragen von Sonnenbrillen mit überdimensional großen Gläsern ein Muss zu sein.
Vorbei an illegalen Müllkippen, im Rückspiegel verschneite Zweitausender, kehren wir Stolac den Rücken und ziehen auf Feldwegen ins fruchtbare Tal. Hier sind die Auswirkungen des Krieges unübersehbar. Zwischen Ruinen der mit Sträuchern zugewucherten Höfe grasen paar Rinder und vergessen vom Wiederaufbau entstand eine prachtvolle Natur. Aufwärts in die Bergwelt entpuppt sich die Strecke zu meiner ersten Aufgabe. Spitzkehren, kaum zu umfahrene Schlaglöcher und dann die Lastwagen, die mich nie schonen. Alles raubt mir am einzigen Tag durch dieses Land den Nerv.
«Wie wird es mit dir bloß in Afrika werden, wenn du schon jetzt auf dem Zahnfleisch gehst?», brumm ich in den Helm und hoffe, mit der Aufgabe zu wachsen. Beim Grenzübergang Vilusi ist der ganze Stress weggeblasen. Welch klare Bergluft. Und ohne über Schlaglöcher springen zu müssen, düsen wir von 1300 Metern runter bis Nikšić, in Montenegros zweitgrößte Stadt, zu einem kleinen Supermarkt. Und wonach wir auch kulinarisch lechzen, alles ist im Euroland zu bekommen. Nur wohin mit dem ganzen Zeug? Eindeutig haben wir zu viel eingekauft und das Packen muss optimiert werden.
Problemloser ist die Nachtplatzsuche. Bauern sind nicht in Sicht, das Zelt ist schnell auf einem Feld mit Blick auf den Durmitor, Montenegros imposantes Bergmassiv, aufgebaut und ein klarer Bach dient für die Körperreinigung. Überhaupt scheint dieses Land ein Landschaftsjuwel zu sein, dessen Reichtum sich auch über uns ausbreitet. Steinadler begleiten uns auf dem Weg entlang des Shkoder-Sees nach Albanien. Ins Land der Vorurteile. Doch die Grenzer interessieren sich mehr für die Motorräder als für Grenzformalitäten. Also alles easy. Herausforderung bringt die Straße. Und erstaunlich, dass eine Region einzig von politischer Grenze getrennt, total verändert ist. Im albanischen Hinterland glaube ich mich um ein Jahrhundert zurückversetzt. Im Straßenverkehr sind Esel- und Pferdekarren an der Tagesordnung und diejenigen, die mit mehr als einer Pferdestärke unterwegs sind, rasen, was das Zeug hält. Je größer das Vehikel, das sind oft deutsche Youngtimer, desto weniger wird Rücksicht genommen. Wir als Verkehrsrowdys haben eine Menge Spaß, uns dem anzupassen. Doch irritiert bin ich schon, als auf der Autobahn Fußgänger spazieren und Autofahrer an den unmöglichsten Stellen wenden. Das geht zu toppen: Rushhour in Tirana, der Hauptstadt Albaniens. Der Straßenbelag ist ganz o.k. Bis darauf, auch wenn sich der Gully auf der Straße befindet, der Deckel fehlt.
Während wir uns das Durchkommen erkämpfen, flanieren die Tiraner auf dem Boulevard. Und wenn man nicht ganz so pingelig auf die Bretterrestaurants und fliegende Händler schaut, ist der Unterschied zu anderen südeuropäischen Städten unbedeutend. Und Aussagen von Bekannten, die noch nie in Albanien waren, uns aber vor Kontrollen warnten, bei denen nicht nur Polizisten die Hand aufhalten, sondern auch grimmig blickende, schwarzbärtige Männer, bewaffnet mit Kalaschnikows, die Motorräder mitsamt Gepäck lächelnd entgegennehmen würden, kann ich nicht bestätigen. Meine Begegnungen mit den Albanern sind von zurückhaltender Art. Wir genießen die mediterrane Küche und stoßen mit heimischem Bier, schlicht Tirana genannt, an.
Wie in Montenegro lassen wir auch in Albanien historische Stätten und Gebirge- und Seenlandschaften aus und rollen schnurstracks nach Griechenland. Und wie es sich für dieses Land gehört, werden wir mit Sonne begrüßt. Nur die Grenzer zeigen Eiseskälte. Während der eine mit dem Mann an meiner Seite fachsimpelt, nötigt mich der andere, meine gesamten Reisebesitztümer aus den Satteltaschen vor ihm auszubreiten.
«Schikane. Nichts als Schikane. Nur weil eine Frau ein fettes Motorrad fährt», meckere ich so leise, dass es niemand hört.
Der Auftritt der Grenzer beeinflusst mich derart negativ, dass ich die reizvollen Dinge auf den ersten 100 Kilometern durch Griechenland nicht genießen kann. Sind es die in Blüte stehenden Kirschbäume oder mein Traum von lang gezogenen Kurven. Alles bleibt vom erlebten Machogehabe gedeckelt. Dazu eine von der EU subventionierte Verschwendung. Kilometerweit stehen um jede Auf-...